Tarifrunde öffentlicher Dienst: 500 Euro mehr monatlich erkämpfen!

Für die volle Durchsetzung – Streikbewegung vorbereiten!

Die Bundestarifkommission hat die Forderungen für die Tarifrunde in Bund und Kommunen beschlossen: 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro monatlich, bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Für Auszubildende 200 Euro und garantierte Übernahme.

Von Angelika Teweleit

Viele kämpferische Betriebsgruppen und ganze Bezirke hatten höhere Forderungen aufgestellt. Im Bezirk Stuttgart wurde eine reine Festgeldforderung von 800 Euro aufgestellt, im Landesbezirk Berlin-Brandenburg forderte die Tarifkommission 16 Prozent und mindestens 500 Euro – alles verbunden mit zwölf Monaten Laufzeit. Daher gab es einige kritische Stimmen, weil der Beschluss im Vergleich dazu noch gering ist.

Festgeldforderung positiv

Gleichzeitig sollte klar sein, dass die wichtige Zahl in dieser Aufstellung die 500 Euro Mindestanhebung ist. Für die meisten Beschäftigten bedeutet dies weit mehr als 10,5 Prozent – schon bei mittleren Gehältern eher um die 15 Prozent, bei niedrigen noch mehr. Dass diese Forderung sich durchsetzen konnte, ist Ausdruck des Drucks aus den Betrieben. Zudem hat sich in den letzten Jahren immer mehr durchgesetzt, dass es eine Mindesterhöhung geben muss, um die unteren Lohngruppen besonders zu berücksichtigen. Diesmal taugt die Forderung, um untere und mittlere Lohngruppen deutlich zu erhöhen – wenn sie durchgesetzt wird. Das ist gut so, wobei zu kritisieren ist, dass die Forderung für die Auszubildenden mit 200 Euro zu niedrig ist, denn auch sie bekommen Lebensmittel, Strom und Gas nicht billiger als andere.

Unverzichtbar

Aus Stimmungsberichten ging hervor, dass viele Beschäftigte von sich aus sehr hohe Forderungen bei der Befragung angegeben haben und der Rücklauf hoch war. Das ist kein Wunder, denn viele Kolleg*innen machen sich große Sorgen, wie sie die explosionsartigen Preissteigerungen bezahlen sollen. Dazu kommt ein gestiegenes Bewusstsein darüber, dass es die Masse der Beschäftigten im allgemeinen ist, die das gesellschaftliche Leben am Laufen hält, und gerade auch die Kolleg*innen in der öffentlichen Daseinsvorsorge unverzichtbar sind. Während ihnen von Seiten der etablierten Politik in der Pandemie viel demonstrativer Applaus gespendet wurde, hat sich an der Arbeitssituation und völligen Überlastung durch Personalmangel nichts geändert. Nun sollen diejenigen, die als Held*innen gefeiert wurden, wiederum für die nächste Krise, die der explodierenden Preise, zahlen.

Kämpferische Kolleg*innen

Dass die 500-Euro-Festgeldforderung ihren Weg in den Beschluss gefunden hat, lag aber sicher auch an der Beharrlichkeit, mit der sie von einer Reihe von kämpferischen aktiven Kolleg*innen vorgetragen wurde. Das wiederum ist Ausdruck eines gestiegenen Selbstbewusstseins gerade in solchen Bereichen, in denen in den letzten Jahren Kampferfahrungen gemacht wurden – insbesondere der Krankenhausbewegung. Die Kolleg*innen aus der Berliner Krankenhausbewegung beispielsweise haben ihre Forderungen nach 19 Prozent und 500 Euro Mindestbetrag, bezahlten Pausen für alle Kolleg*innen sowie eine automatische Angleichung an die Inflation, falls eine längere Laufzeit als 12 Monate vereinbart wird, mit großer Überzeugungskraft in die nächst höheren ver.di-Gremien getragen (siehe Artikel unten).

Durchsetzungsfähigkeit

Vor dem Hintergrund des Krieges, der nahenden Rezession und der allgemeinen Krise des Kapitalismus ist vorauszusehen, dass nur durch eine harte Auseinandersetzung ein gutes Ergebnis für die Kolleg*innen heraus geholt werden kann. Auch der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke spricht von „Erzwingungsstreik“. Hier muss er beim Wort genommen werden! In vielen gewerkschaftlichen Diskussionen kommt die Frage auf, ob man überhaupt durchsetzungsfähig sein kann aufgrund eines gesunkenen Organisationsgrades. Es wird auch von einigen führenden ver.di-Vertreter*innen so dargestellt, als ob die Kolleg*innen das Problem sind, weil sich viele angeblich nicht bewegen wollen. Das ist ein falsches Argument.

Die ver.di- Führung müsste im Gegenteil selbst entschlossen auftreten und diesen Kampf genauso entschlossen vorbereiten. Die Stimmung ist da, das hat die Forderungsdiskussion gezeigt. Ohne Zweifel gibt es immer noch Kolleg*innen, die erst für einen Arbeitskampf gewonnen werden müssen. Viele sind auch skeptisch, weil sie in den letzten Jahren den Eindruck gewonnen haben, es gibt eine Routine von Verhandlungen und Warnstreiks und am Ende einigt man sich auf die Hälfte bei langen Laufzeiten. Diese Tarifauseinandersetzung muss anders laufen. Zum einen kann es sein, dass die Arbeitgeberseite härter auftritt und nicht bereit ist, auch nur die Hälfte zu geben. Zum anderen muss gesagt werden: die Forderung ist das Minimun, was gebraucht wird! Deshalb muss sie durchgesetzt werden! Das wird nicht anders gehen, als mit Urabstimmung und Erzwingungsstreik.

Vorbereitung für Streiks

Jetzt sind noch viele Wochen zur Vorbereitung da. Hier kann man sich Elemente aus der Krankenhausbewegung zum Vorbild nehmen und die Zeit nutzen, um schon im Vorfeld viele Kolleg*innen zu erreichen. Diejenigen, die bereit sind, sich in die Auseinandersetzung einzubringen, müssen jetzt organisiert werden, sich in Treffen im Betrieb und betriebsübergreifend darüber austauschen, wie sie auf andere Kolleg*innen zugehen und diese schon jetzt für die Auseinandersetzung organisieren und vorbereiten. Dabei sollten keine starren Top-Down-Methoden angewendet werden, nach denen Gespräche mit Kolleg*innen nach einem vorgegebenen Schema geführt werden, sondern die aktiven Kolleg*innen selbst sollten dabei bestimmen und eigene Ideen einbringen können.

In möglichst vielen Betrieben und Dienststellen sollten jetzt immer wieder Versammlungen angesetzt werden, um mit Kolleg*innen über die Forderungen zu sprechen, zu diskutieren, wie man weitere Kolleg*innen für den Kampf und die Gewerkschaft gewinnt, dafür ein Mapping zu erstellen. Es sollten schon jetzt in den Versammlungen Diskussionen darüber laufen, wie ein Streik konkret ausgestaltet werden kann. Das beinhaltet auch, in anderen Branchen und Betrieben über die bevorstehende Auseinandersetzung aufzuklären und die gemeinsamen Interessen aufzuzeigen. Darüber sollte auch ein Solidaritätsnetzwerk aufgebaut werden. Der DGB sollte jetzt aktiv werden, damit für den Streik eine breite Solidaritätskampagne vorbereitet wird! Denn dieser Kampf geht alle an.

Streikdemokratie

Wichtig ist auch, dass Kolleg*innen selbst das Heft in der Hand halten. Strukturen von so genannten Tarifbotschafter*innen sind nicht ausreichend, weil hier Kolleg*innen in den Betrieben lediglich Informationen von den bundesweiten Führungsgremien erhalten und diese dann nach unten weiter geben sollen. Das Prinzip von Teamdelegierten, wie es in den Krankenhausbewegungen praktiziert wurde, war demokratischer, indem dort Kolleg*innen nicht nur Informationen weiter gegeben haben, sondern im Gegenteil auch die Meinung der Teams wieder an die Führungsgremien vermittelt haben. Eine wirkliche demokratische Streikführung kann gewährleisten, dass die Kolleg*innen sich nicht nur mehr in die Auseinandersetzung einbringen, sondern auch diejenigen sind, die letztlich über jeden nächsten Schritt entscheiden, über Annahme oder Ablehnung eines Angebots wie auch über Streikunterbrechung oder -ausweitung entscheiden. Dafür wäre es nötig, vor Ort demokratische Streikleitungen zu wählen – in jedem Betrieb und dann mit Delegiertenprinzip im Bezirk und auf Bundesebene. Eine Streikdelegiertenkonferenz gab es beispielsweise beim vierwöchigen Streik im Sozial- und Erziehungsdienst. Die Beteiligung war gut, allerdings reichte die Entscheidungsbefugnis nicht aus. Dieses Prinzip sollte für die kommende Auseinandersetzung gelten, aber dann so, dass die Streikdelegiertenkonferenz auf Grundlage der Beschlüsse ihrer Kolleg*innen vor Ort und der Diskussion bei der Konferenz dann die Entscheidungen treffen können. Basis für dieses Konzept müssten dann auch tägliche Streikversammlungen in allen Betrieben oder in den einzelnen Orten/Städten sein, von denen dann jeweils Proteste, Demonstrationen und andere Aktivitäten gestartet werden können.

Bedeutung der Tarifrunde

Diese Tarifrunde kann eine entscheidende Bedeutung auch für die gesamte gewerkschaftliche Bewegung und die Klasse der Lohnabhängigen bekommen. Gibt es einen faulen Kompromiss oder gar eine Niederlage, dann hat das negative Auswirkungen für alle anderen. Die Spirale von Reallohnverlusten und Verarmung könnte sich verschärfen. Ohne sichtbare und erfolgreiche Gegenwehr durch die Gewerkschaften und soziale Bewegungen können auch rechte Kräfte wie die AfD mehr Zulauf bekommen.

Gibt es aber einen Erfolg – immerhin für 2,3 Millionen Beschäftigte, dann kann das auch für andere ein ermutigendes Beispiel sein! Die Gewerkschaften würden allgemein als Kraft erkennbar, mit denen es möglich ist, sich zu wehren und den Lebensstandard gegen Angriffe zu verteidigen. Das hätte enorm positive Auswirkungen auf die Mitgliederentwicklung der Gewerkschaften insgesamt. Beschäftigte in anderen Branchen würden gestärkt, um ebenso erfolgreiche Kämpfe führen zu können.

Zudem sollte die Möglichkeit jetzt genutzt werden, um Kämpfe zusammenzuführen – die Tarifrunde im öffentlichen Dienst mit der bei der Post und anderen – aber auch mit sozialen Protesten gegen Verarmung und sinkendem Lebensstandard durch die Preissteigerungen. Somit könnte ein Schulterschluss zwischen Beschäftigten, die nach Tariflöhnen bezahlt werden und denen, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen stecken, wie auch Studierenden, Rentner*innen und Erwerbslosen hergestellt werden.

Bewegung konsequent aufbauen

So könnte auch eine nötige gesellschaftspolitische Bewegung gegen die Umverteilung von unten nach oben und gegen das Abladen der Krisenlasten auf dem Rücken der Masse der Bevölkerung aufgebaut werden. Auf einer solchen Grundlage, in der die Gewerkschaften und ihre Mitglieder eine zentrale Rolle einnehmen, würde auch den Rechtspopulist*innen und Faschisten, die sich aktuell als Vertreter des kleinen Mannes verkaufen wollen, das Wasser abgegraben.

Klar ist auch: damit verbinden lässt sich keine angebliche Sozialpartnerschaft, wie sie sich gerade in der Konzertierten Aktion ausdrückt. Diese ist eine Farce und auch ihre praktische Ausgestaltung in der Energiekommission zeigt, dass hier keine ausreichende Entlastung im Interesse der Masse der arbeitenden Bevölkerung erfolgt. Es darf nicht die Aufgabe von Gewerkschaften sein, sich an diesen Runden zu beteiligen (wie auch der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke es tut) und somit den Maßnahmen der Regierung, die letztlich wieder die Reichen schützen und nicht die Masse, noch zu legitimieren. Stattdessen muss konsequent mobilisiert und protestiert werden.

Andere Politik

Die Gewerkschaftsführungen sollten klar fordern: Anstatt Entlastung für Superreiche und Konzerne braucht es umgehend eine Milliardärsabgabe, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, sowie eine höhere Besteuerung von Konzerngewinnen. Anstatt 100 Milliarden für die Rüstung braucht es 100 Milliarden Euro und mehr für den Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge. Anstatt Entlastung der Energiekonzernbosse muss die Energieversorgung in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung. Auf dieser Grundlage könnte es sowohl eine Preisdeckelung geben als auch einen Plan für die schnellstmögliche Umstellung auf erneuerbare Energien. Mit einer starken Bewegung könnte die Notwendigkeit gesellschaftlicher Veränderung sichtbarer werden – weg von kapitalistischem Chaos und Zerstörung hin zu einer solidarischen Gesellschaft, einer sozialistischen Demokratie.

Angelika Teweleit ist Mitglied im Koordinierungskreis der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) und der Sol-Bundesleitung.

Mit hohem Einsatz zum Ziel

Kämpferische Forderungen aus Berliner Krankenhäusern

Vorbemerkung: Dieser Artikel aus der Solidarität Nummer 218 erschien bevor die Tarifkommission von ver.di die Forderungen für die Tarifrunde beschlossen hat.

Für die anstehenden TVÖD-Verhandlungen fordern die Beschäftigten der Berliner Krankenhausbewegung 19 Prozent und mindestens 500 Euro mehr Tabellenentgelt. Auch soll es für die Beschäftigten der Krankenhäuser eine bezahlte Pause geben. Die Laufzeit soll auf 12 Monate festgesetzt werden.

von Anne Pötzsch, Gesundheits- und Krankenpflegerin für Intensivmedizin

Die Forderungen der Beschäftigten von Vivantes und dessen Töchtern, der Charité und nun auch des Jüdischen Krankenhauses setzen neue Maßstäbe. Es werden nicht nur die mahnenden Worte über Lohn-Preis-Spirale entlarvt, sondern die Beschäftigten wollen es selbst in die Hand nehmen, die Berufe im Krankenhaus attraktiver zu machen – etwas, was die Politiker*innen in den Regierungen seit Jahren trotz Pflegenotstand ignorieren.

Mehr als ein Inflationsausgleich

Mit den Forderungen würde man nicht nur einen Inflationsausgleich, sondern einen Reallohnanstieg erreichen. Auch werden niedrige Löhne durch die Festgeldforderung von 500 Euro berücksichtigt. Arbeiter*innen wie in Reinigung und Logistik würden so profitieren – Berufsgruppen, die besonders stark durch die Inflation und gestiegene Energiekosten betroffen sind. Eine Reinigungskraft verdient in Vollzeit bei der Vivantes Tochter Vivaclean gerade mal 2119,63 Euro brutto. Bei einer Lohnsteigerung von 19 Prozent würden die Beschäftigten nur 400 Euro erhalten. Das reicht nicht aus, um die gestiegenen Kosten zu decken.

Bezahlte Pausen bringen eine indirekte Arbeitszeitverkürzung von täglich 30 Minuten. Bei einer 5-Tage Woche sind das also 2,5 Stunden und pro Monat zehn Stunden. Diese Zeit müssen  Kolleg*innen momentan an der Arbeit verbringen, obwohl sie nicht dafür bezahlt werden. 

Eine kurze Laufzeit von maximal zwölf Monaten ist ein wichtiges Mittel, um bei fortlaufender Inflation wieder zügig in Verhandlungen außerhalb der Friedenspflicht zu gehen. Dies würde nicht nur die Einkommen der Beschäftigten schützen, sondern kann auch ein wichtiges Mittel sein, um Gewerkschaften wieder attraktiv zu machen.

Gewerkschaft stärken

Damit die Gewerkschaften wieder zur wirkungsvollen Vereinigung der Arbeiter*innenklasse werden, müssen sie konsequent und fortlaufend für die Bedürfnisse der Arbeiter*innen eintreten und ein starkes Gegengewicht zu Marktwirtschaft, Profitstreben und Ausbeutung sein. Es empfiehlt sich zudem, nach den zwölf Monaten einen Gesamttarifvertrag für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst anzustreben: Führt man TV-L und TVÖD (und weitere Hausverträge von Kliniken und öffentlichen Betrieben) zusammen, vergrößert man die Kampfkraft immens, denn insgesamt wären laut statistischem Bundesamt fünf Millionen Beschäftigte betroffen und stünden gemeinsam in einer Tarifauseinandersetzung.

In den weiteren Forderungsfindungen könnte das Ergebnis der Berliner Krankenhausbewegung viele andere Berufsgruppen anstecken und nie dagewesene Lohnforderungen im öffentlichen Dienst in die Verhandlungen mit den Arbeitgeber*innen bringen. Auch in anderen Bereichen gibt es ähnliche Beschlüsse.

Es liegt nun an der Bundestarifkommission und den Vorständen von ver.di, die Forderungen der Beschäftigten nicht zu übergehen, sondern mit diesen hohen Forderungen mitzugehen und sie in den Verhandlungen durchzusetzen – auch mit der Hilfe von flächendeckenden Streiks.

Print Friendly, PDF & Email