Protestwelle in China ergreift das ganze Land

Foto: public domain/CC

Zero Covid-Politik bringt das Fass zum Überlaufen

Nur fünf Wochen, nachdem der Nationalkongress der regierenden “kommunistischen” Partei in China eine dritte Amtszeit für Präsident Xi Jinping befürwortet hat, ist eine Welle des Protests über das bevölkerungsreichste Land der Welt hinweg geschwappt.

Von Clare Doyle, Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale


Auf den Straßen der großen Städte – von der Hauptstadt Peking über die größte Stadt und das Finanzzentrum Shanghai bis hin zur Industriestadt Wuhan, wo das Covid-Virus vor drei Jahren auftauchte – wurden Forderungen nach dem Rücktritt des Präsidenten und seiner Regierung sowie nach dem Ende der Einparteiendiktatur laut. Auch aus fünfzig chinesischen Universitäten wurden Proteste gemeldet.
Auslöser für diese Unruhen war ein tödlicher Brand in einem Wohnblock in der nordwestlichen Stadt Urumqi, der Hauptstadt von Xinjiang. Dabei kamen zehn Bewohner*innen ums Leben und viele weitere wurden verletzt, weil ihnen mutmaßlich die Fluchtwege von den Behörden versperrt wurden. Die harte “Null-Covid”-Politik hat eine Reaktion hervorgerufen und wird als Symbol für die Kontrolle des Regimes von oben nach unten gesehen. Die Todesfälle lösten in der überwiegend muslimischen Provinz Empörung und Massenproteste aus, und eine Welle trotziger Demonstrationen breitete sich über das ganze Land aus.
In der Diktatur von Xi Jinping kann selbst Online-Kritik zu schweren Gefängnisstrafen führen. Doch Hunderte, in einigen Fällen sogar Tausende von Demonstrant*innen sind auf die Straße gegangen und haben sich den hochgerüsteten Staatskräften entgegengestellt. Sie waren “bewaffnet” mit absichtlich leeren Plakaten, gelegentlichen Slogans und mit Kampfliedern, die von den Demokratieprotesten in Hongkong “entliehen” wurden.


Covid


Es war ein langsam aufkeimender Unmut gegen die immer noch drakonischen Lockdown-Vorschriften, der am Wochenende explodierte. Trotzige Straßendemonstrationen forderten die Aufhebung dessen, was sich in vielen Gegenden wie eine permanente Abriegelung anfühlt. 
Die andere Seite der Medaille ist eine wachsende Unzufriedenheit mit der Regierung wegen ihres oft brutalen Rückgriffs auf grobe Lockdowns zur Bekämpfung der immer noch steigenden Zahl von Covid-Fällen und der unzureichenden medizinischen Versorgung. Der Berliner Tagesspiegel berichtete kürzlich, dass in der riesigen iPhone-Fabrik von Foxconn in Zhengzhou Zehntausende von Arbeiter*innen auf die Barrikaden gegangen sind, nicht nur wegen zu geringer Löhne, sondern auch wegen “unwürdiger Lebensbedingungen”, denen die Arbeiter*innen nach wiederholten Covid-Ausbrüchen ausgesetzt waren.


Perspektive für den Kampf


Wie weit und wie lange sich diese besondere Protestwelle entwickeln wird, ist eine offene Frage. Parallelen zu den tödlichen Zusammenstößen auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989 sind unzutreffend. Aber wie ein Journalist des Guardian (London) am 28. November feststellte, sind diese Demonstrationen geografisch weitaus diffuser”. Sie können in rascher Folge aufflammen und abklingen.
Die Teilnehmer*innen haben vorübergehend ihre Angst vor dem Kampf gegen das Xi-Regime verloren. Die Demonstrant*innen haben gemeinsam die Zeilen der Nationalhymne gesungen: “Steht auf! Diejenigen, die sich weigern, Sklaven zu sein”, aber ihre Motive sind unterschiedlich, und die Perspektive eines vereinten Kampfes zum Sturz von Xi und seinen Gefolgsleuten ist noch nicht real.
Die Demonstrant*innen haben sehr unterschiedliche und sogar widersprüchliche Anliegen. Die Student*innen kämpfen gegen die starke Einmischung des Staates in viele Aspekte ihres Lebens und für grundlegende demokratische Rechte. Die Arbeiter*innen führen vereinzelte Kämpfe zu Fragen der Entlohnung und der Arbeitszeit und, wie bei Foxconn, für eine bessere Gesundheitsversorgung und einen wirksamen Schutz gegen Covid. In China gibt es inzwischen auch eine besser gestellte Mittelschicht, die Xi als Hindernis auf dem Weg zu weiterem Wohlstand in einer umfassend kapitalistischen Gesellschaft sieht und einen “eigenen” Präsidenten vorziehen würde.


Soziale Explosion


Diese soziale Explosion hat sich in der Provinz Xinjiang im äußersten Westen des Landes entzündet, in der nach wie vor grausame Verbrechen gegen Muslime und Muslimas verübt werden. Ein ermutigender Aspekt der landesweiten Proteste war die Identifikation vieler Bürger*innen unterschiedlichster ethnischer Herkunft mit den Leiden der Menschen in Xinjiang. Das Schild einer Straße in Shanghai, die nach der Provinzhauptstadt Urumqi benannt ist, wurde nach einer großen Demonstration von der Polizei abgenommen. Am nächsten Tag versammelten sich trotzige Demonstrant*innen am selben Ort und bekundeten ihr Mitgefühl für die “Märtyrer von Urumqi”.
Xi Jinpings riesige “Volksarmee” und die staatlichen Sicherheitskräfte sind äußerst schlagkräftig. Aber wie die Erfahrungen aus anderen Ländern gezeigt haben, können Massenmobilisierungen und direkte Appelle von Arbeiter*innen und Studierenden auf der Straße sie neutralisieren oder sogar auf die Seite der Revolution bringen.
Wenn sich eine revolutionäre Situation zu entwickeln beginnt, wäre es von entscheidender Bedeutung, demokratische Kampfkomitees zu gründen und sie auf stadtweiter, provinzweiter und nationaler Ebene zu vernetzen. Sie wären der Schlüssel zur Entwicklung einer Strategie für den Sieg, für einen Kampf bis zum Ende. Sie wären ein revolutionäres Forum, in dem erörtert würde, wie eine echte Arbeiter*innendemokratie auf der Grundlage von Staatseigentum und demokratischer Arbeiter*innenkontrolle und Verwaltungsplanung in der gesamten Republik China geschaffen werden kann.

Am wichtigsten ist die Entwicklung einer politischen Führung in Form einer wirklich sozialistischen Partei, die Arbeiter*innen und Studierende zu einem nachhaltigen Kampf um die Macht mobilisieren und Illusionen bekämpfen kann, dass der Kapitalismus westlicher Prägung einen Ausweg für die Arbeiter*innenmassen und die Jugend bietet.


Arbeiter*innenklasse


Die chinesische “kommunistische” Partei regiert in betrügerischer Absicht im Namen der Arbeiter*innenklasse. Trotz ihres Namens hat sie nichts mit den Ideen der Arbeiter*innendemokratie und des sozialistischen Internationalismus zu tun, die ihrer Gründung vor 100 Jahren zugrunde lagen. Sie ist heute ein von einer herrschenden, privilegierten Elite geführter Apparat, der beseitigt werden muss. Die Führungsspitze der Wirtschaft muss den Oligarch*innen entzogen werden, die zusammen mit der Parteispitze wie eine verwöhnte Aristokratie leben. Ein echtes sozialistisches China würde das Ende des Systems der besonderen Form des Staatskapitalismus und auch der Form des Imperialismus – des milliardenschweren, weltweiten “Belt and Road”-Projekts – bedeuten.

  • Für echten Sozialismus, nicht für betrügerischen und mörderischen Staatskapitalismus, der sich als Kommunismus ausgibt!
  • Sieg für die Arbeiter*innen und die Jugend Chinas!
  • Lang lebe der Kampf für ein sozialistisches China, ein sozialistisches Asien und eine sozialistische Welt!
Print Friendly, PDF & Email