Zwischen Pandemie und Präsidentschaftswahlen
Die Angriffe der kapitalistischen Regierung Macron sind selbst während der Covid-Krise unvermindert weiter gegangen. Die Regierung streicht massenhaft Stellen im Gesundheitswesen und im Schulbereich. Die Arbeiter*innen sind nach wie vor mit niedrigen Löhnen konfrontiert, mit der Privatisierung der Transport- und Energiebereiche und galoppierenden Preisen, sowie mit der neuen Konterreform der Arbeitslosenversicherung, die die Rechte von Erwerbslosen stark beschneidet.
von Leïla Messaoudi, Gauche Révolutionnaire (CWI in Frankreich)
Doch die Gewerkschaftsführungen haben an diese Probleme keine kämpferische Herangehensweise. Das untergräbt die Fähigkeit der Arbeiter*innen zu kämpfen, aber auch ihr Selbstbewusstsein in der Konfrontation mit den Kapitalist*innen.
Die Bewegung der Gelbwesten, die vor drei Jahren begann, hat das politische Bewusstsein nicht angehoben. Es haben tiefergehende Diskussionen zu Fragen des politischen Programms und ein entschlossenes Eingreifen der organisierten Arbeiter*innenbewegung – mit Streiktagen – gefehlt, um aus dem endlosen Kreis der Samstagsdemos herauszukommen, die brutal unterdrückt wurden (und werden) und keine Perspektive haben.
Der Wut eine Perspektive geben
Die Wut – zeitweilig erstickt nach zwei Jahren pandemiebedingten Ausnahmezustands und repressiven Maßnahmen – will jetzt zum Ausdruck kommen. Viele Jugendliche sehen, dass diese Gesellschaft ihre Zukunft kaputt macht (selektive Auswahlverfahren an der Uni, Armut, Niedriglöhne, Ungleichheiten im Bildungswesen). Addiert man dazu die Wut, die in der Arbeitswelt vorherrscht, so nimmt die Lage einen potenziell explosiven Charakter an. Kämpfe können zu jedem Thema ausbrechen (Anstieg der Energie- und Benzinpreise, Löhne …)
Momentan lässt führt Abflauen der Pandemie zu einer Zunahme der Stellenangebote. Es gibt mehr Arbeitskämpfe, auch wenn diese meistens relativ isoliert bleiben. Der «Wirtschaftsaufschwung» ist eher instabil, aber die Arbeiter*innen zum Beispiel der öffentlichen Verkehrsbetriebe und der Krankenhäuser nutzen diesen Moment, um höhere Löhne und würdige Arbeitsbedingungen einzufordern.
Am 5. Oktober gab es den ersten richtigen Streiktag (öffentlicher Dienst und Privatsektor) seit dem Beginn der Covid-Krise. Dieser Streiktag war nicht sehr massiv, aber hat gezeigt, dass die bewussteren Schichten der Arbeiter*innen aus vielen Betrieben bereit sind, den Kampf wieder aufzunehmen.
Präsidentschaftswahlen 2022
Der Präsident wird alle fünf Jahre gewählt und direkt danach findet die Parlamentswahl statt. Macron ist ein Abenteurer, als Überraschungskandidat 2017 an die Macht gekommen. Er hat zu keinem Zeitpunkt eine breitere soziale Basis im Land aufbauen können. Er ist der Präsident der großen, kapitalistischen Gruppen in Frankreich, aber seine Position ist eher instabil. Er hält sich trotzdem an der Macht und wird 2022 erneut Kandidat sein. Warum?
Die politischen Parteien der Bourgeoisie, vor allem der traditionellen rechten Parteien, sind zersplittert. Aber Macron kann sich halten, da die linke Opposition so schwach ist. Und das lässt auch Raum für reaktionäre Kandidat*innen wie Marine Le Pen oder Eric Zemmour, der in Umfragen dicht hinter Le Pen liegt. Dieser Fernsehkommentator propagiert überall sein rassistisches, sexistisches und homophobes Programm mit offener Unterstützung der bürgerlichen Medien. Das alles kommt Macron zugute, der die zentralen sozialen Fragen durch einen «Krieg der Zivilisationen» ersetzen will, der die Muslime und Muslimas zu Sündenböcken macht..
Welche Perspektiven auf der Linken ?
Das Fehlen eines Kampfprogramms gegen Macron und die Kapitalist*innen während der letzten vier Jahre wiegt schwer. Gauche Révolutionnaire tritt für eine gemeinsame linke Kandidatur bei diesen Wahlen ein, um die Seite der Arbeiter*innen und Jugendlichen zu stärken.
Die Bewegung „La France insoumise“ (FI) hat mit ihrem Kandidaten Jean-Luc Mélenchon 2017 sieben Millionen Stimmen erhalten und bleibt die stärkste politische Kraft auf der Linken, um Macron 2022 herauszufordern. Aber die heutige Situation ist nicht die gleiche wie 2017, als die von der Sozialistischen Partei (PS) geführte Regierung den bürgerlichen Charakter dieser Partei gezeigt hat, was zu einer massiven Stimmabgabe links von der PS führte. Die FI und ihre Abgeordneten im Parlament und Europaparlament sind eine Art Whistleblower bezüglich der permanenten Angriffe der Regierung und der Kapitalist*innen. Aber das reicht nicht aus. Sie wollten den Wahlerfolg von 2017 nicht in eine kämpferische politische Kraft umwandeln, in eine Massenarbeiter*innenpartei, die fähig wäre, Widerstand gegen Macron zu organisieren.
Jean-Luc Mélenchon spricht davon, „Wasser, Energie, Nahrung, Gesundheit und Bildung zu Gemeingütern zu machen, die dem schmutzigen Gesetz des Marktes entkommen”. Doch der Vorschlag, die ersten Kubikmeter Wasser und Kilowattstunden Strom kostenlos zu liefern, ist zwar positiv, kann aber nicht ausreichen. Solange große Privatkonzerne Dienstleistungen anbieten, werden ihre Konkurrenz mit dem öffentlichen Sektor und ihr Gewinnstreben vorherrschen: Preiserhöhungen, das Ansichreißen von Ressourcen … Was die Energie, den öffentlichen Verkehr, das Gesundheits- und das Bildungswesen betrifft, so müssen diese Schlüsselsektoren zu hundert Prozent öffentliche Monopole werden, indem diese multinationalen Unternehmen verstaatlicht und enteignet werden.
Auch wenn Jean-Luc Mélenchon und die FI-Abgeordneten manchmal fordern, dass „das gesamte Wasser kollektiviert werden sollte”, oder versichern, dass sie [den Wasser-, Abfall-, Energiekonzernen] „Veolia und Suez alles wegnehmen werden”, äußern sie sich nicht ausdrücklich zur Notwendigkeit einer demokratischen Kontrolle der Arbeiter*innen und Nutzer*innen über die Produktion. Das Programm l’Avenir en Commun [Die gemeinsame Zukunft, Wahlprogramm zu den Präsidentschaftswahlen 2022] schlägt die „Schaffung eines öffentlichen Bankenpols” und die „Trennung von Geschäfts- und Privatkundenbanken” vor, was jedoch keine „Kontrolle der Kapitalbewegungen” ermöglichen wird, solange es noch private Banken gibt.
Gegen die Ausbeutung, Diskriminierung und Umweltzerstörung, von denen sich das kapitalistische System nährt, müssen wir das Ziel des Sozialismus verfolgen, in dem durch öffentliches Eigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln die Wirtschaft entsprechend den Bedürfnissen aller demokratisch geplant und verwaltet werden kann.
Die Stärke des Arbeiter*innenlagers aufbauen
Gegenüber der PS, Macron, der Rechten und dem RN (Rassemblement National, extreme Rechte von Le Pen) müssen wir unser antikapitalistisches Lager durch ein starkes Ergebnis deutlich machen. Dies ist nicht trivial. Die Gauche Révolutionnaire teilt nicht die Herangehensweise der Kandidat*innen der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA), Lutte Ouvrière (LO) oder Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF), die die Notwendigkeit massiver politischer Erfolge zur Entwicklung des Klassenbewusstseins der Arbeiter*innen unterschätzen. Hätte es Mélenchon 2017 in den zweiten Wahlgang geschafft, wäre es in der Debatte gegen Macron darum gegangen, die Interessen der Arbeiter*innen und der Bevölkerung gegen die der von Macron verkörperten Kapitalist*innen zu verteidigen. Le Pens Einzug in die Stichwahl erleichterte die Wahl des „Präsidenten der Reichen”.
Die Kandidaturen von NPA und und LO auf einer anti-kapitalistischen und revolutionären Basis können einen gewissen Anziehungspunkt darstellen. Aber sie zeigen trotzdem keinerlei Idee auf, wie eine Arbeiter*innenpartei aufgebaut werden kann.
Deshalb werden wir trotz der Meinungsverschiedenheiten, die wir auch 2017 hatten, den Wahlkampf von Jean-Luc Mélenchon unterstützen, wenn er ein entschieden antikapitalistisches Programm vertritt.
Der Präsidentschaftswahlkampf beschränkt sich nicht auf die Wahl oder Nichtwahl eines Kandidaten. Es muss eine Gelegenheit sein, uns zu organisieren und unsere Ideen für ein antikapitalistisches und klassenbezogenes Programm auf einer Massenbasis zu stärken. Um einen Gegenangriff auf die Kapitalist*innen zu starten, müssen wir über die Schaffung einer neuen politischen Kraft diskutieren: eine demokratische Massenpartei für den Sozialismus, die gegen Macrons Politik und den Kapitalismus kämpft.
Je mehr die Präsidentschaftswahlen näher rücken, desto mehr wird es politische Diskussionen geben, wie man Macron wirksam stoppen kann. Den Jugendlichen und Arbeiter*innen, die politisch diskutieren und sich organisieren wollen, muss es möglich gemacht werden, auf der Grundlage eines kämpferischen, anti-kapitalistischen und authentisch sozialistischen Programms aktiv zu werden. Gauche Révolutionnaire wird dafür ihre Anstrengungen, ihre Aktivitäten und ihr eigenes Material vervielfachen.