“Frieren für den Frieden”?

Energie

Die Energiekrise ist eine Krise des Systems

Der imperialistische Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine hat eine Reihe von dramatischen Entwicklungen zur Folge.

von Torsten Sting, Rostock

Im Kampf um die Ukraine zählen Wirtschaftssanktionen, neben massiven Waffenlieferungen an die Selenskyj-Regierung, zu den schärfsten Mitteln der westlichen imperialistischen Staaten, die verhängt wurden. Die EU-Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen formulierte das Ziel des Ganzen eindeutig: “Wir wollen, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt.“ Die grüne Außenministerin Baerbock warnt gar vor “Kriegsmüdigkeit”. 

Konflikt

Zentraler Bestandteil der Sanktionen, ist jener Teil, der die Energieversorgung betrifft. Mehr als die Hälfte der Exporte Russlands machen Öl, Gas und andere Rohstoffe aus. Innerhalb der westlichen, kapitalistischen Mächte gab es zu Beginn des Krieges hinter verschlossenen Türen härtere Debatten. Druck gab es insbesondere von der Biden-Administration, der rechtsgerichteten Regierung Polens und den baltischen Staaten. Diese forderten die schnellst mögliche, so weit wie mögliche Kappung von der russischen Wirtschaft, insbesondere im Energiesektor. Am Anfang gab es noch leichten Widerstand seitens der deutschen Regierung, insbesondere durch die SPD. Das drückt unterschiedliche Interessen in Bezug auf die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland aus. Letztlich konnten sich die Hardliner, allen voran die Grünen, in Bezug auf Energiesanktionen durchsetzen. 

Abhängigkeit des deutschen Kapitals

Seit den 1960er Jahren hat sich eine immer engere Zusammenarbeit zwischen der deutschen Industrie und der damaligen Sowjetunion entwickelt. Nachdem riesige Gasvorkommen in Sibirien entdeckt wurden, witterten die Stahlkonzerne das große Geschäft in dem sie die Großrohre für die Pipelines anboten. Ab den 1970er Jahren wurden diese Pipelines bis nach Westdeutschland gebaut. Den großen Finanzierungsbedarf deckte die Deutsche Bank ab. Die sogenannte „neue Ostpolitik“ von Willy Brandt muss auch in diesem Licht betrachtet werden. In der Ölkrise 1973/74, als die arabischen Staaten die Exporte des schwarzen Goldes gen Westen deutlich einschränkten, gab es ähnliche Debatten wie heute. Man stellte eine zu große Abhängigkeit von Staaten wie Saudi-Arabien fest und wollte sich „diversifizieren“. Mit der Sowjetunion gab es einen Energielieferanten, der immer mehr auf ausländische Devisen angewiesen war. Trotz der Systemkonkurrenz und aller politischer Spannungen zwischen den Blöcken, entwickelte sich eine zuverlässige geschäftliche Verbindung. Entscheidend hierfür war auch, dass die Außenpolitik Moskaus nicht auf Systemveränderung in anderen Teilen der Welt ausgerichtet war und von der dort herrschenden Bürokratie keine Bedrohung für die Herrschaft der westlichen Kapitalist*innen ausging.

Das änderte sich auch nach dem Zerfall der stalinistischen Sowjetunion und der Wiedereinführung des Kapitalismus nicht wesentlich. So wuchs der Anteil Russlands an den Importen immer weiter an. Mit dem Bau von Nord Stream 2 verschärften sich die Spannungen mit den USA, im Rahmen der EU, aber auch innerhalb des deutschen Kapitals. Auf der einen Seite gab es das unmittelbare ökonomische Interesse der deutschen Konzerne, die eine stabile und kostengünstige Energielieferung aus dem Osten zu schätzen wussten. Auf der anderen Seite wuchs damit die Abhängigkeit von einem geopolitischen Rivalen. Gerade jene Teile des deutschen Kapitalismus, die auf das enge Bündnis mit den USA setzen, machten zunehmend Stimmung gegen die deutsch-russische „Energiepartnerschaft“. Dabei trafen sich die Interessen von rechten, konservativen Kräfte mit jenen der grünen Partei. Letzterer geht es weniger um die „Menschenrechte“, sondern vielmehr darum, dass sie in einem zu hohen Volumen an fossilen Importen, eine Gefahr für ihre Klientel, die Kapitalist*innen der neueren Industrien, wie z.B. der Windkraft, sahen. 

„Diversifizierung“

Unter dem Druck der Ereignisse musste nun alles schnell gehen. In der EU ist ein Ölembargo gegen Russland im Gespräch. Die Bundesregierung hat den Import von russischem Öl bereits deutlich gesenkt. Dies war binnen weniger Monate umsetzbar, weil das Angebot auf den Weltmärkten derzeit ausreichend vorhanden ist. Zudem läuft der Transport mit Schiffen und diese sind flexibel einsetzbar, d.h. ihr Bestimmungsort kann leicht geändert werden. 

Anders verhält es sich jedoch mit Gas. Die Anzahl der Länder die schnell und viel des begehrten, fossilen Brennstoffs liefern können, sind begrenzt. Hinzu kommt, dass der Ersatz für das russische Gas in mehrfacher Hinsicht die schlechtere Wahl ist. Das Fracking Gas aus den USA, wird mit Chemikalien gefördert und bedroht das Trinkwasser der betroffen Gebiete. Zudem muss es per Schiff über den Atlantischen Ozean transportiert und wieder umgewandelt werden und bedarf es des Baus teurer Terminals zur Lagerung des Gases. Der Aufwand ist bedeutend höher und das macht sich natürlich auch beim Preis bemerkbar. Kommt es so wie geplant, werden wir auf längere Sicht mit deutlich steigenden Energiepreisen rechnen müssen. 

Heuchelei

Es wird so getan, als ob man aus moralischen Gründen, wegen des Krieges, sich von den russischen Energielieferungen emanzipieren will. Schauen wir uns an, mit wem unter anderem Wirtschaftsminister Habeck so alles Verhandlungen geführt hat. Mit dabei ist der Emir von Katar. Er ist das Staatsoberhaupt eines Landes, in dem Gewerkschaften, ebenso wie Homosexualität verboten sind. Saudi-Arabien ist Kriegspartei im Jemen und am Tod von bisher über 200.000 Menschen mitverantwortlich. Und hat der größte Exporteur von LNG, die Regierung der Vereinigten Staaten, nicht vor zwanzig Jahren den Irak überfallen? Ist die US-Armee nicht in unzählige Kriegsverbrechen verwickelt gewesen und trägt die Verantwortung für hunderttausende Tote im Nahen Osten…?!

Soziale Folgen

Seit dem Kriegsbeginn sind die Gaspreise dramatisch gestiegen. So hat der EnBW-Konzern, eine Erhöhung um 35 Prozent angekündigt.

Gutbetuchte Politiker wie Ex-Bundespräsident Joachim Gauck, der fürs Nichtstun über 20.000 Euro jeden Monat kassiert, belehren uns mit Sprüchen, dass wir doch deutlich Energie einsparen und „für den Frieden frieren“ sollen. Vizekanzler und grüner Popstar Habeck rät uns, weniger Geld für Lebensmittel auszugeben. Mal abgesehen davon, dass diese Maßnahmen nicht den Krieg stoppen werden, wird dies nur wieder dazu führen, dass die Arbeiter*inneklasse die Zeche für die Ränkespiele der Herrschenden zahlen soll. Der Staat muss dem Treiben der Energiekonzerne ein Ende setzen und die Profittreiberei beenden. Das wird natürlich keine Regierung der etablierten Parteien freiwillig bewerkstelligen. LINKE und Gewerkschaften müssen dafür Druck machen und Massenmobilisierungen durchführen.

Alternativen

Die Energiepolitik der herrschenden Klasse hat die geopolitischen Interessen im Blick. An deren Ende steht immer das Streben nach Absatzmöglichkeiten und das Realisieren von Profit. Dem müssen wir die Interessen der großen Bevölkerungsmehrheit und der Natur entgegen stellen. 

Dabei geht es auch um das konsequente Hinterfragen dessen, was heute und wie produziert wird. Nehmen wir nur mal die Autoindustrie als Beispiel. Fast fünfzig Millionen PKW sind in Deutschland zugelassen und es werden immer mehr. Die Autos werden immer größer und schwerer. Natürlich wird für deren Herstellung und der Vorprodukte wie etwa Stahl, eine Unmenge an Energie benötigt – ganz egal, ob es Elektro-Autos sind oder nicht. Aber ist das sinnvoll? Gerade angesichts des Klimawandels ist eine radikale Reduzierung des Individualverkehrs nötig und stattdessen eine massive Ausweitung des öffentlichen Nah-und Fernverkehrs existentiell.

Die Rüstungsindustrie erlebt gerade ihren zweiten Frühling. Im Solidaritätslied von Bertolt Brecht heißt es an einer Stelle: “Reden erst die Völker selber, werden sie schnell einig sein.“ Wie wahr! Eine Welt ohne Krieg ist nur im Kapitalismus Utopie. Mit der Umstellung auf sinnvolle, moderne umweltverträgliche Produkte, könnte das Wissen der Beschäftigten genutzt und massiv Energie eingespart werden. 

Moderne Häuser können heute bereits zu einem Großteil „Selbstversorger“ sein usw. Kurzum. Das Potential Energie einzusparen ist sehr groß. 

Durch den radikalen Umbau hin zu regenerativen Energie kann die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen schnell reduziert werden. 

Bruch mit dem Kapitalismus

All diese Maßnahmen sind nicht umsetzbar, wenn man das Privateigentum unangetastet lässt. Die Kapitalist*innen sind strukturell unfähig das umzusetzen, was sie immer erzählen, nämlich „Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen“. 

Das sehen wir am krassesten im Krieg. Es ist Teil jeder Militärstrategie, zum Beispiel Treibstofflager anzugreifen, mit verheerenden Folgen für die Natur. Die neue Energiepolitik der Bundesregierung nimmt aus geopolitischen Erwägungen bewusst in Kauf, dass umweltschädlicheres Fracking Gas eingesetzt wird. 

Wir benötigen einen radikalen Bruch mit den bestehenden Verhältnissen. Die großen (Energie-)Konzerne müssen in staatliches Eigentum überführt und demokratisch kontrolliert und verwaltet werden. Mit einem gesellschaftlichen Plan der sich an den Bedürfnissen der Menschen und der Umwelt orientiert, kann die Voraussetzung geschaffen werden, dass Kriegen die Grundlage entzogen wird, alle Menschen ein gutes Leben führen können und dies nicht im Widerspruch zum Erhalt der Natur steht. Für dieses Ziel, eine sozialistische Demokratie, lohnt es sich zu kämpfen.  

Die Sol kämpft für:

  • Schluss mit den riesigen Preissprüngen. Keine Profite zu Lasten von uns. Staatliche Preisfestlegungen im Energiesektor auf dem Stand von 2020.
  • Einführung einer gesetzlichen gleitenden Lohnskala und automatischer Anpassung von Renten und Sozialleistungen an die Inflationsrate
  • Die Gewerkschaften müssen für Reallohnsteigerungen kämpfen, bei langen Laufzeiten von Tarifverträgen nachverhandeln und eine automatische Lohnanpassung (gleitende Lohnskala) in Tarifverträgen festlegen
  • Verstaatlichung aller Energiekonzerne unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung von Vertreter*innen der Beschäftigten, der Gewerkschaften und des Staates.
  • Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien finanziert durch die Gewinne und Vermögen der Energiewirtschaft
  • Energieeinsparung durch Umstellung der Produktion: Statt Autos ohne Ende, massiver Ausbau des öffentlichen Nah-und Fernverkehrs inkl.  Schaffung neuer Stellen und Ausbildungsplätze
  • Dauerhafte Einführung des 9-Euro-Tickets im Regionalverkehr, Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr. Massive Investitionen in Züge und Personal finanziert durch die Profite der Konzerne.
  • Für eine demokratische Wirtschaftsplanung, die sich an den Bedürfnissen der Menschen und der Natur ausrichtet und nicht an den Profitinteressen einer kleinen Minderheit.
  • Für die Überwindung des kapitalistischen Systems. Stattdessen Aufbau einer weltweiten, sozialistischen Demokratie.

Torsten Sting ist Mitglied des Sol-Bundesvorstands und ver.di-Betriebsrat in einem Call Center (Funktionsangabe dient nur zur Kenntlichmachung der Person).