Öffentlicher Dienst: Mit Streik wäre mehr drin!

Bei der Mitgliederbefragung zum Verhandlungsergebnis mit Nein stimmen!

500.000 Kolleg*innen beteiligten sich an massiven Warnstreiks. Die Beteiligung war höher als erwartet. 70.000 neue Mitglieder traten in den ersten drei Monaten des Jahres in ver.di ein. Das alles waren gute Voraussetzungen, in dieser Tarifrunde konsequent die mehr als berechtigten Forderungen durchzusetzen, auch mit Erzwingungsstreik. Doch trotz kämpferischer Reden auf Kundgebungen schwenkte die ver.di-Führung und die Mehrheit der Bundestarifkommission auf die Annahme einer Schlichtungsempfehlung ein, die in Wirklichkeit Reallohnverlust bedeutet. Dies sollte zum Anlass genommen werden, eine systematische Vernetzung von Kolleg*innen und Betriebsgruppen, die sich für eine konsequent kämpferische Ausrichtung stark machen wollen, voranzubringen.

von Angelika Teweleit, Sprecherin vom „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“

Die enormen Preissteigerungen machten diese Tarifrunde zu einer anderen als in den letzten Jahren. Dazu kommt die enorme Arbeitsbelastung, die ein großes Thema für die meisten Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist. 

Die Wut vergrößterte sich während der Warnstreiks, denn die Arbeitgeber weigerten sich zunächst, über Festbeträge zu verhandeln und dem folgten dann noch Drohungen mit Notlagentarifverträgen bei den Sparkassen und so genannten Zukunftssicherungsverträgen für Krankenhäuser, die Lohnsenkungen beinhalten sollten. Hier blieb es bei Drohungen, allerdings setzten sich Bund und Kommunen damit durch, die Altersteilzeit nicht zu erneuern und eine lange Laufzeit von 24 Monaten (davon 14 Nullmonate) festzuschreiben. Dies haben sie sich mit der Inflationsausgleichsprämie erkauft. 

Einmalzahlung

Die Option einer steuer- und abgabenfreie Einmalzahlung bis 3000 Euro war von der Bundesregierung als Mittel eingeführt worden, um genau solche Abschlüsse zu ermöglichen. Die Gewerkschaftsführungen stellten es anfangs so dar, dass diese Prämie auf keinen Fall in Tarifabschlüsse einfließen sollte. Auch  der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke betontet, dass die Einmalzahlung nur „oben drauf“, aber keinesfalls als Kompensation für Tabellenerhöhungen dienen darf. Auch in der Post-Tarifrunde war dies schon gesagt worden. Doch in beiden Ergebnissen ist nun genau das passiert. Es ist vor allem skandalös, wie die Darstellung von Seiten der ver.di-Spitze sich von einem Tag auf den anderen ins Gegenteil verkehrte. Was gestern noch völlig inakzeptabel war, ist heute ein „sehr gutes“ oder gar „historisches“ Ergebnis! Viele aktive Kolleg*innen, die über Wochen ihre Kolleg*innen mobilisiert haben, fühlen sich nun verständlicherweise verschaukelt. Es darf keine Illusionen darüber geben: Dieser Abschluss mit einer viel zu späten und zu niedrigen Tabellenerhöhung bedeutet Reallohnverlust. Nach Schätzungen von Marcel Fratzscher, dem Präsidenten des Deutschen Wirtschaftsinstitutes sogar von sechs Prozent. Dies gilt, wenn sich die relativ vorsichtigen Prognosen der weiteren Inflation von sechs Prozent 2023 und drei Prozent 2024 bewahrheiten. Fällt sie höher aus, dann ist der Verlust sogar noch größer! Es ist ein großes Problem, dass die ver.di-Führung das Ergebnis mit Zahlen wie 11 bis 16 Prozent Lohnerhöhung schön färbt. Denn die meisten Kolleg*innen werden früher oder später mitbekommen, dass es anders ist. Eine Gewerkschaft muss ehrlich mit ihren Mitgliedern kommunizieren und keine Schönrechnerei betreiben.

Konsequent kämpfen

Aber auch in Hinsicht auf Streikdemokratie und Strategie gibt es großen Veränderungsbedarf in ver.di. Wenn jetzt behauptet wird, es gäbe keine wirkliche Durchsetzungsfähigkeit im öffentlichen Dienst, dann ist auch das eine Kehrtwende und es passt auch nicht zu dem, was vorher real passiert ist. In vielen Betrieben ist es gelungen, viele neue Mitglieder zu gewinnen oder Ausgetretene zurückzuholen. Einige wurden aktiv als Tarif- oder Streikdelegierte in ihren Betrieben. Vielerorts gab es Berichte, dass die Streikbeteiligung stetig wuchs und über den Erwartungen der Streikleitungen lag. Diese guten Ansätze hätte man am besten im Kampf weiter entwickeln können.

Dass es möglich ist, innerhalb von ver.di verkrustete Strukturen aufzubrechen und Dinge zum Positiven zu verändern, zeigte sich unter anderem in Berlin, wo es zu mehr gemeinsamen Streikversammlungen der verschiedenen Betriebe und gemeinsamen Demonstrationen kam, was nicht zuletzt auf die Erfahrungen und Arbeit der Krankenhausbeschäftigten zurückzuführen ist, die in den letzten Jahren gestreikt haben und dabei neue Methoden angewendet haben. 

Durchsetzungsfähigkeit 

Von hauptamtlichen Funktionär*innen wird jetzt betont, dass man insgesamt noch nicht genügend Mitglieder habe. Sicherlich gibt es im öffentlichen Dienst weiße Flecken. Doch die Warnstreiks haben deutlich gemacht, welches Potenzial schon jetzt in Arbeitsniederlegungen steckt. ver.di hätte mit den gut organisierten Bereichen vorangehen und andere mit einer konsequenten Führung andere mitziehen können. Allein mit den Streiks an Flughäfen, Nahverkehr, in großen Teilen der Ver- und Entsorgung kann ein großer, auch wirtschaftlicher Effekt erzielt werden. Zusammen mit wichtigen Bereichen wie den Krankenhäusern, Kitas und vielen mehr, die zwar nur einen begrenzten wirtschaftlichen Schaden erzeugen, aber große Bedeutung für das gesellschaftliche Leben haben, hätte ein Erzwingungsstreik die Arbeitgeberseite in den Kommunen und der Bundesregierung nach einigen Tagen enorm unter Druck setzen können. Das hätte man sehr gut auch mit Streiks bei der Bahn koordinieren können. Der „Megastreik“ von EVG und ver.di zeigte, was möglich ist und war ein wichtiger Fortschritt, der Begeisterung ausgelöst hat. Das hätte man auf mehrere Tage ausweiten können, um so den gesamten Personen- und Warenverkehr lahmzulegen können. Natürlich wäre es hier auch nötig gewesen, eine breite Solidaritätskampagne durch die anderen ver.di-Fachbereiche und den gesamten DGB zu organisieren, um die Unterstützung in der gesamten arbeitenden Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Die Fragen, wie ein effektiver Streik organisiert werden kann, muss von den Streikenden und Aktiven selbst demokratisch diskutiert und entschieden werden.

Streikdemokratie

Anstatt Tarifbotschafter*innen-Videokonferenzen ohne Möglichkeit zur Diskussion wäre es nötig, eine bundesweite Streikdelegiertenkonferenz zu organisieren. Dies wäre der richtige Ort, wo gemeinsam Einschätzungen über die Kampfstärke zusammen getragen werden könnten und demokratisch über die nächsten Schritte diskutiert und abgestimmt werden könnte. Eine solche Streikdelegiertenkonferenz müsste mit umfassenden Entscheidungsbefugnissen über alle wichtigen Fragen wie die nächsten Kampfschritte bis hin zu den Verhandlungen und der Bewertung von Ergebnissen ausgestattet sein. Für diese Forderung, wie auch der nach Kündigung der selbstbeschränkenden Schlichtungsvereinbarung im öffentlichen Dienst, sollten sich kämpferische Kolleg*innen gemeinsam einsetzen.

Kämpferische Vernetzung in ver.di 

Während der Tarifrunden bei der Post und im öffentlichen Dienst gab es drei gut besuchte Videokonferenzen von kämpferischen Kolleg*innen, die vom “Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di” und der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) initiiert wurden. Dies ist ein hervorragender Ansatz dafür, sich weiter systematisch zu vernetzen und sich für die nächsten Arbeitskämpfen besser vorzubereiten, nicht nur für die kommenden Tarifrunden. Denn im Kapitalismus wird es immer zu Angriffen der Herrschenden auf die Lohnabhängigen kommen. Schon bald kann die Bundesregierung versuchen, Sozial- und Rentenkürzungen durchzusetzen oder das Streikrecht einzuschränken. Für eine konsequente Abwehr solcher Angriffe braucht es eine kämpferische Ausrichtung in den Gewerkschaften. Dafür sollte jetzt alles getan werden. Das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ bietet dafür einen guten Ansatz, der auch als Forum für eine Debatte über die Notwendigkeit einer antikapitalistischen Ausrichtung der Gewerkschaften dienen kann.