Mut machen(d)!

Ein Kommentar zum Bundesparteitag der Linken am 18. Januar in Berlin

Die Linke gab sich bei ihrem außerordentlichen Bundesparteitag kämpferisch, zuversichtlich und geschlossen. Das Wahlprogramm wurde mit überwältigender Mehrheit angenommen und die Debatten verliefen kaum kontrovers.

Von Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher und Linke-Mitglied

Die Linke präsentierte sich als einzige soziale Opposition gegen die drohende Agenda 2030 eines wahrscheinlichen zukünftigen Kanzler Friedrich Merz und vertrat den Anspruch, sich mit den Reichen und Mächtigen anlegen zu wollen. Milliardäre gehören abgeschafft, Mieten gedeckelt, Mindestlohn erhöht. Der Fokus wird dabei fast gänzlich auf sozialpolitische Fragen gelegt. Rassismus, Militarismus und Krieg fanden zwar Erwähnung, aber in den Reden der Parteiführung doch nur am Rande. Die Frage der kapitalistischen Wirtschaft und ihrer Krise wurde gar nicht erst behandelt, auch die Rettung der vielen tausend bedrohten Arbeitsplätze in der Industrie steht nicht im Mittelpunkt des Wahlkampfs. Das sei Schlussfolgerung aus den vielen Tausend Haustürgesprächen, die Linke-Mitglieder in den letzten Wochen geführt haben. Dass die Fragen von Miethöhe, Preissteigerungen und Lohnniveau von entscheidender Bedeutung für die Arbeiter*innenklasse sind, steht außer Frage. Aber sie sind nicht die einzigen und laut dem aktuellen Deutschland-Trend in der Masse der Bevölkerung auch nicht die wichtigsten Themen: hier sind Themen wir die Lage der Wirtschaft und Migration ganz oben auf der Liste. Mit ihrer Schwerpunktsetzung will Die Linke wohl vor allem diejenigen ansprechen, die der Partei ohnehin nahe stehen. Ob das für das Erreichen der Fünf-Prozent-Marke reichen wird, ist offen.

Mut machen

„Wir sind wieder da!“, „Wir schaffen das!“ – Sich selbst und den Delegierten und Mitgliedern Mut machen war wohl das oberste Ziel des Parteitags. Das mag gelungen sein. Die Stimmung war ausgesprochen gut. Viel spricht nur dafür, dass dies kein festes politisches Fundament hat.

Wie schon beim letzten Parteitag, bei dem Ines Schwerdtner und Jan van Aken zu den neuen Vorsitzenden gewählt wurden, gab es nicht die Spur einer Analyse, warum die Partei in der Existenzkrise steckt und um den Einzug in den Bundestag bangen muss. Die Tatsache, dass Die Linke in Thüringen und in Sachsen CDU-geführte Regierungen mit ins Amt brachte wurde nicht erwähnt und nicht einmal die Frage aufgeworfen, ob eine solche Politik nicht letztlich die AfD nur stärken wird. Ebenso wenig wurde erwähnt, wie die Kürzungen des Bremer rot-rot-grünen Senats oder die Zustimmung der rot-roten Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns zum Sicherheitspaket der Bundesregierung (inklusive Stimmabgabe durch eine Linken-Politikerin im Bundesrat). Auch das Abstimmungsverhalten der linken Europaabgeordneten Carola Rackete (Zustimmung) und Martin Schirdewan (Enthaltung) zur Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine fand keine Erwähnung. Nun mag es nachvollziehbar sein, dass mitten im Bundestagswahlkampf nicht die Zeit für selbstkritische Debatten ist, aber ein Aufbruch kann auch nur gelingen, wenn die politischen Grundlagen dafür geklärt sind.

Das sind sie nicht. Die Partei gibt sich kämpferisch und oppositionell, weil eine Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen außerhalb jeder realistischen Möglichkeit besteht. Daher sind sich alle Teile der Partei offenbar darin einig, diese Frage nicht zu thematisieren – während in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern weiter munter der Kapitalismus verwaltet wird. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich die Haltung zur Frage von Regierungsbeteiligungen mit prokapitalistischen Parteien geändert hat und dass die nächste Gelegenheit dazu wieder genutzt werden wird, wenn sie sich denn noch einmal bieten sollte.  Zu drängenden internationalen Fragen, wie den Kriegen in der Ukraine und dem Nahen Osten, werden Formelkompromisse formuliert. Es ist gut, dass das Wahlprogramm sich gegen Waffenexporte und gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr ausspricht. Wenn dann aber der Vorsitzende van Aken erklärt (wie er dies in der Vergangenheit getan hat), er sei für ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine, aber nicht sofort, werden solche Beschlüsse konterkariert. Beim Parteitag betonte er dann, dass es Frieden in der Ukraine ohne Freiheit und Demokratie nicht geben könne – was wahrscheinlich nicht als Kritik an der immer autoritärer regierenden und Zwangsrekrutierungen zur Armee durchführenden Selenskyj-Regierung gemeint war. Welche Schlussfolgerung er aus dieser Aussage zieht, blieb offen. 

Konkurrenten und Gegner

Was beim Parteitag auch nahezu völlig fehlte, war explizite Systemkritik, Antikapitalismus und die Propagierung von Sozialismus als alternativem Gesellschaftssystem. In diesem Sinne präsentierte sich Die Linke in Berlin als linkssozialdemokratische Reformpartei. Wie sehr so manche schon in diesem Kapitalismus angekommen sind, zeigte sich dann in der Rede Gregor Gysis, der davon sprach, dass Die Linke viele Konkurrenten, aber nur einen Gegner habe. Dieser ist nicht etwas die Kapitalist*inenenklasse, sondern die AfD.

Deutlicher kann man kaum zum Ausdruck bringen, dass man sich im Rahmen des kapitalistischen Systems bewegt und keine grundlegend andere Partei als die prokapitalistischen Parteien des Establishments sein will.

Silberlocken

Die Partei hat sieben Wahlkreise definiert, in denen sie eine Chance auf die Erringung des Direktmandats sieht und die besondere Unterstützung im Wahlkreis erhalten werden, darunter die Wahlkreise der „Silberlocken“ Gregor Gysi, Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow. Nicht dabei ist der Wahlkreis in Berlin-Neukölln, in dem der linke Aktivist Ferat Kocak antritt und das Ziel ausgerufen hat, das Direktmandat zu gewinnen. Hunderte Aktive, darunter auch Mitglieder der Sol, sind hier seit Wochen aktiv. Die Berliner Linke-Abgeordnete Elief Eralp forderte, dass auch der Wahlkreis Neukölln in diese Liste aufgenommen wird.

Die Silberlocken-Kampagne ist Ausdruck der Gefahr, dass die Partei aus dem Bundestag fliegt. Sie ist letztlich ein Verzweiflungsakt, der aber innerparteiliche Folgen hat. Denn die drei Silberlocken vertreten einen Kurs, der ja gerade verantwortlich dafür ist, dass Die Linke in die Krise geraten ist und von immer mehr Menschen als Teil des politischen Establishments gesehen werden. Die Kampagne für die Gewinnung der Wahlkreise von Bartsch, Gysi und Ramelow stärkt nun auch wieder deren Position und deren Positionen in der Partei und auch in einer möglichen zukünftigen Bundestagsgruppe oder -fraktion. Das ist das Gegenteil von Neuanfang und Aufbruch.

Antragsdebatte

Es hatte über 600 Änderungsanträge zum Wahlprogramm. Der größte Teil wurde vom Parteivorstand zur Gänze, meistens aber nur in Teilen übernommen. Dazu gehörten auch Anträge, die die Antikapitalistische Linke (AKL, die parteiinterne Strömung, in der Sol-Mitglieder aktiv sind) eingebracht hatte, wodurch jetzt zumindest der Sozialismus Erwähnung findet und an einigen Punkten auch die Überführung kapitalistischer Konzerne in öffentliches Eigentum gefordert wird. Ob das im Wahlkampf, den Reden von Linke-Politiker*innen irgendwelche Auswirkungen haben wird, ist zu bezweifeln. Das Kurzprogramm zur Bundestagswahl war entsprechend schon vor dem Parteitag veröffentlicht worden, wie auch die Plakate, welche besonders schlecht und wenig aussagekräftig sind.

Am Ende blieben ungefähr vierzig Anträge übrig. Einige davon nahmen in der Frage des Ukraine-Kriegs und der gegen Russland gerichteten Sanktionen kritischere Positionen ein. Sie alle erhielten deutlich weniger Stimmen als ähnliche Anträge in der Vergangenheit. Auch eine – angesichts der gerade wieder steigenden Inflation – so wichtige gleitende Lohnskala wurde, mit dem absurden Argument diese würde die Tarifautonomie gefährden, wurde als Forderung aglehent.

Und das obwohl – oder vielleicht ja auch weil – die Zusammensetzung der Delegierten deutlich jünger war als in der Vergangenheit. Denn viele der neuen Mitglieder kommen ohne viel politische Erfahrung in die Partei und können mit den Debatten, die Die Linke in den letzten Jahren geprägt haben wenig anfangen.

Was ebenfalls im Wahlprogramm völlig fehlt, ist die Frage, wie denn die vielen guten Forderungen durchgesetzt werden sollen. Es ist tatsächlich ein Wahl- und kein Kampfprogramm und verzichtet auf eine Betonung darauf, dass Verbesserungen nur durch massenhaften Kampf der lohnabhängigen Bevölkerung erreichbar sind.

Dementsprechend haben die Delegierten der AKL und auch Sol-Mitglieder gegen das Programm gestimmt.

Aussichten

Der Widerspruch zwischen parteiinterner Entwicklung und der Außenwahrnehmung der Partei ist groß. Die Stärkung der AfD treibt viele junge Leute zur Linken. Doch ob sich daraus eine nachhaltige Stärkung der Partei entwickeln wird, hängt zum einen davon ab, ob es Die Linke in den Bundestag schafft oder nicht und ob, wenn ja, den vielen Worte über die Arbeiter*innenklasse und den Klassenkampf, die sehr wohl in der Partei fallen, auch entsprechende Taten und eine entsprechende politische Ausrichtung folgen werden.

Eine ausführliche Stellungnahme der Sol zur Linkspartei findet sich hier.