Impfpatente – Bidens geschicktes Manöver

Ohne Enteignung der Pharmakonzerne ist ausreichende globale Impfversorgung nicht denkbar

Die Ankündigung des US-Präsidenten, die Initiative zum Aussetzen der Patente für die Corona-Impfstoffe zu unterstützen, hat für viel Furore gesorgt. Ist das ein entscheidender Schritt im Kampf gegen die weltweite Pandemie?

Von Torsten Sting, Rostock

Patente sind ein juristisches Kernelement zum Schutz des kapitalistischen Eigentums. Eine Geschäftsidee wird beim Staat eingereicht und durch die zuständige Behörde registriert. Von nun an ist das Patent geschützt, wer die Idee kopiert, kann von den Eigentümer*innen juristisch belangt werden. Es ist daher nur allzu logisch, dass die Konzerne ein großes Interesse am konsequenten Schutz der Patente haben, da ihre Profite ansonsten ins Wanken geraten, wenn sich Konkurrenten*innen ungestraft ihrer Ideen bemächtigen können.

Um was geht es konkret?

Im Oktober 2020 stellten die Regierungen von Indien und Südafrika im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) einen Antrag, dass die Patente der Impfstoffproduzenten für die Zeit der Pandemie ausgesetzt werden. Das Wissen sollte global geteilt und die Produktion der Vakzine vereinfacht werden.

Zunächst war der Widerstand aus den reichen Industrieländern geschlossen, während etwa hundert Länder, zumeist aus der südlichen Hemisphäre, dass Anliegen unterstützten. Der Sinneswandel der US-Regierung, stellt damit eine wichtige Änderung in dieser Frage dar.

Ungleiche Verteilung

Zur DNA des Kapitalismus gehört die Ungleichheit, dies zeigt sich auch im Zusammenhang mit der Pandemie. Auf die reichen Industrieländer fallen etwa achtzig Prozent der hergestellten Impfstoffe, während die armen Staaten bislang nur 0,3 Prozent davon erhalten haben! Es liegt daher auf der Hand, dass alles dafür unternommen werden muss, um die Produktion schnellstmöglich hoch zu fahren und für eine gerechte Verteilung zu sorgen. Daher ist es nachvollziehbar, dass einige Hoffnungen mit der Freigabe der Patente verbunden sind.

Konflikte des Kapitals

Die Ankündigung der Biden-Administration führte gerade in den reicheren Ländern zu erbitterten Debatten in der herrschenden Klasse. Die Kontroversen ergeben sich einerseits zwischen Staaten, die unterschiedliche Interessen verfolgen. Anderseits fliegen aber auch die Fetzen innerhalb des Establishments eines Landes. Während die Grünen, Biden unterstützen, lehnt die Union dessen Vorschlag ab. Das ist nicht weiter verwunderlich, geht es hier doch um sehr grundsätzliche Fragen.

Umgang mit der Krise

Für die Herrschenden gilt es verschiedene Risiken gegeneinander abzuwägen. Ein Teil sieht in der Pandemie als solche eine große Gefahr im Hinblick auf die Stabilität ihres Systems. Solange Corona die Welt im Griff hat, hat dies negative Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, geht dies zu Lasten der Gewinne und verschärft soziale Spannungen. Um diese Gefahr zu bändigen ist dieser Teil der herrschenden Klasse bereit, für die Zeit der Pandemie, mit dem Schutz der Patente ein wichtiges Element des Kapitalismus auszusetzen. Der eher konservative Teil des Kapitals sieht gerade hierin grundlegende Gefahren für ihr System. Mit dem Aufweichen des Eigentumsschutzes könnte etwas ins Rutschen geraten. In Deutschland sieht nicht nur die CDU mit Sorge, dass in Berlin die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ so erfolgreich ist.

Unterschiedliche Interessen

Neben diesen grundlegenden Debatten, geht es aber natürlich auch um ganz konkrete Interessen der jeweiligen Kapitalist*innen. Es ist kein Zufall, dass die EU und insbesondere die deutsche Regierung, den Vorstoß von Biden abgelehnt hat. Hier sind namhafte Firmen angesiedelt, die mit der Impfstoffproduktion gerade hohe Profite generieren oder diese in Zukunft erzielen wollen. Wenn der französische Präsident Macron betont, dass es darauf ankomme, zu „exportieren, exportieren…“, dann ist er zum einen Vertreter des heimischen Sanofi-Konzerns, der verspätet in das Geschäft mit dem Impfen eingestiegen ist. Allgemein drückt er aber auch die Interessen der westlichen Konzerne aus, die ihre Marktmacht ausbauen wollen und keine Lust auf sinkende Margen haben, wenn es zu einer Ausweitung des Angebotes kommt.

Die Mainzer Firma Biontech, die vor etwas mehr als einem Jahr nur Insider kannten, hat im ersten Quartal diesen Jahres 1,1 Milliarden Euro Profit gemacht – nach Steuern! Der Merkel-Regierung geht es nicht allein um den Schutz dieses Unternehmens, das sich anschickt binnen kürzester Zeit zu einem Global Player in der Pharmaindustrie aufzusteigen. Mit der Entwicklung der Impfstoffe und insbesondere der neuen mRNA-Technologie können die Kräfteverhältnisse der Branche auf den Kopf gestellt werden. Für den deutschen Staat als „ideellen Gesamtkapitalisten“ (Friedrich Engels), geht es hier um die Stärkung einer wichtigen Branche, die mit einiger Wertschöpfung verbunden ist und die letztlich auch eine geostrategische Bedeutung hat. Bei den Impfstoffen geht es auch um Macht und Einfluss in der Welt.

Was treibt Joe Biden an?

Womit wir bei der spannenden Frage wären, was die Motive des US-Präsidenten sind. Letztlich muss man die Frage der Patente im Zusammenhang mit seiner gesamten Außenpolitik betrachten. Sein Vorgänger Donald Trump agierte wie die berühmte Axt im Walde und hat viel Schaden hinterlassen, den es aus Sicht des Demokraten zu reparieren gilt. Ein zentrales Anliegen von Biden ist es, die USA wieder international auszurichten, den Anspruch als globale Führungsmacht zu untermauern. Dabei spielt die Zusammenarbeit mit den traditionellen Verbündeten eine wichtige Rolle. Es gilt zudem Boden gut zu machen im geopolitischen Ränkespiel, speziell dem Ringen mit Hauptkonkurrent China. Das Reich der Mitte hat im letzten Jahrzehnt seinen Einfluss auf der ganzen Welt deutlich ausbauen können. Mit der Politik von Trump wurde weiterer Boden preisgegeben, den Biden wieder gutmachen will. Die neue US-Regierung setzt dabei zum einen auf traditionelle militärische Elemente, in dem mit dem Säbel gerasselt wird und Flugzeugträger in Krisengebiete beordert werden. Aber zum anderen kommt auch wieder mehr „soft power“ zum tragen. Biden sprach in seiner ersten außenpolitischen Rede davon, die USA wieder zu einer „moralischen Führungskraft“ zu machen. Dazu zählt humanitäre Hilfe und der vermeintliche Einsatz für „Menschenrechte und Demokratie“. Es gilt aus Sicht von Biden, das angeschlagene Ansehen der USA wieder herzustellen und Vertrauen aufzubauen um dadurch effektiver die Interessen des immer noch mächtigsten Landes der Welt durchsetzen zu können.

Schaut man sich Bidens Corona-Politik genau an, wird seine Heuchelei offensichtlich. Bei allen Unterschieden zu Trump, setzte er in etlichen Feldern seine Politik fort, nur mir anderen Mitteln. Auch unter der demokratischen Regierung wurde die Priorität auf das Durchimpfen des eigenen Landes gesetzt. Kritikerinnen und Kritiker beklagen seit längerem, dass durch die Politik der US-Regierung nicht nur der Export der Impfstoffe, sondern auch von wichtigen Zulieferprodukten deutlich erschwert wird. Mittels des Kriegsproduktionsgesetzes werden einheimische Konzerne bevorzugt. Somit behindert Biden maßgeblich den erfolgreichen, globalen Kampf gegen die Pandemie. Und im Zusammenhang mit der Freigabe der Patente könnte der Präsident ohne weiteres mit gutem Beispiel vorangehen. Die US-Gesundheitsbehörde NIH hat zusammen mit Moderna einen mRNA-Imstoff erforscht und Grundlagenpatente angemeldet!

WTO

Wie realistisch ist es, dass der Vorstoß von Biden realisiert werden kann? Die Verhandlungen finden im Rahmen der WTO statt, die 164 Mitgliedsländer werden in der nächsten Zeit hinter verschlossen Türen verhandeln. Es gilt jedoch das Konsensprinzip. Können sich die Delegationen auf keinen Kompromiss einigen, scheitert das Projekt. Vor dem Hintergrund, dass neben der EU zum Beispiel auch die japanische Regierung Bidens Vorschlag ablehnt, erscheint es derzeit unrealistisch das es zu einer Freigabe der Patente kommen wird. Aber selbst wenn die erwähnten Staaten eine Änderung ihrer Haltung vornehmen sollten, wäre mit monatelangen Verhandlungen zu rechnen, da um jedes (juristische) Wort gefeilscht würde. Kurzum, eine kurzfristige Hilfe im Kampf gegen die Pandemie ist hier nicht zu erwarten.

Einordnung der Patentfrage

Aber gehen wir mal davon aus, dass es zur Freigabe der Impfpatente kommen sollte. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen äußert sich für diesen Fall hoffnungsvoll. „Die Entscheidung der USA kann der Durchbruch sein, um die Pandemie weltweit zu stoppen.“

Grundlegend ist es richtig die Freigabe der Patente zu fordern um damit das Wissen global zur Verfügung zu stellen, die Produktion leichter zu machen und damit anzukurbeln. Unter den realen kapitalistischen Eigentumsverhältnissen wäre es aber bei weitem nicht so einfach, wie es sich anhört.

Zum einen gibt es das Problem, dass die Impfpatente nur relativ wenig Wissen über die Vakzine preisgeben. Der Gründer des Tübinger Impfstoffproduzenten CureVac erklärt die Zusammenhänge freimütig in einem Interview mit der FAZ: „Mit Patenten hat man bestenfalls ein grobes Rezept… Man muss die Patenstrategie der Unternehmen verstehen: Da mit jedem Patent Wissen offengelegt wird, achtet jedes Unternehmen darauf, bestimmte Dinge geheim zu halten und eben gerade nicht zu patentieren. Das bleibt dann internes Wissen.“ Insbesondere bei den komplexeren mRNA-Impfstoffen, wäre es „nett“, wenn die Patente frei gegeben würden. Gerade weniger entwickelte Ländern könnten ohne externe Hilfe wenig damit anfangen, da entscheidendes Zusatzwissen der Konzerne sehr wahrscheinlich nicht offengelegt würde. Jene neue mRNA-Technologie, die auch im Kampf gegen Krebserkrankungen Anlass zur Hoffnung gibt, erfordert ein hohes Knowhow und ist nicht so ohne weiteres binnen kürzester Zeit weltweit anwendbar. Etwas anders sieht es bei den Impfstoffen aus, die insbesondere in China und Russland hergestellt werden. Diese sind technologisch nicht so anspruchsvoll, da sie größtenteils klassischer Art sind und leichter in ärmeren Ländern hergestellt werden können. Die Regierungen der beiden größten US-Rivalen haben bereits weite Teile von Lateinamerika, Afrika und Ostasien mit ihren Vakzinen beliefert und konnten damit ihren politischen Einfluss ausweiten. Die Freigabe der Patente würde also in erster Linie Putin und Xi treffen, wenn die ärmeren Länder nicht mehr auf ihre Lieferungen angewiesen wären. Das käme dem Ziel von Biden, den Einfluss dieser Regime zugunsten des US-Imperialismus zurückzudrängen, zugute.

Welche Alternative?

Unter den kapitalistischen Eigentumsbedingungen ist eine wirklich effektive Umsetzung der Patentfreigabe schwer denkbar. Es ist nötig, dass die privaten Impfproduzenten der privaten, profitgetriebenen Kontrolle, entrissen werden. Erst wenn Pfizer, Biontech, Moderna und Co. der Gesellschaft gehören und unter der demokratischen Kontrolle der Beschäftigten, Gewerkschaften und Nutzer*innen stehen, haben wir direkten Zugriff auf das Wissen dieser Firmen und es wird allen Menschen von Nutzen sein. Ohne die massive öffentliche Forschung und die vielen Milliarden an staatlichen Subventionen, wäre es niemals zu den viel beschworenen „Innovationen“ gekommen. Man stelle sich nur mal vor, was alles möglich wäre, wenn es zu einem absolut freien Austausch der schlauesten Forschenden weltweit käme, ohne dass es eine Rolle spielen würde aus welchem Land man kommt oder welcher Konzern der Arbeitgeber ist. Stellen wir uns weiter vor, wenn Teams der besten Techniker*innen und Bauarbeiter*innen grenzüberschreitend dabei helfen würden, rund um den Globus super moderne Fabriken zu bauen, die schnellstmöglich dazu in der Lage wären, Impfstoffe zu produzieren. Im Rahmen dieses menschenverachtenden und ineffizienten Systems wird es ein Traum bleiben. Die Lage dieses Planeten ist aber zu ernst, als dass wir es uns leisten können, dabei zu verweilen. Der Kampf für eine sozialistische Demokratie in der der Traum Wirklichkeit wird, muss auf die Tagesordnung gesetzt werden. Es gilt dabei keine Zeit zu verlieren.

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