Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds hält Kapitalismuskritik in der Krise für falsch
Kurz vor Ende eines historischen Krisenjahres sorgt Yasmin Fahimi mit einigen Statements für Aufsehen. Es geht um die Aussetzung der Auszahlung von Boni und Dividenden in Unternehmen, die im Zuge der Preissteigerungen für Energie mehr als fünfzig Millionen Eure Staatshilfen in Anspruch nehmen. Dabei bezieht die Vorsitzende des knapp sechs Millionen Mitglieder zählenden Gewerkschaftsdachverbands Stellung – für die Seite des Kapitals!
Von René Arnsburg, Berlin
Vielleicht hat Yasmin Fahimi vergessen, dass sie noch Vorsitzende des DGB und nicht etwa des Bundesverbands der Industrie ist. Vielleicht ist es auch nur die konsequente Fortführung der Sozialpartnerschaft und des (pro-kapitalistischen) Co-Managements, das sozialdemokratische Spitzenfunktionär*innen nicht erst seit heute an den Tag legen. Millionen von Lohnabhängigen sind seit 2020 von den sozialen Folgen verschiedener Krisen hart getroffen und die Inflation droht, eine in den letzten Jahrzehnten ungesehene Verarmungswelle in Deutschland auszulösen. Die Reallöhne sanken im 3. Quartal 2022 um 5,7 Prozent, während die vierzig größten DAX-Konzerne ankündigten 54 Milliarden Euro in Dividenden an Aktionärinnen auszuschütten (plus sechs Prozent zum letzten Jahr). Genau jetzt hält es Fahimi für nötig, zu kritisieren, dass dies für Unternehmen eingeschränkt werden soll, die im Rahmen der Gaspreisbreme mehr als fünfzig Millionen Euro Hilfen aus der Staatskasse bekommen. Ein Argument ist natürlich, dass auch Beschäftigte Belegschaftsaktien halten oder Boni bekommen. Damit diese nicht verzichten müssten, könnte jedoch problemlos eine Einkommensgrenze für die Einstellung der Boni- und Dividenden-Zahlung gezogen werden. Letztendlich bedarf es kräftiger Lohnsteigerungen und keiner leistungsabhängigen Zahlungen, die die Konkurrenz unter den Beschäftigten vergrößert oder die Löhne dem konjunkturellen Unternehmenserfolg unterwirft. Nicht zuletzt gehören Unternehmen unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der Arbeitenden verstaatlicht, statt nur Verluste gesellschaftlich abzufedern und Gewinne dann wieder zu privatisieren.
„Normale Mechanismen der Marktwirtschaft“
Alle, die sich gerade überlegen, ob sie auf noch eine Mahlzeit verzichten können, um ihre Rechnungen zahlen zu können, müssen sich angesichts dessen verdutzt die Augen reiben. Für Fahimi sind das „die normalen Mechanismen der Marktwirtschaft“. Ja, diese Mechanismen kennt die Mehrheit sehr gut und spürt sie jeden Tag, während sie den gesellschaftlichen Reichtum erarbeitet, den sich die Kapitalist*innen in ihre Taschen stecken und für sie oftmals nicht mal mehr genug zum Leben übrig bleibt. Fahimi meint: „Es mag ja sein, dass die einem nicht gefallen. Aber jetzt ist nicht die Zeit für kapitalismuskritische Grundsatzdebatten, sondern für effektives Handeln in der Realität.“ Mehr Zynismus wäre kaum denkbar von einer Gewerkschaftsführerin, die hier ohne Scham im Sinne des Kapitals argumentiert. Ohne viel Illusionen in die SPD’lerin gehabt zu haben, macht sie sich mit solchen Aussagen untragbar als Vorsitzende des DGB. Statt sozialdemokratischer Funktionär*innen gehören kämpfende Kolleg*innen in führende Positionen, die eine Strategie vorschlagen, wie die Auswirkungen der Krise NICHT auf dem Rücken der Mehrheit abgewälzt werden, sondern einen Weg aufzeigen, genau diejenigen zur Kasse zu bitten, die sie verursachen und davon profitieren. Das passiert, wenn Leute in solchen Positionen keinerlei demokratischer Kontrolle und jederzeitiger Abwählbarkeit unterliegen und statt die Interessen der eigenen Mitgliedschaft die Interessen des Kapitals im Bündnis mit der bürgerlichen Regierung vertreten. Das sagt sie auch ganz offen: „Deswegen werden wir die Fragen, wie wir wettbewerbsfähige Industrie-Strompreise sicherstellen können, im nächsten Jahr ganz vorne auf die Tagesordnung in den Gesprächen mit der Bundesregierung setzen.“ Das ist der einzige Zweck der konzertierten Aktion – die Aktivität der Arbeiterinnen lähmen, während man möglichst günstige Bedingungen für die großen Unternehmen aushandelt. Die Gewerkschaften, egal ob DGB, ver.di, IG Metall sollten diese Gesprächsrunde mit den Gegner*innen der Kolleg*innen in den Gewerkschaften schleunigst verlassen.
Für kämpferische Tarifrunden
Statt dessen sollten unmittelbar Schritte unternommen werden, wie die anstehende Tarifrunde des öffentlichen Dienstes und andere Tarifkämpfe und politische Bewegungen zusammengeführt werden, als Auftakt für einen Kampf gegen die Auswirkungen der Krise insgesamt. Das geht aber nur, wenn man den grundlegenden Widerspruch in diesem System begreift und offen darlegt: Der Gegensatz von Kapital und Arbeit, bei dem es keine Überbrückung und keine gemeinsamen Interessen beider Seiten geben kann.
Zur Begründung ihrer Haltung, greift Fahimi das Schreckgespenst der Deindustrialisierung auf, das vor allem von Vertreter*innen der chemischen und Metallindustrie heraufbeschworen wird. Ein Szenario, das bis hinein in die politische Linke Anklang findet. Die DGB-Vorsitzende beschwört, dass innerhalb der nächsten zwei bis drei Quartale die nächste Katastrophe durch die Abwanderung von Unternehmen und dem damit verbundenen Arbeitsplatzabbau ins Haus steht. Ihre Lösung ist eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Dabei ist dieses Drohszenario nichts neues und die Verlagerung der Produktion in Länder mit billigerer Arbeitskraft, besserem Zugang zu Rohstoffen und günstigeren Regularien ist Bestandteil des internationalen kapitalistischen Konkurrenzkampfs. Die Aufgabe der Gewerkschaften wäre die Verteidigung der Errungenschaften der Arbeiterinnenbewegung. Den Forderungen der Unternehmen nachzugeben, um den „Standort Deutschland“ zu erhalten, spielt nicht nur international Belegschaften gegeneinander aus, sondern wirkt sich direkt negativ auf deren Arbeitsbedingungen und Einkommen aus – auch hierzulande. Das beste Mittel gegen Produktionsverlagerung und Kündigungswellen sind immer noch die Enteignung der Konzerne und Kapitalverkehrskontrollen.
Mit einer solchen Haltung degradieren Fahimi und andere Funktionär*innen die Gewerkschaften, die immer noch die größten Arbeiter*innenorganisationen in Deutschland sind, zu einer Position als Anhängsel der Unternehmensverbände und der Regierung. Sie schwächen somit die Gewerkschaften, weil die Mitglieder sie verlassen, da sie mit ihnen nicht mehr für ihre Interessen kämpfen können und schwächen so die Arbeiter*innenbewegung insgesamt.
Es ist nötig einen organisierten Kampf um eine politische und personelle Alternative in den Gewerkschaften zu führen, wenn wir diese als kämpfende Organisationen wieder und weiter aufbauen wollen.