Schwangerschaftsabbruch in Zeiten von Corona

Hürden nochmals erhöht

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Die Corona-Krise trifft die ganze Welt. Frauen sind besonders hart betroffen. Nicht nur, weil sie einen großen Teil der Beschäftigten im Gesundheitswesen, Einzelhandel, den Sozial- und Erziehungsdiensten und in der Pflege ausmachen und dementsprechend unter einem enormen Druck stehen und einem hohen Risiko ausgesetzt sind. Da Frauen immer noch den größten Teil der Hausarbeit und Erziehung tragen, sind sie in Zeiten, in denen Kitas und Schulen geschlossen oder nur teilweise geöffnet sind und sie gleichzeitig ihre Lohnarbeit aus dem Home-Office erledigen sollen, stark belastet. Immer noch verdienen Frauen in Deutschland auch im Durchschnitt 21 Prozent weniger als die männlichen Kollegen, so dass die Lohnverluste bei Kurzarbeit, die für alle enorme Einbußen bedeuten, für viele den Gang zum Jobcenter unausweichlich machen. Ein weiterer Aspekt ist, dass Frauen, die jetzt ungewollt schwanger sind, nun einmal mehr vor enormen Hürden stehen.

von Marie Schulpig, Berlin

Schwangerschaftsabbrüche vor Corona

Es war schon vor der Corona-Krise so, dass Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch benötigen, enormen Belastungen ausgesetzt sind und mehrere Hürden bewältigen müssen. Das liegt, neben den immer noch bestehenden Vorurteilen, an der restriktiven Gesetzgebung. Schwangerschaftsabbruch wird im Gesetzbuch immer noch als Straftat aufgeführt, die eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren nach sich ziehen kann, aber unter bestimmten Bedingungen straffrei bleibt. Eine der Bedingungen ist, dass der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen stattfinden muss. Diese Frist einzuhalten, ist nicht so leicht, denn es ist nicht einfach, Ärzt*innen zu finden, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Durch den Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches ist die „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche verboten. Dafür reicht es, wie der Fall der Ärztin Kristina Hänel zeigt, dass auf der Website der Praxis die Leistung des Schwangerschaftsabbruchs aufgeführt ist. Die Allgemeinmedizinerin aus Gießen informierte auf ihrer Praxiswebsite über die legale Möglichkeit, eine Schwangerschaft abzubrechen. Dafür wurde sie am 24. November 2017 zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt. Sie ging mehrfach in Berufung. Der Fall hat eine breite Debatte in der Gesellschaft und der Politik angestoßen und es gab eine Reihe von Protesten. Dadurch wurde Druck erzeugt, so dass es zu einer Neufassung des Paragraphen kam, der nun zwar erlaubt, bekannt zu machen, dass Abbrüche vorgenommen werden, aber keine weiteren Informationen. Im Dezember 2019 verlor Hänel auch vor dem Hintergrund der neuen Rechtslage den Berufungsprozess und wurde erneut zu einer Geldstrafe von 2.500 Euro verurteilt.1

Bereits die Tatsache, dass Frauen oder Paare sich nicht so leicht die notwendigen Informationen verschaffen können, stellt eine enorme Belastung dar. Zudem müssen die Frauen per Gesetz eine sogenannte Schwangerschaftskonfliktberatung besuchen, die ihnen Wege für das Austragen des Kindes aufzeigen muss. Diese Beratungsstellen sind oft und in einigen Regionen ausschließlich in kirchlicher Hand und sollen dafür sorgen, dass die Frauen sich die Entscheidung, einen Abbruch vornehmen zu lassen, noch einmal überlegen. Bereits vor Corona war es schwierig, wenn Frauen eine Schwangerschaft bemerkten, eine Entscheidung zu treffen, dann einen Termin für die Zwangsberatung zu vereinbaren und zudem noch einen Arzt oder eine Ärztin zu finden, der oder die Abbrüche durchführt. Das wird nun während der Corona-Krise nicht einfacher.

Immer weniger Ärzt*innen

Fakt ist: Es gibt immer weniger Ärzt*innen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Vom Statistischen Bundesamt gibt es keine genauen Daten. Klar ist nur, dass die Zahl der Arztpraxen und Kliniken, welche grundsätzlich eine Abtreibung vornehmen, immer weiter sinkt. 2003 waren es noch 1.149 Einrichtungen, im Jahr 2019 hingegen aber nur noch knapp 900.2

Die Zahl sinkt, da Ärzt*innen zum einen die Wut der Abtreibungsgegner*innen fürchten. Zum anderen sind viele bereits im Rentenalter oder haben es schon überschritten. Bereits Menschen ab fünfzig Jahren gehören zu den Risikogruppen für das Virus SARS-CoV-2, weshalb viele Ärzt*innen ihre Praxen schließen oder nur spezielle Sprechstunden anbieten. Das stellt Frauen vor ein großes Problem. Wie zum Beispiel der Fall in Passau, wo Gynäkologe Michael Spandau die einzige Anlaufstelle für Frauen ist, die einen Schwangerschaftsabbruch benötigen – in ganz Niederbayern, wo 1,2 Millionen Menschen leben. Mit seinen 71 Jahren wollte er bereits seit langem in den Ruhestand, jedoch hat er keinen Nachfolger für die Praxis.3

Für ungewollt Schwangere bedeutet das, 120 Kilometer nach Landshut zu fahren oder im schlimmeren Fall sogar noch 50 Kilometer weiter nach München. Da eine solche Fahrt während der Kontakt- und Reisebeschränkungen schwer zu organisieren ist und nicht jede Frau sich solch eine Fahrt leisten kann, ist das eine enorme Hürde. Viele geraten jetzt zudem in materielle Not, wie durch den Verlust des Arbeitsplatzes oder Kurzarbeit.

Schwangerschaftsabbrüche während Corona

Viele Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch benötigen, haben bereits ein oder mehrere Kinder. Hier ohne Kita und während der Kontaktverbote eine geeignete Betreuung zu organisieren, gestaltet sich sehr schwierig und ist zum Teil unmöglich. Doch davor muss ein Termin für eine Zwangsberatung, auch oft mit Fahrzeiten und Reisekosten verbunden, organisiert werden. Viele Beratungsstellen versuchen nun, Online-Beratungen durchzuführen. Dies kann zwar eine Erleichterung bedeuten, in manchen Fällen aber sehr schwierig sein, wenn z. B. keine oder keine ausreichende Internetverbindung zur Verfügung steht oder der Abbruch in der Familie nicht bekannt werden soll. Außerdem gibt es eine höhere Hürde für Menschen mit Sprachbarrieren, da es mit Kontaktverboten und ohne weitere Anlaufstellen fast unmöglich oder sehr teuer ist, eine*n Dolmetscher*in zu finden. Der Beratungsschein kann zwar per Post verschickt werden, aber auch dies kann zwischen 1 und 5 Tagen dauern und zu Hause unerwünschte Fragen aufwerfen. Anschließend müssen die Frauen, die sich den teuren Schwangerschaftsabbruch nicht leisten können, nochmal eine weitere Hürde bestehen und bei der Krankenkasse eine Kostenübernahme beantragen. Das ist zwar in den meisten Fällen inzwischen auch telefonisch oder per Email möglich, aber wie oben schon beschrieben, kann dies aufgrund der häuslichen Situation wiederum nicht so einfach sein. Wenn Frauen dann die Entscheidung getroffen und alle Hürden genommen haben und eine Schwangerschaft beenden wollen, wird der tatsächliche Eingriff beziehungsweise der medikamentöse Abbruch durch die Einschränkungen aufgrund Corona erschwert. Eine Begleitperson wird oft nicht zugelassen.4

Das bedeutet für viele eine stärkere psychische Belastung als ohnehin schon. Außerdem gibt es sehr wenig Schutzkleidung und kaum Desinfektionsmittel, was eine große Gefahr für Patient*innen und das medizinische Personal bedeutet. Zudem haben viele kleinere Praxen gar nicht die Möglichkeit, genügend Schutzmaterialien zu lagern, da der Platz nicht ausreicht. An immer mehr Eingangstüren von Praxen sieht man Schilder, die darauf hinweisen, dass man nicht in die Praxis kommen soll, wenn man Kopfschmerzen, Halsschmerzen, trockenen Husten oder ähnliches hat. Sobald sich Frauen krank fühlen, wird der Eingriff nicht vorgenommen, um einer Ansteckung des medizinischen Personals und eine folgende zeitweilige Schließung der Praxis zu verhindern, wodurch viele weitere Frauen keinen Schwangerschaftsabbruch erhalten könnten. Es muss dafür gesorgt werden, dass für alle ausreichend Schutzkleidung und Desinfektionsmittel zur Verfügung stehen. Dazu ist es notwendig, dass die Produktion von nicht lebensnotwendigen Produkten auf Schutzmasken, Kittel, Handschuhe und Desinfektionsmittel umgestellt wird.

Internationale Situation

Während Corona weite Teile der Welt in Atem hält, wurde in einigen Ländern versucht, restriktivere Abtreibungsverbote durchzusetzen. So wurden zu Beginn der Pandemie in Texas und Ohio in den USA Schwangerschaftsabbrüche verboten. Sie wurden als „nicht dringend notwendig“ eingeschätzt, damit sollten Krankenhäuser wegen der hohen Frequentierung angeblich entlastet werden.5

In Polen wird seit Jahren versucht, Abtreibungen per Gesetz komplett zu verbieten. Bisher waren sie nur erlaubt, wenn eine Schädigung des Fötus oder Gefahr für die Frau bestand oder im Fall von Inzest und Vergewaltigung. Der neue Gesetzesentwurf sieht nun ein komplettes Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen vor. Der von ultrakonservativen Organisationen stammende Entwurf hat bereits die erste parlamentarische Hürde überwunden und steht nun zur weiteren Prüfung an. Seit Jahrzehnten protestieren Frauen in Polen und anderen Ländern gegen diese Versuche. 2016 kam es zu den großen Czarny-Protesten (Schwarzer Protest), die in vielen Ländern für Aufsehen sorgten. Während der Ausgangsbeschränkung ist es jedoch nicht so einfach möglich, eine Demonstration oder andere Proteste zu organisieren. Doch die Proteste sind kreativ: Ob im Autokorso mit Bannern an der Seite oder Transparenten die vom Balkon gehangen werden. Selbst das einfache Tragen von Schildern in der Supermarktschlange stellt einen Protest dar. Wenn ein Abtreibungsverbot in Polen durchgesetzt wird, werden Frauen vermehrt versuchen müssen, nach Deutschland oder Tschechien zu reisen, um dort eine Abtreibung durchzuführen und setzen sich damit dem Risiko von Strafen wegen Verstoßes gegen die Reisebeschränkungen aus und haben unabhängig davon höhere Kosten zu tragen. Wenn sich Frauen das nicht leisten können, wird das Verbot nicht dafür sorgen, dass mehr Kinder geboren werden, sondern nur dass mehr Frauen sterben, weil sie auf verschiedenste Weise versuchen werden, selbst Abbrüche herbeizuführen und das hohe Risiko für ihren Körper und ihr Leben in Kauf nehmen müssen.

In Großbritannien und in weiteren Ländern wurde die medikamentöse Abtreibung ohne Aufsicht eines Arztes oder einer Ärztin erlaubt. Frauen können die notwendigen Medikamente in der Apotheke erhalten. In Deutschland müssen die Einnahmen der zweiteiligen Medikation unter ärztlicher Aufsicht erfolgen und nicht viele Ärzt*innen führen sie durch. ProChoice fordert, dass wenigstens die zweite Einnahme zu Hause erfolgen kann. Das wäre ein guter Anfang, sollte aber generell erleichtert werden und dann für alle zur Verfügung stehen.

Kapitalismus und Frauen

Frauen sind im Kapitalismus doppelt unterdrückt. Noch immer leisten sie nach der Lohnarbeit noch den größeren Teil der Arbeit in Haushalt, Pflege von Angehörigen oder bei der Kinderbetreuung. (https://www.dgb.de/themen/++co++10017b5e-7307-11e9-bb0c-52540088cada) In den Medien und in der Werbung werden Frauen auf bestimmte Schönheitsideale reduziert, um Produkte attraktiver zu machen. In der Pornoindustrie wird weiterhin das Bild vermittelt, die Frau müsse jederzeit sexuell zur Verfügung stehen. Noch immer sind Vorurteile und Stereotypen in den Köpfen der Gesellschaft fest verankert. Die Ursache ist der Kapitalismus, welcher Frauen und Männer in Konkurrenz zueinander setzt und dementsprechend Armut und Unsicherheit erzeugt.

Wie geht es weiter?

Proteste für die Selbstbestimmung von Frauen sollten auch während Corona stattfinden, unter Einhaltung von Hygienemaßnahmen und Sicherheitsabständen, unter der demokratischen Kontrolle derjenigen, die Proteste organisieren. Die Einschränkungen und mangelnde Versorgung bei Schwangerschaftsabbrüchen müssen offengelegt, insbesondere auch durch Gewerkschaften thematisiert und Proteste organisiert werden, um diese Zustände zu ändern. Zwar betrifft ein Schwangerschaftsabbruch vor allem Frauen, aber auch Männer haben nichts davon, wenn Frauen gezwungen sind, Schwangerschaften auszutragen oder sich einem hohen Risiko auszusetzen. Die Paragrafen 218 und 219 des Strafgesetzbuches gehören abgeschafft – Abtreibungen müssen für alle möglich und kostenlos sein. Es muss ein ausreichender Schutz für medizinisches Personal und Patient*innen geschaffen werden um eine gute und bedarfsgerechte Versorgung zu gewährleisten. Die medikamentöse Abtreibung ist eine der sichersten Möglichkeiten und sollte wie die sogenannte „Pille danach“ ohne Rezept in der Apotheke erhältlich sein. Nicht nur kostenlose Abtreibungen sind notwendig, sondern auch ein kostenloser Zugang zu Verhütungsmitteln für alle.

Es muss eine wirkliche Wahlfreiheit für Frauen geben, ein Kind zu bekommen oder nicht zu bekommen. Aufgrund der Bedingungen im Kapitalismus – wie zum Beispiel Armut oder auch Doppelbelastung – sehen viele keine Möglichkeit, (noch) ein Kind zu bekommen, obwohl sie es sich wünschen würden. Dies wird mit der zunehmenden Wirtschaftskrise immer häufiger auftreten. Frauen müssen wirklich frei entscheiden können, also müssen die Bedingungen geschaffen werden, dass es möglich ist, Kinder zu bekommen, wenn es gewünscht ist und eine Schwangerschaft dann selbstbestimmt abzubrechen, wenn es nicht gewünscht ist. Dies ist in einem kapitalistischen System nicht möglich, das nur an Profit und nicht an Menschen orientiert ist. Möglich gemacht werden kann das alles, indem das Gesundheitssystem und die Produktion lebensnotwendiger Güter unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der Beschäftigten, Patient*innen und den Gewerkschaften gestellt wird. Der Kapitalismus ist ein Herrschaftssystem im Interesse einiger weniger Reicher. Innerhalb dieses Systems wird dem großen Teil der Menschen ihr Recht auf wirkliche Selbstbestimmung vorenthalten. Unter dem Diktat der Profitmaximierung wird die Versorgung in den Krankenhäusern und Arztpraxen verschlechtert und die Beschäftigten werden überall ausgepresst. Wir brauchen eine Gesellschaft, die nicht auf Ausbeutung und Spaltung beruht, sondern wo die Menschen, die die Werte erschaffen auch darüber entscheiden, wie sie am sinnvollsten für die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen eingesetzt werden können.

1https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/giessener-aerztin-kristina-haenels-kampf-gegen-das-tabu-der-abtreibung/20697706.html und https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2019-12/paragraf-219a-schwangerschaftsabbruch-werbeverbot-christina-haenel-geldstrafe

2https://www.sueddeutsche.de/leben/corona-abtreibungen-kristina-haenel-1.4877744

3Ebd.

4https://www.br.de/nachrichten/bayern/fuer-ungewollt-schwangere-spitzt-sich-die-lage-zu,RvlvWB7

5https://noizz.de/politik/coronavirus-texas-verbietet-abtreibungen-weil-sie-nicht-essenziell-sind/yj7zx2y