Lützerath vor der Räumung: Tausende protestieren

Bericht vom „Dorfspaziergang“ am 7. Januar – Auf zur Großdemonstration am 14. Januar!

Ein widerständiges Dorf, viele kreative Verteidigungsanlagen, kämpferische Entschlossenheit und vor allem viele, viele Menschen: Das sind die Eindrücke vom „Dorfspaziergang“ in Lützerath am Sonntag. Nach den Plänen der Polizei wird es der Letzte gewesen sein: Am Dienstag soll die Räumung beginnen. Aktivist*innen wollen das verhindern und in Lützerath die kohle-freie Zukunft erkämpfen.

Von Christian Walter, Aachen

Eingeladen zum „Dorfspaziergang“ hatten Michael Zobel und Eva Töller, die bereits im Kampf um den Hambacher Forst eine wichtige Rolle gespielt und zahlreiche Führungen und „Spaziergänge“ organisiert hatten. Unterstützung bekamen sie von verschiedenen Klimaschutz-Initiativen, die ebenfalls zur Teilnahme aufriefen. Eine breite Mobilisierung gab es aber nicht – was die Teilnahme von über 5000 Menschen um so beeindruckender macht.

Anreise

Die Anreise war gar nicht so einfach. Um ein Auto-Chaos zu verhindern gab es den Aufruf, mit dem Zug in die nächste Stadt Erkelenz zu fahren oder das Auto dort und nicht in den Orten um Lützerath zu parken. Der Hinweis war auch sinnvoll: Der Andrang war so groß, dass kilometerweit alles zugeparkt war, obwohl viele Menschen über Erkelenz anreisten. Von dort gab es Shuttle-Busse in die Nähe von Lützerath. Die letzten etwa eineinhalb Kilometer mussten zu Fuß über einen schlammigen Weg zurückgelegt werden. Ein näherer Ankunftsort wurde von RWE verwehrt – dem Kohlekonzern gehört die ganze Gegend, und er hat kurzerhand entschieden eine andere Straße als „Werksstraße“ zu deklarieren und damit für den öffentlichen Verkehr zu schließen. Davon ließ sich aber niemand abhalten – selbst alte Menschen und sogar einige Rollstuhl-Fahrer*innen nahmen den Weg auf sich.

Noch anstrengender war die Anreise für Aktivist*innen aus Hamburg: Die rund fünfzig Menschen wollten mit einem Bus anreisen, wurden aber vor der Abreise am frühen Morgen über Stunden festgehalten. Sie mussten schikanöse Durchsuchungen und Identitätsfeststellungen über sich ergehen lassen, bevor sie mit viel Verspätung die Reise antreten konnten.

Auf dem Weg ins besetzte Lützerath zeigten sich zwei Welten: Vor dem Dorf breite, planierte Flächen – RWE hatte hier in den letzten Wochen unter massivem Polizeischutz Straßen quer durch fruchtbare Felder gezogen, um Platz für schweres Räumgerät zu haben. Das Dorf selbst war gründlich verbarrikadiert. Wer rein wollte musste mehrere Gräben überwinden und Barrikaden umlaufen. Die Aktivist*innen wollten so unerwünschten Besuch erschweren. Einmal im Dorf hingegen herrschte buntes Leben: Sehr viele Menschen, viele die einer Aufgabe nachgingen. Von allen Seiten hörte man Baugeräusche – in Bäumen wurden Baumhäuser errichtet oder verbessert, am Boden Hütten gebaut. Andere halfen in der Küche, die Tag und Nacht Essen für das Dorf kocht.

Kein Chaos im Dorf

Lützerath ist nicht ein Bauernhof mit ein paar Baumhäusern, in denen ein paar arbeitsscheue Chaoten hausen, wo es stinkt und Krankheiten um sich greifen. Dieses Bild wurde zuletzt immer wieder über bürgerliche Medien und vor allem soziale Netzwerke versucht zu verbreiten. Die Realität sieht anders aus: Es ist ein Hort des Widerstandes, bewohnt von unüberschaubar vielen, meist jungen Menschen. Am Sonntag morgen wurde die Zahl von tausend Menschen genannt – die Polizei geht sogar von 1500 aus – die mittlerweile dauerhaft vor Ort sind. Es gibt sanitäre Anlagen, in Innenräumen sollen Masken getragen werden. Viele Hütten werden von Aktivist*innen bewohnt, andere dienen beispielsweise der medizinischen Versorgung. Und es ist groß: Nachdem RWE die ehemaligen Bewohner*innen erfolgreich vertreiben und die Häuser in Besitz nehmen konnte, wurden die besetzt. Zum Dorf gehört ein Wäldchen, wo Baumhäuser errichtet wurden – im Kampf um den Hambacher Forst 2018 haben sie sich als effektive Art des Widerstandes erwiesen. Die Polizei hatte große Mühe, sehr aufwendig die bewohnten Strukturen in großer Höhe zu räumen. Zwischen Hütten, Baumhäusern, Zelten und anderen Strukturen in Lützerath wurden Baumstämme mit Plattformen an den Spitzen errichtet, auch sie können im Falle einer Räumung besetzt werden. Viele Strukturen sind durch starke Seile verbunden, so halten sie sich gegenseitig – und verhindern gleichzeitig das Vorrücken der Polizei mit schwerem Gerät. Denn würden Seile durchtrennt hätte das potenziell lebensbedrohende Auswirkungen für die Menschen in Baumhäusern oder auf anderen Strukturen.

Dorfspaziergang

Der eigentliche Dorfspaziergang begann zwischen Dorf und Tagebau-Kante, an dem Ort wo seit zweieinhalb Jahren Tag und Nacht eine Mahnwache steht. Sie ist bis Montagabend genehmigt und soll dann geräumt werden. An dieser Stelle zeigt sich der Widerspruch noch viel deutlicher: Auf der einen Seite viel Lebendigkeit, kreativer Protest – auf der anderen Seite der Tagebau voller destruktiver Superlative. Über 30 Quadratkilometer groß, weit über 200 Meter tief reicht die größte Grube Europas. Auf verschiedenen Ebenen stehen Kohlebagger, unter ihnen der Kohlebagger 288, das größte Landfahrzeug der Welt. Wir sind nicht gegen Industrie oder große Maschinen (wenn sie denn sinnvoll sind). Aber in Garzweiler wird mit der Kohle auch das Klima und damit unsere Zukunft verbrannt – und das nur, damit die nordrhein-westfälische Industrie günstige Energie bekommt und die Milliardenprofite von NRW weiter fließen. Das übrigens nicht zuletzt, weil die massiven Polizeieinsätze von unseren Steuergeldern bezahlt werden.

Der Spaziergang begann als politische Kundgebung. Es wurden zwar leistungsstarke Lautsprecher bereitgestellt, trotzdem bekam nur ein Bruchteil der Menschen die Reden mit, zu viele waren gekommen. Dabei kamen sowohl Aktivist*innen zu Wort, beispielsweise die Menschen, die die Mahnwache organisieren oder Besetzer*innen. Ebenso gab es Redebeiträge von Menschen, die den Fokus auf die Gegenden der Welt gelenkt haben, wo der Klimawandel schon jetzt viel massivere Auswirkungen hat als zur Zeit bei uns in Europa: Ein ursprünglich aus Nigeria stammender Aktivist berichtete von massiven Fluten in dem westafrikanischen Land, die hunderte Menschenleben forderten und Hunderttausende obdachlos machten. Er kritisierte, dass westliche Medien kaum darüber berichteten – obwohl der Wohlstand auf der Ausbeutung des globalen Südens beruhe. Unter Applaus forderte er Widerstand gegen Neokolonialismus, also wirtschaftliche Ausbeutung der ehemaligen Kolonien. Ebenfalls betonte er, dass Klimaschutz internationalistisch und anti-rassistisch sein müsse. Ein anderer Mensch las einen Beitrag eines russischen Aktivisten vor, der nicht persönlich anwesend sein konnte. Darin wurde die Verlogenheit westlicher Konzerne angeprangert: Diese hatten billige russische Kohle und andere fossile Energieträger solange billig eingekauft, wie das möglich war. Gestoppt wurde das nicht aufgrund des Klimawandels, sondern wegen der westlichen Sanktionen als Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Außerdem wurde eine Zeremonie der „Pacific Climate Warriors“ durchgeführt – einer Gruppe von Aktivist*innen aus pazifischen Inselstaaten, die bei steigendem Meeresspiegel überspült werden. Sie hatten diese Zeremonie 2017 am Hambacher Forst aus Protest gegen die Tatenlosigkeit der Mächtigen bei der Bonner Weltklimakonferenz durchgeführt.

Die Grünen kamen in keinem Beitrag gut weg. Verständlich, haben sie die Bewegung doch als Sprungbrett für bessere Wahlergebnisse benutzt, um sie dann eiskalt zu verraten. Es war keine einzige Fahne der Partei zu sehen, und wären sie dagewesen, wären sie wahrscheinlich verjagt worden. Ebenfalls gab es in verschiedenen Beiträgen viel Ablehnung gegen den Kapitalismus, so wurde kritisiert, dass das Klima für RWE-Profite verheizt wird. Eine Alternative wurde aber nicht benannt, das ist sicherlich noch eine Schwäche der sehr heterogenen Bewegung.

Der Dorfspaziergang bewegte sich im Anschluss im Schneckentempo durch das Dorf. Allerdings war es so heillos mit Menschen verstopft, dass viele sich anders orientierten. Einige hundert Menschen gingen an die Abbruchkante, um sich ein Bild von der Grube zu machen – und stoppten ganz selbstverständlich einen der Kohlebagger für mehrere Stunden. Eine riesige planierte Fläche, der sogenannte Polizeiparkplatz, kürzlich angelegt um notwendige Infrastruktur für die Räumung aufstellen zu können, wurde ebenfalls in Besitz genommen. An anderen Orten wurden fleißig Barrikaden gebaut und Gräben ausgehoben – teilweise beteiligten sich ganze Familien mit drei Generationen.

Zum Abschluss gab es noch ein Konzert der Band AnnenMayKantereit aus Köln. Es fand ebenfalls auf dem Polizeiparkplatz statt, was bedeutete, dass tausende Menschen sich dort befanden. Die Gelegenheit wurde genutzt um auch dort Tripods aufzustellen (Dreibeine, die von einem Menschen besetzt werden können, der in mehreren Metern Höhe damit eine effektive Blockade darstellt) und Barrikaden zu errichten. RWE-Securities und die geringen Polizeikräfte wurden vom Tagebau-Eingang vertrieben, Bauzäune entwendet und in Barrikaden integriert. Die Polizei war sichtlich überfordert und hatte keine andere Option als sich zurück zu ziehen. Erst als die Massen abreisten wurden Hundertschaften um Lützerath zusammengezogen, einzelne Barrikaden im Tagebau-Vorfeld geräumt und Menschen angegriffen.

Der Kampf kann gewonnen werden

Lützerath ist zum neuen Symbol im Kampf um unser Klima geworden. Das Dorf ist das, was der Hambacher Forst vor fünf Jahren war – nur noch dramatischer, denn der Klimawandel hat seitdem an Dramatik zugenommen. Und es steht fest: Wird Lützerath zerstört und die Kohle darunter verbrannt, verfehlt Deutschland seine Klimaziele.

Der Kampf um Lützerath kann gewonnen werden. Die Polizei wird es nicht leicht haben, die Aktivist*innen sind entschlossen. Viele setzen ihr Leben aufs Spiel, um das zerstörerische Treiben von RWE und anderen Konzernen zu bekämpfen. In manche Barrikaden wurden angeblich Gasflaschen eingearbeitet, manche Aktivist*innen haben angekündigt sich in Gräben vor, hinter oder in Barrikaden zu legen, andere sprechen von unterirdischen Tunneln, in denen sie sich aufhalten wollen – womit sie das Vorrücken der schweren Räumungsmaschinen verhindern wollen. Andere wiederum besetzen Bäume oder Strukturen in luftiger Höhe. Die Räumung des Hambacher Forstes 2018 war ein wochenlanger Kampf, in Lützerath sind vielfach mehr Menschen und die Bewegung ist reicher an Erfahrungen im Widerstand.

Großdemonstration am 14. Januar

Es ist aber kein einfaches Kräftemessen. Der Kampf um Lützerath, der Kampf um das Klima ist ein politischer Kampf. Während zugespitzte Kämpfe wie in Lützerath notwendige Aufmerksamkeit herstellen und Sympathisant*innen mobilisieren, sind Großdemos ebenso wichtig, um deutlich zu machen dass Klima-Aktivist*innen nicht nur ein paar vom Rest der Gesellschaft isolierte Idealist*innen sind. Am 14. Januar findet eine Großdemo in der Nähe von Lützerath statt, zu der bundesweit mobilisiert wird. Diese wird sicher noch größer als der „Dorfspaziergang“. Die Sol ruft zur Teilnahme auf und wird mit Mitgliedern aus verschiedenen Orten teilnehmen. Wichtig wäre, dass Umweltbewegung und Gewerkschaften gemeinsam agieren und den von bürgerlichen Kräften behaupteten Widerspruch zwischen Umweltschutz und Arbeitsplätzen als das entlarven, was er ist: Propaganda. Auf Basis ausreichender staatlicher Investitionen – die von den Milliardenprofiten der Energiekonzerne finanziert werden könnten – in alternative Energien, Gesundheit, Bildung und Soziales könnten ausreichend Ersatzarbeitsplätze geschaffen werden für die durch eine Beendigung der Kohleförderung verloren gehenden Arbeitsplätze. Der Staat könnte auch eine Job- und Einkommensgarantie sowie Umschulungsangebote für betroffene Beschäftigte aussprechen. Auf der Basis eines solchen Programms wären auch Streiks gegen Klimazerstörung möglich – leider sind wir angesichts der Positionen der Gewerkschaftsführungen, vor allem der Industriegewerkschaften, davon in Deutschland noch weit entfernt.

Das sollte uns aber nicht davon abhalten, darum zu kämpfen: Sie würden ganz direkt die Frage beantworten, wer eigentlich die Versorgung der Menschen sicherstellt, wer die Wirtschaft am Laufen hält – und wer nicht. Und wenn diese Frage erst einmal geklärt ist, könnten Produzierende und Verbraucher*innen gemeinsam beraten und entscheiden, was hergestellt werden soll und wie. Es würden ganz schnell massive Maßnahmen zum Schutz des Klimas beschlossen. Was heute undenkbar ist, da ein paar Konzernchefs solche Entscheidungen treffen können – und für sie nur der Profit zählt.

Hier zeigt sich allerdings noch die größte Schwäche der Klima-Bewegung: Sie hat kein Alternativprogramm zur Rettung von Arbeitsplätzen anzubieten, mit dem sie auch die Beschäftigten in den klimaschädlichen Produktionszweigen erreichen könnte. Ein solches müsste die Mechanismen der kapitalistischen Marktwirtschaft grundlegend in Frage stellen. Viele hoffen aber noch auf einen „grünen Kapitalismus“ – doch der kann nicht funktionieren (siehe hier). Die Bewegung zeigt eine beeindruckende Mobilisierungsfähigkeit im Kampf um einzelne Symbole, im Kampf darum sind viele Aktivist*innen bereit sogar ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Es ist nötig, diese Energie zu nutzen, um für eine Gesellschaft zu kämpfen, die nicht von den Konzernen diktiert wird und in die Offensive zu kommen.