“Ich war, ich bin, ich werde sein”

Zum 150. Geburtstag von Rosa Luxemburg

Am 5. März 2021 jährt sich der 150. Geburtstag Rosa Luxemburgs, eine der berühmtesten Personen des letzten Jahrhunderts. Für die internationale Arbeiter*innenbewegung war sie mit ihrem unermüdlichen Einsatz für den Sozialismus und ihren theoretischen Beiträgen zum Marxismus eine der bedeutendsten Revolutionär*innen.

Von Caspar Loettgers, Mainz

Luxemburg wurde 1871 in Zamość im Südosten Polens geboren. Schon früh engagierte sie sich politisch und schloss sich noch zu ihrer Schulzeit der Gruppe „Zweites Proletariat“ an, weshalb sie kurz nach ihrem Schulabschluss 1888 in die Schweiz fliehen musste. 1898 zog sie nach Deutschland, um in der SPD zu arbeiten. Die damalige SPD war, ganz anders als heute, auf dem Weg zu einer Massenpartei der Arbeiter*innenklasse zu werden. Sie hatte eine klare antikapitalistische Ausrichtung, und berief sich auf den Marxismus. Doch schon damals begannen Debatten über Programm und Praxis. Einige führende Mitglieder revidierten, die prinzipiellen marxistischen Positionen. Nachdem die SPD legal arbeiten durfte und stark anwuchs, nahm der Anpassungsdruck zu. Führende Vertreter*innen wichen immer mehr von einer revolutionären Politik ab und argumentierten, dass sich durch einzelne Reformen der Kapitalismus überwinden ließe.

 
Gleich nach ihrer Ankunft in Deutschland wandte sich Rosa Luxemburg entschieden gegen den Revisionismus. In ihrer empfehlenswerten Schrift „Sozialreform oder Revolution“ nahm sie die reformistischen Ideen Eduard Bernsteins auseinander und stellte ihnen ein marxistisches Programm und Methode entgegen.

Reform oder Revolution?

Nachdem es gelungen war, die Legalität zu erkämpfen und schnell zu wachsen, sahen viele führende Figuren der SPD diese Errungenschaft gefährdet. Diese Angst und ein wachsender bürokratischer Apparat verleiteten sie unter anderem dazu, von einer klaren Konfrontation mit dem System abzusehen. Ihrer Meinung nach ließe sich der Kapitalismus auch Stück für Stück überwinden, statt auf revolutionärem Weg, wie es Marx und Engels erklärt hatten. Rosa Luxemburg schrieb: „Wer sich […] für den gesetzlichen Reformweg anstatt und im Gegensatz zur Eroberung der politischen Macht und zur Umwälzung der Gesellschaft ausspricht, wählt tatsächlich nicht einen ruhigeren, sicheren, langsameren Weg zum gleichen Ziel, sondern auch ein anderes Ziel, nämlich statt der Herbeiführung einer neuen Gesellschaftsordnung bloß quantitative Veränderungen in der alten.“

Während die SPD sich formal weiter als „revolutionäre Partei“ bezeichnete, wuchsen die reformistischen, sich an den Kapitalismus anpassenden Kräfte sowohl in der SPD, als auch in den von ihr geführten freien Gewerkschaften an. Dieser  Anpassungskurs wurde vollends sichtbar, als die SPD-Fraktion  schlussendlich kapitulierte und den Kriegskrediten für den Ersten Weltkrieg zustimmte. Karl Liebknecht stimmte im Dezember 1914 im Reichstag als einziger dagegen. 

Regierungsbeteiligung

Auch heute sind reformistische Positionen weit verbreitet. So passt die Partei DIE LINKE, die zumindest von Teilen als linke Alternative im Bundestag gesehen wird, ihre Positionen immer weiter an, gibt klare antikapitalistische Positionen auf, um „konformer“ und „seriöser“ zu wirken. Hierbei geht es vor allem darum, sich den pro-kapitalistischen Parteien SPD und Grünen als verlässlicher Koalitionspartner zu präsentieren. Dies führt auch heute immer wieder zu Debatten innerhalb der LINKEN und deren Jugendverband. 

Die Frage der Regierungsbeteiligung führte zum ersten Mal zu einer lebhaften Debatte in der Arbeiter*innenbewegung, als 1899 der „Sozialist“ Alexandre Millerand Minister der Waldeck-Rousseau Regierung in Frankreich wurde. Luxemburg polemisierte in ihrer Schrift „Die sozialistische Krise in Frankreich“ entschieden dagegen und wehrte sich gegen die Idee, dass eine Regierungsbeteiligung sich nicht von der Teilnahme an einem Parlament unterscheide: „Tatsächlich besteht hier nicht Analogie, sondern direkter Gegensatz: In die Volksvertretung treten die Sozialisten ein, um die bürgerliche Klassenherrschaft zu bekämpfen, in die bürgerliche Regierung ― um die Verantwortlichkeit für die Akte dieser Klassenherrschaft auf sich zu laden.“


Auch heute wird seitens vieler reformistischer Kräfte in der LINKEN so getan, als ob man innerhalb einer bürgerlichen Regierung Fortschritte für die Arbeiter*innenklasse erwirken und gleichzeitig soziale Bewegungen unterstützen könnte. Aber der Kampf für soziale Reformen ist nicht dasselbe, wie  Verantwortung für kapitalistische Regierungspolitik zu übernehmen. Gerade jetzt, in der wohl tiefsten Krise des Kapitalismus seit den 1930ern bedeutet Regieren das Mittragen von Maßnahmen, um das Kapital zu retten. Sollte DIE LINKE in eine zukünftige Bundesregierung eintreten, wird das sicher zunächst von einem Teil als Möglichkeit für eine bessere, linkere Politik gesehen. Doch Erwartungen würden enttäuscht werden und eine Politik gegen die Arbeiter*innenklasse wäre in einer solchen Regierung letztlich unvermeidlich. Anfangs würde sie im besten Fall als unfähig erscheinen, und bei Fortsetzung der Politik in den Augen der Mehrheit der Arbeiter*innen  als Partei des Establishments gesehen: eine Partei, die wie die anderen ist,  für ihre eigenen Posten ihr Programm aufgibt, und letztlich Maßnahmen gegen die Arbeiter*innenklasse mit umsetzt. Leider führt auch schon jetzt die Politik der LINKEN in Landesregierungen wie in Thüringen dazu, dass sie von vielen nicht als Alternative zu den bürgerlichen Parteien wahrgenommen wird. 

Wenn DIE LINKE also Luxemburg ernst nehmen will und nicht nur ihre parteinahe Stiftung nach ihr benennen, dann sollte sie im Bundestag eine klare Opposition zu den bürgerlichen Parteien darstellen. Ihre Aufgabe wäre es, Bewegungen zu unterstützen und ihnen ein sozialistisches Programm vorzuschlagen.
Die Fortschritte, die in den letzten Jahren durch Massenbewegungen erkämpft worden sind, werden sich nur solange halten, bis sich die herrschende Klasse wieder neu organisiert hat und zum Gegenschlag ausholt. Jetzt schon sehen wir, dass wichtige Errungenschaften, wie die maximale Arbeitszeit und Mindestruhezeit im Gesundheitswesen untergraben werden. Deshalb sollte die LINKE-Führung erklären, warum langfristiger Fortschritt nur mit der Überwindung des Kapitalismus möglich ist. Das geht nur als sozialistische Oppositionspartei, welche sich nicht an Koalitionsverträge kettet, die das kapitalistische System managen und aufrecht erhalten. Für Rosa Luxemburg war dies klar, sie erklärte: „In der bürgerlichen Gesellschaft ist der Sozialdemokratie dem Wesen nach die Rolle einer oppositionellen Partei vorgezeichnet, als regierende darf sie nur auf den Trümmern des bürgerlichen Staates auftreten.“ 

Massenstreik

Die erste russische Revolution 1905 hatte große Wirkung auf die Debatten in der internationalen Arbeiter*innenbewegung. Auch, wenn sie zerschlagen wurde, stärkte sie den revolutionären Flügel. Es wurden Lehren diskutiert, wie die der Massenstreiks. Diese hatten schon im Vorfeld das damalige Zarenreich erschüttert. Einzelne Streiks weiteten sich schnell wie Flächenbrände aus. Rosa Luxemburg erkannte, dass die politische Aktion des Massenstreiks eines der wichtigsten Werkzeuge der Arbeiter*innenklasse im Kampf für ihre Befreiung ist. Der rechte Flügel der SPD und die Gewerkschaftsführungen lehnten diese Haltung ab. Sie argumentierten, Massenstreiks seien erst möglich, wenn die gesamte Arbeiter*innenklasse organisiert ist und die Gewerkschaftskassen bis zum Rand gefüllt. An diesem heiligen Tag würde dann die Arbeiter*innenklasse mit einem gewaltigen Generalstreik den Kapitalismus überwinden. Doch so ein „Entscheidungstag“ ist reine Utopie, und letztlich eine Ausrede, um die Basis  ruhig zu halten. Wenn man wirklich für Veränderungen kämpft, muss man in entstehende Kämpfe eingreifen und diese anführen, um einen Weg aus der Krise aufzuzeigen. Dabei sollten Sozialist*innen immer am Bewusstsein anknüpfen und Vorschläge für die nächsten notwendigen Kampfschritte machen. Rosa Luxemburg hat dies erkannt: „Die Äußerungen des Massenwillens im politischen Kampfe lassen sich nämlich nicht künstlich auf die Dauer auf einer und derselben Höhe erhalten, in eine und dieselbe Form einkapseln. Sie müssen sich steigern, sich zuspitzen, neue wirksamere Formen annehmen. Die einmal entfachte Massenaktion muss vorwärts kommen. Und gebricht es der leitenden Partei im gegebenen Moment an Entschlossenheit, der Masse die nötige Parole zu geben, dann bemächtigt sich ihrer unvermeidlich eine gewisse Enttäuschung, der Elan verschwindet, und die Aktion bricht zusammen.“


Auch heute weigern sich die Führungen von Gewerkschaften, Kämpfe zusammenzufassen und sie zu steigern, so dass sie die bestehenden kapitalistischen Verhältnisse in Frage stellen könnten. Stattdessen bleiben sie innnerhalb der Logik von Sozialpartnerschaft und Co-Management verfangen, was gerade jetzt in der Krise bedeutet, dass weder Arbeitsplätze noch Löhne und Arbeitsbedingungen verteidigt, sondern  Stück für Stück aufgegeben werden. Leider bleibt auch DIE LINKE hinter der Aufgabe zurück, einen alternativen kämpferischen Kurs der Gewerkschaften aufzuzeigen. 

Revolutionäre Organisation

Wie andere machte auch Rosa in ihrem politischen Leben Fehler. Aus diesen gilt es  Lehren zu ziehen. Der entscheidende Fehler war, dass sie nicht rechtzeitig die Notwendigkeit erkannte, eine organisierte sozialistische Opposition gegen die wachsenden reformistischen Tendenzen in der SPD und Arbeiter*innenbewegung aufzubauen. Sicher war sie hier mit einem neuen Phänomen konfrontiert. Selbst Lenin war schockiert über die Zustimmung der SPD-Fraktion zu den Kriegskrediten. Luxemburg und Liebknecht begannen erst 1914 mit dem Aufbau der Gruppe Internationale, (ab 1916 Spartakusgruppe) als Vereinigung der sozialistischen Opposition in der SPD und Arbeiter*innenbewegung. Erst Silvester 1918 und damit Wochen nach Ausbruch der Novemberrevolution fand der Gründungsparteitag der KPD statt. Dadurch fehlte es der Leitung der jungen KPD an Erfahrung, um in den stürmischen Ereignissen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Im Januar 1919, nach einem verfrühten Aufstandsversuch von Berliner Arbeiter*innen, wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verhaftet und dann von Freikorps und mit dem Wissen der rechten SPD-Führung unter Ebert und Noske ermordet. Dies war ein herber Verlust für die KPD und die gesamte Arbeiter*innenbewegung, die zwei ihrer fähigsten Köpfe verloren. 

Die Schaffung einer revolutionären Partei, den Bolschewiki, sowie ihre Fähigkeit Massenunterstützung zu erlangen, waren der Grund, warum in Russland 1917 die Revolution erfolgreich war – auch, wenn die Sowjetunion vor allem durch das Ausbleiben der Revolution in Deutschland und weltweit bürokratisch degenerierte. Luxemburg wird oft als Gegnerin der Oktoberrevolution dargestellt, weil sie Kritik an der Politik der Bolschewiki äußerte. Tatsächlich verteidigte sie aber die Revolution in Russland und kämpfte für ihre Ausweitung auf Deutschland. Sie schrieb: „Was eine Partei in geschichtlicher Stunde an Mut, Tatkraft, revolutionärem Weitblick und Konsequenz aufzubringen vermag, das haben Lenin, Trotzki und Genossen vollauf geleistet. Die ganze revolutionäre Ehre und Aktionsfähigkeit, die der Sozialdemokratie im Westen gebrach, war in den Bolschewiki vertreten. Ihr Oktober-Aufstand war nicht nur eine tatsächliche Rettung für die russische Revolution, sondern auch eine Ehrenrettung des internationalen Sozialismus.“

Rosa Luxemburg gehört ohne Zweifel zu den größten Revolutionär*innen, die die Welt bislang gesehen hat. Heute gilt es ihr Erbe zu verteidigen und für eine sozialistische Welt zu streiten!

Neuveröffentlichungen im Manifest-Verlag über Rosa Luxemburg:

Wolfram Klein – Rosa Luxemburg: Ihre politischen Ideen > Hier bestellen

Clara Zetkin – Rosa Luxemburgs Stellung zur Russischen Revolution > Hier bestellen

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