Kostenloser ÖPNV statt Zwangsticket in Berlin!

ÖPNV, S-Bahn

Ökologische Verkehrswende geht anders

Mitte Juni diesen Jahres wurde bekannt, dass die rot-rot-grüne Landesregierung in Berlin die Einführung eines sogenannten Bürger*innentickets für den öffentlichen Nahverkehr (BVG und S-Bahn) prüft. Dieses soll bis zu 761 Euro im Jahr kosten und von allen Berliner*innen verpflichtend bezahlt werden. Auch „Bedürftige“ mit wenig Geld, Auszubildende, Student*innen sowie Senior*innen sollen zahlen.

Von Ronald Luther, aktiv in DIE LINKE Berlin-Neukölln

So wären Senior*innen mit bis zu 612 Euro und „Bedürftige“ wie zum Beispiel Hartz-IV-Empfänger*innen mit bis zu 330 Euro im Jahr dabei, ob sie wollen oder nicht. Alternativ ist auch eine zusätzliche ÖPNV-Abgabe für Berlin-Tourist*innen in Höhe von bis zu acht Euro je Übernachtung oder die Einführung einer City-Maut für Autos von bis zu acht Euro am Tag im Gespräch. Außerdem gibt es die Überlegung, ein 365-Euro-Jahresticket für alle einzuführen. In Auftrag gegeben wurde die Studie von der rot-rot-grünen Landesregierung beim Planungsunternehmen Ramboll und der Wirtschaftskanzlei Becker Büttner. Während diese kein Problem damit haben, „Bedürftige“ zu belasten, sind sie gegen eine Abgabe für Immobilieneigentümer*innen oder für Gewerbebetriebe. Angeblich sei dafür der Verwaltungsaufwand zu hoch.

DIE LINKE: Zwangsticket für alle…

Die Aufregung ist besonders über das sogenannte Bürger*innenticket groß, denn alle sollen es bezahlen, ob reich oder arm, ob nur mit dem Auto, ÖPNV oder zu Fuß unterwegs. Außerdem besteht die Befürchtung, dass der Nahverkehr noch nicht genug ausgebaut ist, um die zusätzlichen Fahrgäste aufnehmen zu können. Obwohl der unsoziale Charakter des Bürger*innentickets offensichtlich sein müsste, ist Kristian Ronneburg, Sprecher für Verkehr und Petitionen der Abgeordnetenhausfraktion der Berliner LINKEN, dafür: „Die Pläne für ein Bürgerticket sollten weiter verfolgt werden. Wir gehen aber davon aus, dass es so erst mittel- oder langfristig umgesetzt werden sollte.“ Zunächst müsse aber natürlich der Nahverkehr besser werden: „Voraussetzung wäre ein Angebotssprung.“ Diese Haltung, die bisher auf keinen großen Widerspruch in der Berliner LINKEN gestoßen ist, macht erneut deutlich, welche Folgen die Beteiligung der LINKEN an pro-kapitalistischen Regierungen mit Sozialabbau-Parteien wie SPD und GRÜNEN hat. Sie führt über kurz oder lang dazu, dass die Partei Verschlechterungen für die Arbeiter*innenklasse mitträgt.

Die City-Maut für Autos hingegen lehnt Ronneburg bisher ab: „Wir sehen eine City-Maut für den Innenring kritisch, denn sie birgt unter anderem die Gefahr der Potenzierung von Verkehrsproblemen außerhalb des Rings“ (Berliner Zeitung vom 15.06.2020). Die Einführung einer City-Maut wäre aber besonders aus einem anderen Grund problematisch. Durch fehlende Alternativen wie einen ausreichend ausgebauten kostenlosen öffentlichen Nahverkehr sind viele, zum Beispiel Pendler*innen, auf das Auto angewiesen. Und nicht alle von ihnen verdienen genug Geld, um sich eine City-Maut leisten zu können. Die Sol lehnt Massensteuern, -abgaben und -gebühren wie die Mehrwertsteuer, City-Maut und Bürger*innentickets ab. Stattdessen fordern wir die die Einführung eines stark progressiven Steuersystems und einer Millionärssteuer zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben: wer wenig Geld hat, bezahlt wenig oder gar keine Steuern. Wer viel hat, bezahlt entsprechend viele Steuern.

…oder kostenloser ÖPNV?

Mit der Forderung nach einem Bürger*innenticket konterkariert Ronneburg einerseits die Forderungen der Bundespartei nach einem ticketfreien und kostenlosen ÖPNV innerhalb von fünf Jahren, dass im Einklang mit einem Investitionspaket zum massiven Ausbau von Bus und Bahn in Höhe von zehn Milliarden Euro jährlich erreicht werden soll. Andererseits nimmt er Bezug auf deren Forderung nach einer übergangsweisen ÖPNV-Abgabe von maximal sechzig Euro im Jahr auf dem Weg hin zu einen kostenlosen Nahverkehr für jede*n innerhalb von fünf Jahren. Die sechzig Euro im Jahr sind zwar bedeutend weniger, als die rot-rot-grüne Koalition in Berlin gerade diskutiert, bleiben aber ebenfalls eine Abgabe, die jede*r bezahlen soll. Immerhin fordert die Bundespartei, dass von Anfang an neben Jugendlichen auch Hartz IV-Empfänger*innen kostenfrei fahren dürfen. Während Ronneburg den Nahverkehr in Berlin ausschließlich über das Pflichtticket finanzieren möchte, will die Bundespartei am Ende die vollständige Finanzierung durch den Bund erreichen. Das Geld dafür soll durch die Streichung von Subventionen des Bundes zum Beispiel für die Diesel-Technologie, aus laufenden Haushaltsüberschüssen, aus einer fünfjährigen Sonderabgabe der Automobilindustrie und durch eine dauerhafte Vermögenssteuer auf Vermögen oberhalb von einer Million Euro eingenommen werden. Außerdem werden Einspareffekte durch wegfallende Kosten für Kontrollen und Ticketverkauf erwartet. Anders als in der aktuellen Diskussion in Berlin wird auch eine bundesweite Erhöhung der Taktzahlen, mehr Personal, Weiterqualifizierungsmaßnahmen und eine bessere Bezahlung der Beschäftigt*innen gefordert.

Geld ist genug da, es ist nur in den falschen Händen!

Auch wenn das Drei-Phasen-Modell der Bundes-LINKEN für einen kostenfreien ÖPNV noch nicht das Gelbe vom Ei ist, würde die Umsetzung der Berliner Vorschläge einen großen Rückschritt auf dem Weg hin zu einer wirklichen Verkehrswende im Interesse der arbeitenden Bevölkerung darstellen. Es wäre, ähnlich wie die Pläne zur Ermöglichung einer S-Bahn_Privatisierung, außerdem ein Schlag ins Gesicht all der Genoss*innen und Unterstützer*innen der Partei, die sich seit vielen Jahren für einen tatsächlich kostenlosen ÖPNV einsetzen. Statt Steuern oder Abgaben für alle einzuführen sollte sich DIE LINKE für ein massives Investitionsprogramm zum Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs einsetzen, finanziert durch die Milliardenprofite, die die Autoindustrie in den letzten Jahren gemacht hat. So hatten alleine VW, Daimler und BMW zwischen 2010 und 2016 an die 152 Milliarden Euro an Gewinn erzielt. Um einen von Anfang an wirklich kostenlosen ÖPNV zu finanzieren setzt sich die Sol in der LINKEN für die Einführung einer Vermögenssteuer von zehn Prozent ab einer Million Euro Vermögen, ein stark progressives Steuersystem und drastisch höhere Steuern auf Unternehmensprofite und Erbschaften ein. Denn Geld ist genug da, es ist nur in den falschen Händen! So hatten beispielsweise die Erb*innen von BMW Stefan Quandt und Susanne Klatten im Jahre 2018 ein Vermögen von 34 Milliarden Euro angehäuft.

Die Umwelt retten, aber wie?

Natürlich wird die Einführung eines wirklich kostenlosen ÖPNV nicht die Umwelt retten. Dafür sind globale Anstrengungen notwendig. Das kapitalistische System ist aber dazu nicht in der Lage, wie sich nicht nur in der aktuellen Corona-Pandemie sondern auch beim Klima zeigt. Für die Kapitalist*innen wäre die Rettung des Klimas mit Verzicht auf Profit verbunden, wozu sie nicht bereit sind. Dabei haben die Gewinne der Autoindustrie die Beschäftigten erwirtschaftet. Es wäre in deren Interesse, die Autoindustrie auf die Herstellung von gesellschaftlich und ökologisch sinnvolle Produkte wie Straßenbahnen, Busse und Züge umzustellen. So ließe sich ein schneller Ausbau des Nah- und Fernverkehrs erreichen, die Arbeitszeit könnte bei vollem Lohn- und Personalausgleich drastisch reduziert, Arbeitsplätze könnten gerettet und sogar neue geschaffen werden. Notwendig wäre auch eine Enteignung der Energiekonzerne und deren demokratische Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung. Infolgedessen könnte eine Umstellung der gesamten Energieversorgung auf erneuerbare Energien vorgenommen werden. Alle AKW‘s und Kohlekraftwerke könnten dann in weniger Jahren als geplant abgeschaltet und der Braunkohleabbau eingestellt werden. Den Beschäftigten müssen dabei die vollen Löhne weiter gezahlt und ihre Beschäftigung garantiert werden. Statt über eine CO2-Massensteuer sollte diese Umstellung aus den Gewinnen und Vermögen der Energiewirtschaft finanziert werden. Das Ziel sollte die Überführung aller Konzerne und Banken in öffentliches Eigentum und deren Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung, die Arbeiter*innenklasse sein. Damit wäre es dann möglich, das ganze profitorientierte kapitalistische System durch eine demokratisch geplante sozialistische Gesellschaft zu ersetzen, in der der Mensch im Einklang mit der Umwelt leben und arbeiten kann.