Konzertierte Aktion beenden – heißen Herbst beginnen! 

Gewerkschaften in die Offensive!

Wir leben in krassen Zeiten. Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Kimakatastrophe, hohe Inflation… Der Kapitalismus zeigt seine hässliche Fratze. Gerade die gigantischen Energiepreise sorgen derzeit für viel Wut. 

Von Torsten Sting, Rostock, ver.di-Vertrauensmann*

Die hohe Inflation sorgt bei immer mehr Menschen für Existenzängste. Das Meinungsforschungsinstitut INSA gab bekannt, dass 16 Prozent der Menschen auf eine reguläre Mahlzeit verzichten, um mit dem Geld noch über die Runden zu kommen. Vor dem Hintergrund der dramatisch steigenden Gaspreise, macht die Angst die Runde, dass man im Winter in der eigenen Wohnung frieren muss, weil das Einkommen zum Bezahlen der Rechnung nicht reicht. Das alles sind gute Gründe, um den sich entwickelnden Widerstand auf der Straße deutlich auszuweiten. Den Gewerkschaften, die Millionen abhängig Beschäftigte organisieren, kommt hierbei eine besondere Verantwortung zuteil. 

Rolle der Gewerkschaftsführung

Die Vorsitzende des DGB, Yasmin Fahimi, ist von der Politik der Ampelregierung begeistert. Als die Pläne des sogenannten dritten Entlastungspaketes durch Kanzler Scholz bekannt gegeben wurden, sprach sie von einem „beeindruckenden Paket in einer Zeit beispielloser historischer Herausforderungen“. Und an anderer Stelle setzte sie noch diesen Satz obendrauf: “Der DGB begrüßt die erkennbare Orientierung am Prinzip der sozialen Gerechtigkeit.“ 

In der Person von Fahimi konzentriert sich das Problem der deutschen Gewerkschaften. Sie war SPD-Generalsekretärin und Staatssekretärin im Arbeitsministerium zu Zeiten der Großen Koalition.

Konzertierte Aktion

Der DGB nimmt an den Gesprächen mit Bundesregierung und Arbeitgeberverband teil. Mit dem Titel „Konzertierte Aktion“ wird an historischen Vorbildern angeknüpft. Ausgangspunkt war die erste Nachkriegskrise 1966/67. Das Ziel der Herrschenden war es damals wie heute, die Gewerkschaften an die Kette zu legen und Streiks zu verhindern. Das dürfen wir nicht zulassen!

Sozialpartnerschaft vs. Klassenkampf

Politisch ist die Führung der Gewerkschaften nach wie vor eng mit der SPD  verbandelt. Der Großteil der hohen Funktionsträger*innen hat das sozialdemokratische Parteibuch. Und noch immer wird eine Politik verfolgt, die sich am „sozialen Ausgleich“ mit den Kapitalinteressen orientiert. Die „Sozialpartnerschaft“ wird seit jeher mit allerlei Mythen versehen und gilt nicht Wenigen als die „gute, alte Zeit.“ Richtig ist, dass in der Nachkriegszeit bis zur historischen Wende 1989/90 wichtige Reformen durchgesetzt werden konnten. Dies geschah vor dem Hintergrund eines langen Aufschwungs mit hohen Wachstumsraten.

Obwohl der Spielraum für Zugeständnisse für die Herrschenden größer war als heute, waren Reformen aber immer mit massiven Kämpfen verbunden, etwa die Erfolge bei der Arbeitszeitverkürzung oder der Lohnfortzahlung, konnten nur mit langen Streiks errungen werden. Zudem war es von Vorteil, dass mit dem stalinistischen Ostblock eine Systemkonkurrenz vorhanden war. Die kapitalistischen Eliten mussten sich „sozialer geben“, als sie waren. Der frühere IG Metall-Vorsitzende Franz Steinkühler meinte mal, dass die DDR als dritter Verhandlungspartner bei den Tarifverhandlungen mit am Tisch saß.

Neue Ära

Diese Zeiten sind aber schon lange vorbei. In den 1990er Jahren hat die SPD eine deutliche Rechtsverschiebung durchgemacht. Sie stimmte den Privatisierungen im Großen (z.B. Post und Bahn ) und in unzähligen Kommunen im Kleinen (z.B. Wohnungen, Wasser) zu. Mit der Agenda 2010 wurde unter einer rot-grünen Regierung der härteste Angriff auf den „Sozialstaat“ gefahren, der die Ausgangsbedingungen für die Gewerkschaften verschlechtert hat.

Aktuell, verstärkt mit Beginn des Ukraine-Krieges ist die Welt in ein neues Zeitalter eingetreten, in dem es für die Herrschenden nur noch einen sehr geringen Spielraum für Zugeständnisse gibt. Umso nötiger ist es, dass die Gewerkschaften eine Wende, hin zu einer klassenkämpferischen Politik vollziehen. Mit den Fahimis, Hoffmanns und Co. ist dies jedoch nicht zu machen. Es ist nicht nur ihre Nähe zur SPD, sondern auch ihre materielle Abgehobenheit. Mit Gehältern, die weit über 10.000 Euro pro Monat liegen, teuren Dienstwagen usw. gehören sie zu den Privilegierten dieses Systems. Sie brauchen sich keine Sorgen machen wegen hoher Gas- oder Lebensmittelpreise. Für die Gewerkschaftsspitzen ist der Kapitalismus mit einigen Fehlern versehen, aber die Quelle ihrer gutbetuchten Existenz. Auch, wenn sie einerseits unter Druck ihrer Mitglieder stehen, entspricht es ihrem Interesse, einen Ausgleich mit den Herrschenden zu suchen. Große Streikbewegungen, die sich ihrer bürokratischen Kontrolle entziehen, versuchen sie zu blockieren. Es ist letztlich in ihrem Sinne, eine politische Entwicklung zu bekämpfen, die mit antikapitalistischen Forderungen einhergeht. Doch genau das brauchen wir, wenn wir erfolgreich sein wollen!

Was ist jetzt zu tun?

Die Gewerkschaften müssen jetzt kämpferische Tarifrunden führen, die kurze Laufzeiten durchsetzen und bei denen ein zweitstelliges Ergebnis herauskommt, um den Reallohnverlust zu stoppen. In den Tarifverträgen müssen Klauseln erstritten werden, die eine automatische Anpassung an die Inflation vorsehen („gleitende Lohnskala“). Innerhalb von Tarifverträgen sollten Nachschlagszahlungen gefordert werden. Die ganze Kampfkraft der Beschäftigten muss in die Waagschale geworfen werden, bis hin zu Erzwingungsstreiks. Eine weitere wichtige Aufgabe ist, die verschiedenen Tarifrunden miteinander zu verbinden und branchenübergreifende Solidarität zu organisieren. So könnte auf dieser Ebene eine Bewegung aufgebaut werden, die die Bundesregierung massiv unter Druck setzt. 

Die Gewerkschaften müssen aber auch diejenigen Teile der Klasse  einbeziehen, die keine Tariflöhne bekommen. Gerade sie gehören zu einem großen Teil zu den am meisten von der Krise Betroffenen, weil sie von vornherein niedrig bezahlt werden. Belegschaften in nicht tarifgebundenen Unternehmen sollte deshalb das Angebot gemacht werden, sich zu organisieren und in den Kampf einzutreten. Kein Mensch darf im Winter frieren. Dafür müssen auch politische Forderungen wie die nach staatlichen Obergrenzen für Energiepreise, Mieten und Lebensmittel, wie auch nach Verstaatlichung der Energiekonzerne unter demokratischer Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung aufgestellt werden. 

Protestieren, Demonstrieren, Streiken

Dabei muss klar sein: Nichts wird uns geschenkt, wenn die Regierung nicht massiv von unten unter Druck gesetzt wird. Wir brauchen Diskussionen und Aktionspläne in allen Gewerkschaftsgremien und auf Betriebsversammlungen. Nötig sind wöchentliche, lokale Massenproteste. Eine zentrale gewerkschaftliche Großdemonstration könnte die verschiedenen Teile der Arbeiter*innenklasse zusammenbringen.

Aber wir müssen auch davon ausgehen, dass Demonstrationen alleine nicht ausreichen. Neben Protesten brauchen wir daher auch Streiks, um die Konzerne bei ihren Profiten zu treffen.  

Chance für neuen Schwung

Es steht viel auf dem Spiel. Aber die Situation bietet auch die Möglichkeit für einen neuen Aufbruch in den Gewerkschaften. Mit einer Massenbewegung gibt es die Chance eine neue Schicht von Kolleg*innen zu erreichen, die bislang weder politisch aktiv noch Mitglied einer Gewerkschaft waren. 

Für eine kämpferische Ausrichtung braucht es Druck von unten. Die Kräfte in den Gewerkschaften, die sich für eine kämpferische Politik anstatt der sozialpartnerschaftlichen Ausrichtung einsetzen, sollten sich sammeln, um die Gewerkschaften in diesem Sinne zu erneuern und zu Kampforganisationen zu machen.  Dafür gibt es mit dem Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di, sowie der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), wichtige Bezugspunkte. Ziel muss es sein, politische Alternativen aufzuzeigen, Privilegien für Funktionär*innen konsequent abzulehnen und für eine radikale Demokratisierung der Gewerkschaften einzutreten.

Für eine sozialistische Alternative

Solange der Kapitalismus besteht, wird unser Lebensstandard weiter in Gefahr geraten. Die Herrschenden werden weitere Angriffe auf unsere Gehälter, soziale Sicherungssysteme oder demokratische Errungenschaften planen. 

Deshalb kämpft die Sol für eine sozialistische Alternative und setzt sich für eine Debatte darüber auch in  den Gewerkschaften ein. Sozialismus bedeutet wirkliche Demokratie in allen Bereichen der Gesellschaft – nicht zuletzt der Wirtschaft. Dafür müssen die großen Banken und Konzerne in öffentliches Eigentum überführt und (anders als in der stalinistischen DDR) von der arbeitenden Bevölkerung demokratisch kontrolliert und verwaltet werden. So kann die Grundlage für eine Gesellschaft gelegt werden, die frei ist von Ausbeutung des Menschen und der Natur.

  • – Nein zu konzertierter Aktion mit Regierung und Kapital – Für eine gewerkschaftliche Kampagne gegen Preissteigerungen und für Lohnerhöhungen
  • – Diskussionen und Aktionspläne in allen Gewerkschaftsgremien, auf Betriebsversammlungen auf die Tagesordnung! Für eine gewerkschaftliche Großdemonstration im Herbst
  • – Gewerkschaften müssen für Reallohnsteigerungen kämpfen – keine Forderung unter 10 Prozent – kein Abschluss länger als 12 Monate!
  • – Forderungen nach Nachschlagszahlungen innerhalb von geltenden Tarifverträgen mit langen Laufzeiten. Belegschaften in nicht tarifgebundenen Unternehmen organisieren und in den Kampf einbeziehen.
  • – Für staatliche Obergrenzen für Energiepreise, Mieten und Lebensmittel 
  • – Für die Verstaatlichung der Energiekonzerne unter demokratischer Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung
  • – Koordinierung von Tarifauseinandersetzungen und Streiks – gemeinsame Streikkundgebungen
  • – Für eine bundesweite Aktivist*innenkonferenz organisiert durch Gewerkschaften, Mietervereinigungen, DIE LINKE und soziale Bewegungen
  • – Bildung lokaler Bündnisse aus Gewerkschaften, LINKE, Mieter*innenorganisationen und sozialen Bewegungen
  • – Für wöchentliche, lokale Massenproteste! Den Rechten dürfen wir nicht die Straße überlassen!
  • – Für kämpferische und demokratische Gewerkschaften: jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit aller Funktionsträger*innen; nicht mehr als durchschnittlicher Tarifarbeiter*innenlohn für Hauptamtliche
  • – Für den Aufbau von Zusammenschlüssen kämpferischer und kritischer Gewerkschaftsaktiver 
  • – Die Krise des Kapitalismus untergräbt die Errungenschaften der Gewerkschaftsbewegung. Wir brauchen eine Debatte über eine Gesellschaft, die frei ist von Krisen, Kriegen und Umweltzerstörung.

* Funktionsangaben dienen nur zur Kenntlichmachung der Person