Eliten fordern Preisanstieg der Lebensmittel. Kampf um Lebensmittelversorgung und Umweltschutz nötig!
Versehentlich wurde zuerst eine Kurzfassung dieses Artikels veröffentlicht. Diese wurde am 25.1. durch diese Fassung ersetzt.
Ernährungs- und Landwirtschaftsminister Özdemir (Die Grünen) forderte am 26. Dezember 2021 in der Bild am Sonntag eine weitere Verteuerung von Lebensmitteln. Es dürfe keine “Ramschpreise für Lebensmittel mehr geben, sie treiben Bauernhöfe in den Ruin, verhindern mehr Tierwohl, befördern das Artensterben und belasten das Klima”.
Von Hans Neumann, Hannover
Die Umweltorganisation Greenpeace legte nach und forderte einen erhöhten Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent für Fleisch und Milchprodukte, während der deutsche Tierschutzbund noch weiter ging und eine “Tierwohlabgabe” auf Fleisch, Milch und Eier verlangte. Ein solches Mod ell wurde bereits von einer Expert*innenkommission des Ministeriums vorgeschlagen, bei dem Mehrkosten von mindestens vierzig Cent pro Kilogramm Fleisch und Wurst, 15 Cent pro Kilo Käse und Butter und zwei Cent pro Kilo Milch und Milchprodukte geplant sind. Auch eine flächendeckende Erhöhung aller Lebensmittelpreise ist im Gespräch. Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland heuchelte Özdemir, keine gesellschaftliche Gruppe gegeneinander ausspielen zu wollen. Was aber ist es sonst, wenn die Situation von Landwirt*innen und den Betroffenen des Klimawandels missbraucht wird, um weitere Preiserhöhung für vermeintlich grüne Zwecke zu rechtfertigen und dadurch die Arbeiter*innenklasse im Ganzen und Menschen mit niedrigeren Einkommen im Besonderen getroffen werden sollen?
Die Not ist bereits da
Özdemir dürfte nicht entgangen sein, dass Lebensmittel für das Leben unverzichtbar sind. Es lässt tief blicken, wie verachtend auf das Leben all derjenigen geblickt wird, die sich weitere Preisanstiege von Lebensmitteln finanziell überhaupt nicht leisten können.
Der Regelsatz für Nahrung von ALG-II Empfänger*innen beträgt 5,19 Euro pro Tag; zwei Millionen Menschen sind regelmäßig auf die stark vergünstigten Essensausgaben der Tafeln angewiesen und mindestens sechs Millionen Menschen sind laut der Böll-Stiftung alleine in Deutschland von Ernährungsarmut betroffen. Und das ist nur die Spitze der mindestens 13,4 Millionen Menschen, die in Deutschland von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen sind. Wenn spätrömisch dekadent lebende Politiker*innen ausgerechnet der Arbeiter*innenklasse unterstellen, nicht nur eine Wahlfreiheit in Bezug auf nachhaltige und gesunde Ernährung zu haben, sondern sogar die Schuld an dieser Misere geben, ist das Zynismus pur. Denn es ist gerade die Arbeiter*innenklasse, die am direktesten und härtesten von den Folgen der privaten Produktion betroffen ist, die Folgen des Klimawandels zu spüren bekommt und auch schon lange die medizinischen Folgen der kapitalistischen Lebensmittelproduktion ausbaden muss.
Armut macht krank
Wer mit wenig Geld auskommen muss, ist auf sättigende und kostengünstige Produkte, wie etwa Nudeln oder Fleisch angewiesen, und konsumiert dadurch häufig zu fett- und kohlenhydrathaltige Lebensmittel, die ursächlich für Gesundheitseinschränkungen wie etwa Übergewicht sind. Insbesondere Fleisch gilt als Ursache für diverse Herzerkrankungen.
Wer nicht nur wenig Geld, sondern auch wenig Zeit zur Verfügung hat oder auf keine gut ausgestattete Küche zurückgreifen kann, hat oft keine andere Wahl, als günstige verarbeitete Lebensmittel zu kaufen. Weil die produzierenden Konzerne für den Profit an Arbeits- und Produktionsbedingungen an jeder Ecke sparen, werden Lebensmittel in minderer Qualität häufig mit überdurchschnittlich viel Salz-, Fett- und Zuckeranteilen versehen, die weitere Gesundheitsbeeinträchtigungen wie Diabetes oder Bluthochdruck befördern. Eine solche Mangeldiät trägt sicherlich dazu bei, dass in Deutschland laut einer RKI-Studie von 2016 reiche Frauen acht und reiche Männer elf Jahre länger leben als Frauen und Männer, die unter Armut leiden. Solche Ernährung macht krank. Des Weiteren hat Fleisch eine schlechtere Klimabilanz als Gemüse und Getreide; durch die industrielle Massentierproduktion wird Tierwohl mit Füßen getreten, der Klimawandel befeuert und zudem neue Krankheitsherde für Menschen geschaffen.
Es steht außer Frage: Die Lebensmittelindustrie muss verändert werden – aber nicht durch Erhöhung der Preise. Wenn ein Teil der Bevölkerung aus blanker Not auf solche Lebensmittel zugreift, ist das kein Ausdruck von Egoismus oder Ignoranz gegenüber dem Klimawandel, sondern eine Bankrotterklärung des kapitalistischen Systems. Ein weiterer Anstieg der Preise wird massive Verschlechterung der Ernährungssituation für Millionen zu Folge haben. Nicht etwa gesünderes oder Bio-Gemüse wird gekauft, sondern noch mehr Fertigprodukte und schädliches Essen. Auch andere Bereiche werden betroffen sein: Phänomene wie Wohnungslosigkeit würden in einem solchen Fall fraglos zunehmen, weil noch mehr Menschen vor der unmöglichen Entscheidung gesetzt werden, ob sie lieber hungern oder frieren.
Preisexplosion
In den letzten zwei Jahren stiegen die Preise massiv: Mieten, Strom und auch Lebensmittelpreise geben vielen Menschen schlichtweg keinen Spielraum mehr. Die Inflationsrate in Deutschland ist auf 5,3 Prozent gestiegen, dem höchsten Stand seit Juni 1992. Laut Branchenkreisen haben sich Molkereiprodukte und Eier innerhalb eines Jahres um sechs Prozent verteuert; die Butter war im November neun Prozent teurer als noch im Vormonat! Währenddessen weigern sich die Kapitalist*innen und Regierende, die Gehälter und Sozialleistungen auch nur ansatzweise den steigenden Preisen anzupassen.
Für 2022 werden derweil weitere Preissteigerungen erwartet. Als ursächlich wird hierfür unter anderem die anhaltend hohe Inflationsrate gesehen, sowie der Anstieg der CO2-Steuer, wodurch in der Landwirtschaft der Betrieb von Maschinen teurer wird. Die Steuer wird – wie die Sol gewarnt hat – an die Verbraucher*innen weitergegeben, teurere Produkte im Namen des Klimaschutzes. Doch perverserweise unternimmt die neue, „grüne“ Bundesregierung derweil überhaupt nichts gegen die Verschwendung von zwölf Millionen Tonnen Lebensmitteln pro Jahr, denn das könnte den Profit der Lebensmittelkonzerne angreifen. Insgesamt werden in den Industrienationen doppelt so viele Lebensmittel produziert wie benötigt, aber das Retten von Lebensmitteln aus dem Müll (“Containern”) steht in Deutschland als – zum Teil schwerer – Diebstahl unter Strafe.
Arroganz der Eliten
Während den ärmsten Teilen der Bevölkerung die Butter vom Brot genommen wird, leben die Reichen dieser Welt ein verschwenderisches Leben und tanken fleißig ihre Luxusautos voll. Wenn Özdemir oder ein*e andere Minister*in – mit einem monatlichen Einkommen von mindestens 16.700 Euro – an einem Tag so viel für Essen ausgeben würden, wie es einer*m ALG-II Empfänger*in zusteht, hätten sie damit 0,0003 Prozent ihres Einkommens ausgeben. Gerundet ergibt das eine glatte Null!
Dies offenbart ein grundlegendes Problem: Die Politiker*innen und Manager*innen, die über steigende Preise sprechen, würden sie kaum merken. Weil solche hohen Gehälter und Privilegien nicht nur prokapitalistische Politiker*innen korrumpiert, treten wir unter anderem dafür ein, dass Mandatsträger*innen und Hauptamtliche linker und sozialistischer Parteien nicht mehr als einen durchschnittlichen Tariflohn erhalten dürfen. Darüber hinausgehende Diäten müssen an die Partei und an soziale Bewegungen wieder zurückgegeben werden.
Den “richtigen” Kapitalist*innen unser Geld geben?
Bei den für uns begrenzten Ressourcen im Kapitalismus ist es völlig normal, dass wir sehr genau darauf achten müssen, wofür wir unser Geld ausgeben. Es ist deshalb vollkommen nachvollziehbar, dass auch nicht völlig verarmte Arbeiter*innen beim Einkaufen auf den Preis achten und nicht automatisch zu teureren Produkten greifen – nur aus Hoffnung, dass sie gesünder, nachhaltiger und fairer produziert sind. Der Großteil der Bevölkerung weiß sehr genau, dass die Werbe- und Lebensmittelindustrien Lügen bis sich die Balken biegen und sogar “faire” Labels und Umweltzertifikate keine besseren Standards bedeuten müssen.
Doch selbst wenn die teureren Produkte ökologisch besser wären, wäre das Grundproblem dadurch überhaupt nicht gelöst: Eine Produktion im Kapitalismus ist in erster Linie eine Produktion von privaten Akteur*innen für den Profit und nicht in unserem Interesse. Aus reinem Konkurrenzgedanken ist jeder Artikel in jedem Supermarkt vorrätig und befeuert damit eine immense Überproduktion. Die neuen pflanzlichen Ersatzprodukte sind ein weiteres Standbein derselben Fleischindustrie. Ganz zu schweigen von den beinahe mafiösen Einkaufspraxen der Supermarktketten, die Bauernhöfe zu Dumpingbeträgen zwingen. Wer vor diesem Hintergrund nicht glaubt, dass die verantwortlichen Konzerne in öffentliche Hand überführt werden müssten, sondern wir durch unseren lebensnotwendigen Konsum an der Misere schuld seien, glaubt auch, dass die zusätzlichen Einnahmen von Preiserhöhungen nicht von Aldi, Lidl, Tönnies oder Nestlé eingeheimst werden oder sogar, dass die CO2-Steuer Umweltzerstörer wie RWE und BMW in die Knie zwingt.
Arbeiter*innenverachtung in grün
Wo im Wahlkampf an der ein oder anderen Stelle linkere Positionen von den Grünen in den Vordergrund gestellt wurden und zum Beispiel Containern entkriminalisiert, ein Energiegeld eingeführt, sowie “Lebensmittelverschwendung verbindlich branchenspezifisch reduzier[t], haftungsrechtliche Fragen [ge]klär[t]” werden sollte (Koalitionsvertrag) und es im Wahlkampf sogar noch hieß, dass “Kostensteigerungen […] durch einen höheren Mindestlohn und für diejenigen, die Sozialleistungen beziehen, durch höhere Regelsätze und die Einführung einer neuen Berechnungsmethode im Rahmen der Grünen Garantiesicherung berücksichtig[t]” würden, ist jetzt offensichtlich nicht viel übrig geblieben. Absurd erscheint es vor diesem Hintergrund regelrecht, dass im Wahlprogramm der Grünen noch zu lesen war, dass “Gesunde und ökologisch wertvolle Lebensmittel […] allen Menschen in Deutschland leicht zugänglich sein [sollen], gesunde Ernährung darf nicht vom Geldbeutel abhängen.”
Die von Özdemir eingebrachten Vorschläge sind nichts als arbeiter*innenfeindlich und befördern das Greenwashing von irgendwelchen Produkten, die weiterhin umweltschädlich produziert werden, nur eben teurer. Sie werden von einer Klimapolitik in die Welt gesetzt, deren wichtigstes Ziel nicht der Schutz der Umwelt, sondern der Profite von Banken und Konzernen sind. Özdemirs Vorschlag ist vor diesem Hintergrund nichts weiter als eine maßgeschneiderte Klientelpolitik für Konzerne, die die Lieferketten der Lebensmittelproduktion dominieren. Und als solche müssen sie bekämpft werden. Gute und gesunde Lebensmittel können nur gegen Interessen der Lebensmittel-Riesen durchgesetzt werden. Wir müssen uns daher organisieren für:
- Kampf um unmittelbare Lohnnachschläge zum Ausgleich der Preissteigerungen durch die Gewerkschaften
- Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel
- Staatlich verordnete Höchstpreise bei Lebensmitteln
- Entkriminalisierung von “Containern” (dem Retten von brauchbaren Lebensmitteln aus den Mülltonnen der Supermärkte)
- Mindestlohn ohne Ausnahmen von 13 Euro pro Stunde als erster Schritt zu 15 Euro!
- Weg mit Hartz IV! Soziale Mindestsicherung von 750 Euro plus Warmmiete für jede*n Erwachsene*n und 600€ pro Kind
- Enteignung und Verstaatlichung unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung der großen Lebensmittel- und Einzelhandelskonzerne
- Gute und günstige Lebensmittel für alle! Für eine nachhaltig produzierende Welt, in der niemand hungern muss! Deshalb: Grundlegender Umbau der Wirtschaft in Gemeineigentum. Für sozialistische Demokratie weltweit!