Die Kanzlerkandidatur des Finanzministers sagt viel über den Zustand der SPD, aber wenig über die Aussicht auf eine Regierung links der Union
Innerhalb von zwei Tagen hat die SPD-Spitze sowohl ihre grundsätzliche Bereitschaft zu einer Koalition mit Grünen und Linkspartei auf Bundesebene erklärt und den Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten aufgestellt. Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch aussieht, könnte sich als geschickter Schachzug entpuppen, um DIE LINKE mit einer geringstmöglichen Erwartungshaltung in eine solche Koalition einzubinden. Die Parteiführung der LINKEN signalisiert fatalerweise ihre Bereitschaft dazu.
Von Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher
Die Nominierung von Scholz ist ein Offenbarungseid der SPD-Linken, vor allem der Jungsozialist*innen um ihren Vorsitzenden und SPD-Vize Kevin Kühnert. Olaf Scholz steht als ehemaliger Regierender Bürgermeister von Hamburg und als Finanzminister für all das, wogegen Kühnert in der Vergangenheit so medienwirksam rebellierte: Große Koalition, schwarze Null, unternehmerfreundliche Politik, Polizeirepression gegen antikapitalistische Proteste etc.
Noch bei der Wahl zum SPD-Vorsitz war er den als eher links im SPD-Koordinatensystem zu verortenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans unterlegen. Wer aber glaubte, nun käme das Ende der Großen Koalition oder gar eine Linkswende der SPD wurde schnell enttäuscht. Esken und Walter-Borjans wollten der GroKo gar nicht den Garaus machen. Der SPD-Führung geht halt die staatsmännische Verantwortung über politische Inhalte. Die Beiden mussten dann auch schnell feststellen, dass SPD-Politik stärker in den sozialdemokratisch geführten Bundesministerien und Landesregierungen bestimmt wird, als im Willy-Brandt-Haus. Ihre Positionen, die nun wirklich auch weit von wirklich linker, antikapitalistischer Politik entfernt sind, wurden von den Minister*innen und Ministerpräsident*innen in der Regel einfach ignoriert und diese machten weiter, als ob nichts geschehen sei.
In der Krise ist alles anders
Wenn Kevin Kühnert nun betont, die SPD sei heute programmatisch anders aufgestellt, als noch vor einigen Jahren und dass Olaf Scholz diese programmatischen Veränderungen mittrage, dann ist das zwar nicht ganz falsch, aber eben auch keine qualitative Veränderung hin zu Politik im Interesse von Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten. Dass die Sozialdemokratie sich mittlerweile für Veränderungen im Hartz IV-System, einen Mindestlohn von zwölf Euro und eine Vermögenssteuer ausspricht, ist zum einen eine Reaktion auf ihren Niedergang in der Wähler*innengunst und zum anderen Ausdruck der von relativer wirtschaftlicher Stabilität geprägten letzten Jahre, in der auch CDU/CSU keinen größeren Sozialabbau durchzusetzen versuchte. Und: diese Positionen stehen nur auf dem Papier.
Doch nun ist Krise und die Kapitalistenverbände stehen in den Startlöchern, um Verschlechterungen im Rentensystem und bei Arbeiter*innenrechten durchzusetzen. Deshalb werden sie zweifellos versuchen, eine schwarz-grüne Regierung ins Amt zu bekommen, ggf. unter Einbeziehung der FDP. Die SPD-Führung wird jedoch aus parteipolitischem Eigeninteresse sicher vermeiden wollen, noch einmal als Juniorpartnerin in einer CDU-geführten Bundesregierung zu landen. Sollte es für R2G reichen (was nach derzeitigen Umfragen nicht der Fall wäre, aber was sich auch noch ändern kann), wäre es daher nicht ausgeschlossen, dass auch ein Olaf Scholz diesen Weg mitgeht, um die Fleischtröge der Macht nicht verlassen zu müssen.
Eine nächste Bundesregierung wird vor der Alternative stehen, entweder die Krisenkosten auf dem Rücken der Arbeiter*innenklasse abzuladen oder diese gegen das Kapital zu mobilisieren und sich mit den Reichen und Mächtigen im Land anzulegen. Wer glaubt, dass SPD und Grüne dazu bereit sind, glaubt auch, dass Corona nur eine harmlose Grippe ist. Wenn DIE LINKE diesen Weg geht, wird sie das Schicksal anderer Linksparteien erleiden, die dachten, sie könnten in Koalitionen mit der Sozialdemokratie oder überhaupt in Regierungen, die im Rahmen des Kapitalismus handelten, diesen bändigen und etwas für die Masse der Bevölkerung rausholen. Heraus kam im besten Fall eine Politik des kleineren Übels, die von den Arbeiter*innen und sozial Benachteiligten berechtigterweise vor allem als ein Übel betrachtet wurde. Dementsprechend wurden Parteien wie die griechische SYRIZA, die italienische Rifonadazione Comunista oder kürzlich auch PODEMOS im spanischen Staat bei Wahlen abgestraft und haben ihre Basis unter Lohnabhängigen und Jugendlichen wieder verloren.
DIE LINKE
Die wesentlichen Führungskräfte der LINKEN scheinen sich aber schon für das R2G-genannte Bündnis mit Sozialdemokratie und Grünen entschieden zu haben. Anders kann man die Reaktionen auf die Wahl von Scholz zum Kanzlerkandidaten nicht interpretieren. Und schon vorher hatten die Parteivorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping gemeinsam mit dem Bundesgeschäftsführer und Bundesschatzmeister ein Papier vorgelegt, das sich für eine R2G-Perspektive stark machte und das so genannte „Reformerlager“, also die Parteirechte, geht ebenfalls mit einer breit getragenen Stellungnahme in die Offensive.
Die Parteilinke sollte gegen diese Strategie mobil machen und dabei eine unzweideutige Position einnehmen. Diese muss auf der Einschätzung basieren, dass die sich gerade entwickelnde kapitalistische Wirtschaftskrise unweigerlich zu scharfen Angriffen auf die Arbeiter*innenklasse führen wird und diese nur durch breite Mobilisierungen und Streiks bekämpft werden können und zweitens der Aufbau einer sozialistischen Massenpartei nötig ist, die diesen Widerstand mit einer Perspektive zur sozialistischen Gesellschaftsveränderung verbindet. Wir brauchen eine Partei, die eindeutig auf Seiten der Arbeiter*innenklasse und sozial Benachteiligten steht und die den Kampf für die Überwindung des kapitalistischen Systems nicht in die ferne Zukunft verschiebt. Der von Katja Kipping und anderen propagierte Gedanke des „Regierens in Bewegung“ ist eine Illusion. Diese konnte in Berlin für eine kurze Zeit genährt werden, weil hier soziale Bewegungen in der Stadt, vor allem die Mieter*innenbewegung, einen erheblichen Druck erzeugen konnten und gleichzeitig die ökonomische Situation bis zum Beginn der Wirtschaftskrise gewisse Spielräume geschaffen hatte. Aber auch in Berlin lässt der Senat weiter Wohnungen und linke Projekte räumen, wird die Privatisierung von Teilen der S-Bahn und Schulgebäuden auf den Weg gebracht und unterscheidet sich die Politik des rot-rot-grünen Senats nur punktuell von der Politik anderer Landesregierungen. In Thüringen und Bremen kommt man gar nicht auf die Idee, die dortigen Regierungsbeteiligungen als „Regieren in Bewegung“ zu betrachten.
Rote Haltelinien reichen nicht
Die Parteilinke beruft sich in ihrer Opposition gegen R2G auf Bundesebene gerne auf diesen Passus des LINKE-Parteiprogramms: „An einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, die Privatisierungen der Daseinsvorsorge oder Sozialabbau betreibt, deren Politik die Aufgabenerfüllung des Öffentlichen Dienstes verschlechtert, werden wir uns nicht beteiligen.“ Doch auf diesen so genannten roten Haltelinien die Strategie gegen eine Regierungsbeteiligung mit prokapitalistischen Parteien aufzubauen ist zum Scheitern verurteilt. Denn ein Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und LINKE würde weder Kriegs-/Kampfeinsätze der Bundeswehr, noch Privatisierungen oder Sozialabbau vorsehen. Das schreiben Regierungen selten in ihre Regierungsprogramme und setzen es dann im Laufe ihrer Amtszeit trotzdem um. Aber dann wäre das Kind schon in den Brunnen gefallen und einmal in einer solchen Koalition wäre die Parteilinke nachhaltig geschlagen.
Auch ein Blick nach Österreich sollte eine Warnung sein. Hier hat die Führung der Grünen eine Koalition mit der rechtskonservativen ÖVP unter Sebastian Kurz in der Partei durchsetzen können mit dem Argument, dies sei eine einmalige Gelegenheit grüne Klimapolitik durchzusetzen, da müsse man an anderer Stelle, hier unter anderem bei der Geflüchtetenpolitik, in den sauren Apfel beißen. Angesichts der Möglichkeit, dass die Grünen stärkste Partei in einem solchen Dreierbündnis werden, wird das zweifelsfrei ein gewichtiges Argument von Befürworter*innen einer Regierungsbeteiligung werden.
Gegen den Strom
Es ist auch keine Frage, dass es nicht leicht sein wird, eine Opposition gegen eine Regierungsbildung mit SPD und Grünen in Teilen der Arbeiter*innenklasse, und nicht zuletzt auch unter Aktiven in Bewegungen und Gewerkschaften, zu vermitteln. Alles ist besser, als eine weitere konservativ geführte Regierung, werden viele denken.
Aber eine konsequente sozialistische Oppositionspolitik, massives Engagement in den bevorstehenden gewerkschaftlichen und sozialen Auseinandersetzungen und eine Politik der parlamentarischen Einzelfallentscheidung würde es möglich machen, dass DIE LINKE trotzdem aus einer solchen Situation gestärkt hervor geht. Das würde bedeuten deutlich zu machen, dass eine Beendigung der CDU/CSU-Dominanz in der Bundesregierung nicht an der LINKEN scheitern wird, diese also eine*n sozialdemokratischen oder grünen Kanzler*in ins Amt helfen würden und eine SPD-Grüne-Minderheitsregierung nicht verhindert würde. Jede Maßnahme im Interesse der Arbeiter*innenklasse und der sozial Benachteiligten, wie Erhöhung des Mindestlohns oder Einführung einer Vermögensteuer, würde durch DIE LINKE im Bundestag zur Mehrheit verholfen, aber auch jede Maßnahme gegen die Lohnabhängigen abgelehnt werden. DIE LINKE würde sich nicht durch einen Koalitions- oder Tolerierungsvertrag an eine solche Koalition binden und keine Verantwortung für deren Gesamtpolitik übernehmen, sondern unabhängig für die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung mobilisieren und auf der Basis eine starke sozialistische Kraft aufbauen. Das würde auch nicht bedeuten, einer Regierungsbeteiligung bzw. -übernahme eine prinzipielle Absage zu erteilen, sondern zu erklären, dass eine solche für die Partei nur auf Basis wirklich linker und sozialistischer Politik in Frage kommt. Der Aufstieg SYRIZAs zur stärksten Kraft in Griechenland in den Jahren der Krise bis 2015 zeigt, dass eine linke Partei in Zeiten kapitalistischer Krise und verschärfter Klassenkämpfe schnell in eine solche Position gelangen kann. Das muss die strategische Ausrichtung einer sozialistischen Partei sein.