Rettungsschirme – für wen?

Zur Haltung von Sozialist*innen zu Staatshilfen für kleine Unternehmen

Die Ausbreitung des Coronavirus hat die Krise der deutschen Wirtschaft dramatisch verschärft. Binnen weniger Wochen sind viele Betriebe in existentielle Schwierigkeiten geraten und es droht der Verlust von Millionen Arbeitsplätzen.

von Torsten Sting, Rostock und Tom Hoffmann, Berlin

Im Zuge des Lockdowns gerieten viele Betriebe in heftige Turbulenzen. Aber stimmt der Eindruck, der jetzt erweckt wird, dass quasi die komplette deutsche Wirtschaft bzw. die Unternehmer*innen unter einen Schutzschirm schlüpfen müssen? Hier gilt es zu differenzieren.

Arme Reiche?

Betrachten wir zunächst die großen Konzerne. Vielen ging es bis zur Krise ausgezeichnet. Auch jetzt noch schüttet zum Beispiel BMW, trotz wochenlanger Kurzarbeit für zehntausende Kolleginnen und Kollegen, üppige Dividenden an die Aktionär*innen aus.

Das abgeschlossene Geschäftsjahr wurde mit einem Nettogewinn von 5,02 Milliarden Euro abgeschlossen, die Eigentümer*innen erhalten 2,50 Euro pro Stammaktie. Beim Münchener Automobilbauer ist die Familie Quandt (die Erben Stefan Quandt und dessen Schwester Susanne Klatten) Großaktionärin. Die beiden Geschwister zählen mit ihren Vermögen von zusammen etwa dreißig Milliarden Euro zu den reichsten Deutschen. Diese müssen nicht gerettet werden, ganz im Gegenteil! Ihr privater Reichtum, den mehrere Generationen von Beschäftigten hart erarbeitet haben, muss mittels einer dreißigprozentigen Vermögensabgabe und einer progressiven Millionärssteuer für die Gesellschaft angezapft werden. Wenn staatliche Gelder bei Konzernen fließen sollen, dann nur unter der Voraussetzung, dass die Betriebe auch verstaatlicht und unter Kontrolle der Beschäftigten, der Gewerkschaften und des Staates eine demokratische Verwaltung und Planung der jeweiligen Betriebe entwickelt wird.

Lockdown und Existenzangst

Mit dem Stillstand eines größeren Teils der Wirtschaft sind insbesondere kleine Betriebe in große Schwierigkeiten geraten. Restaurants, Clubs, Textilläden oder Reisebüros haben derzeit kaum Einnahmen und müssen dennoch Rechnungen und Gehälter bezahlen. Aber auch hier sollte nicht über einen Kamm geschoren werden. Natürlich gibt es auch auf dieser Ebene Unternehmer*innen, die über hohe Vermögen verfügen, Einkommen ihrer Beschäftigten kürzen, staatliche Unterstützung abkassieren und weiterhin ihren dicken SUV fahren.

Aber richtig ist auch, dass viele Kleinunternehmer*innen binnen kürzester Zeit ihre Reserven verbrauchen und der Betrieb vor dem Abgrund steht. Dann droht ihnen ebenso wie vielen abhängig Beschäftigten der Gang zum Amt, wenn ihnen nicht massiv geholfen wird.

Arbeiter*innenklasse und Kleineigentümer

Wie sollte an die Frage der Unterstützung für Kleinbetriebe herangegangen werden? Für eine marxistische Organisation ist dabei zentral auf die Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaft hinzuweisen. Unser Ausgangspunkt ist der Widerspruch zwischen Kapital und Lohnarbeit: der Gegensatz zwischen den Eigentümer*innen der Produktionsmittel und der Masse der Lohnabhängigen, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben. Dieser Kampf ist von entscheidender Bedeutung um hier und heute Verbesserungen für die Arbeiter*innenklasse zu erreichen oder wie derzeit, Verschlechterungen zu verhindern – aber auch, um die Gesellschaft grundsätzlich hin zu sozialistischer Demokratie zu verändern.

Während es auch innerhalb dieser Klassen verschiedene Schichten gibt, so existieren zwischen den beiden großen Hauptklassen eine soziale Mittelklasse mit wiederum Mittelschichten, deren Angehörige zwar Eigentümer*innen von Produktionsmitteln sind, aber selbst so wenig Kapital anhäufen, dass sie nicht (allein) von fremder Arbeit leben können und noch selbst arbeiten müssen. Diese in der marxistischen Terminologie „Kleinbürgertum“ genannte Mittelklasse schwankt zwischen den beiden Hauptklassen. Sie wird einerseits durch die Konkurrenzvorteile und Konzentrationsprozesse vom Großkapital erdrückt. Andererseits vertritt auch sie Profitinteressen gegenüber der Arbeiter*innenklasse und fürchtet sie den Verlust ihrer gesellschaftlichen Stellung als (Klein-)Unternehmer*in und den Abstieg in die lohnabhängige Bevölkerung.

Es ist hier nicht möglich, eine genaue Zahl für die Größe des Kleinbürgertums in Deutschland abzugeben. Um sich dem zu nähern und eine Vorstellung von den Relationen zu geben, hilft es aber zu wissen, dass von den circa 3,5 Millionen Unternehmen in Deutschland 3,1 Millionen nur jeweils bis zu neun Arbeiter*innen beschäftigten. Diese 89,1 Prozent aller Betriebe beschäftigen aber wiederum nur einen sehr kleinen Teil aller Beschäftigten (13,6 Prozent). Fast die Hälfte (45,6 Prozent) aller Beschäftigen arbeitet hingegen in gerade mal 0,44 Prozent aller Unternehmen (denen, mit jeweils über 250 Beschäftigten). Dadurch wird deutlich, dass – im Hinblick auf die Überwindung des Kapitalismus hin zum Aufbau einer sozialistischen Demokratie – die Verstaatlichung der großen, für die Gesellschaft entscheidenden Betriebe unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der Arbeiter*innenklasse von überragender Bedeutung ist. Nur auf dieser Grundlage kann eine Wirtschaft demokratisch und gemäß der Bedürfnisse der Gesellschaft geplant werden. Diesem Ziel, die großen Konzerne, die Reichen und ihren Staatsapparat zu bezwingen, muss unsere Klasse strategisch alles andere unterordnen. Dabei ist es wichtig, jene Klasse, die einer Mittelposition einnimmt, ebenfalls anzusprechen, um sie oder zumindest Teile für die Seite der Arbeiter*innenklasse zu gewinnen. Denn es geht hier um eine soziale Stütze des Kapitalismus und einen großen Teil der Bevölkerung.

Das ist wahrlich keine abstrakte Frage. In den letzten Jahren hat es die AfD vermocht, gerade auch kleinbürgerliche Schichten mit ihren reaktionären Ideen anzusprechen und an sich zu binden, die schon vor der Krise von (realen oder imaginären) Abstiegsängsten geplagt waren. Die Gefahr besteht, dass bei der sich entwickelnden tiefen Krise viele kleine Betriebe pleite gehen, noch mehr Kleineigentümer*innen nach rechts gehen, sich weiter radikalisieren und zu Gegner*innen der Linken entwickeln. Dies erschwert den Kampf für eine sozialistische Veränderung. Neben den unmittelbaren wirtschaftlichen Fragen muss auch dies berücksichtigt werden.

Wem helfen? Wie helfen?

Wenn auch die staatlichen Hilfen für Großkonzerne ungleich größer ausfallen, hat die Bundesregierung mit diversen Programmen den kleineren Firmen unter die Arme gegriffen. Zum einen können damit laufende Kosten für einen begrenzten Zeitraum beglichen werden. Zudem profitieren natürlich auch die kleineren Firmen von der erweiterten Kurzarbeiterregelung, samt der Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge. Über die staatseigene KfW-Bank werden zudem abgesicherte Kredite angeboten, wobei die KfW für Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeiter*innen nur 90 Prozent des Risikos übernimmt.

Die Bundesrepublik ist ein sehr reiches Land und daher gibt es auch die Grundlage allen zu helfen, die unter den Folgen der Krise leiden. Niemand müsste wegen dieser Krise in existentielle Nöte geraten. Eine erste Maßnahme, um dies sicherzustellen, wäre die Rücknahme der Agenda 2010 und der Hartz-Gesetze und ihre Ersetzung durch eine soziale Mindestsicherung von 750 Euro plus Warmmiete und 600 Euro pro Kind ohne Bedürftigkeitsprüfung und Schikanen – finanziert durch die Gewinne und Vermögen der Kapitalisten.

Generell sollten Betriebe, die um weitreichende staatliche Hilfen bitten, ihre Geschäftsbücher öffnen. Gewählte Komitees, die aus Vertreter*innen der Gewerkschaften, Belegschaften und der Kommunen bzw. Länder (über die die Hilfe für die kleineren Firmen läuft) bestehen, sollten darüber entscheiden, welche Hilfen gewährt werden und wie weitreichend diese sein sollten. Unter dieser demokratischen Kontrolle sollen staatliche Kredite zu günstigen Konditionen an Kleinunternehmen gewährt werden. Um dies tatsächlich umfassend und im Interesse der gesamten Gesellschaft zu bewerkstelligen, müssen die privaten Banken verstaatlicht und zu einer demokratisch kontrollierten und verwalteten Staatsbank zusammengefasst werden. Allerdings sollten Kredite und Hilfen nur zu bestimmten Bedingungen fließen: Dies beinhaltet nicht nur die Öffnung der Geschäftsbücher sondern auch die Offenlegung des Privatvermögens der Unternehmer*innen, welches zur Rettung des Betriebes herangezogen werden muss. Es darf keinen Stellenabbau geben, Löhne und Arbeitsbedingungen müssen gemäß üblicher Tarifverträge gesichert sein. Es darf keine Einschränkungen gewerkschaftlicher oder betrieblicher Organisierung geben. Die Beschäftigten dürfen keine finanzielle Verluste erleiden. Entweder wird das Gehalt von den Unternehmern zu hundert Prozent weiter gezahlt. Falls dies angesichts der finanziellen Situation tatsächlich nicht mehr möglich ist, muss der Staat per Kredit oder Zuschuss den Ausgleich leisten.

Sollte auch unter diesen Voraussetzungen für den Kleinbetrieb keine Aussicht auf wirtschaftliche Erholung bestehen, muss der Staat eine Arbeitsplatzgarantie für alle Beschäftigten aussprechen und diese über ein massives Investitionsprogramm zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen im Öffentlichen Dienst realisieren.

Gewerkschaften und DIE LINKE

Es muss das Ziel sein, in den nächsten Monaten um jeden Arbeitsplatz zu kämpfen. Natürlich werden dabei die großen Betriebe eine zentrale Rolle spielen, da zum Teil in einem Konzern mehrere zehntausend Beschäftigte arbeiten. Diese Kämpfe werden aber auch für das Kleinbürgertum von überragender Bedeutung sein. Gehen große Fabriken unter, werden unzählige kleinere Betriebe auch pleite gehen, weil sie entweder Zulieferer oder weil sie vom Konsum der Kolleginnen und Kollegen abhängig sind.

Die Gewerkschaften sollten sich aber auch um die kleinen Betriebe kümmern. Hier gilt es nicht nur für deren Rettung mittels Staatshilfen einzutreten, sondern darauf hinzuarbeiten, dass die gewerkschaftliche Organisation auch in diesem Bereich der Wirtschaft aufgebaut wird, um die Interessen der Arbeiter*innenklasse bestmöglich vertreten zu können. Das Ziel sollte sein, Betriebsräte ins Leben zu rufen und gewerkschaftliche Strukturen aufzubauen um somit gestärkt aus der Krise hervor zugehen. DIE LINKE sollte sich auf politischer Ebene dafür stark machen, die notwendigen Hilfen für Kleinbetriebe mit der Frage der Verstaatlichung der großen Konzerne und einer demokratisch- sozialistischen Perspektive zu verbinden. Die „Coronakrise“ ist mehr als ein Fingerzeig, wie wichtig dieses Ziel ist. Es gilt keine Zeit zu verlieren.

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