Frankreich: Massenstreik gegen Macrons Rentenreform

Zwei Millionen auf den Straßen – Bericht und Flugblatt der Revolutionären Linken

Der Donnerstag war ein großer Tag der Mobilisierung in Frankreich. Fast zwei Millionen Menschen demonstrierten im ganzen Land.

von Cécile Rimboud, Paris

In Paris wurden mehrere Metrolinien lahm gelegt, und die Gewerkschaften hatten Dutzende von Bussen organisiert, um die streikenden Arbeiter*innen zu der mindestens 300.000 Personen umfassenden Demo zu bringen. Die Straßen waren so voll, dass die Demo auf zwei Boulevards aufgeteilt werden musste. In Marseille waren es 140.000, in Toulouse und St-Étienne 50.000, in Orléans 25.000, in Rennes in der Bretagne 20.000.
Unser Plakat hat vielen Leuten gefallen: “Macron raus!”. In Nancy, Lothringen, sind 13.000 Menschen gekommen. Es war die größte Demonstration seit langem (größer als die vom 5. Dezember 2019, die damals den Auftakt zum erfolgreichen Kampf gegen Macron in Sachen Renten bildete).
In Rouen, Normandie, gab es eine sehr imposante Demonstration von 18.000 Menschen. Die Slogans drehten sich um “Nein zur Reform”, aber auch um “Zurück zur Rente mit 60″ und für “eine gute Rente”.
Es wurde viel über die persönliche Situation eines jeden Einzelnen und die Bedeutung der Demonstration diskutiert, was allen Kraft gab, denn niemand hatte mit einer so großen Demonstration gerechnet.
In Montélimar, Drôme (Süd-Ost), hörten wir: “6000 in Montélimar, im Vergleich zu Städten wie Paris ist das sehr wenig, aber es ist historisch für diese Stadt!”.
In vielen kleineren Städten wie Gap (Alpen) gab es mehrere tausend Demonstrant*innen in einer seit langem nicht mehr gesehenen Mobilisierung.
Und die große Mehrheit der Bevölkerung unterstützt den Streik (laut einer Umfrage zwei Drittel), was darauf hindeutet, dass sich größere Schichten der Arbeiter*innen dem Kampf anschließen könnten, wenn sie sehen, dass er Macron und seine prokapitalistische Politik wirksam herausfordert.
Das Gleiche gilt für die Jugendlichen, die ebenfalls an den Demonstrationen teilnahmen, allerdings in geringerer Zahl. Als wir vor dem Streik Flugblätter verteilten und mit jungen Leuten sprachen, stellten wir fest, dass sie der Mobilisierung sehr wohlwollend gegenüberstanden, aber noch nicht den Sinn darin sahen, sich dem Kampf anzuschließen. Viele sehen die Rentenfrage als ein sehr weit entferntes Thema an. Wir haben darüber gesprochen, dass sie an der Seite der Arbeiter*innen für ihre eigenen Studienbedingungen und ihre Zukunft kämpfen müssen. Wenn die Demonstrationen so stark sind wie die gestrige und 75 Prozent der 18- bis 24-Jährigen den Streik unterstützen, werden zweifellos breitere Schichten der Jugend elektrisiert sein und eine Teilnahme an den nächsten Demonstrationen in Betracht ziehen. Dies könnte neue Energie freisetzen, die den Kampf weiter stärkt.


Der erste Tag des Streiks


Viele Lohnabhängige, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor, befanden sich im Streik. Der Bahnverkehr war im ganzen Land stark beeinträchtigt. Die Streikbeteiligung war bei EDF (Staatliches Energieunternehmen) sehr gut; die Stromproduktion ging um 7000 Megawatt zurück… und die CGT-Énergie kündigte an, dass sie den Abgeordneten, die für die Reform stimmen würden, den Strom abstellen würde! Jede*r vierte Arbeiter*in in der Arbeitsvermittlung streikte. Eine*r von vier im öffentlichen Sektor insgesamt, wobei Sektoren wie das Bildungswesen mit einer Streikquote von vierzig Prozent besonders stark mobilisiert waren. In der Privatwirtschaft waren einige große Unternehmen im Ausstand: die Automobilhersteller Renault und PSA, die Metallindustrie, die Hafenarbeiter*innen, die Beschäftigten in Einzelhandelsunternehmen wie Carrefour, Darty, die Glasarbeiter*innen, die Zementarbeiter*innen, die Bauarbeiter*innen, die Sans-Papiers (Arbeiter*innen ohne Papiere) in prekären Arbeitsverhältnissen… zu viele, um sie aufzuzählen!
Der Streik war kaum eine Woche zuvor ausgerufen worden, so dass nur wenig Zeit blieb, um ihn vorzubereiten und allgemeine Versammlungen in den Betrieben und an den Studienorten zu organisieren. Viele Beschäftigte streikten daraufhin und kamen in kleinen Gruppen zur Demonstration, nicht organisiert in einem Betriebskontingent, sondern mit ihrem Gewerkschaftsverband. Wir sprachen mit Arbeiter*innen, die uns erzählten, dass von ihnen nur zwei, drei in ihrem Betrieb gestreikt hatten, ohne überhaupt mit einem Gewerkschaftsvertreter gesprochen zu haben.
Warum war dieser Protest also so wichtig? In erster Linie ist es wichtig festzustellen, dass alle Gewerkschaftsverbände gegen Macrons Projekt sind, was ein Gefühl der Stärke und Einheit vermittelt.
Aber auch, weil insbesondere die Rentenfrage sehr wichtig ist, weil sie das Funktionieren der Gesellschaft betrifft: Die große Mehrheit in Frankreich lehnt ein “Jede*r für sich” in den Bereichen Gesundheit, Arbeitslosigkeit, Rente und öffentliche Dienste im Allgemeinen massiv ab und will ein Rentensystem, das auf der Solidarität zwischen den Generationen beruht… weil wir eine solidarische Gesellschaft wollen, in der jede*r einen guten Arbeitsplatz hat und in der ältere Arbeiter*innen das Leben genießen können, ohne arbeiten zu müssen, und zwar ab 55 Jahren für Jobs, die Schufterei erfordern, und ab 60 Jahren für alle. Weil dies eine so grundlegende Frage ist, war die Mobilisierung so massiv, aber nicht nur deswegen. Die neue Rentenreform war wieder einmal der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Sie fand vor dem Hintergrund zahlreicher Streiks in verschiedenen Sektoren für Lohnerhöhungen statt. Wie wir in unserem Flugblatt betonten: “Sie sind erfolgreich, wie bei der SNCF oder der GRDF (Gasgesellschaft), die 200 Euro für alle durchgesetzt haben. Es gab auch Erfolge in vielen kleinen Unternehmen des Privatsektors, die Löhne forderten, die mindestens der Inflation entsprechen.”

Die gestrige Massenmobilisierung spiegelte sehr deutlich den Grad an Wut und Frustration wider, der in der Arbeiter*innenklasse und in der allgemeinen Bevölkerung herrscht. Deshalb gab es neben den Forderungen zur Rente auch Forderungen zu Löhnen, Mitteln für den öffentlichen Sektor (die streikenden Feuerwehrleute erhielten Applaus von anderen Demonstrant*innen in Paris), bessere Arbeitsplätze…
Wie wir bereits gesagt haben, geht es darum, einen entschlossenen, massenhaften Kampf gegen Macron und die Kapitalist*innen aufzubauen.
La France Insoumise, die Bewegung von Mélenchon, und andere Organisationen (einige Gewerkschaften, aber nicht die wichtigsten Verbände, haben sich dem Aufruf angeschlossen) rufen für den 21. Juni zu einer landesweiten Demonstration in Paris gegen die Rentenreform auf. Wir werden natürlich daran teilnehmen und diese Forderungen und Taktiken diskutieren, um den Massenstreik aufzubauen, der notwendig ist, um Macron zu besiegen.



Flugblatt, das Gauche Révolutionnaire auf der Demo verteilt hat:


Renten, Löhne, Preise, Zerstörung der öffentlichen Dienste…


Lasst uns einen entschlossenen Massenkampf gegen Macron und die Kapitalist*innen aufbauen!

Macron hat Frankreich zu einem Paradies für die Reichen gemacht. Im Jahr 2022 wurde wieder einmal der Rekord der an die Aktionär*innen ausgeschütteten Dividenden gebrochen, mit mehr als achtzig Milliarden! Und er wagt es, uns über ein angebliches Defizit von zehn Milliarden Euro für die Renten zu belehren. Wenn Sie wirklich Geld für die Renten wollen, gibt es genügend Lösungen: Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor schaffen, die Löhne und Gehälter erhöhen, für gleichen Lohn für Männer und Frauen sorgen oder Unternehmenssteuern erhöhen.
Der einzige Effekt, den die Rentenreform haben wird, ist mehr Arbeitslosigkeit für junge Menschen und Unsicherheit für ältere Menschen, die auf die staatliche Sozialhilfe angewiesen sind – die allmählich an die Bedingung geknüpft wird, dass sie zwanzig Stunden pro Woche arbeiten müssen. Ziel des Angriffs ist auch die Abschaffung der Sondersysteme für das Umverteilungssystem. Sie wollen uns in die private Altersvorsorge drängen, weil 43 Beitragsjahre nicht mehr zu bewältigen sind!


Wir wollen leben, nicht nur überleben!


Unsere Lebensbedingungen werden immer schlechter, die Inflation drückt auf unsere Löhne, die ohnehin schon zu lange stagnieren. Das werden wir nicht zulassen! Es finden viele Streiks zur Lohnfrage statt. Sie sind erfolgreich, wie bei der SNCF oder der GRDF (Gasgesellschaft), die 200 Euro für alle durchgesetzt haben. Es gibt auch Erfolge bei vielen kleinen Unternehmen im privaten Sektor, die Löhne gefordert haben, die zumindest der Inflation entsprechen.
Es wird aber auch immer schwieriger, eine Gesundheitsversorgung zu erhalten, und die Qualität der Bildung hat sich verschlechtert. Für junge Menschen wird es immer schwieriger, im Alltag zurechtzukommen, da die Preise in die Höhe schießen und die Energierechnungen explodieren. Sogar Handwerker (Bäcker usw.) müssen ihren Betrieb aufgeben. All dies ist das Ergebnis einer kapitalistischen Politik, die die öffentlichen Dienstleistungen zerstört. Alle sind wütend. Wir müssen uns organisieren und kämpfen! Die Arbeiter*innen müssen an der Spitze des Kampfes stehen, um die Dinge zum Wohle aller zu ändern!


Wie kann man einen Massenkampf gegen Macron aufbauen?


Donnerstag, der 19. Januar 2023, muss der erste Tag sein, an dem ein großer Plan zum Kampf gegen Borne [der Premierministerin], den Präsidenten Macron und das Großkapital gestartet wird. Von heute an sollten die Gewerkschaftsführer*innen zu mehr Militanz aufrufen. Und warum nicht das tun, was die Chemiebranche der CGT in der Ölindustrie vorschlägt? Nächste Woche zwei weitere Streiktage organisieren, danach drei. Von nun an sollte es intensive Diskussionen in den Betrieben geben, um für eine massive “wellenartige” Streikbewegung zu mobilisieren.
Zum ersten Mal nach mehr als zehn Jahren sind sich alle Gewerkschaften einig gegen die Verlängerung des Rentenalters, was die Mobilisierung umso besser macht.
Andererseits gibt es keine Einigkeit über die Rückkehr zum Rentenalter von 60 Jahren und die Höchstgrenze von 37,5 Beschäftigungsjahren, um die Voraussetzungen zu erfüllen. Dies zeigt, dass es notwendig ist, dass die betroffenen Arbeiter*innen ihre Forderungen miteinander diskutieren. Überall müssen Betriebsversammlungen und Gewerkschaftstreffen organisiert werden, um eine Diskussion über die Forderungen, für die gekämpft werden soll, zu ermöglichen und eine maximale Mobilisierung zu gewährleisten.


Dies sind die Forderungen, die die “Gauche Révolutionnaire” (“Revolutionäre Linke”) zur Diskussion stellt:
– Sofortige Lohnerhöhungen, mindestens in Höhe des Preisanstiegs – mindestens 400 Euro – 300 Euro sofort.
– Kein Einkommen unter 1600 Euro netto pro Monat.
– Ein massiver Rückgang der Preise und ihr anschließendes Einfrieren.
– Massive Aufstockung der Mittel für hochwertige öffentliche Dienstleistungen (Gesundheit, Bildung, Verkehr, persönliche Betreuung…)
– Voller Eintritt in den Ruhestand mit 60 (bzw. 55 in bestimmten Berufen) – nach 37,5 Dienstjahren.
– Enteignung der Großunternehmen und Schaffung von Staatsmonopolen unter demokratischer Kontrolle und Leitung der Arbeiter*innen in den wichtigsten Wirtschaftssektoren (Energie, Verkehr, Vertrieb, Lebensmittel, Finanzen usw.), in Zusammenarbeit mit den Nutzer*innen, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen.


Funke


Die Frage der Renten wird vielleicht der Funke sein, der die Bedeutung der Massenmobilisierung zeigt. Aber die Mehrheit der Arbeiter*innenklasse und der jungen Menschen wird sich nicht unbedingt für diese eine Frage mobilisieren. Für die Jugendlichen und die Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen ist es ein weiter Weg. Mit der Hollande-Touraine Reform von 2014 wurde das Renteneintrittsalter bereits auf 63 Jahre festgelegt und soll auf 64 Jahre angehoben werden.

Seit der letzten Bewegung gegen den Angriff auf die Rentenansprüche im Jahr 2019 haben sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen deutlich verschlechtert und Macron und die Bosse haben uns an allen Fronten angegriffen. Deshalb müssen wir gleichzeitig zu den Fragen der Löhne, der Arbeitsbedingungen, der öffentlichen Dienste und der Prekarität mobilisieren, um die Streikbewegung in den verschiedenen Sektoren aufzubauen. France Insoumise hat für den 21. Januar zu einer Demonstration aufgerufen, aber andere Organisationen des NUPES-Bündnisses, wie die “Sozialistische” Partei und die Grünen (EELV), tun dies nicht. Wir müssen dieses Datum nutzen, um den Kampf aufzubauen und eine Einheitsfront zwischen den Organisationen zu entwickeln, die wirklich auf der Seite der Lohnabhängigen stehen.


Eine Arbeiter*innenregierung im Dienste des Volkes


Eine Massenbewegung wird unweigerlich die Frage nach der Macht aufwerfen, danach, wer die Gesellschaft leitet und in wessen Interesse. Es wird notwendig sein, Macron und seine ganze Clique im Dienste der Kapitalisten, die in der Gesellschaft und in ihren Institutionen in der Minderheit sind, loszuwerden und sie durch eine Arbeiter*innenregierung zu ersetzen, die aus den Kämpfen und Organisationen der Arbeiter*innenbewegung hervorgeht. Diese Regierung muss die Kontrolle der Kapitalist*innen über die Wirtschaft durch die Verstaatlichung der wichtigsten Sektoren beseitigen. Eine demokratische Kontrolle und Verwaltung durch die Arbeiter wird es ermöglichen, die Bedürfnisse aller zu befriedigen und nicht nur die Profite einiger weniger zu sichern. Gegen den Kapitalismus, lasst uns für den Sozialismus kämpfen!


Für eine neue Arbeiter*innenpartei für den Sozialismus!


Die Stimme der Arbeiter*innen, der Jugend und der Unterdrückten ist kaum hörbar unter all den Politiker*innen, die auf die eine oder andere Weise das kapitalistische System und sein Profitgesetz unterstützen. Die Arbeiter*innen brauchen eine eigene Partei, die unser Lager organisieren und vereinigen kann, um darüber zu diskutieren, wie diese ausbeuterische Gesellschaft beendet und durch eine demokratische sozialistische Gesellschaft ersetzt werden kann.
Dies würde den aktuellen Kämpfen eine echte politische Dimension verleihen. Gauche Révolutionnaire diskutiert die Notwendigkeit einer solchen Partei mit Arbeiter*innen – insbesondere in den Gewerkschaften – mit Antikapitalist*innen und anderen Aktivist*innen… Zögert nicht, uns zu kontaktieren, um mit uns zu diskutieren und zu kämpfen!