Kein Buchtipp: „Trotzkismus 2.0“

Manuel Kellner rechnet ab – fragt sich nur mit wem?

Wenn die Veröffentlichung eines angekündigten Buches sich über Jahre verzögert, steigt die Spannung und man ist geneigt, zu glauben, je länger es braucht, desto tiefergehender die Auseinandersetzung mit dem Thema. Nicht so im Fall von Manuel Kellners „Trotzkismus 2.0“, das nun mit mehrjähriger Verzögerung im Schmetterling Verlag erschienen ist.

Von Sascha Staničić

Mit dem ersten Trotzkismus-Büchlein Kellners haben wir uns ausführlich auseinandergesetzt und unsere Differenzen, insbesondere hinsichtlich der Entwicklung der trotzkistischen Bewegung, dargelegt. Der Klappentext verspricht nun, dass sich der 2.0-Band mit den Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit auseinandersetzen würde, denn da habe sich „einiges getan“. Nicht zuletzt geht es auch um die Spaltung, die sich 2019 in unserer internationalen Organisation, dem Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale (englische Abkürzung: CWI) ereignete, aber auch um den Zerfall der US-amerikanischen International Socialist Organisation (ISO) und der Entstehung der gleichnamigen, aber einer anderen internationalen Verbindung angehörenden, ISO in der Bundesrepublik. Auch das Marx21-Netzwerk findet Erwähnung, aber im Wesentichen durch den Abdruck dessen Selbstdarstellungstextes. Faktisch falsch ist Kellners Behauptung, Marx21habe sich aus der International Socialist Tendency (IST) gelöst, denn zumindest formell war Marx21 niemals Teil der IST.

CWI-Spaltung

Die Beschäftigung mit der Spaltung des CWI ist enttäuschend. Nicht, weil wir anderer Meinung sind, als der Autor (was wir sind!). Sondern, weil er drei Jahre nach der Spaltung nicht mehr anzubieten hat, als einen kurzen, völlig oberflächlichen und von Unkenntnis geprägten Text, den er VOR der Spaltung verfasste und die Erklärungen der beiden Fraktionen der damaligen SAV dokumentiert, die ebenfalls noch vor dem Spaltungskongress im September 2019 geschrieben worden waren. Das Minimum, was man von einem Buch erwarten kann, das unter anderem damit beworben wird, zu dieser Entwicklung im CWI und der Spaltung der SAV in Deutschland etwas zu sagen, wäre die Gründe für die Spaltung zu untersuchen und nach drei Jahren eine gewisse Bilanz zu ziehen.

Bei einer solchen Bilanz hätte Kellner feststellen müssen, dass das, was er in seinem Einleitungstext als „bemerkenswert“ hervorhebt, nicht mehr gilt – dass die SAV bzw. ihre neue internationale Organisation ISA die Spaltung als ungerechtfertigt und falsch bezeichnet. Wobei wir zugeben müssen, dass wir nicht wissen, ob die SAV in Deutschland dies noch tut oder nicht. Wir wissen aber, dass die ISA mittlerweile Texte verfasst hat, in denen die Spaltung als Notwendigkeit bezeichnet wird. Ob dies eine verspätete Erkenntnis ist oder ausdrückt, dass damals der massiv propagierte Anspruch, die Einheit zu bewahren nur ein taktischer Zug war, wollen wir hier nicht erörtern.

Es wäre interessant, nach drei Jahren eine ausführlichere Bilanz der Entwicklung der aus der CWI-Spaltung hervorgegangenen Organisationen zu ziehen. Kellner erwähnt nicht einmal, dass die ISA erhebliche Verluste zu beklagen hat und ihre Organisationen und Gruppen in Griechenland, Zypern, Türkei, Taiwan, Australien, Spanien ganz oder mehrheitlich und die Mehrheit großer Ortsgruppen in Schweden (Göteborg) und den USA(Cincinatti) sowie ein erheblicher Teil der Mitgliedschaft in Brasilien (das schon vor der internationalen Spaltung) die ISA verlassen haben. Noch interessanter als eine organisatorische Bilanz wäre eine solche der inhaltlichen Positionen, Aktivitäten und Orientierungen. Wir sehen in der Entwicklung von SAV und ISA in den letzten drei Jahren unsere in der damaligen Debatte vorgebrachte Kritik und unsere Einschätzungen grundlegend bestätigt. Dies ausführlich darzulegen ist nicht die Aufgabe dieser kurzen Buchbesprechung, aber wir werden das zu gegebener Zeit nachholen.

Trotzdem einige wenige Bemerkungen zu Kellners Text über den CWI-Fraktionskampf, den er im Juli 2019 in der SoZ veröffentlichte und in seinem Buch unverändert abdruckt. Darin beschwert er sich, dass die Dokumente der CWI-Fraktionen nicht öffentlich zugänglich waren. Man kann sich darüber streiten, ob interne Auseinandersetzungen intern oder öffentlich ausgetragen werden sollten. Aber seit fast drei Jahren hätte Manuel Kellner die Gelegenheit gehabt die Dokumente im Internet und in einer englischsprachigen Buchveröffentlichung nachzulesen. Aber er hat es 2019 fertig gebracht, einen Text zu einem Thema zu veröffentlichen und gleichzeitig zuzugeben, dass er nicht über ausreichend Quellen für einen Artikel verfügt und bringt es heute fertig, diesen Text auch noch in seinem Buch wieder abzudrucken. Dass Kellner keine Ahnung vom CWI hatte und hat kommt in solchen Sätzen Sätzen zum Ausdruck: „Die Mitglieder sind aufopfernd aktiv. Sie kennen kein ‘vielleicht’ und kein ‘weiß nicht genau’. Formal ist intern alles demokratisch geregelt. Aber die Führung bleibt immer im Sattel und duldet faktisch keinen ernsthaften Widerspruch. Wenn Kontrollverlust droht, wird gespalten.“ So etwas ohne Belege zu behaupten ist das Gegenteil marxistischer Methode.

Dass Kellner dann das CWI-Führungsmitglied Peter Taaffe als jemand bezeichnet, der „den Eindruck eines wirklichen Menschen vermittelt“ (Kellner kann das einschätzen, er kennt ihn schließlich persönlich … weil er ihn einmal gesprochen hat!) ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Wenn Peter Taaffe nur diesen Eindruck vermittelt, was ist er denn dann, wenn kein „wirklicher Mensch“? Mich kennt Manuel Kellner besser. Wir hatten schon viele Gespräche und auch die eine oder andere Kooperation. Dass er von mir, einem von Taaffes „Unterführern“, nur „gestanzte Phrasen“ zu hören bekam, lese und höre ich von ihm zum ersten Mal.

Ein Eigentor ist dann aber der Kronzeuge, den Kellner sich gegen das CWI gesucht hat: einen pakistanischen Genossen, der vom CWI zur so genannten IV. Internationale gewechselt war. Kellner zitiert ihn: „Er meinte lachend, es sei halt schon eine Erleichterung gewesen, nicht mehr mit Europäern – in diesem Fall Engländern – zu tun zu haben, die immer besser wissen, was in Pakistan zu tun sei.“ Nun ja, der Ausschluss der pakistanischen Sektion aus dem CWI hatte seinen Grund nicht in politischen Differenzen oder darin, dass die damalige pakistanische Sektion den Vorschlägen der Internationale nicht gefolgt wäre. Es ging um Vetternwirtschaft und Begünstigungen in einer Organisation, die Wege gefunden hatte, sehr viel Geld aus dem Ausland (nicht vom CWI!) zu erhalten und die jegliche demokratische Kontrolle über diese Gelder vermissen ließ. Das CWI hat im Gegensatz zu anderen Organisation halt noch ein paar Prinzipien ….

Kellners Abhandlungen über das CWI und angeblich trotzkistische Organisationsmodelle wirken eher wie eine Abrechnung mit der eigenen Vergangenheit. Eine auf Fakten basierte Auseinandersetzung mit den realen Verhältnissen und Entwicklungen im CWI (und auch anderen sich trotzkistisch verstehenden Organisationen) findet man in „Trotzkismus 2.0“ jedenfalls leider nicht. Daher ist es schade, dass der Schmetterling-Verlag eine solch subjektive Textsammlung im Rahmen seiner BlackBooks-Reihe veröffentlicht und damit den Eindruck einer distanzierten Objektivität zum Thema erweckt.

Revisionismus

Interessanter an dem Büchlein ist jedoch ein Text Kellners mit dem Titel „Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen – ein bisschen Revisionismus gefällig?“. Leider ist auch dieser Text oberflächlich und entwickelt die von ihm aufgeworfenen Fragen nicht tiefer gehend. Kurz zusammen gefasst, wirft Kellner hier die Frage auf, ob die objektiven, also materiellen Bedingungen für den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus aufgrund der ökologischen Katastrophe und der, aus seiner Sicht, Notwendigkeit qualitativer Energie- und Ressourceneinsparungen nicht mehr gegeben sind. So stellt er in Frage, ob eine ökologisch nachhaltige Ökonomie aufgrund höherer Arbeitsintensität die Arbeitszeit so weit verkürzen kann, dass eine sozialistische Selbstverwaltung der Gesellschaft möglich ist. Das Problem bei Kellners Ausführungen ist, dass er diese Revision des Marxismus ohne jegliche Datenlage zur Diskussion stellt. Man hat den Eindruck, er hat so ein Gefühl …. Für uns gibt es keinen Grund sowohl die zwingende Notwendigkeit einer sozialistischen Veränderung der Gesellschaft als auch die Machbarkeit einer sozialistischen Gesellschaft in Frage zu stellen. Der Marxismus hat erklärt, dass Systemveränderungen dann zur historischen Notwendigkeit werden, wenn die Produktionsverhältnisse zur Fessel für die weitere Entwicklung der Produktivkräfte geworden sind. Mit Entwicklung der Produktivkräfte ist nicht verkürzt die Entwicklung von Wissenschaft und Technik oder das Quantum an Produktionskapazitäten gemeint, sondern die Ausnutzung des ökonomischen Potenzials – Arbeiter*innen, Naturreichtümer und Produktionsmittel -, das in einer Gesellschaft existiert zur allgemeinen Verbesserung der Lebensqualität. Man muss blind sein, um nicht zu erkennen, dass der Kapitalismus dieses Potenzial brach liegen lässt und dass er stattdessen die Produktivkräfte in Destruktivkräfte verwandelt hat. Dies jedoch nur, weil der Profit der Kapitalistenklasse das Motiv der Wirtschaftstätigkeit (und dementsprechend auch der wesentlichen politischen Entscheidungen) ist. In einer demokratischen Planwirtschaft kann dieses Potenzial im Interesse von Mensch und Natur eingesetzt werden und sich frei entfalten. Die technologischen Möglichkeiten der Menschheit werden sich unter sozialistischen Voraussetzungen rasant schnell weiter entwickeln und Problemlösungen möglich machen, die heute noch unmöglich erscheinen. Ist das Wunschdenken? Nein. Darauf lassen alle Erfahrungen der Entwicklung technologischer und wissenschaftlicher Neuerungen schließen, nicht zuletzt die atemberaubenden Fortschritte in der Computer- und Informationstechnologie der letzten Jahre. Davon konnten Marx und Lenin nur träumen und trotzdem waren sie von der Machbarkeit einer sozialistischen Planwirtschaft überzeugt.

Kellner selbst weist darauf hin, dass nutzlose Produktionen im Sozialismus eingestellt würden , es „scheint“ ihm dies jedoch keine erschöpfende Problemlösung angesichts der ökologischen Herausforderungen. Aber alle Erkenntnisse weisen doch darauf hin, dass die Energieversorgung der Welt mit erneuerbaren Energien möglich sein wird. Abgesehen davon wird es nur unter sozialistischen Voraussetzungen möglich sein, die notwendigen Anpassungen der menschlichen Lebensweise an die nicht mehr oder nur langfristig umzukehrenden ökologischen Schäden vorzunehmen.

Objektive und subjektive Faktoren

Manuel Kellner vermischt meiner Meinung nach in diesem Text die objektiven ökonomischen Voraussetzungen der sozialistischen Revolution mit den subjektiv-politischen. Betrachten wir letztere müssen wir anerkennen: es gibt keine Garantie für den Erfolg unseres Kampfes, aber dieser basiert nicht auf Wunschdenken oder moralischen Erwägungen, sondern auf einer Analyse der materiellen Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft. Bei Kellner wird die Fortsetzung des Kampfes angesichts der Infragestellung der objektiven Machbarkeit zum moralischen Prinzip. Das ist ehrenhaft, aber nicht marxistisch.

Der Widerspruch zwischen der objektiven Reife der sozialistischen Revolution und der subjektiven Unreife der Arbeiter*innenklasse ist heute jedoch tatsächlich größer denn je, wenn dies auch kein neues Phänomen ist. Das ändert nichts an der von Kellner in Frage gestellten „Aktualität der sozialistischen Revolution auf Weltebene“. Er schreibt, es erscheine ihm seltsam über hundert Jahre lang unhinterfragt von dieser Aktualität zu sprechen und „unsere ganze politische Programmatik und Überzeugung darauf fußen zu lassen.“ Man ist geneigt zu fragen: wie lange war denn die bürgerliche Revolution aktuell ohne dass sie sich global durchgesetzt hatte? Zweifellos mehr als hundert Jahre. Tatsächlich ist die Revolution in diesen letzten hundert Jahren allgegenwärtig gewesen, aber eben aus subjektiven Faktoren nicht erfolgreich. Nach dem Ersten Weltkrieg mit Ausnahme des russischen Zarenreichs aufgrund der konterrevolutionären Rolle der Sozialdemokratie. Nach der Stalinisierung der Sowjetunion kam die konterrevolutionäre Rolle der die Kommunistischen Parteien weltweit kontrollierenden Sowjetbürokratie dazu. Nach dem Ende des Stalinismus bedeutete der Sieg der Bourgeoisie über die bürokratischen Planwirtschaften auch eine Niederlage für die Idee, dass es überhaupt eine Alternative zum Kapitalismus geben könne. In der Folge wurde die Arbeiter*innenklasse organisatorisch und politisch massiv zurückgeworfen. Doch dieser subjektive Rückschlag bedeutete auch in den letzten dreißig Jahren nicht das Ende der Revolution – konkret von vorrevolutionären und revolutionären Bewegungen bzw. Massenkämpfen wie wir sie in den letzten Jahren immer häufiger beobachten können. Ob im so genannten Arabischen Frühling vor über zehn Jahren oder den Bewegungen im Sudan, Chile, Libanon, Kasachstan, Kolumbien, Sri Lanka usw. in jüngerer Vergangenheit. Auch hier zeigte sich jedoch der Widerspruch zwischen der objektiven Reife der Bedingungen für eine Revolution und der subjektiven Unreife der Arbeiter*innenklasse. Ohne eine Arbeiter*innenklasse auf der Höhe der Zeit kann der Kapitalismus jedoch nicht besiegt werden. Anders als das Bürgertum kann die Arbeiter*innenklasse keine Basis in den Eigentumsverhältnissen der alten Gesellschaft aufbauen und bedarf es des bewussten revolutionären Umsturzes, der Eroberung der Staatsgewalt, um die Klassenherrschaft der Kapitalist*innen durch die der Lohnabhängigen zu ersetzen und das Tor hin zu einer klassenlosen Gesellschaft aufzustoßen. Wenn die letzten hundert Jahre etwas bewiesen haben, dann die Grundannahme des Trotzkismus über die Voraussetzungen für eine erfolgreiche sozialistische Revolution. Nur wurde diese Grundannahme leider immer wieder negativ bestätigt durch das Scheitern revolutionärer Kämpfe und Bewegungen.

Manuel Kellner zieht daraus den Schluss mal eben wenn auch nicht alles, so doch sehr viel in Frage zu stellen und mit seinem Revisionismus zu kokettieren. Er macht das ohne tiefere Analyse und er macht es eklektisch und unsystematisch. Das mag manche Leser*in beeindrucken, weil es den Eindruck universaler Gelehrtheit weckt. In Wirklichkeit handelt es sich um Rauch und wenn dieser sich legt, stellt man fest, dass wenig dahinter steckt.

Übergangsprogramm

So zeigt sich auch Kellners Infragestellung des Übergangsprogramms als heiße Luft. Er hat Trotzki-Zitate gefunden, in denen dieser auf die Möglichkeit der Niederlage der Arbeiter*innenklasse hinwies und sich dahingehend äußerte, dass eine solche Niederlage die Menschheit um Jahrzehnte zurückwerfen und die Revolution von der Tagesordnung nehmen könnte. Dann wäre nur noch ein Minimalprogramm aktuell, nicht mehr aber ein Programm zur sozialistischen Veränderung der Gesellschaft (den Begriff „Übergangsprogramm“ verwendet Trotzki in dem Zitat, anders als Kellner es behauptet, gar nicht). Trotzki schrieb das angesichts des beginnenden Zweiten Weltkriegs in einer von faschistischen und stalinistischen Diktaturen geprägten Weltlage. Letztlich brachte er damit nur einen Gedanken zum Ausdruck, der tief in der marxistischen Geschichtsauffassung verankert ist: der Klassenkampf führt entweder zum Sieg einer Klasse über die andere oder zum Untergang aller beteiligten Klassen.

Ich würde es angesichts der Geschichte der letzten neunzig Jahre eigentlich für bemerkenswert halten, dass weder Faschismus noch Stalinismus noch Neoliberalismus dem Klassenkampf, den Aufständen der Massen und der Idee des Sozialismus den Garaus machen konnten. Das ist ein Grund für Optimismus. Doch Kellner kennt nur Pessimismus. Er macht den Eindruck, dass er diesen aus den subjektiven Schwächen der Arbeiter*innenklasse und der sozialistischen Kräfte erwachsenden Pessismismus unbedingt durch objektive Prozesse begründen will. Völlig zusammenhangslos schließt er an Trotzkis Negativ-Option einer nachhaltigen Niederlage der Arbeiter*innenklasse die These an, dass sich ökologische Katastrophe, Seuchen und Pandemien negativ auf das revolutionäre Potenzial der Arbeiter*innenklasse auswirken und es „schwer und schwerer“ wird, „die unmittelbaren Interessen dieser Klasse (Reallohn, Lebensstandard, Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen) im Sinne eines umfassenden politischen Klassenbewusstseins mit den Überlebensinteressen der menschlichen Gesellschaft und mit dem universal emanzipatorischen Projekt zu verbinden.“ Dieser verschwurbelte Satz drückt das ganze Dilemma der sich selbst Ökosozialist*innen nennenden Genoss*innen aus. Sie sehen, mal bewusst ausgesprochen mal implizit, einen Widerspruch zwischen den Klasseninteressen der Lohnabhängigen und den Interessen der „menschlichen Gesellschaft“ und werden so zu auf dem Kopf stehenden Ökonomist*innen. Wer sagt denn, dass eine gesunde Umwelt, Luft zum Atmen, Freiheit von Seuchen nicht ebenso ein „unmittelbares Interesse“ der Arbeiter*innenklasse ist? Es stimmt, dass die dominierenden Kräfte der Umweltbewegung kein Programm anbieten, das Rettung der Umwelt und Verteidigung der materiellen Interessen der Arbeiter*innenklasse zusammen bringt. Umgekehrt schrecken rechte Gewerkschafter*innen vor einer konsequenten Umweltpolitik zurück, weil sie das zu antikapitalistischen Schlussfolgerungen zwingen würde, wenn sie die Löhne und Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder nicht preis geben wollen. Aber das ist genau die Aufgabe von Marxist*innen: zu erklären, dass es einen Widerspruch zwischen Ökologie und sozialer Frage nur unter kapitalistischen Voraussetzungen gibt und der existierende und potenziell zu erwirtschaftende Reichtum auf der Welt ausreicht, um die notwendigen Schritte zum Stopp des Klimawandels zu ergreifen ohne die Lebensqualität der Arbeiter*innenklasse dafür zu opfern. Natürlich gibt es in diesem Zusammenhang wichtige zu klärende Fragen und bedarf es sicher auch einer Bewusstseinsveränderung in Teilen der Lohnabhängigen auf der Nordhalbkugel hinsichtlich gewisser Konsumtraditionen. Wir sind uns aber sicher, dass dies das kleinste Problem wäre, wenn die Arbeiter*innenklasse demokratisch und kooperativ Wirtschaft und Gesellschaft leiten könnte. So halten wir es zum Beispiel für sehr wahrscheinlich, dass sich die Erkenntnis durchsetzen wird, dass ein gut ausgebauter öffentlicher Personenverkehr zu einer höheren Lebensqualität beiträgt als mit dem eigenen Auto im Stau zu stehen oder auf Parkplatzsuche zu gehen.

Manuel Kellner hat Recht, dass Marxismus und Trotzkismus nicht aus der Wiederholung alter Lehrsätze besteht, sondern eine Methode ist, mit der wir uns die sich wandelnde Realität immer wieder aufs Neue erschließen. Dies tuend kommen wir zu dem Schluss, dass der Marxismus und die Revolution hochaktuell sind. Auch wenn Marxens Lebensmotto war: An allem ist zu zweifeln, so übertreibt Manuel Kellner jedoch die Selbstzweifel, während wir an der Unüberwindbarkeit der Macht der Herrschenden und der Ohnmacht der Beherrschten zweifeln.

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