Russland zwischen Pro-Navalny-Protesten und Parlamentswahlen

Foto: www.kremlin.ru

Kampf für Demokratie und soziale Frage verbinden!

Die Proteste in Russland, welche Ende Januar und den ganzen Februar hindurch das Land prägten, scheinen vorbei zu sein. Putin sieht sich wieder sicher im Sattel: Neue Sicherheitsgesetze, Repressionen gegen Navalny-Anhänger*innen und sogar gegen widerständige Kräfte innerhalb der loyalen Oppositionspartei der KPRF (Kommunistische Partei der Russischen Föderation) stehen an der Tagesordnung.

von Felix Jaschik, Bochum

Die letzten von Navalnys Büro ausgerufenen Kundgebungen, wie am Valentinstag, waren nur schwach besucht und wurden vom Staat nicht infrage gestellt. Nur in Kasan kam es nochmals zu einer größeren Demonstration mit Dutzenden Festnahmen. Auch die KPRF hielt am 23. Februar, dem Tag des Verteidigers des Vaterlandes, eine Kundgebung am berühmten Schiff Aurora ab. Zwar war diese Kundgebung schlecht besucht und die Parteibürokrat*innen der KPRF hielten Standardreden ab, doch konnte man auch Anti-Putin-Parolen von KPRF-Anhänger*innen vernehmen. Dies macht nur allzu deutlich, wie unzufrieden die Basis der KPRF mit dem Kurs der Partei ist. Nikolai Bondarenko, Abgeordneter der KPRF im Regionalparlament von Saratow, muss nach seiner Unterstützung der Proteste mit harschen Repressionen rechnen. Er hat hohe Chancen, bei den diesjährigen Parlamentswahlen den Gegenkandidaten der Putin-Partei “Einiges Russland” zu schlagen und in die Duma (Parlament) einzuziehen. Er steht für einen neues Kurs innerhalb der KPRF, der für einen linkspopulistischen klaren Anti-Putin-Kurs steht. Mit seinen eine Million Follower*innen auf Instagram ist er zum beliebtesten Politiker der KPRF geworden, weit vor dem sich Putin anbiedernden LangzeitParteivorsitzenden Gennadi Sjuganow. Auch der Jugendverband der KPRF beteiligte sich teilweise an den Protesten.

Heißer Sommer in Russland?

Zwar ruft Navalnys Büro aktuell nicht mehr zu Protesten auf, doch sollte man sich nicht täuschen lassen. In Umfragen zur Parlamentswahl am 19. September liegt die Staatspartei Einiges Russland zum ersten Mal unter dreißig Prozent. Es ist davon auszugehen, dass der Staat diesmal stärker das Wahlergebnis fälschen muss als üblich. Dies könnte der Anlass für erneute und größere Proteste sein. Es könnte zu einem heißen Sommer des Protestes kommen. Zwar hat sich Navalnys Anhängerschaft über das kleinbürgerliche Spektrum hinaus nicht erweitert, aber der katastrophale Umgang der russischen Regierung mit Covid-19, die Wirtschaftskrise und der endgültige Wechsel der Wirtschaftspolitik zum Neoliberalismus hin führen zu einer verschärften Situation des Klassenkampfes. Zwar nahmen eher wenige Arbeiter*innen an den Protesten im Januar und Februar teil, gleichzeitig sind sie aber nicht mehr bereit, der Zuckerbrot-und-Peitsche-Politik der Putin-Regierung zu folgen. Für viele war die Gewalt der Sicherheitskräfte und die Repression gegen Jugendliche, viele aus Arbeiter*innenfamilien, empörend. Schüler*innen und Studierende wurden an Schulen öffentlich von Lehrer*innen und Direktor*innen gedemütigt und als ausländische Agenten diffamiert. Sozialist*innen müssen jetzt Widerstand gegen die Repressionen und gegen das neue Bildungsgesetz, welches widerständiges Lehrpersonal mundtot machen soll, an den Schulen und Universitäten organisieren um die Jugend zu mobilisieren. 

Notwendigkeit einer Arbeiter*innenpartei

Die Situation in Russland wird zu verschärften Klassenkämpfen führen. Weitaus größere Demonstrationen dieses Jahr sind möglich. Die liberale Opposition kämpft schon seit Jahrzehnten mit demokratischen Parolen, ohne überhaupt die Arbeiter*innenklasse zu erreichen. Der Kampf um mehr demokratische Rechte und gegen Korruption muss mit der sozialen Frage und der Forderung nach einer sozialistischen Demokratie verbunden werden. Russland fehlt eine wirkliche sozialistische Massenarbeiter*innenpartei. Um diese zu erreichen, sollten russische Sozialist*innen in den Gewerkschaftsverbänden aktiv werden und sich dort verankern. Die staatskritische Konföderation der Arbeit Russlands vereinigt zwei Millionen Industrie- und Logistikarbeiter*innen. Aber sie müssen auch Kontakt zur Basis der KPRF suchen. Dass es in dieser zu einer größeren Abspaltung kommt, ist nicht unwahrscheinlich. Dies könnte der erste Schritt zu einer unabhängigen Arbeiter*innenpartei in Russland sein.