Berichte vom gemeinsamen Warnstreiktag im öffentlichen Dienst in Berlin und Aachen
Heute streikten auch in Berlin Beschäftigte des öffentlichen Dienstes zum ersten Mal in der laufenden Tarifrunde von Bund und Kommunen. Zum gemeinsamen Warnstreik waren Kolleginnen und Kollegen der Berliner Stadtreinigung (BSR), der Krankenhäuser, der Wasserbetriebe, der Hochschule für Technik und Wirtschaft und des Studierendenwerks Berlin ganztägig aufgerufen.
von Tom Hoffmann, Berlin
Die Gewerkschaft ver.di fordert 10,5 Prozent Lohnerhöhung bzw. mindestens 500 Euro bei einer Laufzeit von 12 Monaten für die Kolleg*innen. Angesichts der Reallohnverluste durch die hohe Inflation aber auch des Personalmangels in vielen Bereichen ist das bitter nötig.
Sol-Mitglieder waren ab früh um 6.30 Uhr mit dabei und besuchten den Streikposten am Urban-Klinikum in Kreuzberg. Die Stimmung war trotz Minusgraden gut (einige Beschäftigte wiesen daraufhin, dass man eine Laufzeit wählen sollte, die beim nächsten Mal zu Streiks bei wärmeren Temperaturen führt). Die Kolleg*innen, mit denen wir sprachen, waren der Meinung, dass die Forderungen auch gerne ein Stück höher hätten sein können. Das hat auch mit der Erfahrung zu tun, dass in vergangenen Tarifrunden und von Seiten der Gewerkschaftsführung immer wieder der Eindruck erweckt wurde, die eigenen Forderungen könne man letztlich in Verhandlungen nicht voll durchsetzen und man müsse sich mit den Arbeitgebern irgendwo darunter treffen. Sol-Mitglieder argumentierten dafür, sich auf diese Logik dieses Mal nicht einzulassen und für die volle Durchsetzung der Forderungen zu kämpfen, ohne Kompensationsgeschäfte mit Einmalzahlungen oder eine Verlängerung der Laufzeit. Dazu verteilten wir Flugblätter des Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di und der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), die zur Vorbereitung einer Urabstimmung zum Erzwingungsstreik aufriefen.
Am Urban-Klinikum ist außerdem die vom Gesundheitsminister Lauterbach geplante Krankenhaus-Reform ein wichtiges Thema. Zuletzt machten Zeitungsberichte die Runde, nach denen das Krankenhaus am Landwehrkanal und andere Vivantes-Häuser nach den Reformplänen mit Kürzungen bis hin zur Schließung zu rechnen hätten. Die Sol Berlin organisiert am 21. Februar dazu eine Veranstaltung mit Beschäftigten von Vivantes.
Ab 8.30 Uhr begann dann die Kundgebung in der Nähe des Berliner Abgeordnetenhauses. Auch hier sprachen Sol-Mitglieder den Kolleg*innen ihre Solidarität aus, verteilten Flugblätter und verkauften unsere Zeitung „Solidarität“. Wir argumentierten, dass das Geld zur Finanzierung der Forderungen bei den Super-Reichen und Konzernen geholt werden sollte. Der öffentliche Dienst darf nicht weiter kaputt gespart werden. Die von vielen gelben und orangenen Westen geprägte Menge hörte Redebeiträge von Kolleg*innen und Gewerkschafter*innen auf der Bühne, die erklärten, warum die Forderungen berechtigt und finanzierbar sind. Doch auch Vertreter*innen der LINKEN, SPD, FDP und Grünen, die alle sicher auch die Wahlen am Sonntag im Hinterkopf hatten, kamen zu Wort. Die LINKE-Landesvorsitzende Katina Schubert war die einzige, die sich hinter die konkreten Forderungen der Kolleg*innen stellte. SPD, FDP und Grüne sprachen sich zwar allgemein für Lohnerhöhungen und Inflationsausgleich aus, aber definierten nicht konkret die Höhe. Besonders die Grünen wurden von vielen Kolleg*innen mit Buhrufen empfangen. Die CDU tauchte gar nicht erst auf.
Ab 9.30 ging die Demonstration von mehreren tausend Kolleg*innen los und endete am Oranienplatz. Dort sprach auch der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke, der unter anderem betonte, dass diese Tarifrunde keine gewöhnliche sei und es nach der dritten Verhandlungsrunde noch nicht vorbei sein könne. Dann sei aber auch das Wetter für Demos und Streiks besser. Diesen Worten müssen Taten folgen. Wenn die Arbeitgeber nicht nachgeben, braucht es den gemeinsamen Erzwingungsstreik.
Aachen: Streiktag im öffentlichen Dienst
In Aachen gab es heute zwei Demonstrationen zur Tarifrunde im öffentlichen Dienst: Obwohl die Gewerkschaften ver.di (DGB) und Komba (dbb) sich auf gemeinsame Forderungen nach 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro, bei einer Laufzeit von zwölf Monaten geeinigt hatten, und obwohl die Kolleg*innen als eine Belegschaft in gleichen öffentlichen Betrieben arbeiten, riefen die beiden Gewerkschaften zu unterschiedlichen Protesten, zeitgleich an verschiedenen Orten in der Stadt auf.
Von Christian Walter, Aachen
Sol-Mitglieder waren bei der ver.di-Demonstration, an der hunderte Menschen teilnahmen. Sichtbar waren Delegationen von Beschäftigten aus dem Stadttheater, der Feuerwehr und anderen städtischen Betrieben vertreten. Von den Sparkassen waren viele Beschäftigte aus dem ganzen Umland angereist. Auf Plakaten und Bannern standen die Forderungen, mit Rasseln und Pfeifen wurde Lärm gemacht. Zur Abschlusskundgebung war der zentrale Platz am Elisenbrunnen voll mit Beschäftigten. Vorher drehten die Kolleg*innen der Sparkassen noch eine Ehrenrunde durch die zentrale Sparkasse am Platz – zurück blieben ein paar überforderte Polizist*innen, die hektisch telefonierten.
Wir Sol-Mitglieder verteilten Flyer der „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften“ und konnten an die hundert Exemplare verteilen. In Gesprächen äußerten einige ver.di-Kolleg*innen großes Unverständnis darüber, dass ver.di und Komba zu getrennten Protesten aufrufen. Das würde die Kampfkraft der Belegschaften schwächen und die Position von ver.di im Betrieb nicht stärken – bei gemeinsamen Aktionen könnte ver.di mit besseren Ideen und kämpferischen Angeboten überzeugen. Auch wurde dargestellt, wie schwierig es in einigen Bereichen ist, zu streiken – beispielsweise der Druck durch verzweifelte Eltern, wenn in Kitas gestreikt wird.
Einige Kolleg*innen brachten auch die Hoffnung zum Ausdruck, dass die Verhandlungsführung schon dafür sorgen würde, dass die Forderungen durchgesetzt werden – doch ohne eine Fortsetzung und Steigerung der Streiks ist das nicht zu erwarten. Leider zeigt die Erfahrung vergangener Tarifauseinandersetzungen auch, dass nur allzu oft kämpferische Reden der Gewerkschaftsführung faule Kompromisse nicht verhindert haben und sich dann auf die Logik, die öffentlichen haushalte dürften nicht zu sehr belastet werden doch eingelassen wurde.
Um dem zu begegnen ist es wichtig, zu skandalisieren wie ungleich die Vermögens- und Einkommensverteilung in Deutschland in Wahrheit ist – und dass noch viel mehr als 15 Prozent bzw. 500 Euro möglich wären, wenn man sich ernsthaft mit den Banken und Konzernen anlegen und deren Profite und vermögen anzapfen würde.
Bisher zeigen die Verhandlungsgegner keine ernsthafte Bereitschaft, den Forderungen der Beschäftigten entgegen zu kommen. Dazu müssen sie gezwungen werden. Dazu müssen die nächsten Schritte vorbereitet werden – bis hin zum Vollstreik. Um das Mobilisierungspotenzial voll auszureizen braucht es Betriebsversammlungen, wo die Forderungen diskutiert und verinnerlicht werden können. Ebenso braucht es Kampf- und Streikleitungen, die demokratisch von den Streikenden gewählt werden – so kann erreicht werden, dass sich die Kolleg*innen ein aktiver Player in der Auseinandersetzung werden. Außerdem sollten die Streiks koordiniertt werden mit Tarifkämpfen in anderen Bereichen wie aktuell bei der Post oder demnächst bei den Bahn. Damit könnte mehr Kampfkraft entwickelt werden – und eine Solidarisierung erreicht werden, die auch andere Teile der Bevölkerung erreicht. Es ist gut, dass es Pläne gibt, Aktionen der Nahverkehrs-Kolleg*innen mit der Klima-Bewegung gemeinsam durchzuführen.Wichtig ist, dass diese auch vor Ort umgesetzt werden. Denn nur mit einer besseren Bezahlung und einem massiven Ausbau des Nahverkehrs können Menschen dazu bewegt werden, auf das Privat-Auto zu verzichten.