„Lohn-Preis-Spirale“ ist ein Märchen
Im März stiegen die Verbraucherpreise um 7,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr, der höchste Anstieg seit 1981. Die Erzeugerpreise stiegen sogar um 30,9 Prozent, so stark wie nie seit 1949. Als im Herbst 2021 die Inflation anzog, erklärten die bürgerlichen Ökonomen das mit dem Ende der Coronapandemie und versicherten, sie würde sich nur verfestigen, wenn die Gewerkschaften zu hohe Löhne fordern würden, denn dann würde eine böse „Lohn-Preis-Spirale“ entstehen.
von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart
Diese Spirale ist ein kapitalistischer Kampfbegriff. Marxist*innen wissen, dass der Wert der Waren durch die in ihnen enthaltene durchschnittliche gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmt ist. Die Preise schwanken nach Angebot und Nachfrage um die Werte. Nur ein Teil dieses Werts geht an die Arbeitenden als Lohn, den Rest stecken die Kapitalist*innen als Profit ein. Lohnerhöhungen erhöhen nicht die Werte (und damit auch nicht automatisch die Preise), sondern senken die Profite. Bürgerliche Ökonom*innen lehnen nicht nur diese Analyse, sondern sogar den Begriff „Wert“ ab. Das ist so wissenschaftlich, wie wenn Meteorolog*innen die Existenz des Klimas bestreiten und nur das Wetter mit seinen ständigen Schwankungen betrachten würden.
Profite
Das kapitalistische System beruht auf Profitmaximierung. Deshalb werden Kapitalist*innen ihre Preise immer so weit wie möglich erhöhen. Nur ihre Angst, ihre Produkte nicht mehr verkaufen zu können, hält sie zurück. Nach einer Studie vom April steigen in diesem Jahr die Dividenden der deutschen Großkonzerne auf siebzig Milliarden Euro, knapp fünfzig Prozent mehr als im vergangenen Jahr und 22 Prozent mehr als im bisherigen Rekordjahr 2019.
Es ist möglich, dass in diesem Jahr die Gewinne einbrechen, weil die Kapitalist*innen den Anstieg der Erzeugerpreise nicht voll an die Verbraucher*innen weitergeben können. Aber auch eine teilweise Weitergabe würde einen weiteren Anstieg der Inflation in den nächsten Monaten bedeuten. Es ist schon von zweistelligen Inflationsraten die Rede!
Kapitalist*innen und ihre Sprachrohre in Politik und Medien drohen, dass eine Senkung der Profite zu weniger Investitionen, weniger Arbeitsplätzen etc. führen würde. Aber wo waren die Investitionen als Folge der bisherigen hohen Profite? Wenn es profitabler ist, spekulieren Kapitalist*innen auf den Finanzmärkten statt zu investieren. Der Preisanstieg der letzten Monate hängt auch mit Lieferengpässen zusammen, die eine Folge von vernachlässigten Investitionen sind. Der Preisanstieg seit Putins Überfall auf die Ukraine hängt sehr stark mit dem spekulativen Anstieg der Öl- und Gaspreise zusammen (die Produktion dieser Energieträger ist nicht teurer geworden) … denn noch hat Deutschland ja die Öl- und Gasimporte aus Russland noch gar nicht eingestellt.
Die Gewerkschaften dürfen sich nicht auf die Verzichtslogik einlassen, sondern müssen ihre Lohnforderungen an die steigenden Preise anpassen und Nachschlagsforderungen stellen.
DIE LINKE, Sozialverbände etc. sollten ihre Forderungen zu Sozialleistungen an die gestiegenen Preise anpassen (wie es die Sol auf ihrer letzten Bundesvorstandssitzung gemacht hat, siehe Seite 15). Sie sollten gemeinsam für eine automatische Anpassung von Löhnen und Sozialleistungen an die Inflation kämpfen.
In Frankreich hat der linke Kandidat Mélenchon im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl 22 Prozent erhalten, nachdem er zu Beginn des Wahlkampfs in vielen Umfragen erst einstellige Werte hatte. Eine große Rolle bei dieser Aufholjagd spielten soziale Forderungen in Zeiten der Inflation. Lernen wir daraus!
Krise des Systems
Eine Bekämpfung der Inflation durch Anhebung der Zinsen bremst nicht nur die Wirtschaft weiter, sondern verteuert auch den Schuldendienst für Privathaushalte, Unternehmen und Staaten. Angesichts der in den letzten Jahrzehnten drastisch gestiegenen Verschuldung kann dies zu unabsehbaren Erschütterungen auf den Weltfinanzmärkten führen.
Ein zentraler Grund für dreißig Jahre niedrige Inflationsraten war die Wiederherstellung des Kapitalismus in fast allen stalinistischen Ländern, die für neue Absatzmärkte, billige Arbeitskräfte und Rohstoffe sorgte. Das schlägt jetzt in sein Gegenteil um, denn mit dem Kapitalismus kam auch der Imperialismus und der Konflikt zwischen dem russischen und dem westlichen Imperialismus, der sich in der Ukraine blutig entlädt, treibt jetzt die Preise nach oben.
Der Kapitalismus bedeutet Schrecken ohne Ende. Wir können uns nicht mit dem Kampf für höhere Löhne und Sozialleistungen begnügen, sondern müssen das mit dem Kampf für eine sozialistische Gesellschaft verbinden.