Kein Werben für‘s Sterben!

Eine Meinungsäußerung zum Besuch von Bundeswehrjugendoffizieren in Schulen

Kaum war Krieg in der Ukraine, warb Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) für die Einladung von Bundeswehrjugendoffizieren an die Schulen. Deren Expertise sei „gerade jetzt eine Bereicherung für den Unterricht“, so Stark-Watzinger.

Von Steve Hollasky, Lehrer und GEW-Mitglied in Dresden

Wolle man einen Werbevortrag für die Autos von Mercedes hören, dann würde man sich eben einen Vertreter der Konzernleitung einladen. Würde man hingegen wirklich wissen wollen, wie die Arbeitsbedingungen aussehen, dann müsse man Leute einladen, die am Band stehen oder jemanden vom Betriebsrat oder von der Gewerkschaft. Würde man sich einen Bundeswehrjugendoffizier ins Klassenzimmer holen, dann wäre das Werbung. „Das ist doch klar.“ Etwas Anderes als einen Werbeauftritt könne man wohl kaum erwarten, oder werde der Offizier etwa Rüstung und Dienst an der Waffe ganz allgemein hinterfragen?

Gesagt hat das ein Schüler bei einer Diskussionsrunde, bei der ein Vertreter der GEW-Jugend, der Landeszentrale für politische Bildung, der Linksjugend und ein Bundeswehrjugendoffizier anlässlich des Antikriegstages auf einem Podium in einer Schule darüber diskutierten, ob Offiziere Unterrichtsstunden gestalten sollten.

Das Geschehen liegt Jahre zurück und doch könnte man die Rolle von Bundeswehrjugendoffizieren schwerlich besser beschreiben.

Eigentlich spricht alles dagegen

Der Besuch von Bundeswehrjugendoffizieren gilt seit jeher als umstritten. Dennoch wird er nicht erst seit der Aufforderung der Bundesbildungsministerin Jugendoffiziere einzuladen, Lehrer*innen immer wieder nahegelegt. Schon in der Ausbildung erreichen angehende Lehrer*innen nicht selten die Angebote der uniformierten Besucher*innen. Angeblich, so wird dann gern vermittelt, könnten Bundeswehrjugendoffiziere sogar im Fach Geschichte den Zeigestock schwingen und die Zerstörung der Weimarer Republik erklären. Selbstverständlich wären sie in der Lage, die Aufgaben der Bundeswehr und die Gefährdungen der internationalen Sicherheit zu erläutern.

Doch stellt sich die Frage, weshalb Lehrer*innen Offiziere einladen sollten. Jede Entscheidung im Unterricht sollte, so das vermittelte Einmaleins im Referendariat, auf fachdidaktischen, inhaltlichen und pädagogischen Erwägungen fußen. Mit anderen Worten: Die Leitfragen zum Vorbereiten einer Unterrichtsstunde sind stets dieselben: Was will man wem mit welchen Methoden beibringen? Die Inhalte sind durch die Lehrpläne weitgehend vorgegeben.

Als Leitfaden ist Lehrer*innen der aus den 1970er Jahren stammende „Beutelsbacher Konsens“ an die Hand gegeben. Darin werden Lehrer*innen aufgefordert, die Interessen der Schüler*innen in den Mittelpunkt der Vorbereitungen und des Unterrichts zu stellen. Schüler*innenorientierung ist ebenso entscheidend wie das Verbot der „Überwältigung“. Inhalte, die gesellschaftlich kontrovers diskutiert werden, müssen auch in der Schule kontrovers dargestellt werden.

Und eben diesen Leitlinien widerspricht die Einladung von Bundeswehrjugendoffizieren in die Schulen. Allein das Auftreten Uniformierter im Unterricht wirft die Frage auf, inwieweit Schüler*innen hier überwältigt werden sollen und verringert die Wahrscheinlichkeit kritischer Nachfragen. Auslandseinsätze, die Rolle der NATO, die Bundeswehr als Institution sind gesellschaftlich kontrovers diskutierte Themen. Das Gebot der Kontroversität kann kaum von einem leitenden Vertreter einer Institution erwartet werden. Würde der Bundeswehrjugendoffizier Auslandseinsätze infrage stellen, würde er etwas in Zweifel ziehen, wozu er sich selbst verpflichtet hat.

Und würde ein Offizier die Existenz einer Armee bezweifeln, der er selbst in mittlerer Funktion angehört, würde er selbst seine eigene berufliche und soziale Existenz zur Disposition stellen.

Zur Erfüllung der Lehrplaninhalte, zur Diskussion aktueller Ereignisse ist die Einladung von Bundeswehrjugendoffizieren weder nötig, noch didaktisch oder pädagogisch begründbar. Viel eher dürfte das Gegenteil der Fall sein. Eine der grundlegenden Aufgaben der Bundeswehrjugendoffiziere ist die Anwerbung von Nachwuchs. Schon gemessen daran dürfte die Erfüllung des „Beutelsbacher Konsens“ schwerlich zu erwarten sein.

Als der Autor dieser Zeilen während seines Referendariats bei einem Vortrag eines Bundeswehrjugendwehroffiziers fragte, ob er glaube, die Schüler*innen seien in Diskussionen dem Offizier gewachsen, verneinte dieser und schlug selbst vor, man solle vielleicht doch besser Diskussionen mit ihm und einem Kriegsdienstverweigerer organisieren. In der Realität sehen solche Besuche meistens anders aus.

Warum soll es dann getan werden?

Die Aufforderung der Bundesbildungsministerin, Bundeswehrjugendoffiziere in die Schulen einzuladen, muss im Kontext der aktuellen weltpolitischen Situation gesehen werden. Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist der Kampf um Macht und Einfluss zwischen den kapitalistischen Mächten in eine neue Phase eingetreten. In diesem Kampf spielen Armeen weltweit eine immer größere Rolle. Werbung für Armeen wird damit an Bedeutung gewinnen, ebenso wie die Armeen selbst. Mit der Entscheidung, die Bundeswehr mit weiteren einhundert Milliarden Euro auszustatten, wurde die ohnehin schon stattfindende Aufrüstung massiv verstärkt. Diese Aufrüstung benötigt Personal. Außerdem wird die deutsche Außenpolitik weiter militarisiert werden. Es braucht also Leute, die sich zum Dienst mit der Waffe verpflichten. Die Einladung von Bundeswehrjugendoffizieren dient damit – ob gewollt oder nicht – imperialen Interessen.

Was tun?

Grundsätzlich sollte man der Einladung der Bundeswehr an Schulen Protest entgegensetzen. Es gibt viele Möglichkeiten, das zu tun. Elternvertreter*innen haben das Recht, Unterricht zu besuchen und sollten gerade in solchen Stunden von ihrem Recht Gebrauch machen. Unmut zu bekunden kann jedoch schwer werden, da solche Besuche oftmals weitgehend unwidersprochen hingenommen werden. Selbstverständlich ist es möglich, Freistellungen zu erbitten. Für einen Tag oder eine oder zwei Unterrichtsstunden sollte das weitgehend unkompliziert möglich sein.

Da jedoch die Aufforderung, Bundeswehroffiziere in die Schulen zu holen, Ausdruck des Strebens der deutschen Herrschenden nach mehr Weltgeltung ist, müssen Wege gefunden werden, dies politisch zu thematisieren.

Gerade Gewerkschaften und linke Jugendorganisationen sollten einen Kampf gegen die Bundeswehr an den Schulen und gegen den Besuch von Bundeswehreinrichtungen oder die Teilnahme von Klassen an Bundeswehrplanspielen wie POL&IS organisieren. Hierzu gilt es Material zu erstellen und die Aussagen der Bundeswehrjugendoffiziere zu hinterfragen.

Ohne Proteste wird man diese Eingriffe kaum stoppen können. Gewerkschaftsjugenden und linksjugend[‘solid] müssen versuchen, das „Werben für‘s Sterben“ stoppen. Dazu braucht es die Organisierung von Schüler*innen, Berufsschüler*innen und auch Lehrer*innen vor Ort.

Kapitalismus ist das Problem

Die Werbung der Bundeswehrjugendoffiziere für eine Teilnahme am Unterricht ist mitunter sehr einfach, wie der Autor aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Die reale Wochenarbeitszeit von Lehrer*innen übersteigt nicht selten fünfzig oder gar sechzig Stunden in der Woche. Die Bundeswehr könne da Abhilfe schaffen, so die Versicherung von Bundeswehrjugendoffizieren. Sie könnten Stunden gestalten, die man dann eben nicht aufwendig vorbereiten muss. Es ist also auch deshalb wichtig, die Pflichtstundenzahlen deutlich zu senken und mehr Lehrer*innen einzustellen.

Der Kapitalismus bietet vielen Menschen keine Alternativen, der Weg in die Bundeswehr erscheint somit Manchem wie ein Ausweg und eine Sinnstiftung für das eigene Leben. Angeblich tut man ja etwas Gutes bei Auslandseinsätzen und bei einem Leben im Waffenrock. Die beim Bundeswehreinsatz in Afghanistan Gefallenen kamen zu großen Teilen aus Ostdeutschland. Dort ist nicht nur die soziale Situation häufig dramatischer als im Westen, den Besuchen gegen Bundeswehrjugendoffiziere wird auch weitaus seltener Widerstand entgegengesetzt.

Will man in Schulen wirkliche Friedenspädagogik, dann muss man den Kapitalismus abschaffen wollen. Die Antwort auf ein System, welches Kriege, Klimaerwärmung, Umweltverschmutzung und Armut bedeutet, kann nur eine sozialistische Demokratie sein, in der über den Umgang mit dem gesellschaftlich erwirtschafteten Reichtum ebenso demokratisch entschieden wird, wie über die Unterrichtsinhalte und Methoden in der Schule.