Klinikum Bremen Mitte: Gruppe „Uns reicht‘s“ tritt zu Betriebsratswahlen an
Interview mit Ariane Müller, Intensivkrankenschwester im Klinikum Bremen Mitte, seit 1974 gewerkschaftlich engagiert und aktiv bei ver.di. Gemeinsam mit anderen kandidiert sie bei den Betriebsratswahlen für die Liste der Gruppe „Uns reicht‘s“, die auch eine Betriebszeitung herausbringt.
Wofür steht „Uns reicht‘s“?
Die Gruppe hat sich 2005 gegründet. Das war sicher kein Zufall. Denn kurz zuvor gab es die entscheidende Umstellung auf das Fallpauschalensystem im Gesundheitswesen. Das bedeutete, dass sich die Arbeitsbedingungen schon bald verschlechterten, denn es wurde damit begonnen, Kosten einzusparen – angefangen natürlich beim Personal. Das führte zu Stellenabbau. Wir fühlten uns damals schon nicht richtig vertreten durch den Personalrat, der mit der Geschäftsführung klüngelte. Als eine zentrale Forderung gegen den Personalabbau forderten wir zum Beispiel eine drastische Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Das begründeten wir damit, dass die Pflegekräfte wie auch andere Berufsgruppen Entlastung brauchen, weil die Arbeit sich immer weiter verdichtet und das die Kolleg*innen fertig macht. Letztendlich gehen viele auf Teilzeit, was dann heißt, dass sie Lohn einbüßen. Deshalb steht die Forderung nach einer 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich für bessere Arbeitsbedingungen und besseren Lohn, auch wenn diese jetzt erst mal nicht im Wahlprogramm 2022 steht. Für mich ist es ein sehr wichtiges Anliegen.
Wir begannen dann mit der Herausgabe einer Zeitung – inzwischen gab es fünfzig Ausgaben. In der Gruppe gab es natürlich seit 2005 auch Fluktuation, wie es immer ist, aber wir haben kontinuierlich weiter gemacht. Wir haben Kolleg*innen gut informiert und die Tatsache, dass wir eine Kontinuität haben, hat die Grundlage geschaffen, dass wir jetzt mehr sind und auch eine eigene Liste bei den BR- Wahlen aufstellen können. Gerade in den letzten Monaten, die so hart waren, sind viele neue Leute auf uns zugekommen und machen jetzt mit. Dabei ist es nicht einfach, sich zu treffen, wegen der Schichten und schlechten Arbeitsbedingungen.
Warum stellt ihr eine eigene Liste auf?
Ich bin seit vier Jahren Mitglied im BR – seit März 2018. Dabei habe ich gemerkt, dass ich andere Vorstellungen von der Arbeit einer Betriebsrätin habe als die anderen. Ich habe versucht, Punkte einzubringen, bin aber auf taube Ohren gestoßen. Insgesamt ist die jetzige Betriebsratsmehrheit sehr eng mit der Direktion umschlungen und das ist auch der Eindruck von vielen Kolleg*innen. Sie wahren keine kritische Distanz zur Direktion, das ist vielen aufgestoßen. Die Direktion hat das auf einer Betriebsversammlung im letzten Herbst bestätigt, als sie sagte, so harmonisch wie mit diesem Betriebsrat habe sie noch nie zusammen gearbeitet. Ich war früher eher für eine Persönlichkeitswahl, weil man dann seine eigenen Punkte im Wahlkampf vorbringen kann. Aber dann kam die Pandemie, und die Situation in den Krankenhäusern hat sich von sehr schlecht zu untragbar schlecht entwickelt. Etliche haben gekündigt oder ihre Arbeitszeit reduziert, weil sie einfach nicht mehr konnten. So ist das Personal noch weiter ausgedünnt und die Kolleg*innen wurden immer mehr wie Schachfiguren versetzt.
Der gewerkschaftliche Organisationsgrad in den Krankenhäusern ist allgemein niedrig. In den letzten Monaten stieg der Wasserpegel immer höher und ging hoch bis zur Nase. Die Kolleg*innen bekamen Angst, dass man nicht mehr atmen kann, wenn das noch höher steigt. Der Druck war so groß, dass im Laufe der letzten Monate einfach mehr Leute angefangen haben, sich zu wehren. Auf eine Ausgabe von „Uns reicht‘s“ im September letzten Jahres haben sich auf einmal ganz viele Leute gemeldet. Die Überschrift war – „Wir wollen keine Schachfiguren und keine Sklaven mehr sein.“ Denn es wird notdürftig versucht, die großen Lücken zu stopfen. Das ist ein bundesweites Phänomen. Ich komme hier wieder drauf zurück 30h Woche zurück. Es gibt eine Studie der Arbeitnehmerkammer, die sagt, wenn die Arbeitsbedingungen besser wären, würden viele wieder zurück kommen. Das Fass war und ist am Überlaufen.
Aufgrund des Zulaufs zu unserer Gruppe hat sich dann die Diskussion entwickelt, wie kriegen wir am besten unsere Inhalte in den Betriebsrat rein? Damit wir was für die Kolleg*innen tun können? Wir sind gemeinsam zu dem Schluss gekommen, das es am besten geht, wenn wir eine eigene Liste aufstellen. Uns ist klar, nur durch eine Listenwahl können wir nachhaltig die verkrusteten Strukturen des BR`s aufbrechen. Fast alle bei uns sind ver.di Mitglieder. Die Alteingesessenen im BR sind auch in ver.di. Daher gibt es keine offizielle ver.di-Liste. Insgesamt wird es drei oder vier Listen geben – Marburger Bund, Uns reichts, und die Alteingesessenen werden jeweils ihre eigene Liste machen.
Mit welchem Programm kandidiert ihr?
Wir haben ein Zehn-Punkte-Programm aufgestellt (siehe www.betriebsgruppen.de/bgunsreichts). Uns ist unter anderem wichtig, dass wir zur Direktion eine kritische Distanz entwickeln und dass wir uns konsequent für die Kolleg*innen einsetzen. Wir wollen in bestimmten Abständen auf Station/Abteilungen gehen, Besuche machen, schauen, dass wir am Wochenende eine Notsprechstunde anbieten. Die Probleme tauchen ja auch oft am Wochenende auf, und die Kolleg*innen hätten dann Ansprechpartner.
Ein Punkt ist eine bedarfsgerechte Schichtbesetzung für die Pflege und Funktionsbereiche, das ist ja ein Hauptproblem der Überlastung. Wir wollen auch, dass die Spät- und Wochenenddienste für die Versorgungsassistent*innen wieder eingeführt werden, denn ihre Arbeit – die Versorgung von Patient*innen mit Essen – muss sonst von Pflegekräften gemacht werden. Wie so oft, betrifft diese Einsparung nicht nur unsere Kolleg*innen, sondern auch die Patient*innen: zum Beispiel, wenn sie auf flüssige Kost angewiesen sind, dann haben die Assistent*innen die Suppen früher warm gemacht – jetzt haben die Pflegekräfte keine Zeit dafür.
Ein wichtiges Thema ist bei uns zur Zeit auch die neue weiße Personalwäsche. Diese ist nämlich nicht blickdicht – das muss man sich mal vorstellen! Man kann die Unterwäsche sehen. Insbesondere die Frauen fühlen sich da als Sexualobjekte, denn es kommen oft Bemerkungen von Patient*innen oder auch Arbeitskollegen.
Wir wollen auch ein angstfreies Arbeiten. Oft kommen Kolleg*innen mit Angst zur Schicht, weil sie nicht wissen, ob sie auf ihrer angestammten Station arbeiten oder woanders aushelfen müssen, wo sie sich nicht auskennen. Solche Stressfaktoren kommen zu den ohnehin schlechten Arbeitsbedingungen dazu und das macht krank! Deshalb fordern wir verlässliche Dienst- und Urlaubspläne, Atemschutzpausen und dass Gefährdungsanzeigen ernst genommen werden.
Der Arbeitgeber hatte dich Mitte Dezember des letzten Jahres freigestellt und Maßnahmen angedroht. Was hatte es damit auf sich?
Im Zuge der letzten Monate habe ich immer mehr Einladungen von Kolleg*innen bekommen, wenn diese ein Gespräch mit Vorgesetzten hatten. Viele haben gemerkt haben, dass ich mich wirklich für sie einsetze. Diese Kolleg*innen haben den BR auch immer darüber informiert. Da kamen einige Sitzungen zusammen. Diejenigen, die außerhalb meiner Arbeitszeit stattfanden, habe ich mir als Arbeitszeit im Rahmen meiner BR-Tätigkeit aufgeschrieben. Der Pflegedienstleitung fiel auf, dass ich dadurch einige Überstunden hatte. Aber sie hat mich nicht darauf angesprochen, sondern gleich ihr Misstrauen in den Raum gestellt. Sie ist sofort zur Direktorin und die hat einen Brief an den Betriebsrat geschrieben, ob es denn jeweils einen Beschluss dafür gab. Der BR Vorsitzende hat einfach nur geantwortet, es lag kein Beschluss vor. Dabei braucht es für diese Art von Tätigkeit keinen BR Beschluss. Die Direktorin hat sich auf den BR Vorsitzenden verlassen und daraus geschlossen, es handele sich um Arbeitszeitbetrug. Ich wurde dann zu einem Gespräch eingeladen, ohne zu wissen worum es geht. Ich bin mit einem Zeugen hingegangen und habe mich zunächst nicht geäußert, (das sollte man niemals ohne Vorbereitung tun!). Die Direktorin hat mir Arbeitszeitbetrug vorgeworfen – und gesagt, sie müsste mich von Arbeit freistellen. Ich wusste, dass das nicht geht, habe mir aber natürlich trotzdem anwaltliche Beratung geholt. Wir haben sofort den Widerstand organisiert, indem wir es öffentlich bekannt gegeben haben. Wir haben einen Flyer verteilt, und die Sache auch bundesweit bekannt gemacht. Daraufhin gab es ganz viele solidarische Emails – aus sehr vielen Ecken aus Deutschland, und sogar von Patient*innen, die es irgendwie mitbekommen hatten. Eine Woche später hatte ich wieder ein Gespräch, in dem ich die Vorwürfe des Arbeitszeitbetrugs klar zurück gewiesen habe. Die Direktorin ist dann schnell zurück gerudert: Sie hat sich indirekt entschuldigt und die Freistellung zurück genommen.
Wäre es nicht selbstverständlich gewesen, wenn der Betriebsrat dir den Rücken gestärkt hätte?
Normalerweise schon. Aber der für die Alteingesessenen ist die Gruppe „Uns reicht‘s“ natürlich ein Dorn im Auge. Sie machen auch entsprechend Stimmung gegen uns. Der BR wirft mir persönlich alles mögliche vor. Einmal werfen sie mir „Passivität“ vor, das andere Mal bezeichnen sie mich als Querdenkerin. Absurder könnte es nicht sein. Ich bin zum Beispiel auch Sprecherin vom Bremer Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus aktiv. Ich bin nicht nur im Klinikum Bremen Mitte bekannt, sondern ich bin als Krankenschwester vom Bremer Landesfrauenrat zur Bremer Frau des Jahres 2021 neben zehn weiteren Frauen gewählt worden, eben weil ich mich seit Jahren für die Kolleg*innen und auch für die Patient*innen einsetze. Von denen bekomme ich großen Rückhalt und Zuspruch.
Punkt zehn eures Wahlprogramms lautet „Wir stehen für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik“. Was bedeutet das für Euch?
Gewerkschaften sind wichtig, damit die Beschäftigten sich organisieren können, um kollektiv für ihre Interessen einzutreten. In den Krankenhäusern muss ver.di gestärkt werden. Es ist wichtig, auch eine Streikfähigkeit herzustellen, wie wir es bei der Berliner Krankenhausbewegung erst vor kurzem gesehen haben. Es ist gut, dass ver.di endlich für die Abschaffung der Fallpauschalen eintritt. Ich persönlich würde eine Aktivenkonferenz für eine bundesweite Kampagne für richtig halten. Es muss klar gemacht werden: Wenn wir wollen, stehen alle Räder still! Wenn wir Selbstbewusstsein und Stärke entwickeln, dann können wir was erreichen. Das müssen wir im Laufe der Zeit entwickeln, indem wir anfangen zu kämpfen.