Zum Pro und Contra einer Impfpflicht

Warum eine Impfpflicht die Pandemie (sehr wahrscheinlich) nicht beendet und politischen Schaden verursacht

Die Einführung einer Impfpflicht ist auch unter Linken umstritten. Der Parteivorstand der LINKEN hat sich mehrheitlich dafür ausgesprochen. Nicht wenige kommen zu dem Schluss, dass eine Impfpflicht alternativlos sei. Das Unverständnis über Menschen, die sich nicht impfen lassen gepaart mit der Wut über oftmals von Faschisten und/oder Rechtspopulisten angeführte Querdenker*innen-Demos und der Verzweiflung über die scheinbar nicht enden wollende Pandemie sind eine Mischung, die zu diesem Sinneswandel einlädt. Bei allem Verständnis dafür: es ist und bleibt nicht richtig.

von Sascha Staničić

Die Frage nach einer Impfpflicht ist keine medizinische oder epidemische Frage. Es ist eine politische Frage, bei der die erwartete positive Wirkung auf die Impfquote mit möglichen negativen politischen Folgen abgewogen werden muss.

Wirkung einer Impfpflicht auf die Pandemie

Es ist richtig, dass eine Erhöhung der Impfquote ein entscheidender Beitrag dazu wäre, aus der pandemischen Lage in eine endemische Lage zu kommen. Ob jedoch eine Impfpflicht zu einer solchen höheren Impfquote führt und, wenn ja, ob das nicht zu einem viel zu späten Zeitpunkt geschehen würde, ist fraglich. Es gibt gute Gründe daran zu zweifeln.

Laut einer neuen Studie wollen sich 74 Prozent der Ungeimpften in Deutschland auf gar keinen Fall gegen Corona impfen lassen. 76 Prozent der Ungeimpften kündigen an, eine Impfpflicht umgehen zu wollen. Gleichzeitig lassen die Erkenntnisse der Studie darauf schließen, dass um die vierzig Prozent der Ungeimpften mehr oder weniger politische Überzeugungstäter*innen sind – 38 Prozent sind stolz darauf, ungeimpft zu sein und bei 46 Prozent ist nicht Angst vor der Impfung der Grund ihrer Ablehnung. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass den 56 Prozent, die aus Angst vor Nebenwirkungen oder Tod als Folge der Impfung ungeimpft sind, diese möglicherweise genommen werden könnte – das jedoch sicher nicht mit einer Impfpflicht.

Diese Zahlen könnten bedeuten, dass eine Impfpflicht nicht die gewünschte Wirkung haben kann, weil sie zu wenige Menschen zur Impfung bewegen würde, bzw. diese nur bei unverhältnismäßig starken Strafen haben könnte – wobei sich dann die Frage stellt, wie eh schon überlastete öffentliche Verwaltungen diese Strafen verhängen und einholen sollen oder ob man dann dafür eintreten soll, dass die Polizei ihren Fokus auf die Verfolgung von Impfverweiger*innen verschieben soll? Gregor Gysi hat in einer Fernseh-Talkshow zurecht darauf hingewiesen, dass die Logik einer Impfpflicht Inhaftierungen von Ungeimpften nach sich ziehen könnte, ja nach sich ziehen müsste, wenn diese sich weigern, Bußgelder zu bezahlen. Kann das wirklich Programm von Linken sein: die Gefängnisse mit Impfverweiger*innen zu füllen?

Vom Standpunkt der epidemiologischen Wirkung einer Impfpflicht stellen sich aber weitere Fragen. Eine Impfpflicht kommt ziemlich sicher zu spät, um noch eine Auswirkung auf die Omikron-Welle nehmen zu können. Welche Wirkung es hätte, sich dann ab Frühjahr mit einem der bestehenden Impfstoffe oder einem dann möglicherweise auf den Markt kommenden an Omikron angepassten Impfstoff zu impfen, obwohl erstens die nächste Welle erst wieder im Herbst zu erwarten ist und zweitens völlig offen ist, ob und in welchem Ausmaß und mit was für einer Virusvariante eine solche kommen wird, ist ebenso fraglich. Die traurige Wahrheit ist: die Regierenden haben es verkackt und eine Impfpflicht wird daran nichts ändern. Omikron – das sich in der Menschheitsgeschichte am schnellsten verbreitende Virus – führt jetzt möglicherweise in Kombination mit den Impfungen dazu, dass aus der pandemischen Lage im Laufe des Jahres eine endemische Lage wird. Das allerdings mit unnötig hohen Opferzahlen.

Politische Folgen

Die tatsächliche Wirkung einer Impfpflicht, wie sie in Österreich kommen wird und in Deutschland angekündigt ist, ist also fraglich. Die politischen Folgen sind es nicht.

Einen Teil der Folgen sind: die Ausweitung von Macht- und Repressionsbefugnissen und zwangsläufig auch der Überwachungsmöglichkeiten des kapitalistischen Staats. Ein anderer Aspekt ist: die Impfpflicht wird als Rekrutierungsprogramm für FPÖ und Identitäre in Österreich und für AfD, Freie Sachsen, Anthroposophen und andere in Deutschland wirken und die sich schon vollziehende Radikalisierung in der Corona-Schwurbler*innen-Szene verstärken. Sie wird auch, zumindest erst einmal, Spaltungslinien, die sich anhand der Impffrage in der Arbeiter*innenklasse entwickelt haben, verschärfen und damit gemeinsamen Klassenwiderstand erschweren. Niemand lässt sich gerne zu etwas zwingen oder verpflichten. Wenn man Opfer von Zwang oder einer als ungerecht empfunden Verpflichtung wird, verfestigt das die eigene Haltung und die Wut auf all diejenigen, die diesen Zwang bzw. diese Verpflichtung zu verantworten haben oder mitgetragen haben. Das wird Spannungen und Konflikte in den Betrieben verschärfen, die ohnehin da sind und kommen werden, weil es schwierig ist, das Recht auf die persönliche Impfentscheidung mit dem Recht eines möglichst sicheren Arbeitsplatzes zusammenzubringen, umso mehr, da die Antigen-Schnelltests bei Omikron eine geringere Trefferquote zu haben scheinen. Umso wichtiger wäre es, dass Deutschland hier von der Stadt Wien lernt und flächendeckende, tägliche und kostenlose PCR-Tests ermöglicht. Die Lösung der potenziellen und in manchen Betrieben schon bestehenden Konflikte müssen unbedingt in die Hände von demokratisch gewählten Belegschaftsvertreter*innen und dürfen nicht den Unternehmer*innen überlassen werden.

Und eine Sache sollte in der Debatte nicht vergessen werden: die Skepsis gegenüber der Pharmaindustrie und dem kapitalistischen Staat ist grundsätzlich berechtigt, auch wenn wir sie in Bezug auf die Beurteilung der Covid-Impfstoffe nicht teilen. Und es gibt, wenn auch in sehr geringem Ausmaß, Nebenwirkungen und vereinzelte Todesfälle im Zusammenhang mit Impfungen. Die Wahrscheinlichkeit einer schweren oder tödlichen Covid-Infektion ist deutlich höher, aber trotzdem sollte, in Abwägung aller Faktoren, zum jetzigen Zeitpunkt die Impfentscheidung eine private bleiben.

Die Wirkung(slosigkeit) und die politischen Folgen einer Impfpflicht abwägend, sollten Linke zu dem Schluss kommen, eine solche nicht zu unterstützen – und gleichzeitig den Kampf darum führen, dass die Patente auf die Vakzine aufgehoben werden, alle Menschen auf dem Globus kostenlosen Zugang zu einer Impfung bekommen und die Pharmakonzerne unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung von Beschäftigten, Gewerkschafter*innen und Wissenschaftler*innen in öffentliches Eigentum überführt werden, damit die Profitgier ausgeschaltet wird und kein Zweifel daran bestehen kann, dass der sicherstmögliche Impfstoff produziert wird. Das würde die Impfquote wahrscheinlich stärker erhöhen als eine Impfpflicht.

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