Was möglich wäre …

Wie eine sozialistische Regierung mit der Pandemie umgegangen wäre

Die Regierung Merkel-Scholz hat in der Pandemiebekämpfung versagt. Auch wenn sie selbst, Christian Drosten und die bürgerlichen Medien etwas anderes behaupten. Sie hat nach dem Auftreten des Corona-Virus in China wertvolle Zeit verstreichen lassen, bis sie überhaupt reagierte. Und als sie dann reagieren musste, tat sie es panikartig und verhängte einen Lockdown, der alles umfasste – nur Industrie und Wirtschaft kaum. Die Profite der Banken und Konzerne sollten so wenig wie möglich in Mitleidenschaft gezogen werden. Ausreichend Schutzkleidung für medizinisches Personal, Beatmungsgeräte und Corona-Tests wurden nicht beschafft. Schnell wurden dann Lockerungen eingeführt, die sich wieder an Kapitalinteressen orientierten – Schulen blieben zu, Autohäuser öffneten. Woraufhin der Sommer verschlafen wurde, um von Herbst und Winter und der damit einhergehenden und absehbaren zweiten Welle überrascht zu werden. Nun haben wir den Salat. 

Stellen wir uns mal vor, am 1. Januar 2020 hätte eine sozialistische Regierung die Amtsgeschäfte in Berlin übernommen…

von Sascha Staničić

Eine solche Regierung hätte auch den Nachteil gehabt, dass die weitaus überlegenen Pandemie-Pläne der DDR der Vereinigung von BRD und DDR genauso zum Opfer gefallen sind wie Millionen Arbeitsplätze und sie hätte auch nichts daran ändern können, dass das Pandemie-Verlaufsmodell des Robert-Koch-Instituts, das am 03. Januar 2013 dem Bundestag vorlag ignoriert wurde und nicht dazu geführt hat, dass das Gesundheitswesen pandemiefit ausgestaltet wurde, ausreichend Atemschutzmasken gelagert wurden und Laborkapazitäten ausgebaut wurden. 

Aber sie hätte vom ersten Tag die Warnungen aus China und im Verlauf des Januars von der Weltgesundheitsorganisation ernst genommen und statt einer „Wir hoffen aufs Beste“-Politik sich auf ein worst case scenario vorbereitet.

Eine solche Regierung hätte unter Einbeziehung von Wissenschaftler*innen, Gewerkschafter*innen und Vertreter*innen der Betroffenen in allen Bereichen einen Pandemieplan ausgearbeitet und wäre unmittelbar an die drängendsten Aufgaben gegangen. 

Beschaffungsprogramme

Das wäre unter anderem gewesen: es wäre ein Beschaffungsprogramm für viele Millionen Atemschutzmasken aufgelegt worden, darunter ausreichend FFP2- und FFP3-Masken für Risikogruppen und medizinisches und Pflegepersonal. Schnell wäre klar geworden, dass diese auf dem Weltmarkt nicht rechtzeitig zu beschaffen gewesen wären, da die Produktion derselben weitgehend in Asien stattfand und die Produktionskapazitäten angesichts der wachsenden Nachfrage nicht ausgereicht hätten. Daraufhin wären Unternehmen in Deutschland angewiesen worden, ihre Produktion auf Atemschutzmasken umzustellen. Um zu verhindern, dass diese Unternehmen durch überhöhte Preise Extraprofite auf Kosten der Gesundheit der Bevölkerung machen, wären staatliche Preisobergrenzen eingeführt worden. Hätten sich Unternehmen geweigert, die Produktion umzustellen, wären sie gesetzlich dazu verpflichtet worden und im Falle der Weigerung enteignet und in öffentliches Eigentum überführt worden. 

Es wäre unmittelbar ein milliardenschweres Notprogramm zum Ausbau des Gesundheitswesens und der Krankenhäuser gestartet worden. Ein solches wäre aufgrund des Personalmangels in Gesundheitsämtern und Krankenhäusern auch ohne Pandemie dringend nötig gewesen. Die Löhne für Krankenpfleger*innen wären um mindestens 500 Euro monatlich erhöht worden und die Arbeitszeit entsprechend der Neueinstellungen auf in einem ersten Schritt 35 Stunden pro Woche reduziert worden. Auf dieser Basis hätten viele der 200.000 examinierten Pflegekräfte, die den Beruf in der Vergangenheit verlassen hatten, wieder zurück gewonnen werden können. Die Schließung von Krankenhäusern und der Abbau von Betten wären per Gesetz verboten worden und das System der Fallkostenpauschalen abgeschafft worden, um eine bedarfsgerechte Finanzierung der Krankenhäuser zu erreichen. 

Es wäre unmittelbar ein Konzept für Massentests erarbeitet worden und die Testkapazitäten wären ausgebaut worden. Alle privaten Labore wären unter eine demokratische, öffentliche Kontrolle gestellt und einer zentralen Leitung untergeordnet worden. Ähnlich wie bei den Masken wären die notwendigen Reagenzien und Materialien möglicherweise auf dem Weltmarkt nicht zu beschaffen gewesen und so wären auch hier Unternehmen in Deutschland angewiesen worden, diese zu produzieren. 

Studien zusammen fassen

Es wäre ein Konzept für nötige und sinnvolle Studien erstellt worden und eine zentrale Wissenschaftskommission gebildet worden, in der alle Ergebnisse zusammen geflossen und ausgewertet worden wären. Diese wären für die Masse der Bevölkerung in eine allgemein verständliche Sprache übersetzt worden und über regelmäßige Fernsehsendungen, Youtube-Spots, Podcasts, Info-Blätter und Informationsveranstaltungen in den Stadtteilen und Betrieben verbreitet worden.

Auf Basis einer solchen Informationskampagne wäre der Bevölkerung frühzeitig vermittelt worden, dass soziale Kontakte reduziert werden müssen. Um das dort zu beginnen, wo Menschen am meisten zusammen treffen, wären alle Wirtschaftsbereiche, die nicht zur Aufrechterhaltung der notwendigen Versorgung der Bevölkerung benötigt werden, auf Homeoffice umgestellt bzw. still gelegt worden. Dabei wären die Unternehmen zur vollen Lohnfortzahlung verpflichtet worden und staatliche Hilfen nur nach Öffnung der Geschäftsbücher und Heranziehen von Unternehmensgewinnen und – vermögen ausgezahlt worden. Allen Beschäftigten wäre eine staatliche Arbeitsplatzgarantie ausgesprochen worden. 

Demokratie und Selbstorganisation

Zentrales Motiv einer sozialistischen Pandemie-Bekämpfung wäre gewesen, die Entscheidungsprozesse und Kontrolle über die Umsetzung auf breite demokratische Beine zu stellen. In allen Betrieben, Schulen, Hochschulen und Nachbarschaften wären Pandemie-Räte gebildet worden, demokratisch gewählt und jederzeit abwählbar.

Diese hätten in Kooperation mit Wissenschaftler*innen und auf Basis der sich permanent verbessernden wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Virus die Umsetzung von Gesundheitsschutz und Kontrolle über die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen gewährleisten können. Eine sozialistische Pandemie-Bekämpfung hätte mehr Demokratie bedeutet und nicht zu Einschränkungen der Freiheitsrechte geführt. 

Auf einer solchen Basis wäre ein harter Lockdown, wie er im Frühjahr umgesetzt wurde, wahrscheinlich vermeidbar gewesen und stattdessen hätten manche Einrichtungen auf der Basis sinnvoller Hygienekonzepte offen gehalten werden können, während andere Bereiche, die aus rein wirtschaftlichen Gründen offen blieben, geschlossen worden wären.

Schulen und Kitas 

Insbesondere wäre eine sozialistische Regierung auch anders mit Schulen und Kitas umgegangen. Gesundheitsschutz wäre im Einklang mit den psychosozialen Folgen von Schul- und Kitaschließungen diskutiert und differenzierte Konzepte erarbeitet worden. Vor allem wären dazu die nötigen Mittel bereit gestellt worden, das heißt Personal eingestellt worden, Luftfilter frühzeitig angeschafft worden, Räumlichkeiten wie leerstehende Büroräume, Hotels, Kongresszentren und anderes für die Nutzung für Schulklassen genutzt worden. Es wären massive Investitionen in die Digitalisierung der Schulen getätigt worden und allen Schüler*innen wären eigene Endgeräte zur Verfügung gestellt worden, um an Homeschooling sinnvoll teilnehmen zu können. Gleichzeitig wäre durch Halbierung von Schulklassen ein Präsenzunterricht fortgesetzt worden und dazu parallel eine Betreuung von Schüler*innen umgesetzt worden, die lokal durch Nachbarschaftsräte hätte organisiert werden können, wo die Möglichkeiten hätten ausgeschöpft werden können, mit Schüler*innen lehrreiche Ausflüge in die Natur zu unternehmen, Handwerker*innen, Kulturschaffende usw. hätten einbezogen werden können, um den Schüler*innen Inhalte zu vermitteln. Gleichzeitig wären die Schulnoten und Hochschulzugangsbeschränkungen aufgehoben worden, um den Leistungsdruck abzubauen und die Krise als Chance genutzt worden, das leistungsorientierte Bildungssystem umzubauen. 

Tracking

Eine entscheidende Maßnahme zur Eindämmung des Virus ist die Unterbrechung von Infektionsketten durch deren effektive Nachverfolgung. Die Corona-Warn-App kann dazu einen Beitrag leisten, wie vor allem aber auch eine ausreichende personelle Ausstattung der Gesundheitsämter von entscheidender Bedeutung ist. Hier hätte eine sozialistische Regierung nicht nur die nötigen finanziellen Ressourcen frühzeitig frei gestellt, sondern auch bei maximaler demokratischer Kontrolle eine App und andere Mechanismen entwickelt, die innerhalb der Bevölkerung größere Akzeptanz hätten finden und entsprechend effektiver einsetzbar gewesen wären. 

Wunschdenken?

Manche*r wird einwenden, das sei Wunschdenken und hinterher sei man immer schlauer. Es ist richtig, dass im Laufe des Jahres 2020 die Erkenntnisse über das Corona-Virus ständig zunahmen und manche Maßnahmen, die wie hier ausgeführt haben möglicherweise nicht am Tag 1 der Pandemie hätten ergriffen werden können, weil die Erkenntnisse über das Virus noch nicht ausreichten.

Klar muss aber sein, dass eine Politik, die die Interessen der Arbeiter*innenklasse und damit des Gesundheitsschutzes der gesamten Bevölkerung zum Ausgangspunkt genommen hätte (statt der Aufrechterhaltung der Profite für die Kapitalistenklasse) die Pandemie in einer ganz anderen Art und Weise hätte eindämmen können als es die Politik der Großen Koalition getan hat.

Dazu notwendig wäre es gewesen, massiv in die Privatwirtschaft einzugreifen und das gigantische Vermögen der Multimillionär*innen und Milliardär*innen heranzuziehen.

Unmittelbar hätte eine sozialistische Regierung eine einmalige Corona-Abgabe von dreißig Prozent auf Vermögen ab einer Million Euro zur Finanzierung der nötigen Maßnahmen erhoben. Das hätte 480 Milliarden Euro freigesetzt. Ebenso hätten die 44 Milliarden Euro, die als Dividenden von den großen Aktiengesellschaften ausgeschüttet wurden konfisziert werden können, wobei Kleinaktionär*innen selbstverständlich von ausgenommen worden wären. 

Gleichzeitig hätte eine sozialistische Regierung die Krise tatsächlich als Chance genutzt, um die Gesellschaft umzubauen. Angefangen mit der Einführung eines stark progressiven Steuersystems, das Lohnabhängige, unter anderem durch die Abschaffung der Massensteuern entlastet, und die Reichen und Superreichen durch Vermögenssteuer und Erhöhung der Steuern auf Unternehmensgewinne stärker herangezogen hätte. Der durch solche Maßnahmen zu erwartende Widerstand des Kapitals (zum Beispiel in Form von Kapitalflucht und Investitionsstreiks) hätte durch eine sozialistische Regierung entschlossen gebrochen werden müssen. Wie? Durch die Mobilisierung der Arbeiter*innenklasse für weitergehende Maßnahmen wie die Überführung der großen Banken und Konzerne in Gemeineigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung. So hätte die Corona-Krise tatsächlich als Chance genutzt werden können, auf der Basis der durch sie ausgelösten Solidarität in der Arbeiter*innenklasse und der Einführung demokratischer Kontroll- und Verwaltungsmechanismen in der Pandemiebekämpfung die sozialistische Veränderung der Gesellschaft einzuleiten. Sozialismus als bestes Mittel des Gesundheitsschutzes in Zeiten der Pandemie – die Unterstützung in weiten Teilen der Arbeiter*innenklasse hätte sich eine solche Regierung zweifellos erarbeiten können. Und sie hätte international ein Beispiel geben und zur Nachahmung auffordern können. 

Eine sozialistische Regierung wird aber nicht vom Himmel fallen oder plötzlich aus einer Bundestagswahl hervorgehen. Sie kann nur durch den Aufbau einer sozialistischen Massenpartei und kämpferischer Gewerkschaften, durch Selbstorganisation und Massenmobilisierungen Realität werden. Der Kampf dafür fängt heute an. 

Jetzt handeln!

Für gewerkschaftliche Proteste

Die in diesem Artikel ausgeführten Maßnahmen, die eine sozialistische Regierung hätte ergreifen können, sollten zur Basis für ein Konzept für eine alternative Corona-Politik im Interesse der Arbeiter*innenklasse durch Gewerkschaften und die Partei DIE LINKE gemacht werden. Der Schulterschluss mit Regierung und Kapital bzw. die handzahme Kritik muss ein Ende haben. Das Feld darf nicht den rechten Corona-Leugner*innen und Covidiot*innen überlassen werden! Gewerkschaften und LINKE müssen eine Aufklärungs- und Mobilisierungskampagne starten, um effektive Maßnahmen der Corona-Bekämpfung durchzusetzen, die von den Superreichen, Banken und Konzernen finanziert werden müssen. 

Sascha Staničić ist Bundessprecher der Sol und Mitglied der Redaktion der „Solidarität“.

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