Die Ruhe vor dem Sturm

Deutschland steht vor schweren Erschütterungen – und Klassenkämpfen

Mai 2020: nach einer Meinungsumfrage ist das Vertrauen der Deutschen in alle politischen Institutionen und Repräsentant*innen deutlich gestiegen (zum Teil, wie in Bezug auf die Parteien, von einem sehr niedrigen Niveau auf jetzt nur 25 Prozent und mit Ausnahme – wen wundert’s? – der EU). Trotz erster diffuser Protestdemonstrationen gegen die Corona-Politik der Bundesregierung unterstützt eine große Mehrheit deren Maßnahmen gegen das Virus. Erstmals seit vielen Monaten liegt die Große Koalition wieder über fünfzig Prozent. Gleichzeitig befindet sich die AfD im Sinkflug. Stabiles Deutschland?

Von Sascha Staničić

Dies jedoch ist nur eine Momentaufnahme.Mit dem Virus hat sich die ohnehin schon entwickelnde Wirtschaftskrise massiv verschärft. Mit der Krise kommen eine Pleitewelle, wachsende Arbeitslosigkeit und sinkende Staatseinnahmen. Das wird zu enormen sozialen und politischen Erschütterungen führen. 

Politik fürs Kapital

Es ist Merkel und Co. Gelungen davon abzulenken, dass sie erstens zu spät auf die Pandemie reagiert haben und zweitens ihre Politik unterm Strich von den Interessen der Kapitalisten geleitet wird. So, wie beim Lockdown die nicht „systemrelevanten“ Betriebe weiter produzieren konnten, um deren Profite nicht zu gefährden, so orientieren sich die Lockerungsmaßnahmen ebenso an Wirtschaftsinteressen – Autohäuser wurden vor den Spielplätzen wieder eröffnet. Mittlerweile haben die Landesregierungen einen regelrechten Wettstreit darüber begonnen, wer schneller die Einschränkungen aufhebt. Das birgt große Gefahren und erhöht das Risiko einer wieder zunehmenden Infektionsrate und sogar einer zweiten Infektionswelle. Deshalb hat die Sol die Lockerungsmaßnahmen und Schulöffnungen in dieser Form abgelehnt und fordert, dass solche nur unter Zustimmung und Kontrolle der Betroffenen (Beschäftigten, Lehrer*innen, Eltern, Schüler*innen) umgesetzt werden dürfen.

Das Virus kennt Klassen 

Das Virus und Covid-19 können jeden und jede treffen. Doch die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren und an einer Erkrankung zu sterben, steigt mit der Zugehörigkeit zur Arbeiter*innenklasse. Schlachthöfe haben sich zu einem Corona-Hotspot entwickelt aufgrund der miesen Arbeits- und Wohnbedingungen der zumeist migrantischen Arbeiter*innen. Und plötzlich zeigt sich, was möglich ist: innerhalb kürzester Zeit beschloss die Regierung unter anderem ein Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie – warum eigentlich nur dort? Über 20.000 Beschäftigte im Gesundheitswesen haben sich laut RKI bis Ende Mai infiziert – nicht zuletzt weil es immer noch nicht ausreichend Schutzkleidung und Masken für sie gibt. Während die Regierung Rettungspakete für die Banken und Konzerne aufgelegt hat, sind Schutzschirme für die Arbeiter*innenklasse, die Jugend und die Alten dringend nötig!

Hygiene-Demos

Nicht zuletzt weil die Führungen von Gewerkschaften und der Partei DIE LINKE keine klare Opposition und Alternative zur Großen Koalition darstellen, konnten in den letzten Wochen Verschwörungstheorien über die Pandemie und den Lockdown Verbreitung finden und haben sich einige Tausend Menschen an Demonstrationen beteiligt, die die Regierungspolitik ablehnen und ein Ende der Einschränkungen fordern. Bei diesen Demonstrationen kommt eine schräge Mischung unterschiedlicher Kräfte zusammen: Verschwörungstheoretiker, Impfgegner*innen, aber auch Rechtspopulisten und Faschisten. Zweifelsfrei gehören nicht alle Teilnehmer*innen zu solchen Gruppen, aber diese bestimmen den politischen Charakter dieser Demonstrationen, die unter dem Deckmantel weder links noch rechts zu sein, tatsächlich nach rechts offen sind und Anknüpfungspunkte für AfD und Nazis bieten. Linke und Gewerkschaften sollten nicht zu diesen aufrufen oder sich daran beteiligen, sondern darauf setzen durch eigene Proteste und Demonstrationen eine Alternative zu diesen so genannten Hygiene-Demos anzubieten. Solche Proteste und Demonstrationen sind dringend nötig und sie sollten um Forderungen herum organisiert werden, die auf den derzeit stattfindenden Kundgebungen keine Rolle spielen – Forderungen zur Verteidigung der sozialen und ökonomischen Interessen der Arbeiter*innenklasse und Mittelschichten.

Soziale Katastrophe kommt

Für über zehn Millionen abhängig Beschäftigte wurde Kurzarbeit angemeldet, bis Ende April hatten schon knapp 400.000 ihren Arbeitsplatz verloren. Die Warenhauskette GaleriaKaufhof hat ihre Schließung angekündigt, erste Gastronomie-Ketten sind mit Valpiano und Maredo in Konkurs gegangen, bei der Lufthansa und der Bahn stehen zehntausende Arbeitsplätze zur Disposition. Und das ist erst der Anfang. Für dieses Jahr wird mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung von 6,3 Prozent gerechnet. Im Herbst wird es zu einer Pleitewelle, Betriebsschließungen und massivem Arbeitsplatzabbau kommen. Gleichzeitig werden die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen einbrechen. Die Bundesregierung rechnet mit einem Rückgang von über neunzig Milliarden Euro, das Land Berlin alleine mit sechs Milliarden. Das wird zu Kürzungen auf allen Ebenen führen. Der Kandidat für den CDU-Vorsitz, Friedrich Merz, hat schon gefordert, dass alle Staatsausgaben hinterfragt werden müssen. 

Widerstand nötig

Das sind düstere Aussichten für die Arbeiter*innenklasse, denn auch diesmal werden Regierung und Kapital die Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten für die Krise des kapitalistischen Systems bezahlen lassen. Dagegen müssen vor allem die Gewerkschaften Widerstand organisieren. Damit muss jetzt begonnen werden. In den Betrieben muss eine Informations- und Organisierungskampagne gestartet werden und zusammen mit sozialen Bewegungen und der Partei DIE LINKE der Widerstand auf die Straße getragen werden. Das sollte unmittelbar mit lokalen Protestaktionen beginnen und im Herbst in eine große bundesweite Demonstration münden.