Sozialistische Linke geschwächt – Diskussion über neue Arbeiter*innenpartei nötig
Nach den Wahlen zum Dáil [Parlament der irischen Republik] am 29. November gehen die Gespräche über die Regierungsbildung weiter. Es besteht zwar kein Zweifel daran, dass die beiden wichtigsten traditionellen Regierungsparteien des irischen Kapitalismus, Fianna Fáil und Fine Gael, die nächste Regierung bilden und anführen werden, aber die einzige Frage ist, wie sie genau aussehen wird? Wird Labour wieder den Köder schlucken? Oder werden es die Sozialdemokrat*innen sein? Wahrscheinlicher ist, dass eine Gruppe unabhängiger TDs [Mitglieder des irischen Parlaments] dazu überredet wird, die nächste Regierung zu unterstützen, um im Gegenzug eine Vorzugsbehandlung für ihre Wahlkreise zu erhalten.
von Ciarán McKenna, Militant Left (CWI in Irland)
Unabhängig von der letztendlichen Zusammensetzung der Regierung zeigen die jüngsten Dáil-Wahlen eine weitere Polarisierung und Degeneration innerhalb des parlamentarischen Systems. Trotz des äußeren „Erfolgs“ der irischen kapitalistischen Wirtschaft gibt es nach wie vor tiefe soziale Krisen, die nicht innerhalb der Parameter des irischen Kapitalismus gelöst werden können.
Die Unterstützung für Fianna Fáil und Fine Gael fiel auf den niedrigsten Stand aller Zeiten. Das Gleiche gilt für die allgemeine Wahlbeteiligung, die erstmals unter sechzig Prozent fiel. Nur noch jede* vierte Wahlberechtigte gab die Erststimme für eine der traditionellen Parteien des irischen Kapitalismus ab. Die bescheidenen Fortschritte von Sinn Féin reichten nicht aus, um eine Regierung zu führen. Im Folgenden skizzieren wir eine Analyse dessen, was uns diese Wahl über den Zustand der parlamentarischen Demokratie im Süden Irlands sagen kann und was die Auswirkungen auf die Arbeiter*innenklasse und den Klassenkampf sind.
Sozialistische Linke: Enttäuschend, aber nicht katastrophal
Die Wahlergebnisse waren für die Linke enttäuschend, aber nicht katastrophal. People Before Profit-Solidarity (PBP-Sol) verlor drei Sitze und gewann einen hinzu, so dass sie netto zwei Sitze verloren. Linke Unabhängige wie Joan Collins in Dublin South Central und Thomas Pringle in Donegal verloren ebenfalls ihre Sitze.
In einer Zeit, in der der Kampf der Arbeiter*innenklasse auf niedrigem Niveau stattfand, gelang es der sozialistischen Linken dennoch, im Dail vertreten zu sein. PBP-Sol gewann drei Sitze, alle in Dublin. Dies hat das Potenzial, politisch wichtig zu sein; es hängt davon ab, wie diese Abgeordneten ihre Positionen nutzen, um für eine klare sozialistische Lösung einzutreten, während sie sich auf die Arbeiter*innenklasse einschließlich der Gewerkschaften stützen.
Viele andere PBP-Sol-Kandidat*innen erhielten ordentliche Stimmergebnisse, was auf eine gewisse Unterstützung für linke Parteien schließen lässt. Es gab jedoch ein deutliches Warnzeichen. Die Erstpräferenzstimmen für die amtierenden TDs der PBP-Sol – und für Ruth Coppinger, die eine Rückkehr in den Dail anstrebte – waren deutlich niedriger als 2020. Sowohl in Bezug auf die Anzahl der Stimmen als auch auf den prozentualen Anteil.
Die PBP-Sol-Linksfraktion im Dáil ist nun auf drei verschiedene Organisationen mit je einem TD verteilt. Es bleibt abzuwarten, wie kohärent diese Gruppierung sein wird. Sicherlich wird es schwierig sein, Redezeit zu erhalten und Gesetzesentwürfe einzubringen. Dennoch ist es von politischer Bedeutung, dass die Linke im nächsten Dáil vertreten sein wird.
Wir glauben, dass jetzt Diskussionen über den Aufbau einer Massenpartei der Arbeiter*innenklasse beginnen müssen, die jene Schicht von Sozialist*innen, Gewerkschafter*innen, lokale Aktivist*innen und Arbeiter*innen einbeziehen kann, die eine sozialistische Politik eindeutig unterstützen. Eine weitere Fianna Fáil/Fine Gael-geführte Koalition wird zum Beispiel zu einer Verschärfung der Wohnungskrise führen. In weiten Teilen der Arbeiter*innenklasse herrscht große und wachsende Wut darüber, dass trotz aller Anzeichen von Wohlstand und Prosperität Grundbedürfnisse wie erschwinglicher Wohnraum immer noch nicht befriedigt werden können. Diese Wut bietet eine klare Grundlage für das Wachstum und die Konsolidierung einer solchen Partei, die sich auf ein sozialistisches Programm stützt.
Von einem Zweiparteien- zu einem Drei-Blöcke-System?
Die Parlamentswahlen von 2011, die ersten nach dem Finanzkollaps von 2008, haben das System des Dáil grundlegend erschüttert. Sie beendeten die Wahldominanz von Fianna Fáil und Fine Gael und öffneten den Raum für andere politische Kräfte, vor allem Sinn Fein.
Die Wahlen im November bestätigten die fortschreitende Konsolidierung der verschiedenen politischen Blöcke. An die Stelle der nicht mehr existierenden Zwei-Parteien-Politik des „Bürgerkriegs“, die von 1922 bis 2011 vorherrschte, ist ein immer engeres Bündnis zwischen Fianna Fáil und Fine Gael getreten. Fianna Fáil und Fine Gael sind nun in ein immer engeres Bündnis eingebunden. Da sich beide weigern, mit Sinn Féin zu koalieren, bleibt dieses Bündnis auf absehbare Zeit die Grundlage für die Regierung.
Außerdem bestätigen die starken Übertragungsstimmen zwischen beiden Parteien, dass ein Teil der irischen Wähler*innenschaft diese politische Tatsache anerkennt. Dies ist jedoch wahrscheinlich nur ein vorübergehendes Phänomen. Es basiert auf einer „boomenden“ Wirtschaft, die sich auf Rekordsteuereinnahmen und ausländische Direktinvestitionen vor allem von multinationalen US-Unternehmen stützt und den Lebensstandard eines Teils der Mittelschicht und einiger Arbeiter*innen aufrechterhalten hat. Eine neue und unvermeidliche Wirtschaftskrise für die südirische Wirtschaft wird die Erosion der Unterstützung für den Block Fianna Fáíl/Fine Gael noch beschleunigen.
Sinn Féin bildet einen zweiten Block. Sie ist offen für eine Koalition mit allen Parteien, aber unfähig, mit ihrem bevorzugten Partner, der Fianna Fáil, zusammenzuarbeiten. Sie steht einer linken Regierung nach wie vor nur verhalten gegenüber und ist eindeutig nicht ernsthaft bereit, die schwierige und konsequente politische Arbeit zu leisten, die für den Aufbau einer linken politischen Alternative erforderlich ist.
Vielleicht wird diese Wahl ein Katalysator für Sinn Féin sein, um ernsthaft mit der harten politischen Arbeit zu beginnen, eine alternative potenzielle Regierung zu bilden? Egal, ob es sich dabei um eine „progressive“ oder gar eine „linke“ Regierung handelt. In Anbetracht ihrer Bilanz im Norden wie im Süden und ihrer Vorliebe, immer mit rechten Parteien wie der DUP zusammenzuarbeiten, ist das sehr unwahrscheinlich.
Im Wunschdenken über eine von Sinn Féin geführte „linke“ Regierung geht die Tatsache unter, dass Sinn Féin vor allem eine nationalistische Partei ist, deren oberstes politisches Ziel die nationale Einheit Irlands ist. Der Aufstieg einer ultranationalistischen extremen Rechten, die sich ausgiebig der Symbole des irischen Nationalismus, vor allem der Trikolore, bedient, stellt ein Problem für Sinn Féin dar. Da alle Wege zur Regierung im Süden durch Fianna Fáil und Fine Gael blockiert sind, könnte die dominante nationalistische Fraktion von Sinn Féin versucht sein, eine gemeinsame Basis mit dem Teil der Wähler*innenschaft zu suchen, der sich der ultranationalistischen extremen Rechten zuwendet. Diesen Weg einzuschlagen, anstatt eine linke alternative Regierung zu bilden, stellt eine massive Bedrohung für die Interessen der Arbeiter*innenklasse dar.
Der dritte politische Block, der aus dieser Wahl hervorging, stützt sich auf den „linken“ Flügel des irischen politischen Establishments: die Grünen, Labour und die Sozialdemokrat*innen. Die Grünen haben elf ihrer zwölf Sitze verloren. Die Labour-Partei und die Sozialdemokrat*innen gewannen jeweils fünf Sitze hinzu. Zusammengenommen werden diese drei Parteien 2024 ähnlich viele Abgeordnete stellen wie 2020. Obwohl sie derzeit keine formale Struktur haben, haben sie das Potenzial, sich im nächsten Dáil zusammenzuschließen, falls die eine oder andere Partei sich weigert, an der Regierung teilzunehmen. Keine der Parteien ist für die Bildung einer möglichen Regierung erforderlich. Wie bei Fianna Fáil und Fine Gael gibt es nur wenige, wenn überhaupt, grundlegende politische Unterschiede zwischen ihnen.
Ihre Funktion ist jedoch die des „linken“ Gesichts für den Kapitalismus, was durch die schlechte Rolle der Labour-Partei während der Koalition von 2011-16 veranschaulicht wird, als sie die Austeritätspolitik mit voran trieb. Sie könnten in den kommenden Jahren noch gebraucht werden, wenn die Wirtschaft in Schwierigkeiten gerät.
Einige der sozialdemokratischen Abgeordneten kommen mit großen Ambitionen, die als kleine Oppositionspartei unmöglich zu erfüllen sind, und es ist möglich, dass sie zersplittert, wenn diese Erkenntnis eintrifft. Ihre politische Verwirrung wird durch ihren neuen Abgeordneten Eoin Hayes verkörpert, der kaum einen Tag in der Fraktion war, bevor er wegen seiner Verbindungen zum israelischen Technologieunternehmen Palantir aus der Partei geworfen wurde.
Extreme Rechte: Keine Dáil-Sitze, aber ein Stimmenzuwachs
Die rechtsextremen Wähler*innengruppen haben keine Sitze gewonnen. Dennoch haben mehrere rechtsextreme Kandidat*innen respektable Ergebnisse erhalten. Independent Ireland, eine rechtspopulistische Organisation, errang vier Sitze. Aontú gewann zwei Sitze, und Unabhängige wie Mattie McGrath und Verona Murphy, die beide bereitwillig rechtsextreme Rhetorik wiedergeben, erhielten erhebliche Stimmenanteile.
Ein Teil der Wähler*innenschaft hat sich eindeutig von den traditionellen rechten Parteien abgewandt und sich der extremen Rechten zugewandt. Auch wenn dies noch nicht das Ausmaß Europas oder der USA erreicht hat, so ist es doch ein Zeichen für eine zunehmende Polarisierung. Die wahre politische Bedeutung dieses Trends wird sich möglicherweise erst beim nächsten Wirtschaftsabschwung zeigen. Trumps Drohungen bezüglich der Körperschaftssteuer deuten darauf hin, dass wirtschaftliche Erschütterungen näher sein könnten als gedacht.
Die Anschläge auf das internationale Schutzzentrum für Geflüchtete in Athlone zeigen, dass die Rechtsextremen und ihre faschistischen Elemente nach wie vor eine Bedrohung in unseren Gemeinden darstellen. Nach der Wahl 2024 werden diese Kräfte im nächsten Dáil ein paar Freund*innen mehr haben.
Wahlen im Kapitalismus: Eine Übung in politischer Ablenkung und Verzerrung
Im Wahlkampf wurden wichtige Klassenfragen, die das tägliche Leben der Mehrheit der Arbeiter*innenklasse betreffen, nicht angesprochen. Es wurde das Narrativ durchgesetzt, dass es dem Land „gut geht“. Dies steht jedoch im Widerspruch zu den Erfahrungen der Mehrheit der Menschen. Statistiken wurden herausgepickt, um die Erzählungen der Regierungsparteien über Wohlstand und Reichtum zu untermauern.
In einer Gesellschaft, in der zwanzig Prozent der Lohnabhängigen offiziell niedrig entlohnt werden, wurde während des Wahlkampfs kaum oder gar nicht über die Löhne gesprochen. Den Umfragen zufolge waren Wohnen und Lebenshaltungskosten die wichtigsten Themen für die Wähler*innen. Wichtige Lösungen wie eine öffentliche Wohnungsbaugesellschaft wurden vorgeschlagen. Die Debatte über den Wohnungsbau wurde jedoch durch Fehlinformationen von Fine Gael und Fianna Fáil verzerrt, die von den selbstgefälligen Medien bereitwillig wiederholt wurden.
Für Sozialist*innen bedeutet Politik jedoch, die Macht der Arbeiter*innen durch Kämpfe aufzubauen. Durch den Aufbau starker, kämpferischer Gewerkschaften, durch Kampagnenorganisationen für den Wohnungsbau und das Gesundheitswesen und durch sozialistische politische Organisationen. Fine Gael ist nun seit fast 14 Jahren an der Macht. In dieser Zeit ist es einem kleinen, aber bedeutenden Teil der Gesellschaft „gut ergangen“, aber ein viel größerer Teil wurde in die permanente wirtschaftliche Prekarität gedrängt.
Im nächsten Dáil wird sich dieser Prozess fortsetzen, und in der Gesellschaft wird sich ein enormer Druck aufbauen, da die Arbeiter*innenklasse um Antworten ringt. Die Wahl hat keine der drängenden Fragen der Arbeiter*innenklasse beantwortet. Die Antworten müssen nun in unseren Gemeinden, an den Arbeitsplätzen, auf den Straßen und in unseren Gewerkschaften erkämpft werden.