Wer vom Krieg spricht, darf vom Kapitalismus nicht schweigen!

Eine sozialistische Kritik am Aufruf von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer

Diesen Text verteilt die Sol Berlin heute als Flugblatt auf der Demonstration für Frieden in der Ukraine, zu der Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer und andere aufgerufen haben.

Über 600.000 Menschen haben das „Manifest für den Frieden“ von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht unterzeichnet. Tausende gehen heute in Berlin auf die Straße, um ihre Ablehnung der Ukraine-Politik der Bundesregierung, der immer umfassenderen Waffenlieferungen, der Eskalationsgefahr und Aufrüstungsspirale kundzutun. Dass es diesen Protest heute gibt, ist gut. Zum ersten Mal seit Monaten gibt es wahrnehmbaren Widerspruch gegen die anhaltende militaristische Politik der Bundesregierung. Wir, die Sozialistische Organisation Solidarität (Sol), nehmen heute an dieser Kundgebung teil, weil wir glauben, dass sie die öffentliche Debatte in die richtige Richtung verschieben wird.

Mediale Hetze gegen Kriegsgegner*innen

Denn die, die heute laut „Nein“ zu dieser Politik sagen, haben es alles andere als leicht. Sie stehen der überwältigenden Mehrheit der „veröffentlichten“ Meinung gegenüber. Ob in der Springer-Presse bis hin zu linksliberalen, bürgerlichen Medien: Es schlägt einem die geballte Wucht der Kriegs- und Waffenlieferungsbefürworter*innen entgegen. Wenn man heute in Deutschland für einen Waffenstillstand in der Ukraine, für Friedensverhandlungen und gegen Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet eintritt, wird man als „Putin-Knecht“ und „Second-Hand-Kriegsverbrecher“ denunziert und muss sich von grünen Kriegstreiber*innen vorwerfen lassen, man befürworte, dass „Putin und seine Leute unschuldige Ukrainerinnen und Ukrainer überfallen, einsperren, Frauen vergewaltigen und Kinder verschleppen lassen“. Aber die Tausenden, die heute demonstrieren, stehen für die Millionen Menschen, die im „öffentlichen Diskurs“ völlig unterrepräsentiert sind und die Kernforderungen des Aufrufs von Wagenknecht und Schwarzer unterstützen.

Was für eine Anti-Kriegs-Bewegung brauchen wir?

Die Sol ist aber heute auch hier, um antikapitalistische und sozialistische Positionen zu vertreten. Wir wollen eine Antikriegsbewegung mit aufbauen, die sich nicht nur gegen den russischen Überfall richtet sondern auch die Mitverantwortung der westlichen imperialistischen Staaten benennt. Die sich nicht nur für ein Ende der Waffenlieferungen sondern auch der Aufrüstung einsetzt, was das „Manifest“ nicht tut. Und die sich gegen die systemische Ursache von Kriegen richtet. Hinter dem Krieg in der Ukraine steht auch der große Konflikt zwischen den USA und China und die Entwicklung zu einer multipolaren Weltordnung. Das System, was diese Konflikte hervorruft, heißt Kapitalismus und muss überwunden werden, denn sonst droht in Zukunft auch zwischen diesen Großmächten ein Krieg. Aber der Kapitalismus wird von Schwarzer und Wagenknecht mit keinem Wort erwähnt. Deshalb können wir heute nicht auf die nötige Kritik am „Manifest“ und der Initiative von Schwarzer und Wagenknecht verzichten. Denn leider gibt es an Aufruf und Initiative viel zu kritisieren.

Warum Appelle an Scholz falsch sind

Das Ziel des „Manifest“ sind ein Ende der Waffenlieferungen, Waffenstillstand und Aufnahme von Friedensverhandlungen zwischen den existierenden Regierungen. Auch wir stellen uns gegen die Waffenlieferungen und würden uns wünschen, dass die Waffen schweigen. Die Frage ist: Wie kommen wir dahin? Die Unterzeichner*innen des „Manifest“ sagen, dass sie nicht auf andere Länder einwirken aber an „unsere Regierung und den Kanzler“ appellieren und ihn „an seinen Schwur, Schaden vom deutschen Volk zu wenden“ erinnern können. Das lehnen wir ab.

Erstens weil wir als Sozialist*innen internationalistisch denken und es sehr wohl als Aufgabe betrachten, Anti-Kriegs-Bewegungen und linke oder gewerkschaftliche Strukturen in anderen Ländern zu unterstützen. Unser Bezugspunkt ist nicht „das deutsche Volk“ sondern die Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten aller Länder, kurz die internationale Arbeiter*innenklasse.

Zweitens weil wir nicht glauben, dass sich Olaf Scholz und Co. von Waffenstillstand und Friedensverhandlungen überzeugen lassen, wenn nur genug Menschen sie dazu aufrufen. Aktuell sind sie dazu offensichtlich nicht bereit. Denn die in diesen Krieg involvierten Regierungen sind alle feste Vertreter*innen des Kapitalismus, das heißt sie vertreten letztlich die Interessen „ihrer“ Banken und Konzerne. In dem Sinne sind sie auch nicht „unsere“ Regierungen. Der Ukraine-Krieg kann nur als Teil des größeren Konflikts zwischen den großen imperialistischen Mächten verstanden werden. All das blendet das „Manifest“ aus. Im Kapitalismus kämpfen sowohl die russischen als auch westlichen Herrschenden international um geostrategischen Einfluss, Zugang zu Absatzmärkten, Handelswegen und Ressourcen. Die Selenskyj-Regierung ist Teil dieses Konfliktes, zum einen weil sie abhängig von der westlichen Unterstützung ist, zum anderen weil sie selbst pro-kapitalistisch ist und neoliberale und arbeiter*innenfeindliche Gesetze verabschiedet.

Im Moment diktieren die kapitalistischen Interessen auf beiden Seiten: „Weiterkämpfen!“. Das ist solange der Fall bis eine Partei ihre Ziele militärisch erreicht hat oder aber keine Seite mehr Aussicht auf größere militärische Erfolge hat. Dann mag es zu einem (wer weiß wie stabilen) Waffenstillstand und Friedensverhandlungen kommen – ohne dass die Grundlagen, die zum Konflikt geführt haben, beseitigt werden würden. Denn klar ist auch: Wenn es zu Verhandlungen zwischen pro-kapitalistischen Regierungen kommt, geht es denen nicht um die Interessen der einfachen arbeitenden Menschen in der Ukraine oder sonstwo. Sondern dann wird der Kampf um ihr Stück vom Kuchen mit diplomatischen Mitteln fortgesetzt. Nicht nur die Rechte von Beschäftigten sondern auch die nationaler und ethnischer Minderheiten, deren Verteidigung sich sowohl Putin als auch Selenskyj heuchlerischerweise auf die Fahne geschrieben haben, werden dabei unter die Räder geraten.

Ein Appell an Olaf Scholz und Co., sich für Frieden und Waffenstillstand einzusetzen, schürt Illusionen, welche Interessen diese Regierung eigentlich vertritt, wo doch eigentlich Aufklärung darüber nötig wäre. Das spricht in keinster Weise gegen Anti-Kriegsproteste, ob in Deutschland oder in anderen Ländern! Denn Regierungen könnten sich von ihrer Unterstützung des Krieges abwenden, wenn solche Bewegungen stark genug würden, um ihre Position zu bedrohen. Doch dazu ist es nicht nötig, Illusionen in sie zu schüren.

Keine sozialen Forderungen, anschlussfähig für Rechte

Leider schürt das „Manifest“ nicht nur solche Illusionen. Es schweigt auch zu den ökonomischen Folgen des Kriegs und der westlichen Sanktionen und verzichtet auf soziale Forderungen im Interesse der Lohnabhängigen. Für die Initiator*innen scheinen auch die aktuell laufenden und anstehenden Tarifrunden bei der Post oder im öffentlichen Dienst keine Rolle zu spielen. Dabei ließe sich gerade bei letzterer sehr anschaulich der Zusammenhang zum Aufrüstungspaket für die Bundeswehr herstellen: Während die Beschäftigten Reallohnverluste hinnehmen sollen, gibt es 100 Milliarden für Aufrüstung. Dazu schweigen Wagenknecht und Schwarzer in ihrem Aufruf.Das tun sie vermutlich auch mit Blick auf ihren Unterstützer*innenkreis, der wenige Gewerkschafter*innen aber dafür erzkonservative Politiker*innen oder einen Ex-Bundeswehr-General umfasst. Doch das sind Bündnispartner*innen, die Politik auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung verantworten.

Damit und mit seinem Bezug zu nationalen Kategorien wird der Aufruf auch anschlussfähig für rechte bis rechtsextreme Kräfte und muss man sich nicht wundern, wenn der AfD-Chef Chrupalla den Aufruf unterstützt und rechte Kräfte heute zur Kundgebung mobilisiert haben. Das gilt, auch wenn Sahra Wagenknecht erklärt hat, dass AfD-Vertreter*innen unerwünscht sind und Vorwürfe, der Aufrufer*innenkreis stelle eine „Querfront“ mit Rechtsextremist*innen dar ungerechtfertigt sind. Wir sind der Meinung, dass bekannte AfD-Politiker*innen und Rechtsextreme auf dieser Kundgebung nichts verloren haben und das im Zweifel von den Ordner*innen bzw. Kundgebungsteilnehmer*innen durchgesetzt werden sollte.

Die Sol setzt sich für den Aufbau einer großen Anti-Kriegs-Bewegung ein – aber mit sozialistischer Ausrichtung. Der französische Sozialist Jean Jeaures hat einmal gesagt, dass der Kapitalismus den Krieg in sich trägt, wie die Wolke den Regen. Nur in einer Welt, in der nicht mehr große private Banken und Konzerne nach Profit und in Konkurrenz zueinander wirtschaften, sondern in der diese in Gemeineigentum und unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung überführt werden – nur in so einer Welt können Kriege um Macht und Profite in die Geschichtsbücher verbannt werden. Doch so eine Welt wird uns nicht geschenkt, sondern dafür müssen wir uns organisieren. Deshalb: Werde mit uns aktiv!

Die Sol kämpft für:

  • Sofortiger Stopp aller Waffenlieferungen und finanzieller Unterstützung des Krieges
  • Keine Aufrüstung der Bundeswehr – 100 Milliarden für Bildung, Gesundheit und den öffentlichen Dienst
  • Einstellung der militärischen Handlungen auf beiden Seiten, Rückzug der russischen Truppen und Ende der Bombardierungen!
  • Rückzug von NATO-Truppen aus Osteuropa und keine weitere NATO-Erweiterung! Deutschland raus aus der NATO
  • Rüstungsindustrie enteignen und Produktion in öffentlicher Hand auf gesellschaftlich sinnvolle Produkte umstellen – kontrolliert und verwaltet durch die arbeitende Bevölkerung!
  • Wir zahlen nicht für kapitalistische Kriege – Senkung der Energie- und Heizkosten und Verstaatlichung des Energiesektors unter demokratischer Arbeiter*innenkontrolle und -verwaltung
  • Menschenwürdige Unterbringung von Geflüchteten – finanziert durch die Profite der Rüstungsindustrie und das Vermögen der Super-Reichen!
  • Für den Aufbau von sozialistischen und internationalistischen Gewerkschaften und Arbeiter*innenparteien in der Ukraine und Russland
  • Nein zu ethnischer Spaltung und Säuberung! Für Arbeiter*inneneinheit, ein wirkliches Recht auf Selbstbestimmung und volle demokratische Rechte – auch für Minderheiten!
  • Für internationale Proteste von Arbeiter*innen und Jugendlichen gegen den Krieg und eine weitere Eskalation!
  • Kein Vertrauen in Putin, Biden, Scholz & Co.! Für eine unabhängige Position von Gewerkschaften und LINKE
  • Schluss mit dem Konkurrenzkampf um Profite und Einfluss – für sozialistische Demokratie weltweit


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