Viel Enthusiasmus bei der Bundeskonferenz der Sol
Vom 16. bis zum 18. September tagte die Bundeskonferenz der Sozialistischen Organisation Solidarität (Sol) in Berlin. Über das Wochenende diskutierten knapp einhundert Teilnehmer*innen aus Deutschland sowie internationale Gäste die Perspektiven des Klassenkampfes und die Fragen, die sich mit der Zeitenwende in Deutschland und international ergeben.
Von Jens Jaschik, Sol Dortmund
Als im September 2019 die Sol gegründet wurde, zeichnete sich in der Industrie zwar der Beginn einer Rezession ab, aber es war nicht abzusehen, dass es zu einer Pandemie kommen würde, welche physische Treffen in den nächsten Jahren extrem erschweren sollte. Nachdem die erste Bundeskonferenz der Sol im November 2020 noch online stattfinden musste, kamen diesmal knapp einhundert Teilnehmer*innen aus 22 Orten zusammen, um von Freitag bis Sonntag über die politischen und ökonomischen Perspektiven in Deutschland und der Welt zu diskutieren, die Entwicklungen des Klassenkampfs zu analysieren und die nächsten Schritte beim Aufbau unserer Organisation zu planen. Auch Gäste aus Frankreich, Österreich und Kamerun, sowie ein Vertreter des Internationalen Sekretariats des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI) nahmen an der Konferenz teil.
Die Konferenz war von einer enthusiastischen Stimmung geprägt. Endlich konnte man wieder direkt und persönlich als Organisation diskutieren und sich austauschen. In ihrem an die Bundeskonferenz gesendeten Grußwort betonte die Socialist Party, Schwesterpartei der Sol in England & Wales, die Bedeutung, sich in persona zu treffen, um angesichts der sich verschärfenden Weltlage zusammenzukommen, zu diskutieren und unsere Perspektiven und Analysen zu präzisieren. Viele Mitglieder trafen sich auf der Konferenz zum ersten Mal überhaupt, was Ausdruck davon ist, dass in den letzten drei Jahren viele neue Mitglieder der Sol beigetreten sind – wir konnten unsere Mitgliedschaft in dieser Zeit um fünfzig Prozent erhöhen. Die Diskussionen waren von zahlreichen Beiträgen junger Genoss*innen geprägt, von denen einige erst in den letzten zwölf Monaten in die Organisation eingetreten sind. Die Diskussionen zeigten das hohe politische Niveau der Organisation und eine große Geschlossenheit und Einigkeit in Programm und Methoden.
Die Welt im Aufruhr
Die Entwicklungen in Deutschland und die Perspektiven für den Klassenkampf lassen sich nicht losgelöst von den Entwicklungen und Perspektiven des Weltkapitalismus betrachten. Traditionell beginnt die Bundeskonferenz daher mit einer Diskussion zu den internationalen Perspektiven, die Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher und Mitglied im internationalen Vorstand des CWI, einleitete. Er betonte, dass die Welt in eine neue, instabile Epoche eingetreten ist, in der sich eine multipolare Welt(un)ordnung herausbildet. Diese Epoche wird von Krisen, Kriegen und Klassenkämpfen, von Revolutionen und Konterrevolutionen geprägt sein. Schnell ließen sich die Parallelen in den verschiedenen Ländern feststellen. Überall steigt die Inflation und ist die Krise des Weltkapitalismus spürbar. Besonders auf die neokoloniale Welt hat dies tiefgreifende Auswirkungen, wo viele Länder von multiplen Krisen betroffen sind und unmittelbar von Zahlungsunfähigkeit bedroht sind. Die Pleite eines Landes könnte eine Kettenreaktion auslösen. Die gewaltigen Massenproteste gegen die allgemeine Verarmung in Sri Lanka, die bis zum Sturz der Regierung führten, zeigen, was in den kommenden Monaten und Jahren möglich ist.
Gleichzeitig ist die Welt vom Krieg in der Ukraine geprägt, dessen Ausgang und weiterer Verlauf nicht vorhersehbar ist, dessen Auswirkungen aber desaströse Folgen haben. Der Krieg hat zu einer massiven Fluchtbewegung geführt und Krisenfaktoren verstärkt. Die verschärften internationalen Spannungen werden ein langsfristiges Element der neuen Ära.
Cécile Rimbaud von Gauche Révolutionnaire, der französischen Sektion des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale, berichtete unter anderem von der Intervention in den Wahlkampf von Mélenchon, aber auch den Unzulänglichkeiten von La France Insoumise, welche seit ihrer Gründung 2016 immer weiter ihr Programm abschwächte. Inzwischen spricht Mélenchon nicht mehr von Sozialismus. Gleichzeitig hat er mit NUPES ein Wahlbündnis initiiert, an dem auch pro-kapitalistische Parteien, wie die Grünen und die sozialdemokratische Parti Socialiste, beteiligt sind. Unsere Genoss*innen konzentrierten sich im Wahlkampf auf die Unterstützung der Kampagne von France Insoumise und erklärten den Aktivist*innen und Wähler*innen geduldig, dass man den pro-kapitalistischen Kräften nicht trauen kann und Mélenchon ein radikales sozialistisches Programm braucht, um wirkliche Veränderungen zu erwirken. Dabei reicht das alleine nicht aus, sondern man muss eine wirkliche Bewegung und Partei mit demokratischen Strukturen aufbauen, um alle Schichten der Arbeiter*innenklasse und Jugend in den Kampf gegen den Kapitalismus zu involvieren. Trotz dieser schwierigen Aufgaben konnte unsere französische Schwestersektion neue junge Genoss*innen gewinnen und steht aktuell vor der Gründung einer neuen Ortsgruppe.
Laura berichtete von den Schritten beim Aufbau einer neuen CWI-Gruppe, der Sozialistischen Offensive, in Österreich. 2019 war sie das einzige CWI-Mitglied in Österreich, seitdem konnten wir eine erste kleine Gruppe von vier Genoss*innen mit zahlreichen Kontakten und Interessierten aufbauen. Mit Unterstützung von Genoss*innen aus Deutschland intervenierte die Sozialistische Offensive auf dem diesjährigen Volksstimmefest der Kommunistischen Partei Österreichs in Wien und verkaufte über 150 Zeitungen, sowie zahlreiche Bücher des Manifest-Verlags. Auch wenn wir noch eine kleine Gruppe in Österreich sind, ist das Fundament für den weiteren Aufbau der Organisation gelegt.
Zeitenwende
Darauffolgend diskutieren wir die Perspektiven des deutschen Kapitalismus und die sogenannte Zeitenwende, die alle Bereiche der kapitalistischen Gesellschaft und den Klassenkampf betrifft. Tom Hoffmann von der Sol-Bundesleitung leitete diese Diskussion ein.
Mit dem 100 Milliarden Euro-Paket hat die Ampelregierung den größten Militärhaushalt der Nachkriegsgeschichte beschlossen und hat das Ziel, Deutschland zu einer der stärksten Militärmächte auszubauen. Gleichzeitig fehlt es überall an Geld und die Arbeiter*innenklasse trägt die Lasten der Krise. Das beschlossene „Entlastungspaket“ liefert keine wirkliche Entlastung. Stattdessen wurden mit dem Tankrabatt und der kommenden Gasumlage diejenigen „entlastet“, die eh schon gewaltige Profite einfahren. Gleichzeitig kommt es zu staatlichen Eingriffen wie bei Uniper oder es gibt kurzfristige Zugeständnisse wie das 9-Euro-Ticket. Neben neoliberalen Angriffen wird es bei der Suche nach Lösungen für die Krise auch immer wieder zu keynsianischen Maßnahmen kommen. Dabei haben die Herrschenden aber immer die Interessen der Wirtschaft im Fokus. Die Ampelregierung bietet keine Stabilität und SPD, Grüne und FDP werden sich oft nicht einig. Streits in der Koalition gehören zum Tagesgeschäft. Aber alle Parteien des politischen Establishments sind sich darin einig, die Krise auf die Arbeiter*innenklasse abzuwälzen. Alternativen und Protest von links sind dringend nötig, auch um zu verhindern, dass die wachsende Wut gegen die Regierung von rechts vereinnahmt wird. Immer weniger Menschen sind bereit, die Verzichtspropaganda der Herrschenden zu akzeptieren.
DIE LINKE befindet sich in einer existentiellen Krise – dabei wäre eine Arbeiter*innenpartei, in der die Arbeiter*innenklasse Programm, Methoden und Erfahrungen diskutieren kann und die eine Alternative zum kapitalistischen Establishment bietet, bitter nötig. Aber DIE LINKE wird diesen Anspruch nicht gerecht. Für jeden richtigen Schritt den sie geht, wie die Proteste in Leipzig, folgen drei Schritte in die falsche Richtung, wie Erklärungen von Bodo Ramelow gegen einen heißen Herbst oder die Rede von Sahra Wagenknecht im Bundestag. #LinkeMeToo und der mangelhafte Umgang mit Sexismus in der Partei, Regierungsbeteiligungen mit pro-kapitalistischen Parteien, die Anbiederung an SPD und Grüne, usw. führen DIE LINKE von einer Krise zur nächsten. Die verschiedenen Strömungen – von Wagenknechts Linkspopulismus bis zur Bewegungslinken – bieten keine Antwort auf die Krise der Partei. 15 Jahre nach der Gründung der LINKEN sieht es in Deutschland nicht gut aus für die politische Interessenvertretung der Arbeiter*innenklasse. Die Krise der LINKEN kann zu einem zeitweiligen Verschwinden einer linken Alternative von der politischen Bühne führen. Umso wichtiger ist es, die Notwendigkeit einer Arbeiter*innenpartei zu betonen und zu erklären, wie diese aussehen muss.
In einer Extra-Diskussion, die von der Dresdner Gewerkschafterin Dorit Hollasky eingeleitet wurde, beschäftigte sich die Konferenz mit dem Zustand der Gewerkschaften und den Aussichten für betriebliche und gewerkschaftliche Kämpfe. Die zentrale Bedeutung der Arbeiter*innenklasse und der Gewerkschaften für den Klassenkampf und den Kampf für eine sozialistische Gesellschaft wurde hier deutlich. Dorit Hollasky erklärte unter anderem, wie die Gewerkschaftsbürokratie immer noch auf Sozialpartnerschaft statt Klassenkampf setzt und erklärte die Notwendigkeit, in den Gewerkschaften kämpferische Aktivist*innen zu vernetzen und innergewerkschaftliche Oppositionsgruppen aufzubauen. Die Sol beteiligt sich intensiv an der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), um dazu einen Beitrag zu leisten.
Die Diskussionen waren nicht abstrakt und theoretisch, sondern immer mit den aktuellen Klassenkämpfen, mit eigenen Erfahrungen und der Intervention in den politischen Kampf verbunden. Hier zeigte sich deutlich, dass die Sol Marxismus in die Praxis übersetzt. Verschiedene Genoss*innen berichteten von ihrem Einsatz in gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen und im Betrieb, wo sie wichtige Erfahrungen sammelten, aber auch auf Gewerkschaftsführungen trafen, die Kämpfe verhindern oder voreilig schlechte Abschlüsse akzeptieren. Anne berichtete von den Streiks der Berliner Krankenhausbewegung, in deren Zuge sie für die Sol gewonnen wurde. Sebastian berichtete davon, wie er in seinem Betrieb erfolgreich den Kampf für einen Tarifvertrag angestoßen hat und René vom Aufbau der VKG in Berlin und den Anstrengungen innerhalb von ver.di, die Gewerkschaft zu Mobilisierungen für einen heißen Herbst zu bewegen. Aktuell sind Sol-Mitglieder in verschiedenen Städten dabei, sich an Protesten für den heißen Herbst zu beteiligen oder haben selbst die Initiative ergriffen, um Bündnisse und regelmäßige Proteste aufzubauen.
Um unsere Arbeit in Betrieben und Gewerkschaften weiter zu intensivieren, haben wir eine Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege gebildet, die eine Publikation für Krankenhäuser starten wird und im nächsten Jahr soll es außerdem ein Seminar für betrieblich und gewerkschaftlich aktive Sol-Mitglieder geben.
Die Krise des Kapitalismus wird früher oder später zu verallgemeinerten Kämpfen führen. Die Arbeiter*innenklasse wird mit den erhöhten Strom- und Heizkosten konfrontiert. Viele Menschen werden gar nicht fähig sein, diese zu bezahlen. Die Inflation soll nach Schätzungen von Expert*innen im Winter fast zehn Prozent erreichen. Parallel dazu droht eine Rezession in der Wirtschaft. Diese Situation macht es nötig, unser sozialistisches Programm immer wieder neu zu diskutieren und sozialistische Antworten auf die Krise zu bieten. Das ist nötig, um uns auf die kommenden Kämpfe vorzubereiten und in diese zu intervenieren. Die ver.di-Gewerkschafterin Marie aus Berlin erklärte, dass wir nicht nur einen heißen Herbst brauchen, sondern auch einen heißen Winter und einen noch heißeren Frühling!
Aufbau der Sol
In seinem Referat konnte Caspar Loettgers aus Mainz auf zahlreiche Fortschritte und Erfolge verweisen, die wir in den letzten Jahren erreichen konnten. Wir konnten neue Mitglieder in verschiedenen Orten gewinnen, besonders die Stuttgarter Delegation fiel durch die neuen jungen Mitglieder auf. Wir haben eine Rolle bei Auseinandersetzungen an den Berliner Krankenhäusern gespielt und so Streikende gewonnen, in Lemgo konnten wir uns durch unsere ununterbrochen wachsende Ortsgruppe und das LINKE-Stadtratsmandat eines Sol-Mitglieds gesellschaftlich verankern und führen zur Zeit mit anderen zusammen eine Kampagne gegen die Schließung der Unfallchirurgie und Orthopädie am Klinikum Lemgo.
Sol-Mitglieder setzen sich in der LINKEN und in linksjugend[‘solid] weiterhin für eine kämpferische, sozialistische Politik ein. Die Krise der Partei bietet dazu leider immer weniger Ansatzpunkte. Im Fokus der Diskussion stand unser Beitrag zu einem heißen Herbst und vor allem die Frage, wie wir die Sol stärken werden. Wir wollen bis zur nächsten Bundeskonferenz unsere Mitgliederzahl fast verdoppeln. Dabei wollen wir besondere Anstrengungen unternehmen, um (junge) Frauen zu gewinnen. Um das und andere Herausforderungen im Kampf gegen Sexismus zu diskutieren, soll im nächsten Jahr ein Treffen der weiblichen Sol-Mitglieder durchgeführt werden. Ein wichtiger Aspekt beim Aufbau der Organisation ist unser Fokus auf die Jugend. In Zukunft wollen wir auch verstärkt an den Universitäten aktiv sein, um neue Genoss*innen für unser sozialistisches Programm zu gewinnen. Ebenso wollen wir die marxistische Ausbildung unserer Mitglieder, unter anderem durch bundesweite Zoom-Ausbildungstreffen intensivieren.
In verschiedenen Kommissionen wurde die Jugendarbeit, die Arbeit in den Gewerkschaften, der Aufbau unserer Ortsgruppen und die Rolle unserer Zeitung intensiver diskutiert. Die Genoss*innen zeigten sich enthusiastisch, die nächsten Schritte beim Aufbau der Organisation zu gehen.
Der Enthusiasmus der Bundeskonferenz zeigte sich auch bei jährlichen Winterspendenappell. Nachdem in diesem Jahr schon über 50.000 Euro Spenden gesammelt werden konnten, kamen auf der Konferenz mehr als 7.500 Euro zusammen. Bis Ende des Jahres soll die Zahl auf 14.500 Euro Spenden erhöht werden. Wenn du spenden willst, kannst du das hier tun. Ein Teil des Geldes soll dafür genutzt werden unsere Genoss*innen in Pakistan zu unterstützen, die nach der Flutkatastrophe in der Region Sindh Hilfsstationen errichten, wo sie Lebensmittel und Medikamente an die Arbeiter*innen und Armen verteilen. Ein weiterer Teil des Geldes wird genutzt, um die Flugkosten internationaler Genoss*innen zu bezahlen, um so auch auf internationaler Ebene persönliche Treffen zu ermöglichen. Besonders in der neokolonialen Welt sind die Flugkosten für unsere Genoss*innen kaum bezahlbar.
Schlussendlich wählte die Bundeskonferenz auch einen neuen Bundesvorstand, sowie eine Kontrollkommission und Finanzrevisor*innen, und beschloss eine ausführliche politische Resolution zur Lage in Deutschland und eine Resolution zum Aufbau der Sol.