„80 Prozent von wenig bleibt wenig.“

Zur Situation in der Gastronomie in Corona-Zeiten


Die Schließung der Restaurants, Kneipen und Hotels trifft nicht nur die Gäste, die ihr Feierabendbier jetzt Zuhause alleine trinken müssen, sondern vor allem auch die Arbeiter*innen, die es normalerweise abfüllen. Im Zug der neuen Einschränkungen sind vor allem Lohnabhängige in Gastronomie und Hotelgewerbe stark getroffen.

von Caspar Loettgers, Mainz


In einem Bereich, in dem schon vorher die Löhne oft bzw. wenn überhaupt nur knapp über dem Mindestlohn lagen, bedeutet Kurzarbeit tiefe Einschnitte. Viele Beschäftigte leben schon seit Anfang der Pandemie im März nur noch von einem Teilihres ursprünglichen Lohnes, der schon vorher kaum zum Leben reichte. So berichten Beschäftigte in Hamburg, dass viele Kolleg*innen von rund 800 bis 1100 Euro leben müssen. Insgesamt lag laut dem ifo Institut im September der Anteil der Betriebe, in denen Kurzarbeit gilt, bei 71 Prozent der Hotels und 52 Prozent der Gastronomiebetriebe. Diese Zahl hat sich sicherlich in den letzten Monaten nochmal gesteigert.

Keine Hilfe für die Beschäftigten


Auch die Aufstockung des Kurzarbeiter*innengeldes verspricht keineausreichendeVerbesserung, denn wie eine Kollegin gegenüber der „Zeit“ berichtete: „80 Prozent von wenig bleibt wenig“. Gleichzeitig bekommen Unternehmen bis zu 75 Prozent ihres Vorjahresumsatzes vom Staat ausgezahlt.Das dürfte für viele deutlich über dem liegen, was sie ohne staatliche Einschränkungen im November umgesetzt hätten. Eine demokratische Kontrolle der Auszahlungen und Ansprüche ist nicht vorgesehen. Gleichzeitig bleibt die Zukunft für viele Beschäftigte trotz Lohnverzicht unsicher.

So verzichteten Beschäftigte der Wiener Feinbäckerei Heberer in Weimar dieses Jahr auf Lohnerhöhungen, um sich solidarisch mit dem Unternehmen zu zeigen. Doch als Dankeschön der Geschäftsleitung kam nun die Ankündigung den Standort zu schließen und die rund 74 Beschäftigten ohne nennenswerte Abfindung zu entlassen. Dabei ist die Wiener Feinbäckerei Marktführer in Deutschland mit rund 220 Geschäften bundesweit und für die Anleger waren auch dieses Jahr vier Prozent Rendite da.

Anzahl der Arbeitslosen steigt


Die Anzahl derer, die überhaupt keinen Job mehr haben steigt parallel dazu bundesweit. In der Hotellerie gab es im September knapp 43 Prozent mehr Arbeitslose als im Vorjahr, in der Gastronomie fast 48 Prozent, in der Speisenzubereitung sind es 31 Prozent. Insgesamt verloren im Zeitraum von April bis Juli 2020 80.109 Personen im Gastgewerbe ihre Arbeit. Das entspricht einem Anstieg von 79 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zur Zeit sieht es außerdem nicht so aus, als ob die Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen in naher Zukunft überwunden sein werden. Je länger die Pandemie andauert, desto weniger Mittel wird die Bundesregierung bereitstellen, um Betriebe zu unterstützen.Die nächsten Monate könnten daher noch weitere Betriebe in die Insolvenz treiben und damit Beschäftigte in die Arbeitslosigkeit.

Beschäftigte in die Offensive

Die ersten Aktionen der NGG Schleswig Holstein, die im Rahmen der „Wir müssen den Kochlöffel abgeben“-Kampagne stattfanden, gehen in die richtige Richtung. Die Forderung, das Kurzarbeiter*innengeld auf hundert Prozent aufzustocken, macht deutlich, dass es für Beschäftigte keine Einkommensverluste geben darf – wobei wir das Kurzarbeiter*innengeld als faktische Subvention der Unternehmen ablehnen und der Meinung sind, dass diese ihre Geschäftsbücher offen legen müssen und die Löhne aus den über die Jahre aufgehäuften Gewinnen und Vermögen zahlen sollten.

Doch um eine grundlegende Veränderung für die Beschäftigten und deren Familien zu erzwingen, ist mehr notwendig. Zum Beispiel darf trotz Pandemie nicht vergessen werden, dass Lohnerhöhungen in der Branche dringend nötig sind. Die Löhne in der Gastronomie und dem Hotelgewerbe gehören bundesweit zu den niedrigsten und viele Kolleg*innen mussten schon vor der Pandemie jeden Cent umdrehen. Aber auch über die von Schließungen betroffenen Betriebe sollte diskutiert werden.

Größere Unternehmen wie die Wiener Feinbäckerei in Herberer sollten verstaatlicht werden, wenn sie ohne staatliche Rettung nicht überleben können, und unter demokratische Verwaltung und Kontrolle durch die arbeitende Bevölkerung gestellt werden. Ansonsten streichen die privaten Eigentümer die Staatshilfe ein und können trotzdem Arbeitsplätze vernichten – siehe Lufthansa.

Zur Zeit beschränkt sich die Kampagne auf symbolische Aktionen, wie etwa die Überreichung von Kochlöffel an den Wirtschaftsminister Schleswig-Holsteins. Allein symbolische Aktionen wird die Politiker*innen aber nicht von ihrem jetzigen Kurs grundlegend abbringen. Deshalb sollte die Kampagne ausgeweitet werden auf weitere Bundesländer. Gerade in der Gastronomie sind viele Kolleg*innen unorganisiert oder arbeiten in Geschäften mit einer kleinen Belegschaft. Deshalb braucht es eine breite politische Kampagne und die Unterstützung anderer DGB-Gewerkschaften und der LINKEN, um die Kolleg*innen zu motivieren und durch Proteste den Druck zu erhöhen, dass nicht die einfachen Beschäftigten die Krise ausbaden müssen. In Fällen, wie der Herberer Bäckerei, in denen Betriebe von Schließungen bedroht sind und die Möglichkeit besteht, sollten Streiks organisiert werden.Diese würden einerseits den Druck auf die Regierung und den sogenannten Arbeitgeber erhöhen, andererseits würde es viele Kolleg*innen das Gefühl geben nicht alleine zu stehen und zu einem stärkeren Solidaritätsgefühl unter den Beschäftigten führen.

Der Kapitalismus sollte den Löffel abgeben


Die Situation der Beschäftigten in der Gastronomie und dem Hotelgewerbe ist nur ein Beispiel von vielen, welches das Versagen des Kapitalismus im Umgang mit der Pandemie zeigt. Die Kosten für das Sinken der Einnahmen müssen in erster Linie die Beschäftigten zahlen. Doch auch viele kleine Unternehmen geraten unter Druck. Die Folge werdenmehr Insolvenzen, Monopolisierung und ein wachsendes Heer an Arbeitslosen sein.


In vielen Fällen könnten die Beschäftigten ohne Problem weiter beschäftigt werden. Wie der Fall Herberer zeigt ist in vielen Fällen Geld vorhanden, jedoch nur für die Geschäftsleitung und die Anleger. Wenn Unternehmen mit Schließungen drohen, sollten daher als erstes die Beschäftigten die Möglichkeit haben in die Geschäftsbücher zu gucken und zu überprüfen, ob wirklich kein Geld mehr vorhanden ist, um den Betrieb aufrecht zu halten. Wenn dies der Fall sein sollte, sollten Unternehmen verstaatlicht werden und unter demokratische Kontrolle und Verwaltung gestellt werden. Solche verstaatlichten Gastronomiebetriebe könnten so umgebaut werden, dass sie Menschen von Hausarbeit entlasten. Eine Idee wäre etwa die Einrichtung von staatlichen Kantinen. Diese könnten Arbeiter*innen in systemrelevanten Bereichen und der allgemeinen Bevölkerung bereitstehen und sie mit gesunden, hochwertigen und günstigen Essen versorgen.

Kleine Imbissbuden und Restaurants oder Kneipen, die nicht zu größeren Unternehmen gehören, sollten auch staatliche Unterstützung erhalten. Dazu schrieben wir schon im Mai diesen Jahres: „Generell sollten Betriebe, die um weitreichende staatliche Hilfen bitten, ihre Geschäftsbücher öffnen. Gewählte Komitees, die aus Vertreter*innen der Gewerkschaften, Belegschaften und der Kommunen bzw. Länder (über die die Hilfe für die kleineren Firmen läuft) bestehen, sollten darüber entscheiden, welche Hilfen gewährt werden und wie weitreichend diese sein sollten. Unter dieser demokratischen Kontrolle sollen staatliche Kredite zu günstigen Konditionen an Kleinunternehmen gewährt werden. Um dies tatsächlich umfassend und im Interesse der gesamten Gesellschaft zu bewerkstelligen, müssen die privaten Banken verstaatlicht und zu einer demokratisch kontrollierten und verwalteten Staatsbank zusammengefasst werden. Allerdings sollten Kredite und Hilfen nur zu bestimmten Bedingungen fließen: Dies beinhaltet nicht nur die Öffnung der Geschäftsbücher sondern auch die Offenlegung des Privatvermögens der Unternehmer*innen, welches zur Rettung des Betriebes herangezogen werden muss. Es darf keinen Stellenabbau geben, Löhne und Arbeitsbedingungen müssen gemäß üblicher Tarifverträge gesichert sein. Es darf keine Einschränkungen gewerkschaftlicher oder betrieblicher Organisierung geben. Die Beschäftigten dürfen keine finanzielle Verluste erleiden. Entweder wird das Gehalt von den Unternehmern zu hundert Prozent weiter gezahlt. Falls dies angesichts der finanziellen Situation tatsächlich nicht mehr möglich ist, muss der Staat per Kredit oder Zuschuss den Ausgleich leisten.

Sollte auch unter diesen Voraussetzungen für den Kleinbetrieb keine Aussicht auf wirtschaftliche Erholung bestehen, muss der Staat eine Arbeitsplatzgarantie für alle Beschäftigten aussprechen und diese über ein massives Investitionsprogramm zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen im Öffentlichen Dienst realisieren.“

Die jetzige Krise zeigt wieder einmal, wie ungerecht der gesellschaftlicher Reichtum verteilt ist. Während Beschäftigte in vielen Branchen um ihren Job bangen, bleibt das Vermögen der Reichen unangetastet. In einigen Fällen ist das Vermögen sogar seit der Pandemie gewachsen. Mit der Wiedereinführung der Vermögenssteuer auf Privatvermögen könnten pro Jahr etwa 15 bis 20 Milliarden Euro eingenommen werden. Mit diesem Geld könnten nachhaltige Arbeitsplätze geschaffen werden, sodass niemand um seinen Job Angst haben müsste.

Vieles wäre möglich, wenn mit dem Kapitalismus und seiner Profitlogik gebrochen würde und stattdessendie arbeitende Bevölkerungdemokratisch Entscheidungen treffen könnte. So könnte das Ziel, die Pandemie und Armut möglichst effektiv zu bekämpfen, erreicht werden. Die Sozialistische Organisation Solidarität (Sol) kämpft deshalb unter anderem für eine einmalige Vermögensabgabe von dreißig Prozent ab einer Million, eine grundsätzlich höhere Besteuerung von Gewinnen und Vermögen, ein massives Investitionsprogramm zur Schaffung nachhaltiger Arbeitsplätze und – statt Millionenhilfen für private Banken und Konzerne – deren Überführung in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung.

Unser Programm zum Umgang mit Kleinunternehmen in der Krise findet ihr hier: https://solidaritaet.info/2020/05/rettungsschirme-fuer-wen/