Zum Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP
Am 15. Oktober veröffentlichten SPD, Grüne und FDP das Ergebnis ihrer Sondierungsgespräche. Nicht weniger als „das größte industrielle Modernisierungsprojekt seit 100 Jahren“ (Olaf Scholz), eine „Zäsur [im Stil] in der politischen Kultur Deutschlands“ (Christian Lindner) bzw. eine „Reform- und Fortschrittskoalition“ (Annalena Baerbock) soll dabei herausgekommen sein. Doch das 12-seitige Dokument ist unterm Strich vor allem ein Bekenntnis zur Weiter-So-Politik für Banken und Konzerne. Einige Mini-Verbesserungen sollen über Gefahren und zukünftige Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse hinwegtäuschen.
von Tom Hoffmann
Wenn es um politische Einschätzungen geht, heißt ein kluger Leitsatz: „Zeig’ mir deine Freunde und ich sage dir, wer du bist“. Wenn Friedrich Merz das Ampel-Papier als „Anlass zum Respekt“ einstuft und gegenüber der Union einschiebt,„Das hätten wir auch haben können“, wird deutlich wie sehr die „Neuen“ die alte Politik fortführen wollen. Dabei haben viele SPD oder Grüne gewählt, um die Union aus der Regierung zu halten – in der Hoffnung auf eine grundlegend andere Politik. Wer diese Hoffnung hatte, dürfte enttäuscht sein. Nicht nur dieses Sondierungspapier gibt Aufschluss über den pro-kapitalistischen Charakter der selbsternannten „progressiven“ Parteien SPD und Grüne. Das tut auch die übertriebene Art, in der sie das Bündnis mit der FDP – der kleinen Partei des großen Kapitals – in den Himmel loben. Gerade die FDP dürfte mit dem Papier besonders zufrieden sein.
Das Kapital regiert weiter
An der Tatsache, dass in diesem Land Politik für die Minderheit von Großaktionär*innen und Kapitalbesitzer*innen gemacht wird, wird auch die neue Regierung nichts ändern. An der Schuldenbremse wird nicht gerüttelt. Trotzdem soll es mehr Investitionen in Digitalisierung und den Ausbau von Erneuerbaren Energien geben. Der Kohleausstieg soll vorgezogen werden (idealerweise auf 2030). Aber wie das finanziert werden soll, steht nicht im Sondierungspapier. Dabei ist klar: Bei den Reichen wird das Geld dafür und für die bisherigen Rettungspakete nicht geholt. Es gibt keine Wiedererhebung der Vermögenssteuer und keine höheren Steuern für Unternehmen und Reiche. Dafür hat die FDP mit den geplanten Super-Abschreibungen für Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung noch ein kleines Geschenk für Unternehmen durchgesetzt. Unterm Strich wird das bedeuten, dass die Masse der arbeitenden Bevölkerung früher oder später für die Kosten der Krise sowie der Investitionsmaßnahmen für Digitalisierung etc aufkommen soll.
Angriffe auf die Arbeitszeit
Wer als Leistungsempfänger*in auf Verbesserungen gehofft hat, wird ebenso enttäuscht: Hartz IV soll zwar nicht mehr Hartz IV heißen sondern Bürgergeld. Das brutale Sanktionssystem soll aber beibehalten werden. Von einer Erhöhung der Regelsätze ist keine Rede. Das soziale Wahlversprechen der SPD, die Einführung von 12 Euro Mindestlohn, soll im ersten Jahr kommen. Auch wenn das für Millionen Menschen eine Verbesserung darstellen würde, bedeuten 12 Euro nach Berechnungen der alten Bundesregierung eine Rente unter der Grundsicherung. Aufgrund der aktuellen Inflation sowie die besonders in die Höhe schnellenden Energiepreise ist zudem nicht klar, wie stark sich diese Erhöhung tatsächlich bemerkbar machen wird. Nach der einmaligen Erhöhung auf 12 Euro übernimmt wieder die Mindestlohnkommission die Festlegung über weitere Anstiege (was sicher nicht für weitere bedeutende Erhöhungen spricht). Die ausbeuterischen Mini-Jobs bleiben bestehen (nur gekoppelt an den Mindestlohn). Unter dem Abschnitt mit dem Titel „Respekt und Chancen in der modernen Arbeitswelt“ versteckt sich außerdem ein neuer Angriff auf die Beschäftigten. Dort heißt es: „Im Rahmen einer befristeten Regelung mit Evaluationsklausel werden wir es ermöglichen, dass im Rahmen von Tarifverträgen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen und in einzuhaltenden Fristen ihre Arbeitszeit flexibler gestalten können. Außerdem wollen wir eine begrenzte Möglichkeit zur Abweichung von den derzeit bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit schaffen, wenn Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen dies vorsehen (Experimentierräume).“ Gegen diese „Experimentierräume“ und Angriffe auf die gesetzliche Höchstarbeitszeit braucht es den massiven Widerstand der Gewerkschaften.
Rente
Auch beim Rentenniveau soll alles beim alten bleiben. Der Abfall des gesetzlichen Rentenniveaus von siebzig auf 48 Prozent über die letzten zwanzig Jahre wird nicht umgekehrt. Laut dem Papier soll es zwar keine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters geben. Doch die Rente ist keineswegs sicher. Denn die Rentenkasse soll jetzt mit Steuermitteln an die Börse gehen. 10 Milliarden Euro zahlt der Bund an die Deutsche Rentenversicherung, die wiederum ihre Reserven am Kapitalmarkt anlegen darf. Wer die Kosten zahlt, wenn im Casino wieder die Lichter ausgehen, bleibt unbeantwortet. Es ist zu erwarten, dass dies auf dem Rücken der Arbeiter*innenklasse und der zukünftigen Rentner*innen abgeladen wird.
Hoffnungen sind fehl am Platz
Auch der Rest des Sondierungspapiers offenbart vor allem, wie wenig Hoffnungen sich die Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten auf die neue Regierung machen dürfen.
- Das Finanzierungssystem der Krankenhäuser – die DRG‘s, die zum desaströsen Pflegenotstand geführt haben – soll nicht abgeschafft werden. Das bedeutet, dass die Bewegung für eine gesetzliche Personalbemessung und ein kostenloses Gesundheitswesen nach Bedarf mit aller Kraft ausgeweitet werden muss.
- Die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen soll wirksam „verringert“ nicht etwa aufgehoben werden
- 400.000 neue Wohnungen sollen pro Jahr neu gebaut werden (was nur knapp über den 1,5 Millionen Wohnungen liegt, die die letzte Bundesregierung in ihrer Legislatur bauen wollte – erreicht wurde weder das Ziel noch niedrigere Mieten), ein Mietenstopp kommt nicht
- Zur Polizei versteigt sich die Ampel zu der Aussage: „Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit sind die Maßstäbe, nach denen sie ihren Dienst für alle tun“ – Rechte Netzwerke im Staatsapparat scheint es nicht zu geben.
- Dafür soll der Kampf gegen den „Linksextremismus“ als Form der Menschenfeindlichkeit entschlossen geführt werden (dieser wird neben Rechtsextremismus, Islamismus u.a. in einer Reihe aufgeführt).
- Die Bundeswehr soll ebenfalls weiter aufgerüstet werden.
Fazit
Die Ampel blinkt – gemessen an den Wahlversprechen der drei Parteien – vor allem gelb. Ein bisschen mehr Klimaschutz und ein höherer Mindestlohn lösen weder die Klimakrise noch die sozialen Verwerfungen. Investitionen, welche auch Teile des Kapitals für nötig halten, werden gleichzeitig mit Verschlechterungen für die Arbeiter*innenklasse einhergehen. Der Angriff auf die Arbeitszeit ist ein Vorgeschmack von dem, was kommt. Mit der Beibehaltung der Schuldenbremse bleibt eine Voraussetzung für weitere Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse im zweiten und dritten Jahr der Regierung bestehen. Papier ist außerdem geduldig: Was von den sozialen oder Klima-Versprechen umgesetzt wird, wird sich zeigen. Nicht zuletzt hängt das von der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung ab. Das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Regierung keine breite soziale Basis hat und eine schwache Regierung sein wird, die bei der erstbesten Krise selbst in Probleme geraten kann. Ihr können Zugeständnisse durch Druck von der Straße und aus den Betrieben abgerungen werden. Gewerkschaften, soziale Bewegungen und LINKE müssen sich deshalb auf Widerstand vorbereiten. Doch es reicht nicht, dabei stehen zu bleiben: Es braucht eine gemeinsame Bewegung, welche die Interessen der arbeitenden Bevölkerung in den Mittelpunkt stellt, die Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten organisiert und für ein sozialistisches Programm gegen die Krise des Kapitalismus kämpft.