Regierungsmaßnahmen schützen Millionen nicht vor Armut und Not
Das mit Spannung erwartete neue „Entlastungspaket“ der Bundesregierung zeigt einmal mehr, dass die Ampel-Koalition nicht bereit ist, an die Profite der Konzerne und das Vermögen der Superreichen ran zu gehen und wirksamen Schutz der Arbeiter*innenklasse und sozial Benachteiligten vor Preissteigerungen und Krise zu gewährleisten. Die Antwort von Gewerkschaften, Mieter*innen- und Sozialverbänden, der LINKEN und sozialen Bewegungen muss sein, nun wirklich einen heißen Herbst mit Massendemonstrationen, Boykott von Gas- und Strom-Preissteigerungen und Streiks zu organisieren.
Von Sascha Staničić
Die Bundesregierung möchte mit einer hohen Zahl beeindrucken. 65 Milliarden Euro! Wie diese Zahl zustande kommt und ob sie schön gerechnet wurde, ist zur Zeit schwer nachzuvollziehen. Klar ist aber: die beschlossenen Maßnahmen werden die Auswirkungen der Preissteigerungen etwas abfedern, aber bei Weitem nicht auffangen. Auch das macht eine Zahl deutlich: Das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung geht davon aus, dass die gestiegenen Energiepreise Deutschland 2023 mit rund 200 Milliarden Euro belasten.
Millionen müssen sich also trotzdem auf einen Einbruch ihres Lebensstandards und im schlimmsten Fall sogar auf das Abrutschen in Armut und Zahlungsunfähigkeit einstellen …. während die Reichen und Superreichen weiter auf ihrem gigantischen Vermögen sitzen und die Banken und Konzerne weiter Profite scheffeln.
Was ist geplant?
Im Gegensatz zum vorherigen Paket, erhalten nun auch Rentner*innen und Studierende eine Einmalzahlung. Die 300 bzw. 200 Euro werden jedoch sehr schnell im wahrsten Sinne des Wortes aufgefressen sein und werden keine nachhaltige Wirkung haben. Verbesserungen beim Wohngeld können da schon einen größeren Effekt haben, nicht zuletzt weil der Kreis der Zugangsberechtigten erweitert werden soll. Dies wird aber erst im neuen Jahr in Kraft treten, wie auch die viel zu niedrige Erhöhung des Kindergelds, und damit keine unmittelbare Wirkung auf die schon seit Monaten steigenden Lebenshaltungskosten haben.
Die Verbilligung eines Grundbedarfs an Strom und Heizung ist zwar Teil des Pakets, aber was, wann, wie genau kommen wird, steht in den Sternen. Nicht in den Sternen steht, dass das Neun-Euro-Ticket nicht verlängert werden soll. Als Nachfolger sollen Tickets zwischen 49 Euro und 69 Euro angeboten werden. Das mag für Menschen, die jetzt teurere Monatstickets im Abo haben, eine Vergünstigung sein. Es ist aber weder zu erwarten, dass sich arme Menschen dieses Ticket leisten können, noch dass Autofahrer*innen deswegen ihr Auto stehen lassen oder gar abschaffen werden. Vor allem nicht, wenn nicht auch eine Investitionsoffensive im Nah-, Regional- und Fernverkehr zu einem besseren Angebot führt.
Die Änderungen bei der Einkommenssteuer werden vor allen Dingen Menschen mit höherem Einkommen zugute kommen. Laut DIW-Chef Fratzscher erhalten dreißig Prozent der Steuerzahlenden siebzig Prozent der Steuervergünstigungen.
Und weiterhin traut sich die Regierung nicht einmal die so genannten Übergewinne der Krisen- und Kriegsprofiteure abzuschöpfen. Lediglich „Zufallsgewinne“ (was immer das genau sein soll) sollen möglicherweise besteuert werden. Aber wohl auch nur, wenn die EU zustimmt. Wann das geschehen wird … steht in den Sternen.
Rezession
Zeitgleich erklärte Russland, dass die Gasförderung durch die Nordstream 1 Pipeline wegen eines angeblichen Öllecks vorerst eingestellt wird. Seit Freitag ist der Gaspreis noch einmal um 35 Prozent gestiegen. Eine Rezession wird immer wahrscheinlicher. Erste Unternehmen haben schon die Schließung von Betrieben angekündigt. Das bedeutet, dass für viele Lohnabhängige zu den gestiegenen Preisen die drohende Erwerbslosigkeit hinzu kommt. Und selbst wenn manche aufgrund der vielfach bestehenden Personalknappheit zur Zeit vielleicht bessere Chancen haben, relativ schnell eine neue Arbeitsstelle zu bekommen, werden diese oftmals befristet, zu schlechteren Bedingungen und niedrigerem Lohn sein …. und die Not vergrößern!
Angesichts dieser Situation sollten Gewerkschaften und LINKE auch ein Ende der Wirtschaftssanktionen gegen Russland und die Inbetriebnahme von Nordstream 2 fordern. Es ist einfach nicht wahr, dass die Sanktionen Putin von seinem verbrecherischen Krieg abbringen können. Sie sind vielmehr Teil eines Wirtschaftskriegs, den der Westen im Rahmen des internationalen kapitalistischen Konkurrenzkampfes gegen Russland führt. Diese Kriege und Konflikte, die die Herrschenden für ihre Macht, ihren Einfluss und ihre Profite vom Zaun brechen, sind nicht die Konflikte der Arbeiter*innenklassen in den verschiedenen Ländern. Sie werden nur auf deren Rücken ausgetragen. Abgesehen davon, dass die Wirkung der Sanktionen auf Russland offenbar begrenzt ist, treffen sie die russische Bevölkerung und treiben diese eher in die Arme Putins als in die Opposition gegen ihn. Eine Ende der Sanktionen ist deshalb im Interesse der einfachen Menschen in Deutschland, Europa und in Russland.
Was nötig wäre
Nötig – und möglich – wären ganz andere Maßnahmen. Zum Beispiel eine wirkliche und bezahlbare Deckelung der Energie- und Lebensmittelpreise und Mieten, eine automatische Anpassung von Löhnen und Sozialleistungen an die Inflationsrate, eine deutlich höhere Besteuerung von Gewinnen, Vermögen und großen Erbschaften. Vor allem aber darf die Energieversorgung nicht mehr dem Markt mit seiner profitfreundlichen Preisgestaltung überlassen werden, in der der höchste Preis eines Anbieters automatisch für alle gilt (Merit Order – System)! Wie die sächsische LINKE richtigerweise gefordert hat gehören die Energiekonzerne in öffentliches Eigentum – aber unter demokratische Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung statt von marktwirtschaftsgeilen Bürokrat*innen und Politiker*innen!
Was getan werden muss
Es ist ein Skandal, wenn die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, die SPD-Frau Yasmin Fahimi, das Entlastungspaket lobt statt ihre sechs Millionen Mitglieder dazu aufzufordern, auf die Straße zu gehen. Denn das ist jetzt nötig: massenhafter Protest. In vielen Städten haben sich Bündnisse gebildet und haben schon erste Demonstrationen stattgefunden. Das muss nun auf breite Beine gestellt werden und es muss bundesweit vernetzt werden durch eine Aktivenkonferenz der Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und linken Organisationen und durch die Festsetzung eines Termins für eine bundesweite Großdemonstration. Der Beschluss von ver.di Berlin-Brandenburg für eine solche Demonstration sollte bundesweit in ver.di Gremien zur Abstimmung gestellt und so Druck auf den Bundesvorsdtand ausgeübt werden.
Millionen sind stärker als Millionär*innen und als deren Regierung. Doch vieles spricht dafür, dass Demonstrationen alleine nicht ausreichen werden.
Viele Menschen werden im Winter gar nicht in der Lage sein, ihre Heiz- und Stromrechnungen zu bezahlen. Gewerkschaften, Mieter*innenverbände und DIE LINKE haben die Verantwortung diese Menschen nicht alleine zu lassen. Die Zeit wäre reif für einen massenhaften und organisierten Boykott der Zahlung von Gas- und Strom-Preissteigerungen. Dass das möglich ist, haben Zahlboykottkampagnen in Großbritannien (gegen die so genannte Kopfsteuer Anfang der 1990er Jahre) und Irland (gegen Müll- und Wassergebühren) gezeigt. In Großbritannien wird dies nun auch wieder versucht. Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen.
Hinzu kommt, dass in der Metall- und Elektroindustrie und im öffentlichen Dienst Tarifrunden anstehen. Hier müssen die Forderungen durch Streik vollständig durchgesetzt und die Tarifkämpfe koordiniert und mit den allgemeinen Protesten gegen Preissteigerungen verbunden werden. Wenn die Regierung Steuer- und Abgabenfreiheit für Bonuszahlungen durch Unternehmen an die Beschäftigten von bis zu 3000 Euro anbietet, ist das nur ein Versuch, die anstehenden Tarifkämpfe zu unterlaufen. Aber nur tabellenwirksame Erhöhungen der Löhne und Gehälter haben auch eine nachhaltige Wirkung. Die Gewerkschaften müssen der konzertierten Aktion der Bundesregierung eine Absage erteilen und ihrer Aufgabe als Kampforganisationen gerecht werden.
Gegen Rassismus in der Bewegung
Kein Bündnispartner für solche Protesten sollten AfD, andere rassistische und faschistische Organisationen sein, die nun versuchen, sich als Vertretung der „kleinen Leute“ aufzuspielen. Es ist eine Illusion zu glauben, man müssen „links“ und „rechts“ mal vergessen solange man für dieselbe Sache kämpft. Erstens spalten Rechtspopulist*innen und Faschist*innen den Widerstand, weil sie die Millionen Migrant*innen, die in diesem Land leben und arbeiten, diskriminieren und die Arbeiter*innenklasse entlang nationaler und religiöser Linien spalten. Zweitens wäre statt nationalistischer Politik eine internationale Verbindung der arbeitenden Menschen und ihrer Gewerkschaften nötig, um die international bestehenden Missstände auch international zu lösen. Und drittens vertritt zum Beispiel die AfD auch in dieser Frage ein Programm, das im Kern neoliberal ist und den Reichen nützt. Denn wenn die AfD Mehrwertsteuersenkung und andere Maßnahmen (wie auch die Abschaffung der Erbschaftssteuer!) fordert, ohne zu sagen, dass die Reichen, Banken und Konzerne mehr Steuern zahlen sollen, dann ist das ein Programm für einen armen Staat. Das wiederum führt früher oder später zwangsläufig zu Sozialkürzungen, Privatisierungen und einem Mangel an Investitionen in Gesundheit, Bildung und Umwelt. Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten!
Kapitalismus abschaffen!
Diese Krise ist eine Krise des kapitalistischen Systems. Sie zeigt genauso wie der Klimawandel und die Kriege auf der Welt, dass uns ein auf Privateigentum an Fabriken und Unternehmen, Profitmaximierung und privatem Wettbewerb basierendes System immer mehr Not und Elend bringt. Es ist nötig, in den nun kommenden Protesten gegen Preissteigerungen und Krise ein sozialistisches Programm zu vertreten und deutlich zu machen, dass eine Systemveränderung dringend nötig ist. Die Sol wird ihre ganze Kraft einsetzen, um Proteste auf die Straße und in die Betriebe zu tragen und gleichzeitig eine sozialistische Alternative propagieren. Alle sind eingeladen, dies mit uns gemeinsam zu machen!