Krieg in Gaza

CC BY-SA 2.0, Gaza Burns, Al Jazeera English, https://www.flickr.com/photos/aljazeeraenglish/3372609726

Konflikt in Jerusalem löst massive Eskalation aus

Wochen der repressiven, brutalen israelischen Polizeirepression gegen palästinensische Versammlungen und Proteste in Ost-Jerusalem haben zu einer neuen Runde des blutigen Konflikts geführt. Doch nicht nur Jerusalem ist betroffen: Die israelischen Behörden sehen sich dieses Mal mit einer palästinensischen Revolte in viel größerem Maßstab und an mehreren Fronten konfrontiert.

von Judy Beishon, Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale

Die Empörung über die Ereignisse in Jerusalem führte zu Ausbrüchen palästinensischer Proteste im gesamten Westjordanland, im Gazastreifen und in Israel sowie zu Solidaritätsdemonstrationen im weiteren Nahen Osten und auf der ganzen Welt. In einer Reihe von Städten innerhalb Israels wurden die Sicherheitskräfte von der Welle der Wut der Palästinenser*innen, die auf den Straßen ausgebrochen ist, überrascht. Aktionen von rechtsextremen jüdischen Aktivist*innen an Brennpunkten in gemischt jüdisch-palästinensischen Städten wie Lod und Ramla wecken ernsthafte Gefahren eines konfessionellen Konflikts, wobei Lynchmorde, Barrikaden und physische Zusammenstöße Elemente eines sich entwickelnden Bürgerkriegs zeigen.

Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Berichts haben israelische Raketen über 60 Bewohner*innen des Gazastreifens abgeschlachtet, darunter 16 Kinder – einige von ihnen in oder in der Nähe von Wohnhochhäusern, die zerstört wurden. Das CWI verurteilt auf das Schärfste dieses schreckliche, massive israelische Bombardement, das enormen Terror und Verwüstung im dicht besiedelten Gazastreifen verursacht. Das israelische Militär erwägt zudem, Bodentruppen in den Gazastreifen zu schicken.

Über 1.000 Raketen und Granaten wurden von palästinensischen Milizen aus dem Gazastreifen in Richtung Israel abgefeuert, wobei viele in israelischen Städten einschlugen und sieben Menschen, darunter zwei palästinensische Einwohner, getötet wurden.

Dieses wachsende Blutbad kam nicht aus dem Nichts, sondern entwickelte sich aus einer Reihe von Ereignissen davor. Letzten Monat errichteten israelische “Sicherheitskräfte” Barrieren, um Palästinenser*innen daran zu hindern, sich neben dem Damaskustor in der Altstadt zu versammeln – Versammlungen, die während des Ramadan üblich sind. Das führte zu einem Ausbruch palästinensischer Proteste, die mit schweren Repressionen beantwortet wurden. Die Demonstrant*innen konnten einen Sieg feiern, als die Barrieren anschließend entfernt wurden.

Gleichzeitig gab es Proteste gegen angedrohte “ethnische Säuberungen” bei der Zwangsräumung von palästinensischen Familien im nahe gelegenen Sheikh Jarrah. Es kam zu Zusammenstößen zwischen rechtsgerichteten Israelis und Sheikh Jarrah-Bewohner*innen. Die israelische Polizei und die Sicherheitskräfte gingen mit erschreckender Brutalität, einschließlich Betäubungsgranaten, gegen die Proteste der unbewaffneten, jungen Palästinenser*innen vor. Die Häuser werden seit vielen Jahrzehnten von Palästinenser*innen bewohnt, doch sie wurden mit Räumungstiteln konfrontiert, die auf historischen jüdischen Besitzansprüchen beruhen und inzwischen von jüdischen Siedler*innen “gekauft” wurden. Nach israelischem Recht kann Jüd*innen das Eigentum an Land oder Häusern in Ost-Jerusalem zugesprochen werden, auf die sie ein Recht vor 1948 beanspruchen, aber Palästinenser*innen können das Land, das sie irgendwo in Israel vor 1948 besaßen, nicht zurückfordern.

Dann, am 10. Mai, inmitten rechtsgerichteter israelischer nationalistischer Provokationen – einschließlich des Versuchs, Veranstaltungen zum Jerusalem-Tag abzuhalten, mit denen jährlich die Einnahme Ost-Jerusalems im Jahr 1967 “gefeiert” wird – feuerte die Polizei Gummigeschosse, Blendgranaten und Tränengas auf Hunderte von Palästinenser*innen auf dem Gelände der al-Aqsa-Moschee, was zu schweren Verletzungen führte.

Diese ungeheuerliche Eskalation – an der drittheiligsten Stätte des Islam und in der letzten Woche des Ramadan – hat die Wut vor Ort und weltweit noch weiter angefacht, besonders unter arabischen und muslimischen Menschen. Rechtsgerichtete Hamas-Kräfte und andere palästinensische Milizen feuerten eine neue Runde von Raketen und Brandbomben auf Israel ab, nachdem es in den vergangenen Wochen bereits andere Vorfälle dieser Art gegeben hatte. Das war der “Vorwand”, den Benjamin Netanjahus geschäftsführende israelische Regierung nutzte, um Hightech-Raketenangriffe auf Gaza zu starten und einen neuen Krieg zu beginnen.

Rassistische Hetze

Ein Schlüsselfaktor hinter diesen Ereignissen ist die Unfähigkeit Netanjahus, eine neue Koalitionsregierung zu bilden, nachdem er in jeder der vier aufeinanderfolgenden israelischen Parlamentswahlen keine Mehrheit erlangt hat. Seine Likud-Partei sowie verbündete Parteien auf der rechten und rechtsextremen Seite schrecken nicht davor zurück, die nationalen Beziehungen zu destabilisieren, um ihrer Agenda entsprechend sich als die stärksten Verteidiger von “Recht und Ordnung” zu präsentieren. So besuchte der Chef der Religiös-Zionistischen Partei, Bezalel Smotrich, am Montag provokativ Sheikh Jarrah und forderte dort ein noch härteres Vorgehen gegen die palästinensischen Demonstrant*innen. Er sagte: “Wir müssen eine stabile Regierung bilden, die klarstellt, wer das Sagen im Staat Israel hat.”

Das neue rechtsextreme Mitglied der Knesset (israelisches Parlament), Itamar Ben-Gvir, hat sich dort ebenfalls an rassistischer Hetze beteiligt. Ben-Gvir wurde mit der weitgehend verbotenen terroristischen rechtsextremen Kahane-Bewegung in Verbindung gebracht und seine rechtsextreme Ideologie hatte ihn vom Dienst in Israels Armee ausgeschlossen. Doch vor den Parlamentswahlen im März half Netanjahu in einem skrupellosen und rücksichtslosen Streben nach einer Regierungsmehrheit, drei rechtsextreme Organisationen in einer Wahlliste zusammenzubringen, damit sie die Mindeststimmenzahl überschreiten und an seinem Regierungsblock teilnehmen konnten. Auf diese Weise wurde Ben-Gvir gewählt.

Der Journalist der britischen Financial Times, David Gardner, schrieb: “Ben-Gvirs Verhalten erinnert an das von Ariel Sharon, dem verstorbenen Premierminister und Held der Siedler, der im September 2000 von Hunderten von israelischen Bereitschaftspolizisten am Haram ash-Sharif vorbei in Richtung Tempelberg begleitet wurde. Das entzündete das Pulverfass zu einem zweiten palästinensischen Aufstand, bekannt als die al-Aqsa-Intifada”.

Gardners Warnung ist eine von vielen von kapitalistischen Kommentator*innen, die über die Folgen der zunehmenden Repression gegen die Palästinenser*innen für Israel alarmiert sind – zusammen mit rassistischen Provokationen und dem laufenden Siedlungsprojekt. Gardner fügte hinzu, dass all dies “die Möglichkeit eines palästinensischen Staates ausschließt und die Palästinenser zwingt, für gleiche Rechte innerhalb eines Groß-Israel zu kämpfen, was Israels Legitimität in der Weltöffentlichkeit untergräbt. Es gefährdet auch Israels Beziehungen zu seinen arabischen Nachbarn sowie zu den Muslimen weltweit” (FT 11.5.21).

Diese neue Runde des Konflikts musste zwangsläufig irgendwann kommen, da die Wut unter der palästinensischen Jugend seit langem konstant hoch ist. Neben der brutalen militärischen Besatzung leiden sie unter hoher Arbeitslosigkeit, Armut und fehlenden Dienstleistungen – einschließlich derzeit unzureichender Coronavirus-Impfstoffe und anderer Gesundheitseinrichtungen. Keine der pro-kapitalistischen, in Palästina ansässigen Parteien kann ihr Leben in irgendeiner dieser Hinsichten verbessern, geschweige denn beenden, einschließlich Fatah und Hamas. Auch die so genannte “internationale Gemeinschaft” der kapitalistischen Mächte hat immer wieder ihren Bankrott und keinen Ausweg gezeigt.

Palästinensischer Kampf

Raketen und wahllose Einzelangriffe auf israelische Zivilist*innen zeugen von Verzweiflung, sind aber kein Ausweg, um die Befreiung von der Unterdrückung zu erreichen. Die Raketen aus dem Gazastreifen sind nicht technisch qualifiziert genug, um genau zu zielen und treffen nur wenige israelische Militärziele, sind aber in einer Reihe von heruntergekommenen Arbeiter*innenstädten in Israel gelandet – wie Ashkelon, Holon und Rishon – und haben wahllos Menschen getötet und verletzt. Diese Angriffe treiben gewöhnliche Israelis in die Nähe von rechten Regierungsminister*innen, die mit erhöhter Brutalität gegen die Palästinenser*innen reagieren, und zwar mit einem weitaus größeren Waffenarsenal als die palästinensischen Milizen.

Anstatt auf diese Weise vom palästinensischen Kampf entfremdet zu werden, muss die israelisch-jüdische Arbeiterklasse von der israelischen herrschenden Klasse abgespalten werden. Die entscheidende Frage für die Palästinenser*innen ist, wie das israelische Regime besiegt werden kann. Dies wird nicht nur durch militärische Mittel geschehen, sondern durch einen Kampf, der die israelische Gesellschaft entlang der Klassenlinien spalten kann – und so viele Arbeiter*innen wie möglich für die Unterstützung einer sozialistischen Lösung für nationale Rechte und einen anständigen Lebensstandard auf beiden Seiten der Trennlinie gewinnen kann.

Außerdem vermitteln die Raketenabschüsse fälschlicherweise die Botschaft, dass sie die Hauptmethode des Kampfes sein sollen und die Massendemonstrationen ersetzen, was Organisationen wie der rechtsgerichteten Hamas entgegenkommt, die als die Meister des Widerstands gegen die israelische Aggression erscheinen wollen.

Stattdessen muss ein erfolgreicher Kampf auf demokratisch organisierten, massenhaften Mobilisierungen des palästinensischen Volkes beruhen – einer neuen Massenintifada. Die neue Generation der palästinensischen Jugend – innerhalb Israels und in den Gebieten –, die in den Protestbewegungen in den Vordergrund tritt, wird zweifellos diese gegensätzlichen Methoden in Frage stellen und debattieren und kann sich in Richtung des Aufbaus von Massenaktionen und Arbeiter*innenorganisationen bewegen, die dringend notwendig sind. Als Teil dieses Massenkampfes haben die Palästinenser*innen das Recht, sich den Angriffen der israelischen Streitkräfte gegen sie zu widersetzen, indem sie eine bewaffnete Selbstverteidigung organisieren, die von den Gemeinden demokratisch kontrolliert wird.

Das Aufflammen in Ost-Jerusalem entwickelte sich nach wochenlangen Demonstrationen in palästinensischen Gemeinden in Israel wegen fehlender Maßnahmen zur Bekämpfung von armutsbedingter Kriminalität und Bandengewalt in ihren Gemeinden. In der nördlichen Stadt Umm al-Fahm fanden wöchentlich Proteste statt und im März versammelten sich rund 2.000 Menschen in Tel Aviv. Die Wut richtete sich nicht nur gegen die Regierung, sondern auch gegen die palästinensischen politischen Vertreter*innen. Dies zeigte sich in der allgemeinen Wahlbeteiligung in diesen Gebieten, die von 65 Prozent im März 2020 auf nur 50 Prozent gesunken ist.

Ursprünglich hatten sie Hoffnung in die “Gemeinsame Liste” von vier arabischstämmigen Parteien, die für die Parlamentswahlen 2015 aufgestellt wurde. Aber diese Parteien haben ihre Versprechen nicht gehalten und bei der letzten Wahl ist die Liste teilweise auseinandergebrochen, mit dem Austritt der islamistischen Partei Ra’am (Vereinigte Arabische Liste) aus ihrer rechten Flanke. Ra’am hat sich nun darauf verlegt, zu versuchen, von der nächsten israelischen Regierung jeden noch so kleinen Rest an Finanzmitteln für die palästinensischen Gemeinden herauszuholen und im Gegenzug ihre fünf Stimmen in der Knesset zu nutzen, um irgendwelche politischen Konstellationen einer Koalitionsregierung zu ermöglichen. In der Zwischenzeit bleibt die Kommunistische Partei Israels in der Gemeinsamen Liste gefangen, obwohl eine sozialistische Kraft die ganze Zeit über eine unabhängige, antikapitalistische Wahlherausforderung hätte anführen sollen.

In den Gebieten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) waren für den 22. Mai die ersten Parlamentswahlen seit 15 Jahren und im Juli eine Präsidentschaftswahl geplant, aber beide wurden von der von Mahmood Abbas geführten PA abgesagt. Abbas machte für die Absage die Weigerung der israelischen Regierung verantwortlich, den Palästinenser*innen in Ost-Jerusalem die Stimmabgabe zu gestatten, aber in Wirklichkeit scheint es, dass Abbas und jene um ihn herum Angst haben, die Wahl zu verlieren. Es gibt eine zunehmende Zersplitterung der politischen Parteien. Die Fatah hat sich in rivalisierende Listen aufgespalten und steht vor dem Verlust von Stimmen an die Hamas – die sich gegen die Wahlabsage wehrte – und die vielen anderen Listen, die angemeldet worden waren.

Die Absage wird die ohnehin schon große Unzufriedenheit gegenüber der Fatah noch weiter anheizen. Über 93 Prozent der Bevölkerung der PA hatte sich zur Wahl registriert und eine große Mehrheit wollte, dass die Wahlen stattfinden – wenn auch nicht mit der großen Erwartung, dass sie zu einem Wandel führen.

Israelische Politik und Gesellschaft

Netanjahu wird unweigerlich versuchen, den Raketenbeschuss aus Gaza auszunutzen, um Unterstützung auf sich zu ziehen, indem er sich als Führer darstellt, der der Bedrohung die Stirn bietet. Doch gleichzeitig verstärken die Toten, Verletzten und die Angst vor den Raketen sowie die sich entwickelnden Elemente eines Bürgerkriegs massiv das Gefühl der Unsicherheit in Israel. Diese Situation folgt weniger als zwei Wochen, nachdem der Schock über die tödlichste zivile Katastrophe in der Geschichte des Landes durch die israelische Gesellschaft ging. Eine Massenpanik bei einer Veranstaltung in Mount Meron verursachte 45 Todesfälle – eine Tragödie, die mit Nachlässigkeit im Bereich Gesundheit und Sicherheit in Verbindung gebracht wird.

Netanjahu steht derzeit wegen Korruption vor Gericht und es ist seit langem ein Problem für die israelische herrschende Klasse, einen Premierminister zu haben, dessen Fokus darauf liegt, seine Position für eine Vermeidung eines Gefängnisaufenthalts zu nutzen. Seine destabilisierende Abhängigkeit von rechtsextremen Parteien ist ebenfalls ein großes Problem für sie gewesen. Dies sind Faktoren, die zur gegenwärtigen Eskalation des nationalen Konflikts beigetragen haben, der nicht nur innenpolitisch eine Krise für die herrschende israelische Elite darstellt, sondern auch international, wobei sich kapitalistische Mächte rund um den Globus – einschließlich Joe Bidens US-Regierung und der UN – gezwungen sehen, Warnungen und Mahnungen auszusprechen. Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate – zwei der Länder, die im letzten Jahr ein Friedensabkommen mit Israel unterzeichnet haben – reagierten auf die Empörung in ihren Bevölkerungen mit einer Verurteilung Israels.

Nachdem er also die Flammen des nationalen Konflikts angefacht hat, gerät Netanjahu nun unter großen Druck von innerhalb Israels und international, die Situation zu deeskalieren, um einen ausgewachsenen Krieg zu vermeiden, der dieses Mal israelische Städte in einem viel größeren Ausmaß verschlingen könnte als in früheren Kriegen.

In der kommenden Zeit werden sich die Meinungsverschiedenheiten unter den aktuellen und ehemaligen Führer*innen der staatlichen Institutionen Israels darüber vertiefen, was mit der Besatzung, den Siedlungen und der Diskriminierung geschehen soll. Wenn man zu diesem Szenario noch die Tatsache hinzufügt, dass die israelische parlamentarische “Demokratie” ein System in einer großen Krise ist, wie die vier ergebnislosen Wahlen in nur zwei Jahren gezeigt haben, dann vervielfachen sich ihre Schwierigkeiten. Diese Wahlergebnisse wiederum resultieren aus der Zersplitterung der wichtigsten pro-kapitalistischen politischen Parteien, die aus der zunehmenden Desillusionierung in ihnen resultiert – ein Prozess, der weltweit zu beobachten ist.

Eine große Schicht der Bevölkerung wollte Netanjahu aufgrund vieler Faktoren aus dem Amt jagen, darunter die Korruptionsfälle, die steigende Ungleichheit, die Probleme im Dienstleistungswesen und die Diskriminierung innerhalb der jüdischen Gesellschaft sowie gegenüber den Palästinenser*innen.

Aber er hat auch eine Unterstützungsbasis bei einer Minderheit behalten – seine Likud-Partei lag bei den Parlamentswahlen im März immer noch an der Spitze der Umfragen, was kürzlich dadurch begünstigt wurde, dass er über die höchste Coronavirus-Impfrate der Welt präsidierte. Außerdem hat die Wirtschaft mit einem Rückgang von 2,3 Prozent im Jahr 2020 einen geringeren Schlag erlitten als in vielen anderen Ländern.

Da es Netanjahu bisher nicht gelungen ist, eine neue Koalition zu bilden, ist eine fünfte Parlamentswahl innerhalb von drei Jahren möglich. Sieben verschiedene ‘Anti-Netanjahu’-Parteien diskutieren, ob sie dies durch die Bildung einer eigenen Regierungskoalition vermeiden können. Aber diese Verhandlungen wurden von Ra’am – deren MKs (Abgeordnete) sie unterstützen müssten – wegen des eskalierenden nationalen Konflikts vertagt. Dies zeigt unter anderem, dass der Konflikt Netanjahu zumindest anfangs in die Hände spielte, da er inzwischen der geschäftsführende Regierungschef ist.

Sollten diese “Oppositions”-Gespräche zu einer Regierung führen, die wahrscheinlich von Naftali Bennett und Yair Lapid angeführt wird, wäre sie aufgrund ihres Minderheitenstatus und ihrer unterschiedlichen Zusammensetzung sehr schwach und instabil. Das Wort “Opposition” steht hier in Anführungszeichen, weil Leute wie Bennett und Lapid keine grundsätzliche Alternative zum Likud darstellen, weder in Bezug auf die Verbesserung des Lebensstandards der israelischen Arbeiter*innenklasse noch in der nationalen Frage. Einige der Führer*innen der Koalition würden sogar rechts von Netanjahu stehen. Darüber hinaus sind die jahrzehntelangen Misserfolge von Parteien, die nominell links stehen, wie Labor und Meretz, der Grund, warum Netanjahu seit zwölf Jahren an der Macht ist – und sie sind der Grund für den erwarteten rechten Charakter der nächsten Regierung, ob sie ihn einschließt oder nicht.

Daran ist allerdings nichts Unvermeidliches – es liegt am Fehlen einer Massen-Arbeiterpartei, die eine sozialistische Alternative präsentieren kann. Bei der Wahl gab es einen Funken Interesse in Richtung der Labor Party, die ihre geringe Zahl an Knesset-Sitzen erhöhte, weil ihre neue Vorsitzende, Merav Michaeli, einige begrenzte Schritte in eine linke Richtung unternommen hatte.

Während palästinensische Arbeiter*innen unter den schlechtesten Lohn- und Arbeitsbedingungen leiden, leidet auch eine große Schicht israelisch-jüdischer Beschäftigter unter Armut, finanzieller Unsicherheit und häufigen Angriffen auf ihre Löhne, ihre Arbeitsbedingungen und ihr Wohlergehen durch ihre Chefs und die Regierung. Oft kommt es zu Streiks und Kämpfen der Beschäftigten – zuletzt am 10. Mai zu einem 24-stündigen Streik der Ärzte, die wütend darüber sind, dass die für 600 zusätzliche Ärzte während der Coronavirus-Pandemie bereitgestellten Mittel zurückgezogen werden könnten. Außerdem gab es regelmäßig Anti-Netanjahu-Proteste gegen Korruption sowie Demonstrationen zu anderen Themen.

Es ist derzeit dringend notwendig, dass sich Gewerkschafter*innen und andere Beschäftigte gemeinsam auf lokaler Ebene – sei es an den Arbeitsplätzen oder in den Branchen – gegen die Gewalt zwischen Rechtsextremen und Palästinenser*innen in den Gebieten organisieren, in denen diese entsteht. Die Arbeiter*innenbewegung kann sich gegen diese Gefahr nur auf ihre eigenen Kräfte verlassen, nicht auf die staatlichen Kräfte oder pro-kapitalistischen Politiker*innen, die die Grundlage für die Zusammenstöße überhaupt erst geschaffen haben.

Längerfristig besteht die notwendige Aufgabe darin, offizielle Gewerkschaftskomitees und nationale Strukturen zu kämpferischen, von den Mitgliedschaften kontrollierten Organen zu entwickeln. Auch die Kämpfe der palästinensischen und jüdischen Arbeiter*innen in Israel sind mit denen in den palästinensischen Gebieten zu verknüpfen.

Sicherheit für die jüdische Bevölkerung wird nicht mit militärischen Mitteln erreicht werden, noch wird sie erreicht werden, indem man auf eine der vielen Varianten israelischer pro-kapitalistischer Politiker*innen für eine andere kapitalistische Lösung schaut. Israelisch-jüdische Beschäftigte, zusammen mit den palästinensischen Bewohner*innen Israels, die neben ihnen oder in ihrer Nähe leben und arbeiten, werden ihre eigene Partei aufbauen müssen, völlig unabhängig von kapitalistischen Interessen.

Für die Palästinenser*innen in den besetzten Gebieten ist eine dringende Aufgabe die Entwicklung demokratisch geführter lokaler Komitees, um Aktionen und Selbstverteidigung zu organisieren – sie können nicht auf die Fatah oder die Hamas schauen, die beide keinen Ausweg haben. Diese Komitees könnten weiter auf den jüngsten Erfolgen aufbauen, die durch Massenproteste erzielt wurden – die letzten beiden waren die Verschiebung einer Gerichtsverhandlung, die die Räumungen von Sheikh Jarrah verfolgte, und die Absage des provokativen Marsches zum Jerusalem-Tag in letzter Minute, der durch den arabischen Teil der Jerusalemer Altstadt gehen sollte. Demokratische Komitees, die sich untereinander vernetzen, wären wichtige Vorstufen zum Aufbau einer unabhängigen, von der Arbeiter*innenklasse geführten Massenpartei in den palästinensischen Gebieten.

Wenn Arbeiter*innenparteien, palästinensische und israelische, ein Programm für ein sozialistisches Palästina an der Seite eines sozialistischen Israels – als Teil einer sozialistischen Konföderation des Nahen Ostens – verabschieden, wird es möglich sein, die Grundlage dafür zu schaffen, den kapitalistischen Albtraum des Teufelskreis von Tod und Zerstörung zu beenden.

  • Stoppt die Raketenangriffe des israelischen Militärs auf Gaza!
  • Keine Gewalt mehr gegen Palästinenser*innen, die ihre Häuser und religiösen Stätten verteidigen!
  • Stoppt die Zwangsräumungen von palästinensischen Familien
  • Für demokratisch organisierte Aktions- und Verteidigungskomitees in palästinensischen Gemeinden
  • Für den sofortigen Abzug der israelischen Armee aus den besetzten Gebieten und die Beendigung der Besatzung des Gazastreifens
  • Für eine Massenbewegung der Palästinenser*innen, unter ihrer eigenen demokratischen Kontrolle, um für eine echte nationale Befreiung zu kämpfen
  • Für unabhängige Arbeiter*innenorganisationen in Palästina und Israel
  • Für einen unabhängigen, demokratischen, sozialistischen palästinensischen Staat, neben einem demokratischen, sozialistischen Israel, mit zwei Hauptstädten in Jerusalem und garantierten demokratischen Rechten für alle Minderheiten, als Teil des Kampfes für einen sozialistischen Nahen Osten
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