“Man merkt schon jetzt, dass im Haus ein anderer Wind weht”

Neue Mieter*innenvernetzung am Berliner Hafenplatz

Tim Brandes ist Initiator einer neuen Mieter*innenvernetzung am Hafenplatz in Berlin-Kreuzberg. “Solidarität” hat mit ihm über die neue Initiative gesprochen.

Hallo Tim, du hast berichtet, dass ihr inzwischen zwei Treffen mit bis zu 60 Leuten hattet und angefangen habt, im Block Unterschriften zu sammeln. Wie kam es dazu und worum geht es?

Ja, hier im Block ist echt was ins Rollen gekommen. Eine Genossin und Mietaktivistin aus Stuttgart hatte berichtet, dass man das Recht auf eine pauschale Reduzierung von 15 Prozent der Warmwasser- und Heizkosten hat, wenn diese nicht über Wärmemengenzähler getrennt werden, sondern über eine Formel berechnet werden. Dabei geht es nicht um die Teile in der Wohnung, sondern um die Zentralheizung. Als ich meine Betriebskostenabrechnung bekommen hab, stand nun dort genau so eine Formel. Daraufhin habe ich bei mir im Block Zettel aufgehängt und zu einem ersten Treffen eingeladen, um darüber zu informieren und diese 15 Prozent gemeinsam einzufordern.

Und was passierte bei dem ersten Treffen?

Ich war total überrascht über die Teilnahme. Ich hatte gedacht, dass man damit arbeiten kann, wenn vielleicht zehn Leute kommen. Aber es kamen immer mehr Leute und irgendwann war der halbe Platz voll. Ich habe dann eine Ansprache gemacht, in der ich erklärt habe, worum es bei den 15 Prozent geht. Ich habe auch versucht, direkt ein paar politische Punkte darüber zu setzen, dass Markt und Politik überhaupt nichts regeln und selbst die Gesetze, die es zum Mieterschutz gibt, von unten eingefordert werden müssen. Und wie wichtig es ist, dass wir uns deshalb organisieren.

Und wie ist das angekommen?

Die Leute hatten super viel Redebedarf, vor allem bezüglich der Nachzahlungen. Viele Haushalte müssen 1000 Euro und mehr nachzahlen. Und das hier in einem Block mit Sozialwohnungen, wo viele prekäre Menschen leben. Daneben gibt es noch etliche weitere Probleme mit Schimmel, kaputten Fenstern und solcherlei.

Wie ging es weiter?

Zunächst haben wir vor Ort Unterschriften gesammelt, um die 15 Prozent zu fordern und beschlossen, auch durch die Häuser zu gehen, um weitere zu sammeln. Dazu haben wir einen Mailverteiler aufgesetzt und ein nächstes Treffen am Montag drauf beschlossen. Eine handvoll 

Leute haben tatkräftig mitgeholfen, Flyer aufgehängt und insgesamt 90 Unterschriften gesammelt. 

In der Zwischenzeit hat sich herausgestellt, dass drei der Häuser die 15-Prozent-Regelung schon haben. Hintergrund ist, dass die Wärmemengenzähler aus den Wohnungen anscheinend wieder entfernt wurden. Berichten zufolge wurden zeitgleich massenhaft Bauarbeiter*innen in einzelne Wohnungen einquartiert, die einen höheren Verbrauch haben. Die Vermutung liegt nahe, dass sie den erhöhten Verbrauch durch die Bauarbeiter*innen auf alle Mieter*innen umlegen und das auch mit der 15-Prozent-Reduzierung profitabel ist.

Beim folgenden Treffen haben wir dann beraten, wie wir mit den Nachzahlungen umgehen sollen, weil da sehr hohe Summen gefordert werden und auch andere Nebenkosten teilweise absurd sind (wir zahlen zum Beispiel 1850 Euro monatlich für Hausreinigung. Und besonders sauber ist es nicht. Ein Nachbar berichtete zum Beispiel, dass einmal zwei Wochen lang ein verschimmeltes Sandwich im Hausflur lag. Der Hausstrom-Posten liegt um rund das Zehnfache über den statistischen Durchschnittswerten.

Aber nach § 259 BGB steht uns die Einsicht aller Belege ein, bevor wir irgendwas bezahlen müssen. Wir haben diskutiert, ob wir unter Vorbehalt zahlen sollen, bis sich die Belegeinsicht als richtig erwiesen hat, oder uns ganz weigern sollen. Letztlich haben ein paar kämpferische Mieter*innen auf den Punkt gebracht, die sagten, dass wir denen nach all den Schweinereien gar nichts zahlen, bis wir nicht genau hingeschaut haben. Wenn das Geld weg ist, ist es weg. Also haben wir vor Ort kollektiv einen Brief unterschrieben, dass wir erst nach Belegeinsicht zahlen wollen. Außerdem haben wir Prüfkomittees gebildet, um die Belege dann durchzuschauen.

Wie hat Schön und Sever reagiert?

10 Tage erstmal gar nicht. Das ist nichts Neues, Mieter*innen haben berichtet, dass sie grundsätzlich bei Mängeln keine Antwort bekommen haben. Nachdem wir schon überlegt hatten, wie wir den Druck erhöhen können, haben wir aber die Zusage erhalten, dass wir die Belege bekommen. Es ist abzuwarten, wann die kommen und ob sie dann in einer strukturierten und verständlich Form vorliegen.

Wie geht es bis dahin weiter?

Am kommenden Montag wollen wir uns wegen Fragen von Mängeln wie Schimmeln, kaputten Fenstern etc. beraten, wo eine ganze Reihe zusammenkommen wird. Auch da wollen wir überlegen, wie wir kollektiv agieren können. Eine Nachbarin hat jetzt einen Räumungsbescheid für in zwei Wochen nach Brieferhalt bekommen. Hintergrund ist, dass sie nach dem Fall des Mietendeckels mit knapp 10.000 Euro verschuldet war, weil Schön & Sever die Differenz zur “normalen” Miete, (die sie nie bezahlen musste, weil sie während des Deckels eingezogen war) nachträglich verlangt hat. Jedoch hat der Vermieter kaum auf Anfragen reagiert, weswegen die Nachbarin unter Anraten vom Berliner Mieterverein, eine erhöhte Miete gezahlt hat, um die Schulden über die Zeit zu tilgen. Auch auf die Forderung nach dem Ersetzen der Dusche, die fast sechs Monate nicht funktionierte und diesbezüglicher Mietminderung kam keine Nachricht. Stattdessen sollte sie in einer freistehenden Dusche einige Stockwerke drunter duschen. Und plötzlich nach zwei Jahren der Räumungsbescheid.

Und nun?

Das müssen wir noch diskutieren, wir werden sie auf jeden Fall unterstützen. Leider ist es auch keine Überraschung. Der Besitzer des Hauses ist der berüchtigte Miethai Ionnais Moraitis, der u.a. den familiengeführten Obst-und Gemüseladens »Bizim Bakkal« im Kreuzberger Wrangelkiez rausgeschmissen hat, worauf sich die bekannte Bizim Kiez Initiative gegründet hat. Moraitis ist bekannt dafür, Mieter*innen durch Vernachlässigung und andere Tricks herauszudrängen, um dann schick zu sanieren. Tatsächlich sollen einige Häuser des Blocks abgerissen und das Gelände “entwickelt” werden. Was das heißt, ist klar: Arme Leute raus und Eigentumswohnungen bauen. Wobei eine Genossenschaft jetzt mit dabei ist und wohl auch die Politik auf unseren Block schaut. Wie es da in Zukunft weitergeht, müssen wir dann schauen. 

Dann euch viel Erfolg im weiteren Kampf. Gibt es Erfahrungen, die du schon jetzt aus eurer Organisierung mitnimmst? 

Vielen Dank! Ja, auch wenn nicht klar ist, wie es hier weitergeht: Wir sind vernetzt. Wir werden einander unterstützen und uns wehren. Und schon jetzt merkt man, dass ein anderer Wind im Haus weht. Man hat angefangen, sich kennenzulernen und weiß, dass man nicht alleine ist. Daher mein Appell: Organisiert euch! Die Frage von den Nebenkosten brennt vielen Leuten unter den Nägeln. Und Leute sind sowieso wütend über das Elend, das der Wohnungsmarkt hervorbringt und sind bereit, sich zu wehren. Was mir noch wichtig ist, ist den Leuten immer klar zu machen, dass das keine Zufälle sind, sondern Folge eines kapitalistischen Systems, in dem Unternehmen machen, was sie wollen und es nur um den Profit geht. Deswegen wird es Zeit, dass der Volksentscheid umgesetzt wird und die Immobilienkonzerne enteignet werden!

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