Corona in Russland

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Putins frühes Ende der Ausgangssperre kann die Tiefe der Covid-19-Krise nicht verbergen

Am 11. Mai beendete Vladimir Putin die Arbeitssperre. Die Kommunalbehörden beendeten anschließend die Isolationsregelungen. Diese Lockerungen wurden vorgenommen während der Ministerpräsident, Michail Mischustin, Putins Pressesprecher, Dmitry Peskow, und der Chefarzt von Moskaus Krankenhaus für Infektionskrankheiten mit Covid-19 infiziert waren. Anfang Juni hatte Russland die dritthöchste Zahl an Covid-19 Fällen nach Brasilien und den USA.

Von Alexander Dmitriev, CWI Russland

Die Arbeitssperre dauerte vom 30. März bis zum 11. Mai. Während ihrer Dauer lobte sich die Regierung selbst für ihre heroischen Versuche, mit allen notwendigen Maßnahmen die Verbreitung des Virus zu stoppen. Doch der Wirksamkeitsgrad der Maßnahmen ist klar erkennbar: Während es am Anfang des Lockdowns am 30. März täglich 302 neue Fälle gab, waren es zum Ende der Maßnahmen am 12. Mai 10.899 neue Fälle pro Tag.

Aber dieser Anstieg ist nicht überraschend, denn in den meisten Betrieben war die Arbeit gar nicht niedergelegt worden. Zum Beispiel wurde im erdölhaltigen Tatarstan in mehr als neunzig Prozent der Betriebe gearbeitet. In diesen Werkstätten fand die Hauptinfizierung statt. So gab es eine Masseninfizierung der Arbeiter*innen im Chayanda Feld in Jakutien. Jeder dritte der 10.500 Arbeiter*innen am Feld infizierte sich. Die Behörden haben die Evakuierung bis zum letzten Moment hinausgezögert und erst damit begonnen, als es einen spontanen Protest der Beschäftigten gab..

Sterblichkeitsrate in Russland

Die offizielle Corona-Sterblichkeitsrate in Russland liegt 7,4-mal niedriger als weltweit, was die Vize-Premierministerin Tatyana Golikova mit Stolz verkündete. Ihrer Meinung nach ist der Grund hierfür die gute Qualität der medizinischen Versorgung in Russland. Diese Begründung scheint absurd – jeder kann sich noch an die massiven Kürzungen beim medizinischen Personal im letzten Jahr erinnern. Gleichzeitig verkündete Golikova, dass niemand die Todeszahlen verdecken wolle. Doch die Fakten zeichnen ein anderes Bild.

Anfang Mai veröffentlichten die Behörden Daten über die Todesfälle in der Hauptstadt in April. Die Einwohnermeldeämter verzeichneten 11.846 Todesfälle, fast zwanzig Prozent mehr als der durchschnittliche Wert für April. Demografen haben sofort auf die Corona-Pandemie als den Grund für diesen Anstieg hingewiesen. Verglichen mit April 2019, 1800 mehr Menschen starben – davon wurden aber nur 658 als offizielle Covid-19-Todesfälle registriert. Das ist nur etwas mehr als ein Drittel. Die New York Times veröffentlichte Material dazu und sprach von einer Untertreibung der Todeszahlen in der Größenordnung von siebzig bis achtzig Prozent.

[…] In den offiziellen Statistiken der Covid-19-Todeszahlen in Russland werden nur die Fälle als solche verzeichnet, bei denen Covid-19 und seine Komplikationen der direkte Todesgrund sind. Aber es ist bekannt, dass die meisten Todesfälle aufgrund Komplikationen verbunden mit Vorkrankheiten geschehen und nicht direkt aufgrund der Covid-19-Erkrankung. Diese Definition führt dazu, dass nicht mehr als ein Drittel der Gesamtzahl der Patient*innen, die „mit Covid-19“ starben, auf der offiziellen Webseite der Gesundheitsbehörden [als Covid-19-Tote] erscheinen – sagt der Demograf Timoni. 

Aber sogar das wird nicht als das Hauptproblem angesehen. Die Anweisungen, die an Pathologen versandt wurden, tragen zur absichtlichen Verdeckung der Covid-19 Todesfälle bei. Es wurde gemeldet, dass am Anfang der Pandemie die Anweisung an Pathologen versendet wurde, dass nicht mehr als fünf Menschen am Tag mit Covid-19 infiziert sein dürften!

Ende der Quarantäne

Am 11. Mai erreichte die Anzahl der mit Covid-19 infizierten Patient*innen ihren Höhepunkt. Russland belegte damit den weltweit zweiten Platz der meisten Covid-19-Fälle. Die Isolationsmaßnahmen zu beenden als das Coronavirus gerade im vollen Gange war erschien allen eine sehr seltsame Entscheidung. Die Antwort ist einfach: die Regierung stolperte über ihre eigenen unschlüssigen Maßnahmen und die Kapitalisten zwangen sie, die arbeitsfreien Tage so früh wie möglich zu beenden, ungeachtet der Gesundheitsrisiken.

[…] Das Ende der Quarantäne hinterlässt Millionen Arbeitslose. Der russische Gewerkschaftsdachverband spricht von einer Steigerung der Arbeitslosen von vier auf acht Millionen Menschen (inbegriffen derjenigen, die in unbezahlten Urlaub geschickt wurden). Währenddessen wurden die Oligarchen nur reicher. Laut Forbes erhöhte sich das Vermögen der reichsten Russen um 62 Milliarden Dollar während der Pandemie; die Zahl der russischen Milliardäre hat die Hundert überschritten.

Die Folgen der Regierungsmaßnahmen zeigen sich in den Umfragestatistiken: Fast die Hälfte der befragten Russ*innen, nämlich 48 Prozent, waren nicht mit den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie zufrieden. […] In großen Städten liegt die Unzufriedenheit mit der Regierung sogar bei 61 Prozent. […] Lev Gudkov, Leiter des Meinungsforschungsinstituts Levada-Center, ist in einem Interview mit Business Online darauf davon ausgegangen, dass in zwei Monaten Massenproteste gegen die Quarantänemaßnahmen beginnen könnten.

Eine solche Wendung ist unvermeidbar. Nur eine aktive politische Position seitens der Arbeiter*innen kann die jetzige Situation zum Besseren wenden. Vor diesem Hintergrund sind die wichtigsten Entwicklungen in Russland Arbeitskämpfe, wie der erwähnte Streik der Gas-Arbeiter auf dem Chayanda Feld. In einer ähnlichen Situation befanden sich die Arbeiter*innen in der Erdölindustrie am Tengiz Feld in Kasachstan als es auf ihrem Feld zu einer Masseninfizierung kam. Allerdings ist Tengiz ein Ort, an dem viele Klassenkämpfe stattfinden, und ein Ort, der lange für eine widerstandsfähige Belegschaft bekannt ist. Die Behörden entschieden, die Hälfte aller Arbeiter*innen sofort zu evakuieren. Nichtdestotrotz streikten die Ölarbeiter*innen gegen die von den Arbeitgebern getroffenen Maßnahmen. […] In dieser pandemischen Krise und der Krise der bürgerlichen Behörden haben die Arbeiter*innen keine andere Wahl als einen eigenen Ausweg aus der Situation zu suchen, sich zu einen und für ihre Interessen zu kämpfen.

Bemerkung: Der ursprüngliche Text erschien am 2. Juni in Englisch auf socialistworld.net Dies hier ist eine gekürzte Übersetzung.