Warum Linke diesen Begriff benutzen und auf welche Irrwege er führt
Umweltzerstörung ist so alt wie der Kapitalismus selbst und eng mit der kapitalistischen Produktion verbunden. Eine revolutionäre Überwindung des Kapitalismus ist drängender denn je, doch wie eine Alternative aussehen kann, wird unter Linken heftig debattiert. Auf der Suche nach Alternativen ist wieder vermehrt von „Ökosozialismus“ die Rede. Aber was steckt eigentlich hinter diesem Begriff?
von Michael Koschitzki
Die Brände im Amazonas im Sommer 2019 führten wieder eindrucksvoll vor Augen, warum Kapitalismus zur massiven Vernichtung der Lebensgrundlagen dieses Planeten führt. Toleriert von der rechten Bolsonaro-Regierung, die tief in den Taschen der Konzerne steckt, sorgten Zellulose-Hersteller und Agrarkonzerne dafür, dass die Rodungen im Amazonas weitergehen. Jahr für Jahr lassen sich damit ein paar Extraprofite machen. Während der Coronakrise wurde eine Kabinettssitzung aufgezeichnet, in der Mitglieder sogar fordern, jetzt weitere Umweltauflagen zu lockern, so lange die Welt andere Sorgen hat. Währenddessen bescheinigt jeder Klimagipfel, dass die Klimaschutzziele nicht eingehalten werden. Denn im kapitalistischen Wettbewerb und der Konkurrenz der Nationalstaaten stehen CO2-Reduzierungen ihren Profiten im Weg. Die Sol meint: wer die Zerstörung des Klimas und des Planeten aufhalten will, muss den Kapitalismus überwinden.
Unökologischer Stalinismus
Doch wie kann eine Alternative dazu aussehen? Sozialistische Ideen hatten es in der Umweltbewegung nicht leicht, denn mit Sozialismus wurde oft die stalinistische Diktatur in der DDR oder der Sowjetunion assoziiert. Dort gab es zwar auf Grundlage der Planwirtschaft zahlreiche Errungenschaften, wie ein gut ausgebautes Gesundheitssystem, aber es gab neben anderen Problemen auch eine massive Umweltzerstörung. Wer zu DDR-Zeiten mit dem Zug durch Bitterfeld gefahren ist, musste aufgrund der massiven Luftverpestung die Fenster schließen. In der Planwirtschaft fehlte es an Demokratie und die herrschende Bürokratie hat die Zerstörung der Umwelt in Kauf genommen, um die Schwerindustrie möglichst rasch aufzubauen und im Wettlauf mit dem kapitalistischen Westen aufzuholen.
Doch das hatte mit Sozialismus nur dem Namen nach etwas zu tun. In einer sozialistischen Demokratie würde die Bevölkerung auf allen Ebenen das Sagen haben, gäbe es keine Privilegien für Menschen in Leitungspositionen und wären alle Funktionär*innen wähl- und abwählbar. Dort würde die Bevölkerung entscheiden, was, wo, wie und für wen produziert wird und wie mit den natürlichen Ressourcen umgegangen würde. Stattdessen gab es in allen diesen Ländern eine Bürokratie, die ihre eigenen Privilegien und Interessen hatte, die sie unter Einsatz von Unterdrückung verteidigte und nach der sie die Wirtschaft ausrichtete.
Was ist Ökosozialismus?
Auch aus Abgrenzung zu den stalinistischen Ländern entwickelten sich in den 1970er und 1980er Jahren eine Strömung rund um den Begriff „Ökosozialismus“. Sie bildete die Hauptströmung innerhalb der entstehenden Partei „Die Grünen“ und wurde unter anderem von den damaligen Sprechern Thomas Ebermann und Rainer Trampert in dem Buch „Die Zukunft der Grünen. Ein realistisches Konzept für eine radikale Partei“ formuliert. Beide verließen 1990 die Partei und als der Realoflügel um Joschka Fischer sich weiter durchsetzte, folgten die meisten Ökosozialist*innen ihrem Beispiel.
Im Zuge der Bewegung gegen die Klimazerstörung wird das Konzept wieder verstärkt aufgegriffen. DIE LINKE NRW organisierte im Februar 2020 eine ökosozialistische Konferenz. Schon länger bezieht sich die Internationale Sozialistische Organisation (ISO – deutsche Sektion des „mandelistischen“ Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale) auf das Konzept, erst kürzlich forderte ihr Mitglied Thies Gleiss beispielsweise in der Strategiedebatte der LINKEN „Öko-Sozialismus als Programm“. In Österreich gibt es die Initiative „Aufbruch für eine ökosozialistische Alternative“. Ihr Mitglied Christian Zeller veröffentlichte jüngst das Buch „Revolution für das Klima. Warum wir eine ökosozialistische Alternative brauchen.“
Grundthese der Ökosozialist*innen ist, dass moderne Marxist*innen zu technologiegläubig seien und Umweltzerstörung in Kauf nehmen würden. Dabei laufen sie Gefahr, die Umweltverbrechen des Stalinismus in einem Topf mit den Vorstellungen von russischen Revolutionären wie Lenin und Trotzki zu werfen. Sie versuchen in Rückgriff auf einzelne Zitate von Marx und Engels eine neue Vorstellung von Sozialismus zu entwickeln, in der es weniger Produktivität und Einsatz von Ressourcen gibt.
Ein Kern ihrer Analyse ist, dass große Teile der Arbeiter*innenbewegung Umweltzerstörung in Kauf nehmen, da sie wachsenden Wohlstand und Wachstum der Wirtschaft propagieren würden. Deshalb müsse auf neue Bewegungen orientiert werden, um den Kapitalismus zu überwinden.
Im folgenden sollen Ihre Ideen detaillierter beleuchtet werden und erklärt werden, wie eine sozialistische Demokratie mit Ressourcenknappheit und Wachstum umgehen könnte.
Rolle der Gewerkschaften
Die Ökosozialisten der 1980er Jahre Ebermann und Trampert begründeten ihre Ideen in offener Ablehnung der organisierten Gewerkschaftsbewegung, ohne eine Unterscheidung zwischen der Politik der Gewerkschaftsführungen und den Interessen der Beschäftigten zu machen. In ihr sahen sie erstmal einen Gegner: „Am 10. November 1977 mobilisierten dann alle großen Industriegewerkschaften gemeinsam 40.000 Arbeiter in das Dortmunder Westfalenstadion, um gemeinsam mit den Industriellen gegen die Atomkraftgegner zu demonstrieren.“ und führen dann aus: „Die in den Industriegewerkschaften als organisierte gesellschaftliche Kraft existierende Arbeiterbewegung ist keine systemsprengende Kraft – weder nach ihren programmatischen Absichten, noch aufgrund der inneren Logik ihres Handelns.“
Soweit gehen die heutigen Ökosozialist*innen nicht, aber sehen sich in den Gewerkschaften auf verlorenem Posten. Daniel Tanuro schreibt dazu in der Sozialistischen Zeitung (SoZ): „Vor allem derzeit, wo die Arbeiterklasse geschwächt, ideologisch desorientiert und in der Defensive ist, stimmen ihre unmittelbaren Forderungen zur Verteidigung ihrer Lebensbedingungen nicht mit dem überein, was getan werden muss, um das Klima zu retten; sie decken sich eher mit Maßnahmen, die das Klima aus dem Gleichgewicht bringen.“
Christian Zeller wiederum sieht in den Gewerkschaften eine zentrale Kraft, um die Eigentumsfrage zu stellen, Arbeiter*innenkontrolle in Betrieben zu organisieren und die Gesellschaft zu verändern. Jedoch sieht auch er Ansätze zu eigenständiger Organisierung von Lohnabhängigen in den Gewerkschaften erstickt und eine neoliberale Hegemonie, die sich ins Bewusstsein eingegraben habe. Außerdem seien ökologische Herausforderungen systematisch negiert worden. Deshalb müssten Veränderungen vor allem von neuen Bewegungen in die Gewerkschaften hereingetragen werden, das gilt für die Klimabewegung, Frauenbewegung bis hin dazu, dass er meint „ökosozialistische Strömungen sollten auch mit der Tierbefreiungsbewegung in einen Dialog treten und über gemeinsame Perspektiven nachdenken.“
Produktivitätsentwicklung
Marxistinnen und Marxisten sehen das Grundübel des Kapitalismus im Privateigentum an Produktionsmitteln und der auf Profitmaximierung ausgerichteten Produktionsweise und darin, dass die gesamte Gesellschaft produziert, aber einzelne Kapitalisten sich diesen Reichtum aneignen und in Konkurrenz zueinander wirtschaften, was zu Krisen sowie zur enormen Verarmung auf der einen und Überfluss auf der anderen Seite führt. Ökosozialist*innen sehen das Grundübel in moderner Produktion und Produktivität überhaupt. Die moderne effiziente Massenproduktion und Verfügbarkeit von lebenswichtigen Gütern sehen sie als Widerspruch zur sinnlichen genüsslichen Erfahrung des gemeinsamen Arbeitens und des weniger Verbrauchens. Trampert und Ebermann schreiben dazu: „Die Art der Arbeit mit ihrem Zwang zur Beschleunigung und Intensivierung der Arbeit hat damit letztlich nicht nur einen Weg der gesellschaftlich normalen Bedürfnisbefriedigung gewiesen, sie hat zugleich auch den Zugang zum wirklich sinnlichen Genuß, zu seinem Auskosten und seiner Kultivierung verbannt.“
Während die traditionelle marxistische Auffassung davon ausgeht, dass man durch höhere Produktivität ermöglichen kann, möglichst wenig zu arbeiten, um die gesellschaftlich nötigen Güter herzustellen und allen ein gutes Lebensniveau zu ermöglichen, gehen die Auffassungen der Ökosozialist*innen in eine andere Richtung. Daniel Tanuro schreibt: „ In diesem Zusammenhang schenken Ökosozialisten den Vorstellungen indigener Völker zur Entstehung und Entwicklung der Welt und dem Können bäuerlicher Produktionsgemeinschaften große Beachtung. Darin sehen sie Quellen der Inspiration für einen Fortschritt, der diesen Namen verdient, der den kapitalistischen Produktivismus in Frage stellt und auf dem Verständnis beruht, dass wirklicher Reichtum aus freier Zeit erwächst, aus zwischenmenschlichen Beziehungen und aus einem harmonischen Verhältnis zur Umwelt – und nicht aus einer fieberhaften Anhäufung von Konsumgütern, die oft nur dazu dienen, die Ärmlichkeit der eigenen Existenz zu kompensieren.“
Arbeitsplatzgarantien oder Ersatzarbeitsplätze?
Wer für die Abschaltung der Atomkraftwerke und Beendigung des Braunkohleabbaus eintritt, muss die Frage beantworten, was mit den Beschäftigten passiert, die dort arbeiten. Die Sol tritt dafür ein, dass niemand seinen Arbeitsplatz verliert und zu gleichen Bedingungen eine Beschäftigung erhält, ggf. für nötige Umschulungen auf Kosten des Unternehmens und wohnortnahe Ersatzarbeitsplätze. Diese Auffassung teilen auch Ökosozialist*innen wie Christian Zeller.
Andere Ökosozialist*innen propagieren jedoch gerade einen anderen Ansatz, der sich schon in den 1980ern fand: „Wer die Produzenten aller jener Produkte, die das Leben zerstören, für eine Produktion gewinnen will, die die Menschen ebenso wie die Natur, der sie angehören, schonend behandelt […] der muß in seine Utopie eine akzeptable Grundversorgung aufnehmen und hier und heute schon aktiv dafür eintreten.“ Das bedeutet, dass sie nicht für Arbeitsplatzgarantien zu gleichen Bedingungen eintreten, sondern für eine Grundversorgung wie Arbeitslosengeld, bedingungsloses Grundeinkommen oder ähnliches.
Tatsächlich sind das auch Forderungen, wie sie beispielsweise im Wahlprogramm der LINKEN Sachsen mit Unterstützung von Parteivorsitzender Katja Kipping für die Lausitz formuliert wurden. Dazu existiert auch eine Initiative namens „BGE statt Braunkohle“. Jedoch zeigt sich bisher, dass diese verordnete Arbeitslosigkeit von den jetzigen Beschäftigten nicht als wünschenswerte Perspektive und existenzsicherndes Angebot wahrgenommen wird und kaum Unterstützung finden würde. Leider verliert DIE LINKE in der Lausitz zusehends an Rückhalt.
Ist Wachstum gleich Umweltzerstörung?
Eine sozialistische Gesellschaft muss vom ersten Tag an, den Kampf gegen die Umweltzerstörung als hohe Priorität verstehen und mit den natürlichen Ressourcen des Planeten anders umgehen. Die Mehrheit der Bevölkerung würde ohne Zweifel entscheiden, umweltverträglicher zu wirtschaften, wenn sie dazu die Gelegenheit hätte und das die Lebensbedingungen nicht qualitativ verschlechtern würde. In einer sozialistischen Demokratie würden dann Rüstung, Werbung, Sollbruchstellen und sinnlose Produkte der Vergangenheit angehören. Statt ein Produkt über den Planeten zu jagen, um Löhne zu drücken, könnten Transportwege reduziert werden. Die Umstellung auf regenerative Energien würde rasant und in demokratischer Rückkoppelung mit Betroffenen erfolgen. Der Verkehr könnte ökologisch sinnvoll organisiert werden und die Landwirtschaft so umgestellt, dass Nahrungsmittel weniger gesundheitsschädlich sind. Darüber würde auf allen Ebenen demokratisch diskutiert und entschieden werden. In vielen bisherigen Erfahrungen von Betriebsbesetzungen waren es gerade die Beschäftigten in den Fabriken, die Vorschläge für Konversion machten und die besten Ideen zur Umstellung und Verbesserung der Produktion hatten.
Darin besteht auch kein Widerspruch zwischen Marxist*innen wie der Sol und denjenigen, die sich als Ökosozialist*innen bezeichnen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, eine sozialistische Demokratie würde nicht radikal ökologisch handeln. Sicherlich könnte es harte Debatten darum geben, wie viel Fleisch beispielsweise noch hergestellt werden sollte, aber nur wenn die Bevölkerung die Lebensmittelindustrie besitzt und demokratisch planen kann, haben Menschen die reale Möglichkeit diese Diskussion zu führen und Entscheidungen zu treffen.
Ein Unterschied zu den Ökosozialist*innen besteht jedoch darin, dass sie den so genannten Wachstumskritiker*innen nachgeben und meinen, es müsse einen Rückgang von Produktivität geben und dass „Wachstum“ an sich das Problem wäre.
Wachstum ist kein Selbstzweck und in einer sozialistischen Gesellschaft würde, wie gesagt, schnell gesellschaftlich unsinnige Produktion eingestellt und massiv in die Förderung regenerativer Energieform investiert. Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass für einen großen Teil der Menschheit die Grundbedürfnisse nach würdevollem Wohnraum, Bildung, Gesundheitsversorgung, angemessener lokaler Infrastruktur und Zugang zu Kultureinrichtungen (zum Beispiel Schwimmbäder, Bibliotheken, Kinderspielplätze, städtische Parks etc.)und ausreichend gesunder Nahrung nicht erfüllt sind. Diese Defizite zu beheben, macht in diesen Bereichen ein Mehr an Produktion nötig.
Wenn die Schranken der kapitalistischen Konkurrenz eingerissen sind, es keine Patente mehr gibt und der gesellschaftliche Reichtum im Interesse aller eingesetzt werden kann, würde das zu einer wirtschaftlichen Entwicklung führen. Nicht zuletzt der ökologische Umbau des Verkehrswesens, von Landwirtschaft und Energieversorgung bedarf eines enormen Einsatzes menschlicher Arbeitskraft. Wie die Gesamtbilanz von sinnvollem Runterfahren von Produktion und nötiger Ausweitung in anderen Bereichen aussehen wird, ist schwer im vorhinein zu beziffern. Es ist aber denkbar, dass die beschriebenen nötigen Maßnahmen für eine Zeit zu einer Ausweitung und später zu einem Schrumpfen der Wirtschaftsleistung führen – ohne, dass irgendjemand Einbußen der Lebensqualität hat und natürlich auf Basis eines ökologisch vertretbaren Produktionsplans.
Man würde sich darum bemühen, jedem Menschen ein (CO2-neutrales) Dach über dem Kopf und ausreichend Einkommen zu verschaffen. Bildung, Gesundheit und Soziales würden ausgebaut werden. Das alles müsste sinnvoll und ressourcenschonend geplant nicht zu einer Steigerung von CO2-Emissionen und Verwendung fossiler Energie führen – im Gegenteil, sie könnten enorm eingespart werden. Es würde aber ein enormes Maß an wirtschaftlichem Wachstum und Anstieg der Produktivität bedeuten. Es gäbe keine „Entschleunigung“ sondern die größte gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung, die man sich vorstellen kann.
Moderner Marxismus
Eine sozialistische Gesellschaft wäre der kapitalistischen Wirtschaft weit überlegen. Sie würde nach dem Prinzip „so zentral wie nötig, so dezentral wie möglich“ wirtschaften. Das heißt nicht, dass es mehr Arbeitshetze gibt. Stattdessen könnten sinnlose von oben verordnete Arbeitsabläufe neu diskutiert und geplant werden. Dort wo die Arbeitshetze zu groß ist, würde zusätzliches Personal eingesetzt, andere überflüssige Arbeiten eingeschränkt. Unterm Strich wäre es möglich die Arbeitszeit radikal auf einen Bruchteil der heutigen Arbeitszeit zu reduzieren und die Produktivität zu steigern.
Deshalb ist diese Vision einer sozialistischen Demokratie, wie sie von Marx und Engels wissenschaftlich begründet, von zahlreichen Sozialist*innen weiterentwickelt und von Trotzki und anderen gegen den Stalinismus verteidigt wurde, der einzig gangbare Weg den verfaulten Kapitalismus abzuschaffen und der Masse der Bevölkerung eine Perspektive aufzuzeigen.
Manche ökozialistische Ideen erwecken den Eindruck, dass sie aus Prinzip ein Zurück zur Kleinproduktion favorisieren. Dazu haben Marx und Engels schon geantwortet, als sie gegen eine schon damals auftretende Strömung, die den Kapitalismus als Angriff auf die halbfeudalen Strukturen wahrgenommen hatten und damit Handwerkern und Gewerbetreibenden die Lebensgrundlage entzieht, argumentierten. Manche Ökosozialist*innen weisen in ihrem Wunsch die Produktivität zu senken, effiziente Produktion zurückzufahren und weniger zu produzieren, erstaunliche Gemeinsamkeiten mit dieser Beschreibung des kleinbürgerlichen Sozialismus bei Marx und Engels auf. Sie schrieben im Kommunistischen Manifest: „Dieser Sozialismus zergliederte höchst scharfsinnig die Widersprüche in den modernen Produktionsverhältnissen. Er enthüllte die gleisnerischen Beschönigungen der Ökonomen. Er wies unwiderleglich die zerstörenden Wirkungen der Maschinerie und der Teilung der Arbeit nach […] Seinem posititiven Gehalte nach will jedoch dieser Sozialismus entweder die alten Produktions- und Verkehrsmittel wiederherstellen und mit ihnen die alten Eigentumsverhältnisse und die alte Gesellschaft, oder er will die modernen Produktions- und Verkehrsmittel in den Rahmen der alten Eigentumsverhältnisse, die von ihnen gesprengt wurden, gesprengt werden mussten, gewaltsam wieder einsperren. In beiden Fällen ist er reaktionär und utopisch zugleich. […] In ihrer weiteren Entwicklung hat sich diese Richtung in einen feigen Katzenjammer verlaufen.“ Jetzt scheint dieser Katzenjammer im neuen Gewandt zurückzukehren.
Gäbe es keine Einschränkungen?
Um die Zerstörung des Planeten aufzuhalten ist eine drastische Reduzierung der CO2-Emmissionen nötig. Energieverbrauch muss völlig neu organisiert werden. Eine sozialistische Demokratie müsste hart diskutieren und entscheiden, wie zum Beispiel mit Flugverkehr und Kreuzfahrten umzugehen sein wird oder wie der Individualverkehr eingeschränkt werden kann. Im Zuge der Möglichkeit, Leben und Wirtschaften selbstbestimmt zu gestalten wird auch eine enorme Bewusstseinsentwicklung einsetzen und Werte und Bedürfnisse werden sich verändern. Plastikschund-Spielzeug, das heute in Massen billig auf den Markt geschmissen wird und oftmals eine Halbwertzeit von wenigen Monaten hat, wird dann genauso wenig gebraucht, wie der Konsum bestimmter Südfrüchte nicht mehr zur Lebenserfüllung zählen wird, wenn diese nicht umweltschonend produziert und transportiert werden können. Die Vorstellung jedoch, dass ein tiefer Einschnitt im Lebensstandard der Mehrheit Bevölkerung in der westlichen Welt notwendig wäre, unterschätzt die Möglichkeiten einer demokratisch geplanten Wirtschaft.
Allein eine gerechte Verteilung und sinnvoller Einsatz des bestehenden Reichtums könnte zu einem Ende von Armut führen. In Andalusien stehen eine halbe Millionen Wohnungen leer, viele in guter Mittelmeerlage. Während die Lebensmittelproduktion wächst, nimmt die Lebensmittelunsicherheit zu. Aber nicht nur das. Eine drastische Umstellung der Produktion, Einsparung von Rüstung, Werbung auf der einen Seite und Investitionen ausschließlich in klimafreundliche Produktion wie nachhaltiger Energie, Passivhäuser, Bahnverkehr usw. könnte zu radikaler Reduzierung von Umweltverschmutzung führen und Wohnqualität, Ernährung, Mobilität, sprich Wohlstand für den größten Teil der Weltbevölkerung erhöhen. Auch deshalb werden sozialistische Ideen an Popularität gewinnen.
Haben wir keine Zeit mehr?
Die Uhr tickt. Während es im Amazonas brennt, schmelzen in der Arktis die Gletscher. Jeden Tag an dem der Kapitalismus weiter existiert, ruiniert er die Ressourcen unseres Planeten. Daraus haben einige Aktivist*innen abgeleitet, dass wir nicht auf die Abschaffung des Kapitalismus „warten“ können, sondern hier und jetzt handeln müssen. Doch alle Strömungen von ökologischer Reformpolitik, die den Kapitalismus grün machen wollen, oder individueller Konsumkritik, die auf die schrittweise Veränderung des persönlichen Lebens setzen, scheitern derzeit an der profitgetriebenen Rücksichtslosigkeit der Herrschenden oder den Grenzen des grünen Konsums. Nur die Abschaffung des Kapitalismus und die Ersetzung durch eine sozialistische Demokratie durch die organisierte Arbeiter*innenklasse ermöglichen die Schritte zur Rettung des Planeten.
Die Ökosozialist*innen kritisieren ebenfalls die Politik von kleinen Schritten, doch häufig ist bei ihnen der Zusammenhang von Reform und Revolution unklar, ist von Transformationsprozessen die Rede oder wird schwammig formuliert, welche gesellschaftliche Kraft eine Revolution durchführen kann.
Der Kampf für eine sozialistische Gesellschaft ist dringender denn je. Während die Proteste im Hambacher Forst oder Fridays for Future eine wichtige Inspiration und Anstoß für gesellschaftlichen Widerstand sind, sehen wir bereits den Anfang davon, wie sie von anderen Kämpfen in den Schatten gestellt werden. Die Massenbewegungen in vielen Ländern Ende 2019 und die Revolte in den USA gegen Polizeigewalt und strukturellen Rassismus stellen eine ganz andere Konfrontation mit den Herrschenden und dem kapitalistischen Staat dar, als es die Fridays For Future waren. Die soziale Frage wird sich angesichts der Krise weiter in den Vordergrund schieben und große Klassenkämpfe auslösen, aus denen das Potenzial für eine sozialistische Veränderung erwachsen wird. Die Frage nach einer Alternative zum kapitalistischen System wird sich stärker stellen und die Unterstützung für sozialistische Ideen wachsen.
Dabei sollten wir keine Unklarheiten haben, was Sozialismus ist, wie er Wohlstand für alle generieren, Spaltungen überwinden und die Umweltzerstörung beenden kann. Und darüber, dass es die organisierte Arbeiter*innenklasse ist, die mit Herausbildung einer organisierten marxistischen Kraft gesellschaftlich in der Lage ist, den Kapitalismus zu überwinden und durch eine sozialistische Demokratie zu ersetzen.
Eine Verbindung von Umweltbewegungen mit diesen vor uns liegenden Kämpfen ist sinnvoll und notwendig, aber auch nur möglich, wenn die Umweltaktivist*innen einen Klassenstandpunkt einnehmen und keine Verschlechterung der Lebensverhältnisse für die Massen predigen.
Michael Koschitzki ist Lehrer und Sprecher der Ortsgruppe der Sozialistischen Organisation Solidarität (Sol) in Berlin.
Quellen:
Christian Zeller, Revolution für das Klima – Warum wir eine ökosozialistische Alternative brauchen, München 2020
Thomas Ebermann / Rainer Trampelt, Die Zukunft der Grünen – Ein realistisches Konzept für eine radikale Partei, Hamburg 1984
Daniel Tanuro, Was ist Ökosozialismus?, URL: https://www.sozonline.de/2015/07/was-ist-oekosozialismus/