Bundestag beschließt Corona-Notbremse

Nicht die Politik, die wir brauchen

Am Mittwoch stimmte der Bundestag über eine erneute Änderung des Infektionsschutzgesetzes ab. Die sogenannte „Notbremse“ soll einheitliche Regeln für das gesamte Bundesgebiet schaffen und weitet die Befugnisse des Bundes deutlich aus. Dabei nehmen repressive Maßnahmen im Privatbereich zu, während die Wirtschaft weiterhin nahezu unbehelligt weiterläuft. Die Gefahr von dauerhafteren Einschränkungen demokratischer Rechte unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung ist durchaus vorhanden.

Von Max Klinkner, Mainz

Bei steigenden Inzidenzen und ausgelasteten Intensivstationen ist es absolut klar, dass es Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus braucht. Als Sol haben wir dazu ein umfangreiches Programm ausgearbeitet, welches wir auch regelmäßig aktualisieren. Die sogenannte „Notbremse“ setzt aber wieder nicht da an, wo sie eigentlich gebraucht wird. Diese soll bei einer 7-Tage-Inzidens von über 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen gelten und damit einheitliche Regelungen für das gesamte Bundesgebiet schaffen.

Die sicherlich umstrittenste Maßnahme sind die Ausgangssperren, welche künftig von 22 bis 5 Uhr gelten sollen. Zwar gab es bereits die Ankündigung, dass diese insofern gelockert werden soll, dass Spaziergänge bis Mitternacht erlaubt bleiben, doch ist hier der Trend deutlich zu sehen. Es ist wieder das Privatleben, welches eingeschränkt wird. Eine solche Einschränkung geht dabei einher mit einer Zunahme von Repression, um diese auch durchzusetzen.

Weiteres Chaos an den Schulen

Wo zunächst ein Inzidenzwert von 200 angedacht wurde, sollen Schulen jetzt ab einem Wert von 165 geschlossen werden. Statt einheitlicher und gut handhabbarer Regelungen, bekommt man immer mehr den Eindruck, dass die Regierenden ihre Entscheidungen sehr willkürlich treffen. Auch wird es an der Schulfrage sehr deutlich, dass es ihnen kaum um unsere Gesundheit geht. Schüler*innen sind seit Monaten hohem Druck, Prüfungsstress und sozialer Vereinsamung ausgesetzt. Anstatt die Schulen immer wieder zu öffnen und zu schließen hätte viel getan werden können, um sie sicher zu machen. Immer noch fehlt es an Luftfiltern, Trennwänden und ausreichend Tests. Weder gibt es mehr Schulbusse, noch wurden diese flächendeckend mit Luftfiltern ausgestattet. Trotz wiederkehrendem Homeschooling gibt es keine Bereitstellung von Endgeräten oder Internetzugängen für bedürftige Familien.

Dabei geht es auch nicht nur um das Versäumen von Unterricht, sondern auch um soziale Kontakte und einen Ausgleich zum Lernstress. Wir haben vor dem Winter gefordert, dass Programme aufgestellt werden müssen, die einen Corona-konformen Freizeitausgleich ermöglichen, durch beispielsweise Exkursionen in Kleingruppen oder Sportangebote im Freien. Von der Regierung wurde nichts in dieser Hinsicht unternommen und Schüler*innen wie Eltern mit den psychischen Folgen alleingelassen. Jetzt soll auch Sport im Freien nur noch mit zwei Personen oder nur mit Personen aus einem Haushalt möglich sein. Aerosolforscher*innen weisen dagegen darauf hin, dass die Ansteckungsgefahr im Freien sehr gering ist und Ansteckungen zum deutlich überwiegenden Teil in Innenräumen stattfinden.

Auf der Arbeit geht es weiter

Wo es weiterhin keine Einschränkungen gibt, ist das Arbeitsleben. Dabei zeigen neue Studien, dass in den vergangenen beiden Wellen vor allem in Kreisen mit hoher Beschäftigung, insbesondere in der Produktion, die Inzidenzwerte schnell nach oben gingen. Um die Wirtschaft am Laufen zu halten, also die Profite der Bosse zu sichern, sollen wir weiter uneingeschränkt in Büroräumen und Betrieben arbeiten und zuvor in vollen S-Bahnen und Bussen sitzen.

Es ist zwar sinnvoll, in der Pandemie das Homeoffice auszuweiten und die Unternehmen endlich zu verpflichten, dieses anzubieten. Trotzdem sollten die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften und Betriebs- und Personalräte darüber entscheiden können, ob Kolleg*innen ins Homeoffice müssen oder nicht. Ansonsten sollen Arbeitgeber*innen einen Test pro Woche zur Verfügung stellen, bei hohem Kundenkontakt zwei. Zuvor wurden sie nur gebeten, Test durchzuführen. Außerdem ist es nicht zwangsweise so, dass eine Testung auch zur Arbeitszeit zählt und der Zeitaufwand vergütet wird. Die Gewerkschaften müssen darauf achten, dass diese Regelungen auch eingehalten und umgesetzt werden. Schließungen im Einzelhandel werden ab einer Inzidenz von 150 vorgenommen, zuvor sollte dies ab einem Wert von 100 geschehen. Davon profitieren vor allem die großen Geschäfte und Kaufhäuser. Kleine Selbstständige müssen weiterhin um ihre Existenz bangen.

Die bürgerlichen Parteien setzen ihre Politik für das Kapital fort. Für die Schaffung von Gewinnen wird unsere Gesundheit und letztlich unser Leben aufs Spiel gesetzt. Dabei erhalten Konzerne wie Lufthansa, TUI und Co. Milliarden Euro, die man auch für Luftfilter in öffentlichen Einrichtungen und Schulen oder mehr Personal in den Krankenhäusern und Gesundheitsämtern hätte ausgeben können. Somit ist auch diese „Notbremse“ letztendlich nicht das, was wir brauchen, um die lohnabhängige Bevölkerung, kleine Selbstständige und sozial Benachteiligte zu schützen und von den gesundheitlichen, psychischen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu bewahren.

Um einen Kurswechsel in unserem Interesse als Arbeiter*innenklasse durchzusetzen, braucht es Protest von unten. In Mainz gab es von Seiten der Sol bereits eine Kundgebung gegen die Ausgangssperre und für wirksame Corona-Maßnahmen. Solche Proteste sollten bundesweit stattfinden und von Gewerkschaften und DIE LINKE organisiert werden.

Einschränkung demokratischer Rechte

Noch sehen die Regelungen kein Verbot von Demonstrationen oder eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit vor, aber die Gefahr, dass die Pandemie künftig dazu genutzt wird, nimmt zu. Denn neben der aktuellen Pandemie befinden wir uns auch in einer Wirtschaftskrise. Früher oder später wird es zu Angriffen auf die Arbeiter*innen und auf soziale Errungenschaften kommen, um die Folgen der Krise durch die Masse der arbeitenden Bevölkerung zahlen zu lassen. Der Unmut über die Politik der bürgerlichen Parteien und ihr Versagen, die Krise in den Griff zu bekommen, wird dabei schon jetzt immer größer. Das wissen die Regierenden und werden versuchen, mit entsprechenden restriktiven Maßnahmen, Proteste gegen ihre Politik in ihrem Ausmaß einzuschränken. Das geplante neue Versammlungsgesetz in Nordrhein-Westfalen ist Ausdruck davon. International ist diese Entwicklung bereits im Gange.

So kam es in England letzten Monat bereits zu einer Gesetzesänderung des Versammlungsrechts. Diese erfolgte kurz nach den Protesten anlässlich des Polizei-Mords an Sarah Everard. Die Änderung sieht vor, dass örtliche Polizeiämter die Befugnis erhalten, Demonstrationen und Kundgebungen einzuschränken bzw. aufzulösen. Die Formulierung lässt dabei viel Raum für Willkür und bereits eine zu hohe Lautstärke kann dafür sorgen, dass die Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt wird. Es wird also explizit dafür gesorgt, dass ein Protest möglichst still und leise von statten geht. Diese Gefahren bestehen auch in Deutschland, wenn die Bundesregierung versucht, ihre Befugnisse auszuweiten.

Der Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) äußerte sich bereits, dass er Einschränkungen der Versammlungsfreiheit als ein sinnvolles Mittel sieht. Auf diese Gefahren müssen wir hinweisen, auch unter dem Aspekt, dass die Pandemie uns noch länger begleiten wird und immer wieder herangezogen werden kann, um demokratische Rechte einzuschränken. Umso fataler ist es, wenn Gewerkschaften im vorauseilenden Gehorsam Streiks und Demonstrationen absagen. Gerade jetzt ist es wichtig, auch am 1. Mai auf die Straße zu gehen und für eine Corona-Politik im Interesse der Arbeiter*innen und gegen ein Abladen der Krisenfolgen für die Lohnabhängigen zu kämpfen. Mit Abständen, Masken und Hygiene-Maßnahmen ist dies möglich. Mit über sechs Millionen Mitgliedern hätten die Gewerkschaften die Möglichkeit breite Proteste aufzustellen und auch mit Streiks für effiziente Schutzmaßnahmen und gegen das Abwälzen der Krise auf unserem Rücken zu kämpfen.

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