Für einen linken Aufbruch in NRW

Debattenbeitrag zur Strategiekonferenz

Mit ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ hat Sahra Wagenknecht ein Gegenkonzept zum Programm der LINKEN veröffentlicht. Als sie kurz darauf zur Spitzenkandidatin der LINKEN.NRW für die Bundestagswahl gewählt wurde, war dies für viele im Landesverband ein Schock. Der Situation sind Monate von scharfen Auseinandersetzungen im Landesverband vorausgegangen, die auch jetzt noch geführt werden. Noch immer schwebt über der LINKEN das Damoklesschwert einer möglichen Abspaltung einer Wagenknecht-Partei nach der Bundestagswahl. Die Sozialistische Organisation Solidarität hat in der linksjugend [‘solid] nrw den Vorschlag eingebracht zusammen mit der Bewegungslinken und der Antikapitalistischen Linken zu einer Strategiekonferenz einzuladen. Auf dieser muss die Frage diskutiert werden, wie der linke Flügel wieder eine Mehrheit gewinnen kann und welche Fehler der Vergangenheit vermieden werden müssen.

von Marius Sackers (Sol Bochum) und Jens Jaschik (Sol Dortmund)

Folgendes Papier soll ein Beitrag zur Debatte auf der Strategiekonferenz sein, die am 10. Juli stattfindet. Organisiert wird die Strategiekonferenz von der linksjugend [‘solid] nrw, der Bewegungslinken und der Antikapitalistischen Linken. Das Ziel der Konferenz soll ein linker Aufbruch in NRW sein. Gemeinsam soll für eine kämpferische und bewegungsorientierte LINKE gekämpft werden. Für eine LINKE in der solidarisch diskutiert wird, um so die besten Methoden zu erarbeiten, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen.

Die Sozialistische Organisation Solidarität steht für ein klares sozialistisches Programm und die Orientierung auf Bewegungen, Proteste und Gewerkschaften ein. Wir sind davon überzeugt, dass die Arbeiter*innenklasse mit dem richtigen Progamm und Methoden Siege erringen kann. Dafür braucht sie eine Partei, die die verschiedenen Kämpfe vereint und auf der Straße, in den Betrieben und in den Parlamenten den Druck aufbaut, um ihre Ziele durchzusetzen. Aber nicht erst seit Wagenknecht passt sich die LINKE nach rechts an. Besonders in Ost-Deutschland wird sie als Teil des politischen Establishment wahrgenommen. In Landesregierungen, wie in Bremen oder in Thüringen, beteiligt sie sich an Abschiebungen und unsozialer Politik. Wir brauchen eine klare Absage an gemeinsame Regierungen mit pro-kapitalistischen Parteien und stattdessen eine LINKE, die die soziale Frage zusammen mit der Eigentumsfrage auf die Tagesordnung setzt, und in die Kämpfe und Bewegungen unserer Klasse interveniert.

Um einen linken Aufbruch zu ermöglichen, müssen wir die aktuelle Situation betrachten, vergangene Fehler bilanzieren und diskutieren, was nötig ist.

Situation im Landesverband und warum die Strategiekonferenz nötig ist

Die diesjährige Bundestagswahl findet in einem Jahr der Krise statt. Wir erleben die größte wirtschaftliche und gesellschaftliche Erschütterung seit Jahrzehnten. Sie zeigt sich in umfassenden Stellenabbau und Betriebsschließungen. Das marktorientierte Gesundheitssystem hat versagt. An den aktuellen Wahlumfragen sehen wir aber: Die Wähler*innen haben nicht das Vertrauen, dass die LINKE den Widerstand dagegen organisieren kann. DIE LINKE, die als einzige Partei die soziale Frage zu beantworten versucht, legt in ihren Wahlergebnissen nicht zu.

Die Strategiekonferenz findet vor dem Hintergrund der Landeslistenwahl und der kommenden Bundestagswahl statt. Wie DIE LINKE sich im Bundesland mit den meisten Einwohner*innen aufstellt, wird eine Strahlkraft auf andere Landesverbände der Partei haben. Unter diesem Faktor muss man die aktuelle Situation im Landverband bewerten. Das neue Buch von Sahra Wagenknecht erschien in der Woche nach der Listenaufstellung – ein absichtlich gewähltes Kalkül, um die Diskussion über dessen Inhalt nicht ihre Wahl beeinflussen zu lassen. Dabei wäre eine Diskussion im Vorfeld der Listenaufstellung dringend notwendig gewesen und wurde auch von vielen Genoss*innen der Basis eingefordert. Da der Landesvorstand, der an wichtigen Stellen mit Wagenknecht-Unterstützer*innen besetzt ist, diese Diskussion nicht organisierte, geschah dies im Vorfeld dezentral, initiiert von einzelnen Mitgliedern und Kreisverbänden.

Auf der gewählten Landesliste finden sich viele Mitglieder, die sich dem Wagenknecht-Flügel zuordnen lassen. Das ist zum einem das Ergebnis der Vermeidung von Debatten seitens des Landesvorstands, zum anderen aber auch des Fehlens von Alternativen. Mit Angela Bankert haben wir für den Listenplatz 1 eine Genossin der AKL unterstützt, die für eine Politik im Sinne eines sozialistischen Kurses steht. Die Mitglieder um Sarah Wagenknecht herum haben aber in den letzten Monaten viele politische und unpolitische Mittel genutzt, um eine Wahl von AKL-Genoss:innen zu behindern. Debatten auf vergangenen Parteitagen wurden oft individualisiert und unnötig emotionalisiert, anstatt sich auf eine politische Debatte über die Ausrichtung des Landesverbandes zu konzentrieren. Die politische Kritik von Inge Höger an Landessprecher Christian Leye wurde systematisch entpolitisiert und zu eine persönlichen Angriff umgedichtet, um Genoss*innen zu diffamieren. Anträge des linken Flügels für politische Debatten und sozialistische Positionierungen wurden meist kategorisch abgelehnt.

Aufgrund dieser Verwässerung von politischen Debatten gibt es aktuell dringend die Notwendigkeit, eine Plattform für linke Kräfte zu schaffen, auf der die weitere Strategie im Landesverband und für den kommenden Wahlkampf erarbeitet werden kann. Es gibt aktuell für viele Genoss*innen die sich dem linken Flügel zuordnen offene Fragen, die gemeinsam diskutiert werden müssen. Die Strategiekonferenz soll dazu dienen, diese Genoss*innen zusammenzubringen, Strategien zu besprechen und darüber hinaus für einen konsequent linken Landesverband zu streiten.

Politisches Programm nötig

In einer wirtschaftlichen und pandemischen Krise wie der jetzigen, wächst in weiten Teilen der Bevölkerung das Hinterfragen der bestehenden Verhältnisse und die Offenheit für Veränderungen. Eine sozialistische Partei müsste gerade jetzt deutlich machen, dass eine positive Veränderung für die lohnabhängige Bevölkerung im Kapitalismus nicht zu machen ist. Eine wirklich sozialistische Partei dürfte sich nicht damit begnügen, den Kapitalismus „besser“ zu verwalten oder auf Sozialpartnerschaft zu setzen, sondern würde als unabhängige Kraft das Parlament nutzen, um für jede Verbesserung und gegen jede Verschlechterung zu stimmen. Es darf der LINKEN dabei nicht um Stellvertreter*innenpolitik gehen: Die parlamentarische muss als Hebel zur Selbstermächtigung derer führen, die vom Kapitalismus ausgestoßen und erniedrigt sind.

Der linke Flügel muss ein klares sozialistisches Programm präsentieren. Das bedeutet, die Enteignung der Banken und Konzerne zu fordren und die soziale Frage als verbindende Frage in den Mittelpunkt zu stellen. Es muss deutlich gemacht werden, dass der Widerstand gegen Sozialkürzungen und Entlassungen nur auf der Straße und im Betrieb erfolgreich sein kann und das das Parlament eine Bühne für den Klassenkampf ist. Dafür braucht es praktische Kampagnen, die die Forderungen der Partei in die Gesellschaft tragen. Nur so ist ein linker Aufbruch möglich, der die Mitgliedschaft mobilisiert und die LINKE als attraktive Kraft aufbaut.

Trotz gemeinsamer Ziele dürfen wir die Unterschiede nicht vergessen. Zwischen der Bewegungslinken, der Antikapitalistischen Linken und der linksjugend [‘solid] nrw bestehen in vielen politischen Fragen verschiedene Vorstellungen. Uns eint das gemeinsame Ziel einen kämpferischen und bewegungsorientierte LINKE in NRW aufzubauen, in der solidarisch über Programm und Methoden diskutiert wird. Dabei dürfen wir grundsätzliche Differenzen und Gegensätze nicht verschweigen. Wir wollen Mehrheiten für radikale, sozialistische Positionen gewinnen, auch im breiten linken Flügel. Dabei ist es wichtig nicht nur auf den Wagenknecht-Flügel zu reagieren, sondern auch eigene Inhalte nach vorne zu bringen.

Differenzen zwischen den verschiedenen Flügeln in der Partei existieren auch unabhängig von Wagenknechts „linkskonservativen“ Gegenprogramm. Kritiker*innen von Wagenknechts migrations-politischen Positionen aus Thüringen, sitzen selber in Landesregierungen, die abschieben. Auch Mitglieder der Bewegungslinken, die in der Bürgerschaft in Bremen sitzen, tragen eine Regierung mit, die Kürzungen zum Beispiel im Gesundheitswesen voran treibt. Diese Politik macht die LINKE unglaubwürdig und schadet ihr. Wir sind davon überzeugt, dass ein auf Grün-Rot-Rot orientierter Wahlkampf, wie er jetzt schon von Seiten der Mehrheit des Parteivorstand stattfindet, zu einem Wahldebakel führen wird. Die einfachen Leute werden eher das Original als das linke Feigenblatt wählen – wenn sie überhaupt zur Wahl gehen. Eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene würde eine Rechtsentwicklung der Partei bedeuten und der LINKEN nachhaltig schaden. Die Bewegungslinke erklärt, dass die Partei „mit ihren programmatischen Grundlagen in Reinen ist und den Kampf für soziale Gerechtigkeit mit entschiedenen Positionen in Sachen Frieden, Ökologie und Antirassismus vereint.“ Diese Einschätzung widerspricht der Realität. Die LINKE ist voller Widersprüche – auch ohne Wagenknecht. Diese Widersprüche müssen diskutiert werden und durch sozialistische Positionen und Praxis gelöst werden.

Wir brauchen eine LINKE, die dem politischen Establishment den Kampf ansagt und SPD und Grüne entlarvt. Es waren SPD und Grüne, die die Agenda2010 und HartzIV umgesetzt haben. Wir müssen den Menschen zeigen, dass wir es mit unseren sozialen Forderungen ernst meinen, indem wir dafür kämpfen, sie auf der Straße und den Betrieben umzusetzen, indem wir Angebote zur Vernetzung, zum Organisieren und Opposition schaffen, indem wir Vorschläge für die nächsten Schritte machen und den Ausgebeuteten und Unterdrückten eine Stimme geben.

Ziele der Strategiekonferenz

Es ist wichtig, dass die Strategiekonferenz nicht nur einmal stattfindet, sondern sich konkrete Ziele und Handlungsweisen ergeben. Veränderung wird es im Landesverband nur geben, wenn wir über eine Strategiekonferenz hinaus, gemeinsam aktiv sind. Um einen linken Aufbruch in der LINKEN. NRW zu ermöglichen, schlagen wir vor, in der Kampagne zur Volksinitiative für Gesunde Krankenhäuser zu intervenieren. In dieser kann die LINKE ein klares sozialistisches Profil präsentieren indem sie sich gegen alle Privatisierungen und Schließungen stellt und die Überführung des Gesundheitswesen in öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung der Beschäftigen und Patient*innen fordert. Die Initiative kann mit aktuellen betrieblichen Auseinandersetzungen in Krankenhäusern und Kliniken verbunden werden. Ein weiterer Kampagnenschwerpunkt sollte das neue Versammlungsgesetz in NRW sein. Hier kann die LINKE den Kampf um demokratische Rechte mit dem Kampf für soziale Sicherheit verbinden und somit über die linke Szene hinaus mobilisieren.

Ein wichtiger Aspekt wird der kommende Wahlkampf. Wir sind von der Notwendigkeit einer LINKEN-Fraktion im Bundestag, die als einzige Partei gegen alle Auslandseinsätze und Sozialkürzungen stimmt und das Potential hat zum Sprachrohr sozialer Bewegungen, Streiks und Protesten auf der Bühne des Parlamentarismus zu werden, überzeugt. Für die LINKE besteht die reale Gefahr an der 5%-Hürde zu scheitern. Wenn wir das Wahlmaterial der vergangenen Jahre anschauen, das von Marketing-Firmen entworfen wurde, wird schnell deutlich das die Strategiekonferenz diskutieren muss, wie sie einen eigenen unabhängigen Wahlkampf gestaltet, falls nötig mit eigenen Material. Der Wahlkampf muss genutzt werden in soziale Bewegungen und betriebliche Kämpfe zu intervenieren, diese nach vorne zu tragen, und die LINKE in der Arbeiterklasse zu verankern.

Antikapitalistische Linke

Als Sozialistische Organisation Solidarität sind wir in der Antikapitalistischen Linken aktiv, weil wir davon überzeugt sind, dass es in der LINKEN einen starken Flügel braucht, der fordert, dass die Banken und Konzerne in öffentliches Eigentum überführt werden, der Regierungsbeteiligungen eine klare Absage erteilt und die Partei auf die Kämpfe unserer Klasse orientiert. Für diese Positionen muss eine Mehrheit in der Partei gewonnen werden. Der Antikapitalistischen Linken fällt auf der Strategiekonferenz daher eine besondere Rolle zu.

In der Vergangenheit hat die Antikapitalistische Linke es nicht geschafft, die Debatten im Landesverband für sich zu gewinnen. Nicht nur geheime Absprachen und undemokratische Verfahren des Wagenknecht-Flügel waren der Grund dafür. Die AKL hat es nicht geschafft, der Wagenknecht-Mehrheit ein konsequentes politisches Gegenprogramm entgegenzustellen. Vom Wagenknecht-Flügel wurde die AKL als Nörglerin verunglimpft und so die Debatte entpolitisiert. Es ist wichtig, dass die AKL wo möglich im Landesverband mitarbeitet, d.h. auch zusammen mit dem breiten linken Flügel für Vorstände kandidert und geduldig ihre Argumente präsentiert. So kann sie eine Opposition zum Wagenknecht-Flügel aufbauen. Dabei darf sie sich nicht scheuen, selbstbewusst für ihre Ideen und für eine Mitgliedschaft in der AKL zu werben.

Die Antikapitalistische Linke muss die Strategiekonferenz und den Kampf für linke Mehrheiten im Landesverband für den Aufbau ihrer eigenen Kräfte nutzen. Sie muss deutlich machen, dass sie die Kraft ist, die für innerparteiliche Demokratie steht, die sich konsequent gegen Regierungsbeteiligung positioniert, die soziale Frage in den Mittelpunkt stellt, und in den Parlamenten und Bewegungen für eine klassenkämpferische, sozialistische LINKE einsteht. In dem Zusammenhang muss sich auch die Gefahr eine Wagenknecht-Abspaltung nach der Bundestagswahl diskutieren und welche Folgen das für die LINKE hat. Unsere Ansicht nach kann nur eine klassenkämpferische und sozialistische LINKE, die sich in den Gewerkschaften und Bewegungen verankert, verhindern, dass die LINKE in der Versenkung landet.

Weitere Treffen in der Zukunft garantieren, dass die Strategiekonferenz nicht ein einmaliges Treffen bleibt, in dem man einmal Frust und seine Ideen austauscht, aber am Ende nichts daraus folgt. Wir schlagen ein regelmäßiges Forum für eine demokratische und kämpferische LINKE in NRW vor, in dem Bewegungslinke, AKL und linksjugend [‘solid] nrw, aber auch alle Interessierten in der Partei, weiter politische Fragen diskutieren, die gemeinsam gesetzten Ziele bilanzieren und die nächsten Schritte planen können.

Jens Jaschik ist Mitglied des Landessprecher*innenrates der linksjugend [‘solid] nrw und in der Sol Dortmund aktiv. Marius Sackers ist ehemaliges Mitglied des Landessprecher*innenrates der linksjugend [‘solid] nrw und in der Sol in Bochum aktiv.