Tarifrunde der Länder: Kämpfen statt kapitulieren

Kompromiss bedeutet Reallohnverlust im öffentlichen Dienst

Am 29. November einigten sich die Verhandlungsführer*innen der Gewerkschaften mit den Länderchefs auf einen Abschluss bei den Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes der Länder. Eine Neubewertung der Arbeitsvorgänge konnte abgewehrt werden. Doch aus der Forderung nach fünf Prozent Lohnerhöhung bzw. mindestens 150 Euro, bei einer Laufzeit von zwölf Monaten wurde eine einmalige Sonderzahlung von 1300 Euro für das Jahr 2022 und 2,8 Prozent ab dem 1. Dezember 2022 bei einer Laufzeit von 24 Monaten. 

Von Caspar Loettgers, Mainz und Angelika Teweleit, Berlin

Viele Kolleg*innen sind deshalb zurecht enttäuscht von dem Ergebnis, welches umgerechnet weit weniger die Hälfte des Geforderten bedeutet. Die Mobilisierungen in den letzten Wochen haben gezeigt, dass viele Kolleg*innen wütend über die Haltung der Arbeitgeberseite sind und bereit gewesen wären, weiter zu kämpfen. 

Reallohnverlust

Sicherlich freuen sich viele über die Höhe der steuerfreien einmaligen Sonderzahlung. Doch die Vereinbarung zur Tabellenerhöhung von 2,8 Prozent erfolgt erst im Dezember 2022. Am 1. Januar werden die Tabellen um 1,4 Prozent erhöht, die aber schon beim letzten Abschluss vereinbart wurden. Diese Erhöhung ist angesichts der aktuellen Inflation viel zu gering. Das bedeutet, dass die Einmalzahlung keine Sonderzahlung oben drauf ist. Laut dem ver.di-Vorsitzenden Wernecke gleicht sie die Inflation für die beiden Jahre 2021 und 2022 aus, die mit jeweils 2,5 Prozent prognostiziert werde (www.verdi.de 29.11.2021). Aktuell hat sich die Inflation jedoch auf mehr als fünf Prozent erhöht, Berechnungen ergeben 2,9 Prozent für das gesamte Jahr 2021. Zwar ist nicht sicher, ob sie weiter ansteigt, aber genauso wenig kann davon ausgegangen werden, dass sie zurück geht. 

Gesundheitswesen

Im Gesundheitswesen konnten minimale Verbesserungen durch die Erhöhung von Zulagen erreicht werden. Außerdem wurde der Geltungsbereich für die allgemeine Pflegezulage erweitert. Nichtsdestotrotz, treffen die Erhöhungen nicht auf alle Berufe im Gesundheitswesen gleichermaßen zu, und sie reichen bei weitem nicht aus, um den Mangel an Pflegekräften zu beseitigen. ver.di hatte hier eine Tabellenerhöhung um 300 Euro gefordert. 

Notwendiger Kompromiss?

Der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke behauptet, der Abschluss würde beiden Seiten weh tun. In Wahrheit ist der scheinbare Kompromiss ein Zugeständnis der Gewerkschaftsführung an die Länderchefs, der den Jahrzehnten andauernden Abbau im öffentlichen Dienst fortsetzt.

Im Vergleich zu 1991 hat sich die Zahl der Beschäftigten von 6,7 Millionen auf 4,9 Millionen reduziert. Auch die viel gelobte Sicherheit im öffentlichen Dienst ist eher ein Relikt aus der Vergangenheit. Inzwischen sind mehr als die Hälfte aller Neueinstellungen befristet. 

Die Tarifrunde fand sicherlich nicht unter idealen Voraussetzungen statt. Kurz vor der dritten Verhandlungsrunde rollte die vierte Corona-Welle über das Land. Die hohen Fallzahlen verunsicherten und warfen die Frage auf, was das für die Tarifrunde bedeutet. Die Sorgen unter Kolleg*innen sollte man ernstnehmen, um eine Spaltung zu verhindern. Doch das bedeutet nicht, dass man den Kampf einfach aufgeben sollte. Es ist nötig, sich auf die schwierigen Bedingungen einzustellen. Und die letzten zwei Jahre haben gezeigt, dass Demonstrationen, Streikposten und auch andere Aktionen corona-konform durchführbar sind. Die Kampfbereitschaft zeigte sich zum Beispiel am Universitätsklinikum des Saarlandes, wo  Kolleg*innen mehrere Nächte hindurch Streikposten organisierten.

Statt der Annahme eines schlechten Ergebnisses hätte eine Urabstimmung zum Streik vorbereitet werden sollen, während der man mit den Kolleg*innen auch den Zeitplan für den Arbeitskampf in Ruhe hätte diskutieren können. 

Die Annahme des jetzigen Ergebnisses sendet das völlig falsche Signal aus, dass sich die Beschäftigten zurückhalten müssen, weil die öffentlichen Kassen aufgrund der Schuldenbremse leer seien. Dabei ist es gerade umgekehrt. Weitere Kürzungen im öffentlichen Dienst sind vorprogrammiert und es geht um die Frage, wie viel Geld die Länder in Gesundheitsämter, Universitätskliniken und die öffentliche Daseinsversorgung investieren sollen. Entsprechend müsste die Gewerkschaftsführung die Tarifforderungen mit der Forderung nach einer Umverteilung des Reichtums und massiven Investitionen in den öffentlichen Dienst verbinden. Dafür ist es auch möglich und nötig, Unterstützung in der arbeitenden Bevölkerung zu mobilisieren. Über eine bewusste Solidaritätskampagne in den anderen ver.di-Bereichen und des gesamten DGB wäre es möglich gewesen, den Druck zu erhöhen. 

Kurswechsel nötig

Das Ergebnis der Ländertarifrunde hat noch mal verdeutlicht, wie dringend eine Kehrtwende innerhalb der Gewerkschaften ist. Der Teufelskreis von schlechten Abschlüssen und einem sich verschlechternden Organisationsgrad muss  durchbrochen werden. Für eine Kehrtwende braucht es eine organisierte Gewerkschaftslinke, die Vorschläge macht, wie Tarifrunden kämpferisch und demokratisch geführt werden können und eine gewerkschaftspolitische und die personelle Alternative zum jetzigen sozialpartnerschaftlichen Kurs aufzeigt.  

Bei der Mitgliederbefragung sollte mit Nein gestimmt werden. Es sollte ein klares Signal gesendet werden, dass Kolleg*innen lieber kämpfen wollen als zu kapitulieren. Bei mehrheitlicher Ablehnung muss die ver.di Führung aufgefordert werden, umgehend die Urabstimmung über Streik einzuleiten. Sollte das Ergebnis –  aufgrund mangelnder Perspektive – mehrheitlich angenommen werden, wäre es ratsam bei weiter gallopierender Inflation im nächsten Jahr über eine Nachschlagsforderung zu diskutieren. Die  Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) bietet ein Forum, um über die notwendigen Veränderungen in den Gewerkschaften zu diskutieren.