Mythos Lohn-Preis-Spirale

Inflation und wie man sie bekämpfen kann

Seit einigen Monaten liegt die Inflationsrate auf einer seit Generationen beispiellosen Höhe. Das führt zu einem Verfall des Lebensstandards nicht nur von Arbeiter*innen in prekärer Beschäftigung, sondern auch von besser bezahlten Facharbeiter*innen. Aus Sicht der Arbeiter*innenklasse sind Lohnerhöhungen notwendig. Die Herrschenden wissen das und leisten bereits ideologische Vorarbeit, um solche zu verhindern indem sie vor der so genannten Lohn-Preis-Spirale warnen.

Von Aleksandra Setsumei, Aachen

Dabei ist jedem klar, dass die gegenwärtigen Preissteigerungen nichts mit Lohnerhöhungen zu tun haben können. Bei den steigenden Preisen spielt einerseits die seit dem Corona-Einbruch gestiegene Nachfrage – u.a. getrieben durch die staatlichen Rettungspakete – eine Rolle. Dazu kommen andererseits Flaschenhälse auf der Angebotsseite: Unterbrechung von Lieferketten durch jahrelang zu geringe Investitionen, durch die fortgesetzte Corona-Pandemie (Lockdowns), durch Folgen des Klimawandels (z.B. Dürre in Taiwan im letzten Jahr, Behinderung des Transports auf dem Rhein durch Niedrigwasser diesen Sommer) und seit diesem Frühjahr vor allem die Folgen des Krieges in der Ukraine und der westlichen Sanktionen, insbesondere die gestiegenen Energiepreise, welche sich auch auf andere Warenpreise auswirken. Verschärft werden die Angebotsengpässe durch Spekulation. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass die Gewinne vieler Unternehmen, nicht zuletzt von Energiekonzernen, massiv gestiegen sind. Von einer Profit-Preis-Spirale spricht aber niemand in den kapitalistischen Medien….

Die Theorie der Lohn-Preis-Spirale behauptet, dass Unternehmen durch Lohnerhöhungen gezwungen werden, Preise zu erhöhen, was wiederum erneute Lohnerhöhung notwendig mache und so eine Spirale aus Preis- und Lohnerhöhungen entstehe. Höhere Löhne führen nach dieser Logik zu höheren Preisen. 

Diese These entspricht nicht der Wahrheit, gleichzeitig widerspiegelt sie Klasseninteressen der Herrschenden. Sie behauptet: „Kämpfen bringt nichts, selbst wenn ihr gewinnt, wird einfach alles teurer.“ Gleichzeitig ist sie eine willkommene Ablenkung von den tatsächlichen Gründen der Inflation. Denn so werden Täter*innen und Opfer vertauscht: Nicht die Herrschenden, die Hedgefonds-Manager*innen, die Bosse und ihr System sind schuld an den Preissteigerungen, sondern die Arbeiter*innenklasse, die höhere Löhne durchsetzt..

Wie entstehen Lohn, Preis und Profit? 

Der Profit entsteht nicht durch einen Aufschlag auf die Herstellungskosten, sondern aus der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft. Wenn ein*e Arbeiter*in acht Stunden arbeitet, dann werden acht Stunden lang Wert geschaffen. Der Wert eines Produkts misst sich an der für die Herstellung durchschnittlich notwendigen Arbeitszeit. Dieser Wert wird sich privat von den Kapitalist*innen angeeignet, die einen Teil davon den Arbeiter*innen als Lohn auszahlen. Das bedeutet: von den acht Stunden, erhalten Arbeiter*innen nur einen Teil tatsächlich ausbezahlt. 

Der Preis einer Ware wird nicht willkürlich festgelegt, sondern schwankt um ihren tatsächlichen Wert. Warum sonst werden Fahrräder nie so teuer wie Autos sein, egal wie es um Angebot und Nachfrage bestellt ist? Er entsteht nicht durch die Addition von Lohn- und Profitanteil, so wie Spezi durch das Zusammenkippen von Cola und Orangenlimonade entsteht – und wenn mehr Cola reingekippt wird, so gibt es mehr von dem Getränk; sondern der Preis teilt sich auf wie ein Kuchen: Wenn die Kuchenstücke für die Arbeiter*innen größer sind, wird nicht der Kuchen größer, sondern bleibt für die Kapitalist*innen weniger. Lohnerhöhungen erhöhen nicht den Preis, sondern schmälern den Profit. Deshalb gibt es keinen Grund angesichts der hohen Inflation auf den Kampf für Inflationsausgleich und Lohnsteigerungen zu verzichten. 

Klassenkampf

Das Kapital wird versuchen, eine solche Umverteilung zu stoppen. Es wird mit dem Damoklesschwert der Rezession drohen. Die Bosse werden alles Mögliche versuchen: Intensivierung der Arbeit, Verlängerung der Arbeitszeiten, Preiserhöhungen oder Verlagerung der Arbeit in günstigere Standorte.

Das ist kein Grund, auf den Kampf für Lohnerhöhungen zu verzichten. Die Triebfeder des Kapitalismus ist Profitmaximierung, für sie gibt es keine Grenze nach oben. Ob Pandemie, Inflation, Ukraine-Krieg – Kapitalist*innen nutzen alle Möglichkeiten, sich zu bereichern. Wenn wir aus „gesamtwirtschaftlicher Verantwortung“ Verzicht üben, werden sie nur unersättlicher. 

Statt dessen sollte die Arbeiter*innenklasse für eine automatische Anpassung der Löhne an die Inflation und darüber hinausgehende Lohnerhöhungen genauso kämpfen, wie für Preisobergrenzen und die Enteignung von Energie- und Immobilienkonzernen als ersten Schritt zu einer Wirtschaft, die nicht im Interesse des Profits einiger weniger funktioniert. 

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