Alice Weidel verlässt Hayek-Gesellschaft
Nach einem längeren Streit verlässt die AfD-Bundestagsabgeordnete Alice Weidel die Hayek-Gesellschaft. Gegenüber der Presse hatte Weidel den Schritt, der ihr „schwergefallen“ sei, mit der „aktuellen aufgeheizten Stimmung begründet“, sie hoffe damit einer „völlig verfehlten Debatte möglichst rasch ein Ende“ zu setzen.
Von Steve Hollasky, Dresden
Weidels Entschluss waren längere Debatten in der Hayek-Gesellschaft vorangegangen. Die als Verein organisierte Gesellschaft vertritt das politische Erbe des österreichischen Ökonomen Friedrich August von Hayek und erhält hierfür nicht unbeträchtliche Finanzmittel von der Hayek-Stiftung. Der Stiftungsrat hatte die Kürzung dieser Mittel angedroht, sollte sich die Hayek-Gesellschaft nicht von der rechtspopulistischen Partei distanzieren. Eine ganze Reihe der etwa 300 Mitglieder der Hayek-Gesellschaft haben auch das Parteibuch der AfD in der Tasche.
Noch wenige Tage vorher war Stefan Kooths, der Vorsitzende der Gesellschaft, Weidel und den anderen bedrängten AfD-Mitgliedern in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ beigesprungen. Man könne „nicht akzeptieren, dass der Stiftungsrat über die Gesellschaft bestimmt“, so Kooths, der zugleich Volkswirt in Kiel ist.
Hintergrund der Debatte ist die angekündigte Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz. Auch die wollte Kooths in einem vereinsinternen Schreiben an die Mitglieder der Gesellschaft nicht als Begründung für eine Distanzierung durchgehen lassen. Schließlich sei „noch nicht einmal eine Entscheidung über eine etwaige Einstufung als Verdachtsfall getroffen worden“, so Kooths in angeführtem Brief.
Inzwischen hat sich auch Beatrix von Storch in den Streit eingeschaltet. „Eine Gruppe im Stiftungsrat um den FDP-Politiker Frank Schäffler“ trage den Kampf „gegen den politischen Mitbewerber in die Hayek-Gesellschaft“, zitiert der Deutschlandfunk die stellvertretende Parteivorsitzende, die sich schon seit Jahrzehnten einen Namen als rechte Netzwerkerin gemacht hat.
Dabei bleibt es ein Geheimnis, weshalb sich ausgerechnet die Hayek-Gesellschaft von der AfD distanzieren sollte. Die mehr als kruden, arbeiter- und demokratiefeindlichen Thesen Friedrich August von Hayeks, der sich auch noch eines Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaft rühmen kann, wurden von der Hayek-Gesellschaft nie infrage gestellt, was in Anbetracht des Namens auch mehr als eigenartig wäre.
Hayeks Positionen
Im deutschen, wie im italienischen Faschismus wollte Hayek nie eine bestimmte Art der kapitalistischen Herrschaft erkennen. Für ihn waren beides Spielarten des Sozialismus. Dass beide Systeme nur errichtet werden konnten, weil Zehntausende Sozialist*innen und Kommunist*innen von Hitlers SA und Mussolinis Schwarzhemden verfolgt und ermordet worden waren, scheint dem marktradikalen Hayek bei seinen ach so sinnstiftenden wissenschaftlichen Arbeiten einstweilen entgangen zu sein.
Dass der Ausbau der Sozialsysteme in den westlichen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg eine Folge der Furcht der Herrschenden vor einer sozialistischen Umgestaltung dieser Länder war, die man durch ein paar kleine Reförmchen zu verhindern gedachte, begriff Hayek ebenso wenig. Oder besser: Er wollte es nicht begreifen. Für ihn war die Stärkung sozialer Leistungen ein Schritt in die Richtung zum Totalitarismus.
Wer gar darüber nachdachte, den Kapitalismus durch eine demokratische Planwirtschaft zu ersetzen, in der der gesellschaftlich erwirtschaftete Reichtum zum Wohle aller genutzt werden würde, war für Hayek ein Demokratiefeind.
Dass Hayek ganz eigene Vorstellungen von Demokratie hatte, belegt das von ihm entwickelte Gesellschaftssystem. Dort sollten Vertreter*innen nur einmal alle 15 Jahre gewählt werden und dann unabhängig vom Willen der Wähler*innen, die wiederum nur einmal im Leben ein Kreuz bei einem Kandidaten oder einer Kandidatin machen sollten, durchregieren dürfen.
Wer soweit geht, der geht auch noch weiter. Und Hayek ging bis Chile, das er nach Pinochets Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende zweimal besuchte. Der Sozialist Allende hatte die trügerische Hoffnung sanfte Reformen könnten einen langsamen Weg zum Sozialismus bahnen. Immerhin 40 Prozent der Wirtschaft waren kapitalistischen Unternehmen entrissen und in staatlicher Hand, als Pinochet mit Unterstützung der CIA eine blutige Militärdiktatur errichtete. Tausende wurden ermordet oder verschwanden.
Hayek plagte das schlechte Gewissen dennoch nicht, als er Pinochet für dessen Wirtschaftspolitik und seinen Putsch gegen die angeblich totalitäre Herrschaft Allendes lobte.
Die ökonomischen Leitlinien nach denen Pinochet agierte entwarf unterdessen ein anderer Ökonom, dessen Ideen denen Hayeks durchaus ähnlich waren: Es war Milton Friedman, der Vater des Neoliberalismus und auch er Nobelpreisträger. Er verpasste dem südamerikanischen Land eine bis dahin wohl beispiellose Schocktherapie. Turboprivatisierungen schufen die Grundlage zur Verarmung weiter Bevölkerungsschichten bis heute.
Wen wundert es also, dass Weidel der Ausstieg aus der Hayek-Gesellschaft schwerfiel und sie sich, nach eigenem Bekunden, den Ideen der Hayek-Gesellschaft weiterhin verpflichtet fühlt. Dass sich AfD-Politiker*innen in diesen Reihen wohl fühlen dürfte wenig überraschen und ist zugleich ein politischer Offenbarungseid. Ein solcher ist er indes nicht allein für die AfD, denn auch FDP-Politiker*innen finden sich in der Hayek-Gesellschaft.
Eines zeigt dieses Beispiel nur zu deutlich: Die AfD ist kein Betriebsunfall. Die politischen Schmuddelkinder des Kapitalismus gehen aus diesem System hervor, sie sind Teil von ihm. Wer Rassismus, Sozialabbau und die AfD wirksam bekämpfen will, der braucht eine Alternative zu einem Wirtschaftssystem, in dem der Profit einiger Weniger über alles geht. Diese Alternative kann nur eine sozialistische Demokratie sein, in der die Produktionsmittel und der Reichtum der Gesellschaft in Gemeineigentum sind und demokratisch kontrolliert und verwaltet werden – anders als im Stalinismus und anders als im Kapitalismus.