„Wir können uns nicht auf dem Ergebnis ausruhen“

Ein Jahr danach: Rückblick auf den 77-tägigen Streik der Beschäftigten an den Unikliniken in NRW im Sommer 2022

Interview mit Jochen Schlüter, Krankenpfleger am Universitätsklinikum Düsseldorf (UKD), während des Streiks Teamdelegierter und Mitglied des Delegiertenrats. Mit ihm sprach Cassy von der Sol Aachen.

Euer Streik für einen Tarifvertrag Entlastung (TVE) liegt ja nun schon mehr als ein Jahr zurück. Was ist dir im Gedächtnis geblieben und gibt es etwas, an das du dich besonders gerne erinnerst?

Es gab schon so einige Highlights während des Streiks; wie die Schwarzbuch-Aktionen mit anonymisierten Erfahrungsberichten von Kolleg:innen zur Illustration von Diensten in Unterbesetzung, die Demos, die Solidaritätsbesuche, das Scheitern des Bonner Klinikvorstands mit dem Versuch, den dortigen Streik gerichtlich verbieten zu lassen. Aber der Arbeitskampf umfasste mehr als nur die 77 Tage des Streiks zwischen dem 4. Mai und dem 19. Juli 2022. Der Vorlauf begann schon im Januar mit dem Start der Petition. Es war bereits eine spannende Zeit, bevor es mit dem unbefristeten Streik losging.

Hier haben mich besonders die beiden Warnstreiktage im April mit dem Krankenhaus-Ratschlag in Oberhausen beeindruckt, zugleich ein sogenannter Stärketest. Tag zwei fand im dortigen Fußballstadion mit großartiger Atmosphäre statt. Wir waren etwa 600 bis 800 Kolleg:innen aus Aachen, Münster, Essen, Düsseldorf, Köln und Bonn. Es stellte sich schnell ein Wir-Gefühl ein, Aufbruchstimmung lag in der Luft; die Hoffnung, endlich durch mehr Personal Arbeitsbedingungen und Versorgungsqualität zu verbessern. In der Klinik fühlt man sich häufig allein auf weiter Flur. Jetzt solidarisierten sich Beschäftigte der eigenen und der anderen Kliniken und das über Fachbereiche und Berufsgrenzen hinweg; Stichwort „Krankenhaus ist Teamarbeit“.

Es war die Phase der Forderungsfindung; vorab hatten wir im Team als unsere eigenen Experten mit Unterstützung der Organizer:innen unsere Forderungen formuliert. Nun stand die Vernetzung und der Abgleich mit Delegierten der anderen Kliniken an.

Ich hatte gleich das Gefühl, dass es diesmal besser klappen könnte mit dem Kampf um den TVE, den wir Düsseldorfer bereits 2018 zusammen mit den Essener Kolleg:innen erstreiken wollten und am Ende lediglich eine schuldrechtliche Vereinbarung erreicht haben. Bei dieser Vereinbarung gab es in den Kliniken immer wieder Probleme der Durchsetzungskraft beim sogenannten Konsequenzenmanagement, wenn die Soll-Besetzung unterschritten wurde. Beim jetzigen Arbeitskampf sollte vieles anders werden; die Ziele waren ambitionierter, es sollte eine größere Partizipation der Beschäftigten und Rückkopplung mit der Basis geben. 2018 ging es noch wesentlich paternalistischer zu.

Am 1.1.23 ist der TVE in Kraft getreten. Kannst du schon Veränderungen spüren und gibt es mittlerweile mehr Personal?

Vereinbart ist eine 1,5 Jahre lange Einführungsphase zur Implementierung der Software, die automatisch Unterbesetzung erkennen und Belastungspunkte gutschreiben soll. In dieser Zeit soll auch der vereinbarte Personalaufbau umgesetzt werden. Eine Evaluierungskommission zur Begleitung und zur Klärung praktischer Fragen wird eingerichtet. Außer dass wir in der Pflege nun pauschale fünf Entlastungstage verplanen können, haben sich die Arbeitsbedingungen noch in keiner Weise verändert. Die Personalsituation auf den Stationen ist also ein Jahr nach Streikende z.T. noch angespannter als vor dem Streik. Das bedeutet, dass wir bei diesen Bedingungen immer noch keinen guten Job machen können; Patient:innen bei schlechter Besetzung immer noch nicht bedarfsgerecht versorgt werden können; dass es weiterhin ein erhöhtes Risiko für Fehler; für das Übersehen von Ereignissen, Symptomen gibt; eine erhöhte Gefährdung für lebensgefährliche Infektionen existiert. Außerdem gibt es weiterhin zu wenig Raum der Fürsorge und Zuwendung; stattdessen vielfach eine Abfertigung wie am Fließband. Genau diese Bedingungen haben ja über Jahre hinweg zu einer massiven Personalflucht geführt, durch dauerhafte Nicht-Erfüllung der eigenen Ansprüche, Erschöpfung und Frustration. Diese Berufsflucht ist politisch erzeugt; sie steht in direktem Zusammenhang mit der Ökonomisierung des Gesundheitswesens und der Krankenhäuser in Gestalt des Fallpauschalensystems. Dieses System zwingt die Kliniken zur Profitmaximierung auf dem Rücken der Beschäftigten und nicht unbedingt zum Vorteil der Patient:innen. Es resultiert sowohl Über- als auch Unterversorgung, aber nicht zwingend eine bedarfsgerechte Behandlung. Das Leitbild einer bedarfsgerechten und gemeinwohlorientierten Krankenhausversorgung ist innerhalb eines kapitalistischen Systems, das durch die Regeln des Marktes bzw. vom Profitdenken strukturiert und geleitet wird, kaum einzulösen. Das ist häufig der Grund, warum viele gehen.

Während des Streiks erhielten wir Rückenwind durch die Studie „Ich pflege wieder wenn“, die von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde. Demnach gibt es eigentlich keinen Fachkräftemangel an Pfleger:innen. Hunderttausende haben den Beruf verlassen oder ihre Arbeitszeit reduziert; mindestens 300.000 Stellen könnten durch Bereitschaft zur Rückkehr in den Beruf oder Aufstockung besetzt werden, wenn es denn akzeptable Arbeitsbedingungen gäbe. Das ist eine schlagkräftige These gegenüber dem Totschlagargument der Arbeitgeber, der Markt sei hoffnungslos leergefegt; es sei einfach kein Fachpersonal zu finden. Die historische Chance der Entlastungstarifverträge ist, dass die politisch erzeugte Berufsflucht gestoppt und die Abwärtsspirale in eine Aufwärtsspirale gewendet werden kann; durch weitere TVE-Auseinandersetzungen und auch mit Türöffner-Effekt auf andere Kliniken, die ihren Mitarbeiter:innen ebenfalls etwas bieten müssen, um sie halten zu können. Wären die Verhandlungen gescheitert, hätte dies sicherlich eine Kündigungswelle nach sich gezogen.

Was war aus deiner Sicht positiv am Streikkonzept?

ver.di hat mit dem Organizing-Konzept einen Vorstoß in Richtung Demokratisierung der Gewerkschaften gewagt. Auch wenn es mit der Demokratisierung gerade gegen Ende der Verhandlungen zu Erosionserscheinungen kam, sollten die Gewerkschaften diesen Weg unbedingt weiter gehen. Aus einfachen Klinikbeschäftigten wurden relevante Akteur:innen im Arbeitskampf. Die Übernahme von Verantwortung z.B. im Delegiertenrat oder in Arbeitsgruppen und die Rückkopplung mit der Basis haben Selbstbewusstsein und Identifikation mit dem Kampf gestärkt. Sicherlich hat das dazu beigetragen, dass die Kolleg:innen so lange durchgehalten haben. Denn trotz Urlaubszeit blieb die Streikstärke stabil. Auch mag bei einigen Kolleg:innen der Mut der Verzweiflung im Spiel gewesen zu sein; die letzte Hoffnung, dass sich die Situation verbessern könnte. Durch die maßgebliche Mitbestimmung bei der Forderungsfindung, der Partizipation bei den Verhandlungen und Entscheidungen, wird die Auseinandersetzung zu unserem Projekt, anders als bei den üblichen Top-Down-Verfahren. Es war faszinierend zu sehen, wie Kolleg:innen, für die es zum Teil der allererste Streik war, in ihre Rollen hineingewachsen sind. Durch den Streik konnten zahlreiche neue Kolleg:innen für die ehrenamtliche betriebliche Gewerkschaftsarbeit gewonnen werden.

Was hätte man besser machen können?

Obwohl die vorangegangene TVE-Auseinandersetzung der Berliner Charité und der Vivantes-Kliniken 2021 uns als Vorbild dienten, war der Streik in NRW eine Auseinandersetzung mit vielen Unbekannten und Unwägbarkeiten. Berlin war nicht 1:1 übertragbar.

Ein Streik in der Größenordnung war ein Novum, es sollte ein Flächentarifvertrag von sechs Kliniken in sechs Städten werden, welche unterschiedliche Streikerfahrung und unterschiedliche Organisationsgrade hatten. Es galt die logistische Herausforderung der weiten Entfernungen zu meistern; Verhandlungsort war die Uniklinik Köln.

Der Arbeitgeberverband musste sich wegen des aus rechtlichen Gründen notwendigen Austritts aus der TdL erst noch bilden. Anfangs war nicht klar, wer überhaupt die Arbeitgeberseite vertritt. Dann saßen Vorstandsmitglieder, Klinikprofessor:innen, Pflegedirektor:innen, Pflegedienstleiter:innen aller sechs Kliniken in den Verhandlungen, die sich untereinander nicht immer einig waren und z.T. lieber Haustarife ausgehandelt hätten. Eine Anwaltskanzlei, die offensichtlich großen Einfluss ausübte, war stets an ihrer Seite.

Auf unserer Seite gab es viele verschiedene Gruppen und Rollen, mit der es in dieser Konstellation und auch in der Größe noch keine Erfahrung gab: Streikende, Teamdelegierte, Delegiertenrat, Tarifkommission, Organizer:innen auf verschiedenen Ebenen, Verhandlungskommission, Verhandlungsführung. Aufgrund der sechs Standorte gab es eine Tarifkommission mit etwa 75 und einen Delegiertenrat mit etwa 200 Mitgliedern. Am Verhandlungsort in Köln ist viel Leerlauf durch Wartezeiten entstanden; es war schwierig, die Zeit sinnvoll zu füllen. Auf der anderen Seite zählten die Mitglieder des Delegiertenrats zu den aktiveren Streikenden, die dann an den Standorten für die dortige Arbeit fehlten; zum Beispiel für die Öffentlichkeitsarbeit oder die Gewinnung und Aktivierung neuer Mitstreiter:innen, um im Streik stärker zu werden.

Ein weiteres Problem war, dass zum Teil das Rollenverständnis, die Zuständigkeiten und Entscheidungsbefugnisse unklar waren. Hier wären transparentere Strukturen und möglicherweise eine Vorab-Schulung der Delegiertenrat-Mitglieder hilfreich gewesen. Auch bezüglich der Reihenfolge der verhandelten Bereiche bzw. der Verhandlungs-Strategie und möglicher Modifikationen sollte vorab klar sein, wer darüber entscheidet. Während der Verhandlungen kam Kritik auf, dass zum Teil der Eindruck entstanden ist, dass die Arbeitgeber den Verlauf dominierten. Wichtig ist außerdem die Frage der Kommunikation und der Transparenz; wer informiert wen und wie und wann? Das betrifft den Informationsfluss der Gremien untereinander sowie den Kontakt zur Basis am Streikposten.

Bist du zufrieden mit dem Ergebnis?

Nach 77 Tagen Streik ist es uns Beschäftigten gelungen, den TVE als ersten Flächentarifvertrag zu erkämpfen. Und das bringt uns einen großen Schritt nach vorne. Positiv ist, dass die unterschiedlichen Berufsgruppen in den Vertrag aufgenommen wurden; es gibt deutliche Verbesserungen für Auszubildende, bessere Pflege-Stellenschlüssel und, ganz wichtig, ein Entlastungskonzept als Druckmittel für den Personalaufbau. Besonders hart umkämpft und von den Arbeitgebern lange blockiert waren die Forderungen für die nicht-refinanzierten Bereiche und für den Belastungsausgleich. Aus Erfahrung wissen wir: Keine Mindestbesetzung ist etwas wert, wenn eine Unterschreitung nicht sanktioniert wird. Genau das ist auch das Problem bei den vom Bundes-Gesundheitsministerium unter Minister Spahn beschlossenen Pflegepersonal-Untergrenzen (PPUGV). Werden sie unterschritten, passiert aktuell nichts Zwingendes; es werden lediglich Durchschnittswerte ermittelt. Aus diesem Grund ist der Belastungsausgleich, der Druck auf die Arbeitgeber zur Einhaltung ausüben soll, eins unserer Herzstücke des TVE, von dem wir nicht ablassen konnten. Die Arbeitgeber wollten eine pauschale Regelung von zusätzlichen freien Tagen, solange der Personalaufbau noch nicht abgeschlossen ist. Wir haben aber nicht für freie Tage gestreikt, sondern für mehr Personal; nicht auf dem Papier, sondern in der Arbeitsrealität.

Für meinen Arbeitsbereich, eine Normalstation mit höherer Pflegeintensität, bedeutet der neue Stellenschlüssel, dass wir bei vollbesetzter Station mit 31 Betten mit fünf statt bisher drei Pflegekräften in den Tagesschichten arbeiten. Damit würden wir uns den Ratios anderer Länder, wie den Niederlanden, Schweden, der Schweiz oder den USA annähern.

Negativ ist die lange Einführungsphase; vereinbart wurden 1,5 Jahre für die Software-Implementierung zur automatischen Dokumentation von Unterbesetzung und dass erst nach sieben Tagen in Unterbesetzung ein Ausgleich erfolgt und dieser auch noch gedeckelt ist. Unsere Forderung lautete: Ausgleich nach drei Tagen Unterbesetzung. Kaum Verbesserungen gibt es für die Kolleg:innen der nicht refinanzierten Bereiche, das heißt für Ambulanzen, Transport, Technik, Lager, Pforte, Küche, Personalkantine, IT und Labor. Hier konnte die Spaltung in refinanzierte Pflegebereiche und nicht refinanzierte Bereiche nicht vollständig überwunden werden. Das Ergebnis für diesen sogenannten Modell-4-Bereich ist besonders aus UKD-Sicht unbefriedigend. Für jede der sechs Unikliniken ist ein Stellenzuwachs von insgesamt dreißig Mitarbeiter:innen für die nicht refinanzierten Bereiche vorgesehen. Ein Tropfen auf den heißen Stein für die Düsseldorfer Uniklinik, da hier nicht so viele Bereiche wie in den anderen Kliniken ausgelagert wurden. Wo es im UKD neun Bereiche betrifft, sind es woanders zum Teil nur zwei. Die Mitarbeiter:innen der ausgelagerten Bereiche profitieren überhaupt nicht vom TVE.

Aber noch fehlt, wie gesagt, die Umsetzung. Und diese wird sicherlich kein Selbstläufer werden. Bereits die Umsetzung der pauschalen Entlastungstage der seit dem 01.01.2023 laufenden Einführungsphase gestaltet sich schleppend. Wir können uns nicht auf dem Ergebnis ausruhen. Die sechs Unikliniken sind weiterhin vernetzt; betriebliche Gruppen begleiten die Umsetzung kritisch-konstruktiv.

Auch sollten wir die politische Dimension, die über die individuelle Situation am Arbeitsplatz hinausgeht, nicht außer Acht lassen. So ist die Forderung nach vollständiger Abschaffung der Fallpauschalen und die Erhaltung wohnortnaher Kliniken die logische Weiterführung unseres Kampfes auf politischer Ebene. Krankenhäuser sollten nicht wie Fabriken geführt werden, in denen Gesundheit zur Ware wird. Gemeinsam mit Initiativen, Bündnissen, Gewerkschaften und auf parlamentarischer Ebene gilt es, den Druck aufrecht halten, solidarisch einzustehen für ein Gesundheitssystem im Sinne der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Wie fandest du die Zusammenarbeit mit ver.di?

Nach der Kündigung der schuldrechtlichen Vereinbarung der Unikliniken Essen und Düsseldorf von 2018 hat sich ver.di nun für neue Wege mit größerer Einbeziehung der Basis entschieden. ver.di ist während der Auseinandersetzung merklich in den Hintergrund getreten. Nicht wenigen Streikenden wird die Verhandlungsführung unbekannt gewesen sein. ver.di hat dem externen Organizing-Team bei seiner Unterstützung der Forderungsfindung und der Konstituierung von Arbeitsgruppen viel Gestaltungsfreiheit überlassen. Die Organizer:innen sind nicht als Botschafter:innen von ver.di aufgetreten. Ihr Bestreben war es, durch beharrlichen Kontakt mit der Basis aktive Streikende zu gewinnen und solche, die bereit sind, mehr Verantwortung zu übernehmen. Die Organizing-Konzepte werden innerhalb von ver.di kontrovers diskutiert. Die Strategie des Sich-Zurücknehmens von ver.di hat sich aber meines Erachtens bewährt, wenn man die Streikstärke mit zurückliegenden Auseinandersetzungen vergleicht. Die Enttäuschung, der Frust und die Skepsis ver.di gegenüber saß vielen Beschäftigten nach der enttäuschenden schuldrechtlichen Vereinbarung und den mauen TVL-Gehaltsabschlüssen von 2021 noch in den Knochen. Ich kenne Kolleg:innen, die aus ver.di ausgetreten waren und nach anfänglichen Vorbehalten während der TVE-Auseinandersetzung wieder eingetreten sind.

Was hätte ver.di besser machen können?

Angesichts der schwierigen Ausgangsbedingungen und der Vielzahl von beteiligten Gruppen und Rollen, wäre es zu einfach, das enttäuschende Ergebnis für Modell 4 nun alleine ver.di in die Schuhe zu schieben. Nach meinem Eindruck wurde dieser Vorwurf, entgegen anderer Auseinandersetzungen, von den Beschäftigten auch nicht laut. Wir sind gemeinsam, Streikende, Organizer:innen, Arbeitsgruppen, Gremien und Verhandler:innen diesen Weg gegangen, der anders war als zuvor und haben viel aber eben auch nicht alles erreicht. Natürlich gab es zwischenzeitlich Reibungspunkte, wenn dann doch von höheren Hauptamtebenen Druck in Richtung von Kompromissbildungen aufkam oder als am Ende mit der drohenden Schlichtung gemahnt wurde. Die UKD-Kolleg:innen hätten wohl mehrheitlich die Schlichtung in Kauf genommen und lehnten bei der Urabstimmung als einzige der sechs Kliniken das Ergebnis ab. Allerdings wäre das ein hohes Risiko mit ungewissem Ausgang gewesen. In Evaluierungs-Seminaren wird bereits unter Einbeziehung der Erfahrungen über zukünftige Strategien nachgedacht.

Es liegt an jedem von uns, Gewerkschaften kämpferischer auszurichten und zu einer bedeutenderen gesellschaftlichen Kraft zu machen. Auf den ersten Blick gut gedacht war von ver.di das Timing mit möglichem Einfluss des Streiks auf Wahlkampf und Politik; es war ja Landtagswahl in NRW. Die Gesundheitspolitik gehörte letztendlich dann aber nicht zu den entscheidenden Wahlkampfthemen. Und als die Sondierungs- und Koalitionsgespräche der Parteien starteten, waren die Politiker:innen nicht mehr erreichbar, so dass z.B. wichtige Finanzierungszusagen ausblieben und die Arbeitgeber weiter mauerten. Die Strategie des Timings hat sich also im Nachhinein als unvorteilhaft erwiesen. Hilfreich für uns wäre sicherlich eine größere Kampagne aller DGB-Gewerkschaften unter Beteiligung von Initiativen und Bündnissen gewesen. Geht es doch um nichts Geringeres als um die Ausrichtung der zukünftigen Gesundheitsversorgung. In Spanien treibt diese Frage Hunderttausende auf die Straße; während wir als Streikende weitgehend unter uns geblieben sind.

Welche Rolle haben die Medien während des Streiks gespielt?

Anfangs war die Berichterstattung über Streik und TVE sehr mager, vereinzelt gab es in der etablierten Presse mal einen Vierzeiler. Als dann die ersten längeren Beiträge kamen, wurde häufig moralischer Druck aufgebaut bis hin zur Skandalisierung. In redaktionellen Kommentaren der Düsseldorfer Rheinischen Post war von „Patienten in Geiselhaft“ die Rede, oder von der „Unverhältnismäßigkeit und Brutalität“ des Streiks, die Streikenden wurden als Verführte skrupelloser Gewerkschaftsfunktionäre dargestellt. Immer wieder tauchte der Vorwurf auf, die Patient:innen würden im Stich gelassen.

Dabei gab es eine funktionierende Notdienstvereinbarung. Selbstverständlich sollte niemand zu Schaden kommen. Von der sogenannten Clearing-Stelle, der Schiedsstelle, die mit Vertreter:innen der Klinik- und Streikleitung besetzt war, gab es keine dramatischen Nachrichten. In Düsseldorf ging es dort eher sachlich und entspannt zu. Der eigentliche Skandal, die 365 Tage im Jahr, an denen es aufgrund unzureichender Personalbesetzung im Normalbetrieb zu Unterversorgung und Gefährdung von Patient:innen kommt, stand dann nicht im Fokus dieser tendenziösen Berichte. Die Pfleger:innen seien zwar gestresst, trieben es jetzt aber entschieden zu weit, war der Tenor. Auch wurden unsere Kernforderungen vielfach nicht korrekt wiedergegeben. Klinikbeschäftigte außerhalb der Pflege wurden gar nicht erst wahrgenommen; der Arbeitskampf entsprechend als reiner Pflegestreik dargestellt. Für die basisdemokratische Organisationsstruktur interessierten sich allenfalls linke Blätter. In den bürgerlichen Medien war diese Besonderheit keine Zeile wert.

Wir stimmen nicht mit jeder Einschätzung des Kollegen Jochen Schlüter überein. Zum Weiterlesen zu Fragen des Streiks in NRW und der Frage des Organizing-Konzepts hier zwei Artikel:

Zum Ausgang des Streiks an den Uni Kliniken NRW

Wert und Grenzen von Organizing

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