Gespräch mit Jenniffer Lange, Mitglied der ver.di-Tarifkommission für die Vivantes Töchter*
Wir dokumentieren hier ein Interview mit einer streikenden Kollegin aus der Berliner Krankenhausbewegung, das auf der Webseite der Gruppe “Herzschlag – Aktive im Gesundheitswesen für eine kämpferische ver.di” veröffentlicht wurde.
Der Streik von Kolleg*innen bei Vivantes, Charité und den Vivantes Töchtern geht schon in die vierte Woche. Es ist von großer Bedeutung, dass jetzt die Solidarität ausgebaut wird. Jenny arbeitet bei einer der Vivantes-Töchter, der SVL (Speiseversorgung) und ist Mitglied der ver.di-Tarifkommission für die Töchter.
Wir trafen uns am Dienstag, den 28. September. An diesem Tag fand eine Streikversammlung aller Kolleg*innen der Töchtergesellschaften statt, wo über die Lage diskutiert wurde und die Streikbereitschaft abgefragt wurde. Zudem war Franziska Giffey (SPD) eingeladen, die aufgrund des Wahlergebnisses vom Sonntag, den 26.9. zukünftige Berliner Oberbürgermeisterin wird. Sie sollte daran erinnert werden, dass sie vor der Wahl versprochen hatte, dass die Gelder vorhanden sind, um die Forderung der Beschäftigten nach Einführung des TVÖD bei den Töchtern des landeseigenen Vivantes-Klinikums zu erfüllen. Zur Erinnerung fügen wir nochmal hinzu, dass im letzten Koalitionsvertrag unter rot-rot-grün sogar die Rückführung aller Töchter zum Ziel gesetzt war – bei Vivantes wie auch Charité. Trotzdem sind die Kolleg*innen weiter gezwungen, gegen Niedriglöhne bei den Töchtern und eklatanten Personalmangel zu streiken. Auch vor der Wahl gab es trotz etlicher Zusagen von verschiedenen Vertreter*innen aus den Senatsparteien kein Ergebnis. Die Geschäftsführung und Verhandlungsleitung des Vivantes-Klinikums fährt eine besonders harte Linie.
Jenniffer, letzten Freitag kam es zum Eklat bei den Tarifverhandlungen für die Vivantes-Töchter. Was ist passiert?
Alles hatte schon am Vortag schlecht begonnen. Vivantes wollte am Donnerstag ein neues Angebot machen, wir warteten und es kam nichts im laufe des Tages. Irgendwann abends kam dann doch noch das Angebot. Wir konnten es nicht glauben. Darin stand, es sollte eine weitere Tochterfirma, die MVZ (Medizinisches Versorgungszentrum) ausgegliedert werden aus den Tarifverhandlungen! Vorher hatte Vivantes schon das Labor Berlin ausgegliedert, was schon schlimm genug ist. Aber es war nie Thema, dass nun noch eine weitere Tochter aus den Verhandlungen ausgenommen werden soll! Das war wie ein Schlag ins Gesicht.
Trotzdem gingen wir am Freitag zunächst an den Verhandlungstisch, um zu sehen, ob es irgendeinen Weg gibt, das abzuwenden und über das, was auf dem Tisch liegt zu verhandeln. Dabei kam heraus, dass die Entgelttabellen und ihre Struktur nicht im Ansatz das ist, was der TVÖD (Tarifvertrag Öffentlicher Dienst) beinhaltet. Anstatt sechs Stufen sollte es nur vier geben. Auch die Zeitfenster waren ganz anders ausgelegt. Danach müsste man vier Jahre in der Stufe 1 arbeiten, bevor man in die nächste Stufe kommt – beim TVÖD kommt man nach einem Jahr in Stufe 2. Nach dem Modell des „Angebots“ käme man nach insgesamt zwölf Jahren in Stufe 4 und da bleibt man. Das Stufenmodell des TVÖD geht über 16 Jahre bis Stufe 6, wo man dann bleibt.
Außerdem sollten die Löhne für die Laufzeit des Vertrages fest gefroren werden! 2025 sollte es für die Tabellen also den Stand vom 1.1. 2022 geben. Damit würde die Grätsche, die zum TVÖD besteht, die wir ja kleiner machen wollen, im Gegenteil wieder größer. Viele Berufsgruppen wie die VSG (Vivantes Service GmbH) und die Reha bekämen erstmal keine Lohnerhöhung – erst ab 2024 und auch da nur minimale Lohnsteigerungen.
Die Verhandlungsführerin auf Seite von Vivantes, Dorothea Schmidt, meinte dann noch, wir können uns doch freuen da in einigen Töchtern schon Lohnerhöhungen dies Jahr vorgenommen wurden z.b bei Viva Clean. Dabei bezieht sie sich auf die Anhebung von 10,91 Euro Stundenlohn auf 11,11 Euro, also 20 Cent. Wir fragten Sie ganz freundlich, ob sie das als anständige Lohnerhöhung betrachtet und ihre Aussage war 2,9% reichen doch. Des öfteren hat sie jetzt schon in Verhandlungen gesagt, man solle doch froh sein, dass man von einem Lohnempfänger zu einem Gehaltempfänger wird.
Sie unterschätzt auch die Stimmung bei den Kolleg*innen. Bei den Verhandlungen spricht sie immer nur mit den Ver.di-Sekretär*innen – die Kolleg*innen, die ja auch von der Tarifkommission dabei sind, nimmt sie gar nicht wahr.
Ein weiteres Problem ist, dass immer noch drin steht, dass alle Erhöhungen unter Vorbehalt der wirtschaftlichen Lage stehen. Auch im Mantel-Tarifvertrag war nichts mehr von TVÖD zu lesen. Es ist einfach schwierig, diese Kaltschnäuzigkeit zu ertragen – man kommt sich vor, wie der letzte Pöbel. Vorher hatten wir uns verständigt, wir wollen den TVÖD verhandeln. Nach Stunden des Verhandelns und immer wieder Unterbrechen, sitzt sie dann da und bietet uns zu dem bestehenden Angebot noch an, den Mindestlohn von 12,50 Euro einzuführen rückwirkend ab 1.8.2021. Dieser Mindestlohn gilt in Berlin laut Vergabegesetz, das heißt für alle öffentlichen Aufträge. Deshalb hat das nichts mit unseren Verhandlungen zu tun. Wenn hier etwas nicht umgesetzt, was gesetzlich verankert ist, dann ist es Aufgabe der Politik, sicherzustellen, dass es umgesetzt wird – besonders natürlich in den landeseigenen Betrieben! Es ist in der Tat immer noch so, dass bei SVL und Vivaclean unter diesem Mindestlohn gezahlt wird.
Am Freitag hat Frau Schmidt an die Presse gegeben, Ver.di schlage ein Angebot im Volumen von 47 Millionen Euro aus. Da wird aber nicht dazu gesagt, dass es sich um die ganze Laufzeit handeln soll. Also, wenn Vivantes sagt, die Einführung des TVÖD bei den Töchtern kostet 35 Millionen Euro im Jahr, und Frau Schmidt spricht von 47 Millionen für eine Laufzeit von vier Jahren, dann kann man sich ausrechnen, dass die Lücke sehr groß ist. Und ab 2025 bis 2028 soll es auch bei 95 Prozent bleiben.
Zudem will sie das alles noch verbunden haben mit einer Friedenspflicht bis zum Jahr 2028! Zusammengefasst: Es gibt keinen TVÖD, sondern eine andere viel schlechtere Stufentabelle, für die nächsten Jahre gibt es ein Einfrieren der Tabellen und wir sollen über sieben Jahre nicht streiken dürfen und es gibt noch die Klausel der Wirtschaftlichkeit. Was für ein Angebot soll das sein?
Wir haben auch gesagt, wir gehen hier nicht ohne eine weitere Tochter aus dieser Auseinandersetzung raus. Die anderen haben genauso den TVÖD zu bekommen wie alle anderen. Die Vivantes-Geschäftsführung hat nicht verstanden, wie die Stimmung ist.
Es gibt auch insgesamt keine Wertschätzung. Es gibt Bereiche, wo man fünf Minuten Pause im Büro beantragen muss. Wir streiken momentan von Montag bis Freitag. An den Wochenenden, wo wir an die Arbeit kommen, werden wir aktuell mit Arbeiten in die hintersten Ecken gestellt. Man bekommt genau mit, das wird mit Streikenden gemacht. Das geht einfach nicht.
Heute war Franziska Giffey da. Ich hatte das Gefühl, es wurde viel Hoffnung rein gesteckt, dass sie jetzt die finale Finanzierungszusage vom Senat macht. Das ist nicht passiert. Wie wertest Du das Gespräch mit ihr heute?
Der Termin ist entstanden, weil wir klar zeigen wollten, wir haben nicht vergessen, was die Zusagen waren. Vor der Wahl schon hatte es diese Zusagen gegeben, von Giffey und SPD-Fraktionsführer Raed Saleh. Noch am Freitag vor der Wahl teilte uns Bettina König von der SPD-Fraktion mit, der amtierende OB Michael Müller habe gesagt, die Gelder sind da. Aber Frau Schmidt und Herr Danckert von Vivantes sagen, sie hätten von niemandem etwas in der Hand
Für mich ist klar: Frau Giffey steht in der Verantwortung. Es reicht nicht, sich einfach nur hinzustellen und zu sagen, ich bin für Euch. Aber wenn das Geld da ist, sollen sie es Frau Schmidt in die Hand geben.
Franziska Giffey hat ja eine Schlichtung vorgeschlagen, beziehungsweise jetzt eine Moderation durch Matthias Platzek. Was denkst Du darüber?
Die Moderation mit Platzek haben wir angenommen. Aber es ist ganz klar: es wird bei uns keine Schlichtung geben. Wir wollen den TVÖD. Wir machen Zugeständnisse, die haben wir auch schon gemacht. Aber auch die haben irgendwann eine Grenze. Für mehr als eine Moderation wird Herr Platzek nicht da sein. Wir sagen immer, das Ziel ist der TVöD aber der Weg dorthin ist verhandelbar.
Wie sind sehr stark organisiert, das unterschätzen sie, denke ich. Wir sind ungebrochen und wir sagen auch klar: Wir bleiben weiter draußen. Wir haben auch gesagt, wir tauchen in diesem Streik nicht ab, sondern werden ihnen jeden Tag auf den Keks gehen. So lange, bis es eine Lösung gibt, so dass wir den TVÖD – auch wenn nicht sofort, aber absehbar sicher haben.
Wie war denn die Stimmung heute bei den Diskussionen in der Streikversammlung?
Heute wollten wir vor allem herausfinden, wie stark sind wir noch. Wir haben festgestellt – wir sind noch so stark wie vor zwei Wochen. Wir haben eine Streikversammlung gemacht, weil alle sollen mitentscheiden können, wie es weiter geht und auch sagen können, wenn sie was stört oder wenn es Probleme gibt.
Wir haben gesagt, – wir von der SVL wollen von Montag bis Sonntag draußen bleiben. Im Moment arbeiten wir aus dem Bistro an den Wochenenden im Versorgungszentrum, wo wir das Gefühl haben schlecht behandelt zu werden und es gibt eigentlich da auch nichts zu tun, da die Versorgungszentren überbelegt sind am Wochenende.
Meiner Meinung nach gilt das nicht nur für die SVL. Wir sollten insgesamt auf Vollstreik umstellen, von Montag bis Sonntag. Es gibt auch Überlegungen von Wellenstreiks, die machen aber für viele Bereiche keinen Sinn.
Was, wenn es bei den Müttern zu einem Ergebnis kommt und bei den Töchtern nicht?
Da gibt es unterschiedliche Meinungen. Die einen sagen, es hat auch Vorteile, denn im Moment werden wir nicht so wahr genommen. Wenn einige Stationen und Bereiche sowieso leer gefegt sind, dann haben wir auch nichts mehr zu tun. Dann fällt es nicht mehr so auf, wenn die Steri oder andere streiken, weil es ja gar nicht so viel Arbeit gibt in den Funktionsbereichen durch den Streik der Pflegekräfte. Andererseits ist jeder Tag zusammen gut, weil wir eine gemeinsame und starke Bewegung sind. Die Bewegung ist super, man kennt sein Haus inzwischen fast komplett. Auch unter den Töchtern lernt man sich kennen. Man weiß jetzt, wie es in den Bereichen ist, wie die Bedingungen sind. Aber es ist auch klar, irgendwann wird einer der erste sein – und wir haben von Anfang an gesagt, die Töchter sind wahrscheinlich nicht die ersten.
Wie sieht es materiell aus? Bei eh schon niedrigen Löhnen bekommen die Streikenden jetzt über Wochen weniger, weil das Streikgeld nicht hundert Prozent ausgleicht. Ist das nicht eine Gefahr?
Ja, das muss jedem klar sein. Es gibt immer noch eine Spendenaktion, da sind schon mehrere zehntausend Euro gesammelt worden, die läuft auch weiter. Es gibt auch einen Antrag auf Aufstockung des Streikgelds, der aber noch auf Bearbeitung wartet. Wir haben immer gesagt, wir brauchen einen Notgroschen, für diejenigen für die es eng wird. Wenn zum Beispiel jemand kein Essen mehr kaufen kann oder die monatliche Miete nicht zahlen kann – natürlich werden diese Kolleg*innen unterstützt.
Man könnte die Solidaritätsarbeit sicher noch ziemlich ausweiten. Die Gewerkschaften könnten da eine zentrale Rolle spielen.
Ja, die Idee, dass die Gewerkschaften das jetzt auch mehr in die anderen Betriebe tragen sollten, finde ich richtig. Wir brauchen die maximale Unterstützung. Die Arbeitgeber versuchen uns klein zu kriegen. Wenn ihnen das gelingt, hat das Auswirkungen auf andere Betriebe. Wenn wir aber erfolgreich sind, dann wird das auch andere ermutigen.
*Funktionsangabe dienst nur zur Kenntlichmachung der Person
Das Gespräch führte Angelika Teweleit.