Neuerscheinung über den Weg zu einer klassenlosen Gesellschaft
Der Anarchismus ist heute keine Massenbewegung mehr wie in der Zeit zwischen den Weltkriegen. Dennoch gibt es viele Stimmungen und Anschauungen – der Staat ist nicht nur ein Herrschaftsapparat einer herrschenden Klasse, sondern die Quelle der Unterdrückung, Parteien und Organisationen werden abgelehnt, individualistische Lösungsansätze verfolgt, um nur einige zu nennen – die viel mit dem Anarchismus gemeinsam haben.
Mehr als ein Anarchismus
Der Anarchismus und anarchistische Gruppen wirken in ihrer radikalen Ablehnung von Herrschaft, Staat und jeglicher Unterdrückung bis heute anziehend auf vor allem junge Menschen, die sich angesichts der unerträglichen Zustände auf der Welt radikalisieren. Dabei gibt es im Anarchismus, wie bei anderen Strömungen auch, nicht die eine, sondern verschiedene Richtungen, die zu verschiedenen Zeiten eine Rolle spielten. Gab es in den 1930er Jahren wirkliche anarchistische (bzw. syndikalistische) Massenorganisationen wie die CGT in Frankreich oder die CNT im spanischen Staat, war das für Länder wie Deutschland nie der Fall.
Im neuen Buch des Manifest Verlags gehen Texte auf verschiedene Etappen der anarchistischen Geschichte ein. Steve Hollasky schreibt in zwei Beiträgen über anarchistische Strömungen vor und zur Zeit der Russischen Revolution 1917.
René Arnsburg geht in einem ausführlichen Beitrag zum Anarchismus in der Spanischen Revolution auf die Ursprünge und die Entwicklung der größten anarchistischen Bewegung der Geschichte ein – und wie die Politik der anarchistischen Führer*innen der Revolution zum Verhängnis wurde.
Nicht nur eine historische Debatte
Bis heute gibt es in vielen Ländern Organisationen, die in der Tradition des Anarchismus stehen. Oft ist es jedoch viel mehr die Vorstellung, die Aktivist*innen vom Anarchismus haben, mit der sie sympathisieren, als sich selbst in einer anarchistischen Gruppe zu organisieren. Die reformistische Haltung in den Gewerkschaften und der Partei DIE LINKE hinterlässt ein Vakuum auf der radikalen Linken, das auch in Zukunft wieder zu einer verstärkten Zuwendung zu anarchistischen Ideen führen kann.
Die Auseinandersetzung des Marxismus mit dem Anarchismus ist über 150 Jahre alt und begann bereits innerhalb der Internationalen Arbeiter-Assoziation (Erste Internationale), der Marx und Engels als Gründungsmitglieder selbst angehörten. Diese Textsammlung soll zu einem besseren Verständnis beitragen, welche inhaltlich begründete Haltung Marxist*innen heute und in der Vergangenheit gegenüber dem Anarchismus eingenommen haben. Dabei ist der Streitpunkt zwischen Marxist*innen und Anarchist*innen weniger das Ziel einer klassen- und damit staatenlosen Gesellschaft. Die Diskussion geht viel mehr um die Frage, wie dieses Ziel erreicht werden kann.
Neben einem ersten Teil neu geschriebener Texte, enthält der zweite Teil historische Texte von Leo Trotzki, Friedrich Engels und Nikolai Bucharin. Erstmals in einem Buch auf Deutsch veröffentlicht wird auch eine Broschüre von Victor Serge: „Die Anarchisten und die Erfahrung der russischen Revolution.“ Dieser Text ist von besonders großem Interesse, da Serge zu den zahlreichen russischen Anarchist*innen gehörte, die sich vom Bolschewismus überzeugen ließen. Gemeinsam mit Leo Trotzki verteidigte er später die Errungenschaften der Russischen Revolution gegen die entstehende Bürokratie unter Stalin und Co.
Marxismus und Anarchismus erscheint im Manifest Verlag im November 2021, 12.90 Euro, ca. 230 Seiten, ISBN: 978-3-96156-109-4