Versammlungsgesetz NRW: Der Widerstand formiert sich

Erfolgreicher Protest in Aachen – Breite Kampagne nötig

Die nordrhein-westfälische Landesregierung möchte ein neues Versammlungsgesetz durchsetzen. Damit soll die Polizei deutlich mehr Befugnisse bekommen. Schikane gegen linke Demonstrant*innen droht. Doch es formiert sich Widerstand.

Von Christian Walter, Aachen

Anfang des Jahres legte die schwarz-gelbe Landesregierung den Entwurf vor. Auf 91 Seiten finden sich viele Angriffe auf die Versammlungsfreiheit, wie wir sie kennen. Wir wollen an dieser Stelle keine detaillierte Analyse vornehmen, das haben andere bereits gut gemacht (siehe beispielsweise: https://www.prigge-recht.de/nrw-landesregierung-will-versammlungsfreiheit-massiv-beschraenken/). Doch die wichtigsten Punkte würden teils heftige Einschnitte bedeuten:

  • Störungsverbot: Es ist schon jetzt verboten, andere angemeldete Versammlungen wie beispielsweise Neonazi-Aufmärsche erheblich zu stören. Damit sind beispielsweise Blockaden verboten. Neu wäre allerdings, dass bereits Handlungen verboten wären, die die Förderung von Störungen zum Ziel haben könnten. Damit wären beispielsweise Blockadetrainings künftig strafbar. Dafür muss das Blockadetraining noch nicht einmal im Zusammenhang beispielsweise mit der Mobilisierung gegen einen Neonazi-Aufmarsch stattfinden.
  • Kontrollstellen: Die Polizei soll rund um Versammlungen sogenannte Kontrollstellen einrichten dürfen, wo sie Menschen kontrollieren darf, die für sie verdächtig wirken. Somit kann die Polizei leicht eine umfassende Übersicht bekommen, wer auf kapitalismuskritische Demos geht, und gleichzeitig Demos verkleinern. Denn eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass man schon im Vorfeld einer Demo schikaniert wird, wird dazu führen dass besonders Menschen, die am Beginn ihrer Politisierung stehen, sich zwei Mal überlegen ob sie wirklich teilnehmen wollen.
  • Militanzverbot: Anders als der Begriff vermuten lässt heißt das nicht, dass es verboten ist, randalierend durch die Straßen zu ziehen. Das ist sowieso verboten. Mit dem „Militanzverbot“ soll es vielmehr verboten werden, „uniformiert“, „paramilitärisch“ oder „in vergleichbarer Weise“ aufzutreten. Das ist bewusst schwammig formuliert, um der Polizei viel Handlungsspielraum einzuräumen. Gemeint ist mit diesem Gesetzesteil sicherlich der „Schwarze Block“. Aber auch die „Ende Gelände“-Aktionen, wo Aktivist*innen „uniformiert“ in weißen Maleranzügen gegen die Kohle-Industrie vorgehen, könnten davon getroffen sein. Ebenso Gewerkschaftskundgebungen, wo Kolleg*innen oftmals mit Warnwesten oder in Arbeitskleidung demonstrieren. Es reicht, wenn sich ein Vorgesetzter davon „eingeschüchtert“ fühlen könnte – schon kann das Gesetz greifen und die Versammlung aufgelöst werden.

Es gibt einige weitere größere Punkte in dem Gesetz wie eine Ausweitung der Video-Überwachung, die Bestrafung von Anmelder*innen für den Fall, dass Veranstaltungen anders verlaufen als genehmigt oder die Pflicht, den Namen der anmeldenden Person im Aufruf zu nennen. Auch kann die Polizei ganze Versammlungen verhindern, indem sie Ordner*innen (von denen sie künftig Listen mit Namen und Adressen anfordern kann) ablehnt – wird die geforderte Zahl an Ordner*innen nicht erreicht, kann die Versammlung aufgelöst werden.

Durch den ganzen Gesetzesentwurf ziehen sich sehr schwammige Formulierungen, die der Polizei vor Ort großen Handlungsspielraum geben: Wenn sie möchte, kann sie schikanös vorgehen. Das lässt befürchten, dass künftig noch willkürlicher vor allem gegen Linke vorgegangen werden soll.

Widerstand formiert sich

Am Freitag, 16. April, fand in Aachen ein erster Protest dagegen statt. Vorgeschlagenen hatten das Sol-Mitglieder in linksjugend [‘solid]. Auf Initiative des Jugendverbands rief schließlich die linksjugend [‘solid] zusammen mit dem Studierendenverband SDS und der LINKEN auf. Erwartet waren 30 Teilnehmer*innen – es kamen 150. Deswegen wurde nach der geplanten Kundgebung noch eine spontane Demonstration durch die Innenstadt durchgeführt und weitere Proteste angekündigt.

Auch in anderen Städten gab es bereits erste Proteste, weitere sind Tage geplant. Es hat sich auch ein landesweites Bündnis gebildet (https://www.nrw-versammlungsgesetz-stoppen.de/). Am 6. Mai soll es landesweit dezentrale Aktionen geben, weitere Proteste sind in der Planung.

Ausweitung ist nötig

Bisher wird der Protest vor allem getragen von linken und Bürgerrechtsorganisationen sowie Gruppen aus der Antifa-, Umwelt- und feministischen Bewegung. Es haben sich schon hundert Gruppen unter den Aufruf gesetzt – teilweise lokale Strukturen, aber auch landesweite Organisationen wie linksjugend [‘solid] NRW und DIE LINKE NRW. Es ist jedoch auffällig, dass Gewerkschaften bisher fehlen. Das ist ein Fehler, der dringend korrigiert werden muss.

Es ist oft so, dass vor allem kleinere linke Gruppen mit Repression überzogen werden. Damit versucht der Staat, andere abzuschrecken, ohne einen großen Solidarisierungseffekt in der Bevölkerung hervorzurufen. Doch solche Gesetze sind Werkzeuge in den Händen der Herrschenden, die für härtere Klassenkämpfe entwickelt werden. Schon jetzt sind kämpferische Gewerkschafter*innen nicht von Repression verschont. Wenn die Herrschenden die Milliarden-Ausgaben der Corona-Krise wieder reinholen wollen, erwarten sie aber auch breiteren Widerstand. Denn das Geld soll von der Arbeiter*innenklasse bezahlt werden und vermutlich werden bald nach der Bundestagswahl erste Angriffe kommen. Gewerkschaften, als die größten Organisationen der Arbeiter*innenklasse, haben eine besondere Kraft und auch Verantwortung, sich frühzeitig darauf vorzubereiten. Linke Gewerkschafter*innen sollten in ihren Strukturen möglichst bald Positionierungen gegen das geplante Versammlungsgesetz vorschlagen und zu Protesten aufrufen.

Abgrenzung nach Rechts

Bei der Aachener Demo versuchte eine kleine Gruppe von Impfgegner*innen teilzunehmen. Das wurde ihnen verwehrt, sodass sie mit einigem Abstand ihre Schilder mit verwirrten Parolen hochhalten mussten. Es ist zu erwarten, dass sie es immer wieder auch in anderen Städten versuchen werden, und auch rechte Kräfte wie Neonazis versuchen das Versammlungsgesetz als Angriff auf sich selbst darzustellen. Doch das muss zurückgewiesen werden.

Der Staat hat oft genug bewiesen, dass er kein Interesse am konsequenten Kampf gegen Rechts hat – im Gegenteil: Rechte Strukturen in Behörden sind keine Seltenheit. Auch gegen teilweise unangemeldete rechts dominierte Corona-Demos in den letzten Monaten wurde oft kaum vorgegangen, um so härter jedoch gegen Gegenproteste. Das heißt nicht, dass der Staat nicht auch mal gegen rechte Strukturen vorgeht, doch sie sind nicht das Ziel des Gesetzesentwurfs. Es ist wichtig, die Argumentation gegen das geplante Gesetz nicht nur abstrakt demokratisch zu führen (und dabei eine offene Flanke nach Rechts zu haben). Man kann den Kampf nicht gewinnen ohne die Hintergründe zu kritisieren – den Versuch der Herrschenden, ihre Macht und ihre Privilegien zu sichern. Dafür nutzen sie Repression gegen Linke und die Arbeiter*innenbewegung und bereiten sich auf härtere Auseinandersetzungen vor. Rechte, die alles andere als gesellschaftlichen Fortschritt im Sinne haben, können dabei keine Verbündeten sein. Sie sollten konsequent von solchen Protesten ferngehalten werden.

Kapitalismus abschaffen

Gleichzeitig reicht es nicht, gegen die Angriffe auf das Versammlungsgesetz zu protestieren: Es sollte erklärt werden, was man tut – auch während einer Pandemie protestieren, bei Einhaltung sinnvoller Sicherheitsmaßnahmen. Proteste bräuchte es viel mehr – für eine Freigabe der Impf-Patente und eine Beschleunigung der Impfkampagne, für das Runterfahren von Wirtschaftsbereichen, die nicht zur Grundversorgung gehören (natürlich bei voller Lohnfortzahlung), für sichere Schulen und vieles mehr.

In NRW herrscht eine Regierung aus FDP und CDU. Das bringt SPD und Grüne in die komfortable Rolle, sich als Verteidigerinnen von Grundrechten aufspielen zu können – unter dem Bündnisaufruf stehen auch bereits Gruppen aus diesem Spektrum. Doch da steckt nicht viel hinter – vielleicht ein bisschen Kalkül, sich im Bundestagswahljahr etwas fortschrittlich zu zeigen. Doch auch sie sind keine guten Verbündeten, sorgen sie selbst doch – wenn sie an der Regierung sind – für ähnliche Angriffe. Das ist auch nur logisch, da sie konsequent den Kapitalismus verteidigen, mit allem, was dazu gehört. Und ein Ausbau der staatlichen Repressionsmöglichkeiten gehört dazu.

Stattdessen ist es wichtig, den Zusammenhang zwischen Unterdrückung und Ausbeutung zu erklären. Das Versammlungsgesetz soll weiter optimale Bedingungen für die Kapitalist*innen sichern, auf Kosten der Arbeiter*innenklasse. Wer das Problem an der Wurzel packen möchte, muss den Kapitalismus abschaffen. Unsere Alternative dazu ist eine sozialistische Demokratie, in der die Bedürfnisse von Mensch und Natur, nicht die Profite der Banken und Konzerne, im Mittelpunkt stehen. Davon würde die übergroße Mehrheit der Menschheit massiv profitieren. Repression könnte bald der Vergangenheit angehören.

Doch das kommt nicht von alleine. Findest du das gut? Dann melde dich und mach bei uns mit!

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