Spätestens mit dem Lockdown ist die Heimarbeit in aller Munde
Die Corona-Pandemie verändert gerade vieles, die Arbeitswelt insbesondere. Viele Unternehmen haben ihre Beschäftigten nach Hause geschickt und diese arbeiten nun von dort aus. Wie ist Homeoffice zu bewerten? Ist diese Segen oder Fluch?
Von Torsten Sting, Rostock
Bereits vor SARS-Cov-19 haben etwa zwanzig Prozent der Arbeitenden ihren Job von zu Hause aus erledigt. Es gibt derzeit keine belastbaren Zahlen, aber durch die Pandemie ist der Anteil der Menschen, die von zu Hause aus arbeiten, sprunghaft angestiegen. Viele Betriebe haben aus der Not eine Tugend gemacht. Um die Ansteckungsgefahr zu minimieren und damit Arbeitskräfteausfall vorzubeugen, wurden auf dem zwischenzeitlichen Höhepunkt der Pandemie, viele Beschäftigte nach Hause geschickt.
Objektive Ursachen
Es ist absehbar, dass nicht wenige Unternehmer spätestens jetzt auf den Geschmack gekommen sind und auch nach der Krise verstärkt auf diese Arbeitsform setzen werden. Aber auch Kolleginnen und Kollegen finden zunehmend Homeoffice attraktiv und das hat Gründe.
Auf tagesschau.de war am 05.12.19 zu lesen, was viele Befürworter*innen sagen: „Das Homeoffice hilft, Familie und Beruf zu vereinbaren.“ Richtig ist, dass gerade für berufstätige Eltern, insbesondere nach wie vor Frauen, dass Wegfallen der Wege zur Arbeit kostbare Zeit (und Fahrtkosten) spart. Dies hilft natürlich dabei, die eingeschränkten Öffnungszeiten der Kitas besser mit dem eigenen Job in Einklang zu bringen. Die etwa zwei Monate der Pandemie, in denen die Kitas und Schulen für den Großteil der Kinder geschlossen hatten, hatten zur Folge, dass neben der Arbeit noch die Versorgung der Kinder zu erfolgen hatte. Viele Eltern wurden dabei extrem belastet und kamen an ihre Grenzen.
Pendeln zur Arbeit
Ein weiterer Grund für eine zunehmende Attraktivität von Homeoffice ist die Tendenz, dass die Fahrtwege zur Arbeit länger werden. Zum einen gibt es den weltweiten Trend hin zur Konzentration von Firmenansiedlungen und gesellschaftlichem Leben in den Metropolen. In Kombination mit der Tatsache, dass über viele Jahre hinweg zu wenige Wohnungen gebaut und öffentliche Wohnungsgesellschaften privatisiert wurden, hat dies zu erheblichen Mietsteigerungen geführt. Jene Teile der Beschäftigten, die es sich leisten konnten die günstigen Zinskonditionen zu nutzen, bauten sich ein Häuschen am Stadtrand. Als Preis dafür müssen diese dann häufig in die Stadt pendeln. Aber auch die Fahrten zur Arbeit, die mehrere Hundert Kilometer weit weg entfernt ist, haben zugenommen. Dies verursacht Stress und erhöht die Krankenquote wie eine Studie der Hans Böckler Stiftung zu diesem Thema aus dem Jahre 2018 belegt. Mit dem Homeoffice kann man sich diesen Stress sparen.
Arbeitsbedingungen
Zudem ist es der Wunsch, sich dem direkten, persönlichen Druck durch Vorgesetzte zu entziehen, der Beschäftigte nach Hause „fliehen“ lässt. Wenn die Arbeitsbedingungen nicht so toll sind, zum Beispiel in den Großraumbüros der Call Center der Abstand zum Nachbartisch sehr gering und die Geräuschkulisse sehr laut ist, gibt es zusätzliche Anreize die Ruhe der eigenen vier Wände vorzuziehen.
Risiken
In einer Studie der AOK im letzten Jahr, kommt eine gewisse Ambivalenz beim Thema Homeoffice zum Vorschein. Knapp zwei Drittel der Befragten gaben an, dass sie mit ihrer Arbeit zufrieden seien und betonten die Vorteile von flexiblem Arbeiten. Gleichzeitig hebt Helmut Schröder, einer der Mitherausgeber der Studie, auch die Schattenseiten hervor: „Erschöpfung, Konzentrationsprobleme, Schlafstörungen. Wer viel im Homeoffice arbeitet, leidet häufiger unter solchen Problemen als andere Beschäftigte.“ Das kommt nicht von ungefähr. Die Grenze zwischen Beruf und Privatleben verschwimmt. Die Fahrt mit der Straßenbahn zur Arbeit hat den Vorteil, dass man Abstand zum Erlebten erlangt und sich geistig von davon schneller verabschieden kann. Wenn Arbeitsort und Zuhause eins sind, ist dies schwierig für den Kopf.
Entgrenzung
Hinzu kommt, dass, je nach Tätigkeit, die Gefahr lauert auch nach dem offiziellen Feierabend, wenn etwa die Kinder im Bett liegen, mit der Arbeit weiterzumachen.
„Fast ein Fünftel der betroffenen Befragten berichtet über Probleme mit der Vereinbarkeit von Arbeitszeit und Freizeit (18,8 Prozent) oder über Anrufe beziehungsweise E-Mails des Arbeitgebers außerhalb ihrer Arbeitszeiten (19,5 Prozent). Darüber hinaus gibt mehr als ein Drittel der Beschäftigten mit Homeoffice an, dass sie Probleme haben, nach Feierabend abzuschalten (38,3 Prozent). Bei den Beschäftigten, die ausschließlich im Betrieb arbeiten, ist das nur jeder Vierte (24,9 Prozent).“
Die Studie arbeitet zudem raus, dass der Krankenstand im Homeoffice niedriger ist. Das liegt aber unter anderem daran, dass die „Verlockung“ größer ist, sich gesundheitlich angeschlagen vom Bett an den Arbeitstisch in der eigenen Wohnung zu schleppen, als sich auf den eventuell recht langen Weg zur Arbeit auf zumachen.
Kurzum: Homeoffice birgt die große Gefahr der Selbstausbeutung.
Festigung von Rollenbildern
Gerade Frauen wird diese Form des Arbeitens als Fortschritt verkauft. Bei näherem hinsehen fällt jedoch auf, dass hier ein gesellschaftlicher Rollback droht. Die Kolleginnen werden wieder mehr dazu gedrängt zu Hause zu bleiben und sich neben dem Job noch um die Kinderbetreuung und den Haushalt zu kümmern. Nach dem Motto: „Naja Schatz, wenn du schon Mal zu Hause bist und mehr Zeit hast, weil du nicht zur Arbeit fahren musst, kannst du das doch auch erledigen.“
Soziale Isolierung
Mittels moderner Kommunikationskanäle ist es natürlich möglich der Vereinzelung ein Stück weit vorzubeugen, gerade in größeren Betrieben, die über mehr Möglichkeiten verfügen. Aber die momentane Krise zeigt auch die Grenzen von Telefon- und Videokonferenzen oder Chatten auf. Das persönliche Miteinander, dass kollektive Zusammenarbeiten, gemeinsames lachen und schimpfen, kann keine Technologie ersetzen. Es gibt die Gefahr, dass Homeoffice Egoismus und unsolidarisches Handeln fördert, was durchaus im Interesse der Kapitalisten ist.
Klassische Ausgliederung
Zu guter Letzt ist Homeoffice problematisch, da es sich um Outsourcing reinster Güte handelt. Eine klassische Aufgabe der „Arbeitgeber“ wird an die abhängig Beschäftigten delegiert. Ja, es gibt Firmen, in denen es Betriebsvereinbarungen zum Thema gibt, in denen Regeln definiert sind und teilweise Kosten durch die Kapitalisten übernommen werden. Dies ist jedoch in vielen Betrieben nicht der Fall. Die Kolleg*innen bleiben auf vielen Kosten sitzen, sie haben das Risiko für den Fall, dass Technik zu Hause ausfällt oder nicht funktioniert, bis hin zum möglichen Verlust des Arbeitsplatzes. Zudem entledigt sich der Unternehmer elegant seiner Verantwortung, auf die Arbeitssicherheit zu achten, indem er an die Selbstverantwortung der Betroffenen appellieren kann. Die Kapitalisten sparen sich mir dem Homeoffice Bürokapazitäten und die damit verbunden Kosten.
Politische Probleme
So sehr im einzelnen nachvollziehbar ist, wenn sich Kolleginnen und Kollegen für das Arbeiten von zu Hause entscheiden, eines ist ganz klar: es ergeben sich daraus für die Belegschaften und die Arbeiter*innenklasse als Ganzes eine Reihe von Problemen. Die zentrale Schwierigkeit besteht darin, dass es schwieriger wird, die Belegschaften zusammen zu halten und gemeinsame Kämpfe zu führen. Kolleginnen und Kollegen die von zu Hause aus arbeiten sind (von der Tendenz her) weniger in die sozialen Strukturen integriert, fühlen sich weniger als Teil eines Kollektivs und machen daher eher „ihr Ding“. Es ist für Betriebsräte sehr schwer zu ihnen einen engen Kontakt aufzubauen. Für die Gewerkschaften gibt es größere Schwierigkeiten hier Mitglieder zu gewinnen und zu festigen. Es besteht die Gefahr, dass im Falle eines Arbeitskampfes, die Kapitalisten hier eher Streikbrecher finden können.
Das ganze Bild sehen
Vor diesem Hintergrund ist die Forderung des DGB, dass Homeoffice mit einem gesetzlichen Anspruch versehen werden soll, viel zu kurz gedacht. Wie oben ausgeführt ist es wichtig, die verschiedenen betrieblichen und gesellschaftspolitischen Fragen anzupacken. Das Ziel der Arbeiter*innenbewegung muss es sein, Menschen im Arbeitsleben und darüber hinaus zusammen zu bringen, kollektives Bewusstsein als Klasse zu befördern und gemeinsamen Widerstand auf die Beine zu bringen. Das heißt nicht, dass das Homeoffice für diese Aufgaben eine absolute Barriere wäre, es erschwert sie aber. Daher sollten Linke und Gewerkschafter*innen nicht einfach diesem Trend hinterherlaufen, sondern diesen kritisch sehen. Unmittelbar gilt es in den Betrieben für bestmögliche Bedingungen im Homeoffice zu kämpfen und zugleich die damit zusammenhängenden Fragen (siehe oben) anzupacken.
Ein Ausblick
Im Kapitalismus wird es auch in dieser Hinsicht keine befriedigende Antwort geben. In einer sozialistischen Demokratie, die von den Zwängen des Profits befreit sein wird, werden Menschen nicht nach Hause „fliehen“, weil es viel mehr Spaß macht und in jeglicher Hinsicht produktiver sein wird, mit Anderen zusammen zu arbeiten. Weil es keinen Dauerdruck durch Vorgesetzte mehr geben wird, um noch mehr Profit im Sinne der Kapitalisten zu erzielen. Für eine solche Zukunft, lohnt es zu streiten.