„Der große Wums“?

Das Konjunkturprogramm hilft den Konzernen und kann die Krise nicht stoppen

Es geht los. Die ökonomischen Folgen der Coronakrise, deren Ursachen nur dem Namen nach in der pandemischen Verbreitung des Virus zu suchen sind, werden spürbar.

Von Steve Hollasky, Dresden

Gestottert hat der deutschen Konjunkturmotor schon vor dem Lockdown. Kaum, dass der sich seinem endgültigen Ende nähert, beginnt er zu husten. Der tiefste Einbruch der Exporte seit 1950 verpasst dem dauerhaft um den Titel Exportweltmeister kämpfenden deutschen Kapital einen erheblichen Dämpfer. Um dreißig Prozent sanken die Ausfuhren im April.

Aufwiegen kann dieses Defizit die dauerhaft schwächelnde deutsche Binnenkaufkraft nicht. Dem Gefasel der letzten Jahre von den spürbaren Lohnerhöhungen zum Trotz, herrscht auf den Konten vieler Arbeiter*innenfamilien Ebbe.

Konsumankurbelung?

In einer solchen Situation dürfe man „nicht ängstlich“ sein, sondern „mutig“, so Markus Söder (CSU) auf der Pressekonferenz der Bundesregierung am letzten Freitag. „Mut“ war überhaupt das Wort, mit dem das Berliner Kabinett sein Paket zur Ankurbelung der Wirtschaft betitelt haben möchte. Man brauche „eine mutige Antwort“, so Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihren einleitenden Worten am vergangenen Freitag. Und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) schob bei gleicher Gelegenheit noch hinterher, man wolle jetzt „mit Wums“ aus der Coronakrise kommen. Das Finanzressort pumpt nicht weniger als 130 Milliarden Euro in die Wirtschaft, denn – so die einfache Rechnung – wo Geld ist, wird konsumiert und wo konsumiert wird, gibt es Profite. Und die gilt es zu sichern.

300 Euro soll jede Familie pro Kind aufgeteilt auf drei Monate vom Staat erhalten. An der katastrophalen Situation, dass Kinder in Deutschland ein Armutsrisiko sind, wird das nichts ändern – soll es auch nicht. Gerade für viele kinderreiche Familien wird es nötig sein, das Geld schnell auszugeben. Genau das ist ja auch der Sinn hinter diesem Geschenk. Zum Konsum zwingen kann man aber niemanden. Dass einige das Geld für die noch zu erwartenden schlechten Zeiten auf die hohe Kante legen werden dürfte der Alptraum der Bundesregierung bleiben. Und so bleibt im Grunde für die Berliner Minister*innenriege nur zu hoffen, dass die ökonomische Situation zahlreicher Familien zwischenzeitlich derart in Schieflage geraten ist, dass sie nicht darum herumkommen, die 300 Euro pro Kind direkt wieder ins Geschäft zu tragen.

Keynesianismus

John Maynard Keynes hätten diese Gedankengänge gefreut. Der britische Ökonom entwickelte in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Theorie, wonach der Staat durch die Ankurbelung des Konsums ökonomische Krisen zumindest abfedern kann.

Keine Frage, viele Familien wird die Einmalzahlung freuen, an ihrer Situation ändern wird sie nichts. Besonders dann nicht, wenn die Eltern zu den inzwischen mehr als 300.000 Menschen gehören, die durch die Krise ihre Arbeit verloren haben oder aber zu den sieben Millionen, die sich in Kurzarbeit befinden.

Die Kauflust anzukurbeln ist auch das Ziel der für die Zeit zwischen Juli und Jahresende geplanten Mehrwertsteuersenkung auf 16 Prozent. Eingeführt wurde diese Steuer 1916 vom deutschen Kaiser, damit der seinen Krieg weiter finanzieren konnte, und legte dann eine steile Karriere hin. Die Verbraucher*innenabgabe mauserte sich von 0,5 Prozent in den folgenden 100 Jahren auf zuletzt satte 19 Prozent, der „Großen Koalition“ sei es gedankt! Die hatte die Mehrwertsteuer noch einmal um drei Prozentpunkte nach oben geschraubt – trotz aller SPD-Wahlkampfversprechen dies nicht zu tun. Nun wird diese unsozialste aller Steuern, die Haushalte mit sehr geringen Einkommen ebenso bei jedem Kauf und in derselben Höhe zu zahlen haben wie Millionäre, vorübergehend auf 16 Prozent gesenkt. Und das wird dann „mutig“ und „großer Wums“ genannt. Ob der „große Wums“ bei Kundinnen und Kunden ankommt, wird darauf ankommen ob der Handel die Steuersenkung an die Kund*innen weiter gibt, also die Preise senkt, oder dadurch Extraprofite machen will. Es ist nicht zu erwarten, dass es auf breiter Front zu Preissenkungen kommen wird – und selbst wenn würde die Mehrwertsteuersenkung gerade bei Lebensmitteln zur Zeit von nicht unerheblichen Preissteigerungen aufgefressen.

Ebenso sollen die chronisch unterfinanzierten Kommunen entlastet werden, indem der Bund Kosten für die Unterkunft von Empfängerinnen und Empfängern des Arbeitslosengeldes II zu Teilen übernehmen will. Der durch zu erwartende Unternehmenspleiten ins Haus stehende Gewerbesteuerverlust soll teilweise durch Zahlungen vom Bund kompensiert werden. Sinn auch : Die finanzielle Entlastung soll die Kommunen dazu bewegen weiter zu investieren und so Waren nachzufragen. Das grundlegende Problem vieler Kommunen, die enorme Altschuldenlast, wird jedoch nicht angegangen. Überlegungen der SPD nach einem Moratorium oder Übernahme dieser Schulden durch den Bund wurden von CDU/CSU zurück gewiesen.Was passiert, wenn Kommunen im Angesicht der dunklen Wolken, die sich am Konjunkturhimmel zusammenbrauen, doch lieber sparen oder aber derart enorme finanzielle Einbrüche werden hinnehmen müssen, dass trotz Hilfen unterm Strich nichts bleibt, ist eine Frage, die man sich lieber nicht stellt.

Alles Öko?

Lob kommt dennoch von Clemens Fuest. Der Ökonom und Chef des Ifo-Instituts frohlockte während der Tagesschau in die Kamera, jetzt werde kurzfristig der Konsum angekurbelt. Und gerade müsse man eben kurzfristig denken. Mittelfristig werde dann in Infrastruktur und Klimaschutz investiert. Dazu gehört auch die Förderung des Verkaufs von Elektroautos. Wer glaubt, dass diese Maßnahme die Umwelt schützt, der muss sich nur genauer ansehen, wie das für die Akkumulatoren notwendige Lithium gewonnen wird. In Lateinamerika, wo das Lithium am meisten vorkommt, wehren sich dort Ansässige gegen den Abbau, weil ihre Lebensgrundlage durch die dadurch verursachte Umweltzerstörung entzogen wird. Außerdem ist die CO2-Bilanz eines E-Autos unterm Strich wenig besser, da die Batterieproduktion zunächst wesentlich mehr CO2-Ausstoß bedeutet. Die Umwelt wird diese Maßnahme deshalb weniger freuen, wohl aber die Konten der Autokonzerne. Und so kann sich selbst VW nach dem Abgasskandal „grün waschen“. Das alles sei „gut ausgedacht“, meint hingegen Fuest wörtlich.

Nicht so gut finden das die Spitze der IG Metall und die Betriebsratsfürsten in der Autoindustrie. Diese kritisieren, dass es keine Kaufprämie für Autos mit Verbrennungsmotoren geben wird und dokumentieren damit einmal mehr, dass sie die kapitalistische Logik verinnerlicht haben und kein Konzept für einen ökologisch nachhaltigen Umbau der Autoindustrie haben, welches aus den Komponenten Verstaatlichung, Konversion und Arbeitszeitverkürzung bestehen müsste.

Systemrelevant?

Und während sich Unternehmen auf weitere Stützungszahlungen, Fördermittel (zum Beispiel umfangreiche Forschungszuschüsse) und Steuererleichterungen freuen können, planen beispielsweise Sächsische Krankenhausgesellschaft und Sozialministerium die Schließung von jeder zehnten Klinik im Freistaat. Der längst fällige Aufschlag auf Löhne und Gehälter von Beschäftigten in den Krankenhäusern kommt nicht. Genauso wenig wie das Insourcing ausgegliederter Bereiche wie Küche oder Reinigung oder gar die Übernahme von Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern in öffentliches Eigentum. Den Begriff Pflege findet man im Konjunkturpaket nicht. Von „systemrelevant“ zu „unbedeutend“ ist es in einem profitorientierten System eben mitunter ein kleiner Schritt.

Wohltaten für Konzerne

Sozialverbände wie der VdK und der Paritätische Wohlfahrtsausschuss sehen das Konjunkturpaket sehr kritisch. Die gezielte Förderung von Kindern einkommensschwacher Haushalte wäre ihrer Meinung nach weitaus sinnvoller gewesen. Und Greenpeace sieht im Konjunkturpaket keine große Hilfe für den Klimaschutz.

Was hingegen geschützt werden soll, sind die Milliardenprofite der Großkonzerne. Die sollen nur bitte ja nicht für die Krise zahlen müssen. Angesichts dieser, wenig überraschenden, Prioritätensetzung von Seiten der Bundesregierung, muss man nicht lange raten, wer am Ende die 130 Milliarden Euro für dieses Konjunkturpaket zu bezahlen hat. Es werden die Beschäftigten sein, denen man erst 300 Euro zum Ausgeben schenkt, sollten sie Kinder haben, um sich das Geld später wahrscheinlich auf anderem Wege wieder zurückzuholen.

Auch mit der Rüstungsindustrie meint die Regierung es gut. So sollen für den Bau eines neuen Panzers als Nachfolger für den Leopard 2 zusammen mit Frankreich in den nächsten Jahren hundert Milliarden Euro locker gemacht werden. Mehrere Milliarden sollen für den Kauf von 135 Kampfflugzeugen, davon dreißig als Träger von Atomwaffen, ausgegeben werden. Der Stückpreis variiert hier je nach Typ zwischen 90 und 130 Millionen Euro. Die Bundesmarine soll Schiffe zum Preis von etwa sechs Milliarden Euro erhalten. Statt diese Rüstungsprojekte zu streichen, können sich deutsche Waffenschmieden darauf freuen, dass sie „sofort umgesetzt werden“ sollen, wie es im Text zum Konjunkturpaket heißt.

Was stattdessen nötig ist

Will man die Krise wirksam bekämpfen, bleibt nichts Anderes, als die Reichen und Superreichen und die Großkonzerne zur Kasse zu bitten. In den Jahren vor Beginn der Krise haben diese Milliardengewinne gemacht. Die gilt es jetzt heranzuziehen. Jedes Unternehmen, egal welcher Größe, dass Hilfen vom Staat beantragt, sollte zunächst seine Geschäftsbücher offenlegen. Gremien aus Beschäftigten, Verbraucher*innen und Gewerkschaftsvertreter*innen sollten dann darüber entscheiden. Unternehmen, die mit Entlassungen, Standortschließungen oder weiterer Kurzarbeit drohen, sollten unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung von Beschäftigten, Gewerkschaften und Staat in öffentliches Eigentum überführt werden. Pflegeeinrichtungen und Kliniken sollten unverzüglich diesen Weg gehen.

Zudem müssen sofort sämtliche Rüstungsprojekte gestoppt werden und die ungeheuren Summen, die dort in den nächsten Jahren gezahlt werden sollen zur Schaffung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze in Bildung, Pflege und Sozialarbeit gesteckt werden. Die Verlängerung der Maximalarbeitszeit auf zwölf Stunden am Tag und die Verringerung der Mindestruhezeit auf neun Stunden gehört sofort rückgängig gemacht. Es braucht ein milliardenschweres Investitionsprogramm im öffentlichen Dienst, das heißt mehr Personal angefangen bei den Krankenhäusern, Pflegeheimen, Schulen, Kitas. Anstatt Krankenhäuser zu schließen, muss ein öffentliches Gesundheitswesen nach Bedarf aufgebaut werden, in dem Profitorientierung keine Rolle spielen darf. Das Fallpauschalensystem muss abgeschafft und alle privatisierten Häuser in öffentliches Eigentum überführt werden, unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung.

Wenn im Zuge der „Corona-Krise“ Rüstung und die Profite von Großkonzernen mehr wert sind als Pflege, Bildung und Hilfe für von Armut betroffene Kinder. Wenn gerade noch „systemrelevante“ Bereiche keine Hilfen erhalten, sondern ihnen Schließungen drohen, dann ergeben sich zwangsläufig grundlegende Fragen: Kann ein kapitalistisches System solche Krisen überhaupt bewältigen ohne Millionen Menschen in Arbeitslosigkeit und Armut zu treiben? Wohl eher nicht. Und so kann die Antwort auf diese Krise nur ein System sein, dass den gemeinsam erwirtschafteten Reichtum demokratisch verwaltet und zum Nutzen aller einsetzt. Eine sozialistische Demokratie. Das wäre der „große Wums“!