Worldcup, Kokain und Castro

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Zum Tod von Diego Maradona

Zu keinem Zeitpunkt kann es einfach oder leicht gewesen sein, Diego Maradona zu sein. Er stammte aus armen Verhältnissen eines Vorortes von Buenos Aires, fünftes von acht Kindern eines Fabrikarbeiters und dessen Frau, die wohl keiner Erwerbsarbeit nachging. Bereits mit 14 Jahren wurde Diego zum Haupt-Verdiener seiner Ursprungsfamilie. Was man gemeinhin sein Talent nennt, war letztlich eine gesunde Physis in Verbindung mit einem gut entwickelten Gehirn, das Körper-Koordination und räumliches Vorstellungsvermögen sowie seine Fähigkeit zur Antizipation der Bewegungen seiner Gegenspieler ermöglichte. Unter anderen Umständen, bei einer Herkunft aus wirtschaftlich besseren Verhältnissen, hätte Diego Maradona vermutlich in jedem denkbaren Beruf gute Aussichten auf eine erfolgreiche Entwicklung gehabt.

Von Johannes Bauer, Köln

Unter den gegebenen Umständen war Fußball der Sport und das Vergnügen der kleinen Leute und gleichzeitig die Möglichkeit, zu sozialem Aufstieg. In dialektischer Weise sind die Voraussetzungen, die zu Diego Maradonas Erfolg beigetragen haben, auch dafür verantwortlich gewesen, dass exzessive Ereignisse und Entwicklungen sich durch sein Leben ziehen, wie ein roter Faden. Ein Gemeinplatz sagt, man kann einen Menschen aus dem Ghetto herauskriegen, aber nicht das Ghetto aus einem Menschen.

Die Verehrung, die ihm entgegen gebracht wurde, hing dementsprechend nicht nur mit seiner spielerischen Genialität, sondern auch mit seiner Herkunft zusammen. Er symbolisierte die Hoffnung der Verächteten, aus dem Dreck heraus zu kommen.

Mit 15 Jahren debütierte er in der argentinischen Profiliga, mit 17 stand er in der Nationalmannschaft, wurde im letzten Moment 1978 aus dem Kader für die WM im eigenen Land  gestrichen, die Argentinien ohne ihn gewann. Er wechselte in die beste nationale Liga nach Spanien zu Barcelona, wo er jedoch wegen Krankheit und Verletzung nach einem brutalen Foul seine Fähigkeiten nicht entfalten konnte. Zur Legende wurde Diego Maradona in Neapel. Im Armenhaus des krisengeschüttelten Italiens der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts erschien mit Maradona der beste Fußballer seiner Zeit, vielleicht aller Zeiten. Er wurde wie ein Gott verehrt und man erwartete von ihm, dass er jeden Tag Wunder vollbringen würde. 1986 führte die argentinische Nationalmannschaft zu ihrem zweiten WM-Titel und drückte dem Turnier den Stempel Maradona-Festspiele auf. Seine Persönlichkeitsstruktur und seine soziale Umgebung boten ihm keinen Schutz vor dem Sog der finsteren Seite des Erfolgs, den Drogen, den falschen Freunden und auch der Hybris. Wer das Drama liebt, den liebt auch das Drama.

Am Tiefpunkt seines Lebens, als aufgedunsenes Kokain-Wrack, suchte er Anfang der Nuller-Jahre des 21. Jahrhunderts Schutz und Genesung in der abgeschirmten Welt von Castros Kuba. Er trug ein Tattoo seines Landsmannes und Castros Weggefährten Che Guevara. Man würde wohl zu weit gehen, wenn man ihm mehr als eine naive, seiner eigenen Herkunft geschuldete, Sympathie für die Anliegen der Arbeiter*innenklasse und Unterdrückten attestieren würde. Aber allein die Tatsache, dass er sich solidarisch mit dem palästinensischen Volk erklärte oder gegen den Putsch der Rechten in Bolivien aussprach, garantierte ihm die Sympathien von Millionen. Zu politischen, sozialen und auch sportlichen Themen äußerte er sich trotzdem widersprüchlich, oft extrem und polarisierend, manchmal beleidigend. Zu jeder Zeit verkörperte er These und Antithese gleichzeitig. Sportler und Suchtkranker. Familienmensch und Ehebrecher. Gläubiger Christ und fluchender Berserker.

Andere schossen mehr Tore als er oder errangen mehr Titel. Doch keiner kontrollierte den Ball auf engem Raum ebenso sicher, wie er präzise und knallhart aus der Distanz abschließen konnte, keiner war so wendig, reaktionsschnell, dribbelstark und besaß gleichzeitig so viel Übersicht, um Mitspieler in Szene zu setzen. Seine Spielweise mit Worten beschreiben zu wollen ist ebenso hoffnungslos, wie der Versuch, einem gehörlosen Menschen mit Hilfe einer Partitur der 9. Symphonie die Musik Beethovens nahe bringen zu wollen.

Diego Maradona starb am 25. November 2020, er lebte 60 Jahre lang.