Ausweg nur auf sozialistischer Grundlage möglich
Bilder von randalierenden Jugendlichen in Belfast und anderswo, denen die Polizei mit Wasserwerfern entgegentrat, beschworen Szenen aus der Zeit der “Troubles” (Bezeichnung für den Nordirland-Konflikt in Vereinigten Königreich und Irland, Anm. des Übersetzers) herauf. Aus der Sicht des internationalen Publikums scheint Nordirland über Nacht von der Stabilität zum drohenden Zerfall übergegangen zu sein.
Von Donal O‘Cofaigh, Stadtrat und Mitglied von Militant Left (CWI in Irland)
Natürlich spiegelt dies nicht die Realität vor Ort wider. Aber allein die Tatsache, dass der Anschein eines so schnellen Übergangs von einem Extrem zum anderen erweckt wird, täuscht über die Wahrheit hinweg, dass die politischen Vereinbarungen, die im Rahmen des Karfreitagsabkommens und danach geschaffen wurden, die nationale Frage nicht gelöst haben und auch nicht lösen können.
Die Spannungen in Nordirland spiegeln den zugrundeliegenden Wandel in der Demographie wider, der sich auf einen Kipppunkt zuzubewegen scheint, an dem die Protestant*innen zur Minderheit werden und damit die Position Nordirlands im Vereinigten Königreich gefährdet wird. Daneben hat das anhaltende Versagen der Nordirland Versammlung (nordirisches Parlament, dass im Zuge des Karfreitagsabkommen geschaffen wurde, Anm. des Übers.), echte Verbesserungen der wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen der Bevölkerung zu erreichen, eine explosive Mischung geschaffen. Die soziale Benachteiligung der Arbeiter*innenklasse sowohl in den unionistischen als auch in den nationalistischen Gebieten bleibt hartnäckig hoch.
Harte Seegrenze
Während die demografischen Veränderungen die Grundlage für die jüngste Krise bilden, ist die Einführung der “harten Seegrenze” und des Nordirland-Protokolls, das faktisch Nordirland vom Vereinigten Königreich trennt, der Auslöser für die jüngsten Straßenkonfrontationen.
Um eine unmittelbare “Seegrenz”-Krise zu vermeiden, handelte der britische Premierminister Boris Johnston eine dreimonatige Verzögerung bei der Einführung von “sanitären und phytosanitären Kontrollen” (Gesundheitskontrollen) und eine sechsmonatige Verzögerung bei umfangreichen Zollerklärungen aus. Aber selbst das reichte nicht aus, um eine politische Krise zu vermeiden.
Hardliner-Stimmen innerhalb der Gewerkschaften übten Druck auf die Tory-Regierung aus, das Protokoll einseitig auszusetzen. Doch die Tory-Regierung war nicht zum Einlenken bereit. Es war jedoch der Impfstoffmangel von AstraZeneca, der dazu führte, dass die Europäische Union (EU) drohte, die Einfuhr von in der EU produzierten Impfstoffen nach Nordirland zu verhindern. Zwar zogen sich die EU-Minister*innen schnell zurück, doch die Drohung erhöhte die Spannungen weiter und entlarvte die Doppelzüngigkeit der EU-Sorgen um die Region.
Die Spannungen nahmen weiter zu. In den unionistischen Gebieten wurden Plakate, Wandmalereien und Graffiti gegen die harte Seegrenze angebracht. In dem Bemühen, ihre Autorität wiederzuerlangen, traf sich die Democratic Unionist Party (DUP, die wichtigste unionistische Partei unter der Führung von Arlene Foster), die das Nordirland-Protokoll zunächst als Chance für die Wirtschaft begrüßt hatte, mit dem Loyalist Community Council, der die loyalistischen Paramilitärs vertritt, um eine gemeinsame Kampagne gegen das Protokoll zu vereinbaren.
Der Auslöser für die Unruhen war die Untersuchung der nordirischen Polizeibehörde bezüglich der Teilnahme ranghoher Sinn Féin-Politiker, einschließlich der stellvertretenden Ersten Ministerin Michelle O’Neill und Ministern der Exekutive, an der Beerdigung des IRA-Führers Bobby Storey, während der Lockdown-Restriktionen auf Grund der Corona-Pandemie. Die Ankündigung, dass die Staatsanwaltschaft diese Politiker*innen nicht strafrechtlich verfolgen würde, vertiefte die Wut der Unionist*innen.
Das Ereignis wurde unter Unionist*innen zum Symbol für die Bereitschaft der Polizei, ein Auge zuzudrücken, wenn Republikaner*innen gegen die Covid-Sicherheitsgesetze verstießen, die für alle anderen strikt durchgesetzt wurden.
Sektiererischer Fußball
Die Realität ist, dass die Corona-Pandemie zu einem sektiererischen Fußball geworden ist, bei dem sich beide Seiten angegriffen fühlen; Nationalist*innen forderten Maßnahmen, als Hunderte von Glasgow Rangers Fußballfans Anfang des Jahres auf den Straßen von Belfast feierten und dabei offensichtlich gegen die Covid-Beschränkungen verstießen, während die Unionist*innen weitgehend schwiegen.
Die anfänglichen Unruhen beschränkten sich auf Gebiete, die von loyalistischen paramilitärischen Gruppen kontrolliert wurden, die offen mit Kriminalität und Drogenhandel in Verbindung gebracht werden, weiteten sich aber schnell aus. Die Unruhen erreichten am 7. April ihren Höhepunkt, als Randalierer*innen gegenseitig Steine und Benzinbomben über “Friedensmauern” in West Belfast warfen. (Friedensmauern sind Mauern, die gebaut wurden, um pro-irische und pro-britische Wohnviertel von einander zu trennen, Anm. des Übers.)
Als die Situation außer Kontrolle zu geraten begann, versuchten die nationalistischen und unionistischen politischen Parteien und paramilitärischen Organisationen, die Unruhen einzudämmen. Unionist*innen nutzten den Tod von Prinz Philip, um die Menschen aufzufordern, von der Straße zu gehen. Ihre Appelle zeigten eindeutig Wirkung, und obwohl es immer noch einige Krawalle gab, waren sie deutlich weniger umfangreich.
Für Sozialist*innen sollten die jüngsten Ereignisse eine Warnung sein. Weder der kapitalistische Nationalismus noch der Unionismus bieten den Arbeiter*innen einen Weg nach vorne. Im Gegenteil, beide Lager drohen mit einer Rückkehr zu Spaltung, Gewalt und sogar mit der Aussicht auf eine erneute Teilung.
Eine Alternative muss aufgebaut werden. Einen Vorgeschmack auf das, was möglich ist, haben die Aktionen der Metro-Busfahrer*innen und der Hafenarbeiter*innen gezeigt, die, über konfessionelle Grenzen hinweg vereint, die Arbeit niederlegten, als sie und ihre Kolleg*innen bedroht wurden. Mitglieder des Komitees für eine Arbeiterinternationale in Nordirland – Militant Left – spielten eine aktive Rolle bei der Unterstützung der Aktion der Arbeiter*innen. Padraig Mulholland, stellvertretender Generalsekretär der Gewerkschaft NIPSA, sprach zu den Fahrer*innen und versprach, dass die Arbeiter*innenbewegung jede Gefahr einer Rückkehr zum Konflikt bekämpfen würde.
Die Tatsache, dass die Angriffe auf wichtige Arbeiter*innen abzielten, die während der gesamten Abriegelung gearbeitet hatten, verstärkte die breite Unterstützung der Arbeiter*innenklasse gegen Sektierertum und durchbrach die Spannungen, indem sie bei vielen einen Akkord für die Klasseneinheit anschlug.
Wieder einmal haben die jüngsten Ereignisse bestätigt, dass prinzipientreue Sozialist*innen, die eine Plattform für die Einheit der Arbeiter*innen vorlegen, selbst mit kleinen Kräften Arbeiter*innen zusammenbringen und den Aufstieg der Reaktion durchbrechen können.
Um die Situation tiefgreifend zu verändern, wären Maßnahmen der Gewerkschaftsbewegung und der Aufbau einer Massenpartei für sozialistischen Veränderung erforderlich.