AfD im Aufwind, CDU bundesweit stärkste Kraft

By RimbobSchwammkopf (Own work) [CC BY-SA 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons

Droht ein Rechtsruck in Deutschland?

Wahlumfragen und die sogenannte „öffentliche Debatte“ der letzten Wochen waren nicht vergnügungssteuerpflichtig. Die Ampel-Regierung kommt zwar nicht aus dem Krisenmodus heraus und SPD, Grüne und FDP haben zusammen keine Mehrheit mehr. Doch das führt – trotz großer Warnstreikwellen – nicht zu einer Stärkung der LINKEN bzw. Debatten über Maßnahmen, wie die Masse der Bevölkerung vor Inflation und Krise geschützt werden kann. Im Gegenteil führen CDU und AfD die Umfragen an. Droht ein Rechtsruck in Deutschland und wie sollten Linke damit umgehen?

von Tom Hoffmann, Sol-Bundesleitung

Ausgangspunkt, um aus der aktuellen Situation schlau zu werden, ist die enorme Krise der Ampel-Regierung. Ob Heizungsgesetz, Kindergrundsicherung, Haushalt: Die selbsternannte „Fortschrittskoalition“ hat vor allem in einem fort gestritten. Siebzig Prozent sind unzufrieden, die Regierungsparteien kommen zusammen in manchen Umfragen nur noch auf 39 Prozent. Die tiefere Ursache dafür ist, dass auch diese Regierung eine pro-kapitalistische ist und für die multiple Krise unserer Zeit keine Lösungen findet. Einerseits spiegeln sich in ihr die Konflikte innerhalb der Herrschenden und fällt es ihr in vielen Fragen schwer eine einheitliche Politik zu formulieren. Andererseits sind die realen Vorhaben letztlich nicht im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung, der Arbeiter*innenklasse und Mittelschichten, und führen zu Widerspruch.

Das wird besonders bei der Klimapolitik deutlich: Das Heizungsgesetz war (gerade im ersten Entwurf) nicht nur schlecht gemacht, es war auch der Versuch, die Kosten für mehr Klimaschutz auf die Masse abzuwälzen. Das hat zu einer tiefen Verunsicherung geführt und es gibt unter Teilen der arbeitenden Bevölkerung großes Misstrauen, insbesondere gegenüber den Grünen, die für diese Art von Politik stehen. Aber auch andere Krisen treiben die Ampel. Der Ukraine-Krieg hält an, ohne Aussicht auf ein schnelles Ende. Durch die vielen Geflüchteten ist die Zahl der Einwohner*innen in der Bundesrepublik auf ein Rekordhoch gestiegen. Gleichzeitig ist die Wirtschaft in einer „technischen“ Rezession, herrscht aber weiter nicht nur an jeder Ecke eklatanter Personalmangel sondern ächzt auch die kaputt gesparte öffentliche Daseinsvorsorge. Hunderttausende haben auch dagegen und für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne in den letzten Wochen gestreikt. Doch leider hat das nicht zu einer Verschiebung der öffentlichen Debatte nach links geführt – was auch mit dem katastrophalen Zustand der LINKEN zu tun hat.

Öffentliche Debatte nutzt Rechten

Außerdem scheint den Massenmedien zum Beispiel die Debatte über das Gendern wichtiger zu sein – Friedrich Merz machte Gendern im öffentlich-rechtlichen Rundfunk für den AfD-Aufstieg verantwortlich. Dabei ist es nicht geschlechtergerechte Sprache, sondern die (auch von Merz) über alle Maßen übertriebene Debatte darüber und andere Kulturkampfthemen, von welcher die AfD mit profitiert. Das verengt zum Beispiel das Problem der Diskriminierung von Frauen und anderen unterdrückten Gruppen, die sehr viele Menschen anerkennen und überwunden sehen wollen, auf die Ebene der Sprache. Gleichzeitig lenkt sie wunderbar von den vielen sozialen Problemen (unter denen Menschen aus der Arbeiter*innenklasse aller Geschlechter leiden) und ihren Verursacher*innen ab und spaltet die Bevölkerung entlang der falschen Linien.

Das gibt Raum für jene, die in der Opposition sind und im Bundestag auf der rechten Seite sitzen. Stärkste Partei laut Umfragen ist die Union, die unter Friedrich Merz immer weiter nach rechts ausschlägt und deren Vertreter*innen mittlerweile nicht nur das (eh schon kaum noch vorhandene) Asylrecht in Frage stellen, sondern auch laut über heftige soziale Angriffe wie zum Beispiel auf das (eh schon zu hohe) Renteneintrittsalter nachdenken. Gleichzeitig sind die Umfragewerte der Union nicht viel höher als ihr Ergebnis bei der Bundestagswahl. Der Rechtskurs der Union ist daher ihre Antwort auf den erneuten Aufstieg der AfD, welcher vielen die meisten Sorgen bereiten dürfte. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte haben die Rechtspopulist*innen nicht nur bundesweit die 20-Prozent-Marke geknackt hat, sondern stellen auch den ersten Landrat und den ersten Bürgermeister und sind in ostdeutschen Bundesländern auf gutem Wege stärkste Partei bei den Landtagswahlen im nächsten Jahr zu werden.

AfD-Aufstieg

Der Aufstieg der AfD ist natürlich kein isoliertes Phänomen der letzten Wochen, sondern liegt weiter zurück. Gerade in Ostdeutschland, wo die Partei am stärksten ist, kann sie sich seit Jahren die weit verbreitete Unzufriedenheit und das Misstrauen gegenüber den etablierten Parteien und staatlichen Institutionen zu Nutze machen und sich als Alternative zum Establishment darstellen. Seit ihrer Entstehung kann sie dabei auf rassistische und andere Vorurteile zum Beispiel gegenüber Geflüchteten bauen, die es schon vor ihrer Zeit gab, weil sie von Teilen der bürgerlichen Presse und Parteien geschürt wurden und werden. Dass die AfD aber kein „Ost-Problem“ ist, zeigte zuletzt eine Umfrage aus Baden-Württemberg, wo die AfD ebenfalls zulegte. In den letzten Monaten profitierte sie vor allem von den Sorgen vor dem Heizungsgesetz. Und sie war oft die einzig wahrnehmbare Opposition zum Regierungskurs in Sachen Ukraine-Krieg – den größten Sprung in den Umfragen machte sie im letzten Sommer als die Angst vor einer Ausweitung des Kriegs und vor der Inflation große Ausmaße annahm. Es ist kein Zufall, dass sie insbesondere in Ostdeutschland aktuell stärkste Kraft ist. Die Wurzeln dafür liegen auch in den Auswirkungen der kapitalistischen Restauration nach dem Niedergang der DDR, den verheerenden und bis heute zu spürenden ökonomischen Folgen, dem verbreiteten Gefühl von einer westdeutschen Elite regiert zu werden und auch dem Gefühl, auf Grund der immer noch großen sozialen Unterschiede in Ost und West, Bürger*innen zweiter Klasse zu sein.

Doch die Stärkung rechter und rechtspopulistischer Kräfte auf der parlamentarischen Ebene heißt noch nicht, dass es auch in der Gesellschaft eine breite Zunahme der Unterstützung für rechte und rassistische Ideen gibt. Nur 20 Prozent der AfD-Wähler*innen geben an der Partei und ihren politischen Grundvorstellungen sehr nahe zu stehen, jeder*jedem Fünfte*n steht sie weniger, vier Prozent gar nicht nahe. Das heißt nicht, dass diese Wähler*innen frei von Rassismus und Vorurteilen sind, aber es zeigt dass sie sich nicht fest an die AfD gebunden fühlen. Zum anderen gibt es Hinweise, dass die Sorgen in der Bevölkerung vor den Auswirkungen der Zunahme von Migration (noch) nicht in dem selben Maße wie 2016 oder in den 1990er Jahren zu einer breiten Zunahme aggressiv-rassistischer Stimmungen, Brandanschlägen usw. führen. Das kann sich ändern und man sollte die Gefahr von einer Zunahme von Rassismus und Spaltung nicht unterschätzen. Im Mai gaben drei von vier Befragten an, dass Deutschland seit 2015 zu viele Geflüchtete aufgenommen hat und 83 Prozent befürchteten dass diese Zunahme zu Problemen auf dem Wohnungsmarkt und in den Sozialsystemen führen.

Polarisierung ohne linken politischen Ausdruck

Andererseits gab es in den letzten Monaten eine Welle von Warnstreiks im öffentlichen Dienst, bei der Post, Bahn und anderen Bereichen. 100.000 Menschen sind neu in eine Gewerkschaft eingetreten und hunderttausende haben Erfahrungen im Klassenkampf mit ihren Kolleg*innen gesammelt, die unabhängig ihrer Hautfarbe oder ihres Geschlechts gegen die Auswirkungen der Inflation gekämpft haben. Mehr als jeder Zweite hatte Verständnis für den sogenannten „Megastreik“ von ver.di und EVG im März – trotz Trommelfeuer von Kapitalseite und aus bürgerlichen Medien über dessen „Unverhältnismäßigkeit“. Es gibt auch keine Anzeichen, dass die Stärkung von CDU und AfD in Umfragen auch auf einer wachsenden Unterstützung für Angriffe auf soziale Sicherungssysteme, Rente oder ähnlichem bauen. Im Gegenteil spricht viel dafür, dass es in der Bevölkerung große Sympathien für linke Forderungen in Richtung höherer Löhne, massiver staatlicher Investitionen in Krankenhäuser, Kitas und Co, Reichtumsumverteilung bis hin zu Re-Verstaatlichungen gibt – welches aber keinen politischen Ausdruck findet. Dass das so ist, hat viel mit dem desolaten Zustand der LINKEN zu tun, die nicht nur durch den innerparteilichen Streit mit Sahra Wagenknecht unattraktiv erscheint, sondern auch immer weniger als glaubwürdige oder überzeugende linke Alternative angesehen wird.

Schlussfolgerungen

Was also tun, welche Schlussfolgerungen ziehen? Die erste Schlussfolgerungen muss programmatisch sein und bei allem einen Klassenstandpunkt einnehmen. Die AfD schafft es, real existierende Sorgen vor sozialen Problemen für ihre Hetze auszunutzen. Es reicht im Kampf gegen die AfD deshalb nicht aus, sich moralisch von ihr abzugrenzen. Antirassismus, Verteidigung der Rechte von Geflüchteten und des Asylrechts sind für Linke unumstößlich – aber sie müssen mit Forderungen nach massiven Investitionen in Wohnraum, Bildung, usw. finanziert durch die Vermögen der Super-Reichen einhergehen. Man muss erklären, dass genug Mittel bereit stünden, um Geflüchteten wie hier Geborenen ein gutes Leben zu ermöglichen, aber das man sich diese gemeinsam erkämpfen muss. Dasselbe gilt im Kampf für Klimaschutz: Linke müssen konsequent für Klimaschutz auf Kosten der Konzerne kämpfen, aber alle Vorschläge ablehnen, die zu einem Abladen der Kosten von Klimaschutzmaßnahmen auf die Masse der Bevölkerung führen.

Gegen rechts hilft nur links – aber links muss konsequent bleiben. DIE LINKE hat in Ostdeutschland über viele Jahre einen massiven Niedergang hinnehmen müssen. Das hat vor allem mit ihrer Beteiligung an pro-kapitalistischen Regierungen mit SPD und Grünen zu tun, die den Kapitalismus mitverwaltet haben, statt den Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung nachhaltig zu verbessern und sich mit diesem System anzulegen. Sie hat einen großen Teil des Weges Richtung Establishment zurückgelegt. Selbst in Thüringen, wo „Landesvater“ Bodo Ramelow seine hohen Zustimmungswerte gerne als Bestätigung für diesen Anpassungskurs sieht, hat die Partei im Vergleich zur letzten Wahl massiv eingebüßt und konnte der Aufstieg der AfD trotz „linkem“ Ministerpräsidenten und 31 Prozent nicht gestoppt werden. Schon bei der letzten Wahl hat sich die Frage gestellt, wie viele davon DIE LINKE noch aus Überzeugung wählten oder einfach nur aus Sorge vor einer AfD auf Platz 1. Diese Rezept könnte für die nächste Wahl nicht aufgehen.

Man darf der AfD (oder der CDU) nicht die Opposition gegen die Parteien der Ampel-Regierung überlassen und man muss sie als genauso unsozial und pro-kapitalistisch entlarven. Umgekehrt darf man sich im Kampf gegen die AfD nicht mit jenen Parteien ins politische Bündnis begeben, deren Politik für ihren Aufstieg verantwortlich ist. In Sonneberg hat DIE LINKE sogar im ersten Wahlgang darauf verzichtet ein*e eigene*n Kandidat*in aufzustellen und stattdessen die Kandidatin der Grünen unterstützt.

Einheit gegen die AfD, aber mit wem?

Der nachvollziehbare Wunsch, sich „gemeinsam“ gegen die AfD zu stellen, findet auch seinen Ausdruck in der mehrheitlichen Unterstützung gemeinsamer Kandidaturen aller anderen Parteien bei Stichwahlen gegen die AfD. Das gilt für West wie Ost (wobei in Ostdeutschland mehr Menschen diesen Zusammenschluss kritisch sehen). Es kann auch für Linke legitim sein, bei einer Wahl zwischen Vertreter*innen der AfD und einer anderen bürgerlichen Partei, zur Abstimmung gegen die AfD aufzurufen. Aber das ist erstens etwas anderes, als schon von vornherein auf eine eigene Kandidatur zu verzichten und damit zum Ausdruck zu bringen, dass man selbst keinen grundlegenden Unterschied zu anderen pro-kapitalistischen Parteien macht. Zweitens heißt das nicht, dass man die „Einheit aller Demokrat*innen“ propagieren sollte – unabhängig von deren realer unsozialer oder auch undemokratischer Politik (siehe zum Beispiel Heizungsgesetz). Einheit gegen die AfD ist richtig und wichtig, aber Einheit von wem? Wir wollen Einheit von Lohnabhängigen und Gewerkschafter*innen, Mieter*innen, Geflüchteten, Linken und sozialen Bewegungen im Kampf gegen diese besonders gefährliche Partei und Rassismus aber auch gegen Wohnungsnot, Reallohnverluste oder Perspektivlosigkeit. Das schließt das politische Bündnis mit CDU, SPD, FDP oder Grünen aus, die dafür und im Übrigen auch für die letzten Asylrechtsverschärfungen auf EU-Ebene Verantwortung übernommen haben.

Es gibt die völlig nachvollziehbaren großen Sorgen vor weiteren Wahlerfolgen der AfD und einer möglichen Einbindung der Partei in Landesregierungen. Die Entwicklungen anderer europäischer Länder geben diesen Sorgen Aufwind. Ob es dazu im nächsten Jahr kommt, scheint noch unwahrscheinlich – aber es gibt zumindest Anzeichen, dass es in der (Ost-)CDU darüber zu Auseinandersetzungen kommen wird.

Gleichzeitig sollte man auch die Grenzen des Wachstums der AfD betrachten. Denn die Partei kann nur einen Teil der Unzufriedenen erreichen, der größere Teil geht gar nicht zur Wahl. In Sonneberg haben im ersten Wahlgang mehr als die Hälfte und im zweiten Wahlgang immer noch über vierzig Prozent nicht abgestimmt. Bei quasi jeder anderen Wahl in den letzten Jahren gab es dreißig bis vierzig Prozent Nichtwähler*innen-Anteil, die das (vermeintliche) Protestangebot der AfD nicht überzeugt hat. Diese zu erreichen und zu mobilisieren, nicht nur zu Wahlen sondern noch viel wichtiger in soziale Kämpfe und Bewegungen, sollte Hauptaugenmerk und Hoffnungsquelle für Linke sein.

Hätte es in den letzten Jahren eine kämpferische und konsequent sozialistische LINKE gegeben, hätte sie diese Menschen erreichen können und auch verhindern können, dass ein Teil ihrer ehemaligen Wähler*innen zur AfD abgewandert. Der Aufstieg der AfD ist deshalb untrennbar mit der Notwendigkeit verbunden eine Partei aufzubauen, die sich konsequent auf die Seite der Lohnabhängigen und diese organisiert und dafür ihre parlamentarischen Positionen nutzt, statt in diesem Sumpf zu versinken. Eine sozialistische Arbeiter*innenpartei würde dabei keine Abstriche an internationalistischen und antirassistischen Positionen machen, sondern die Verantwortung des kapitalistischen Systems für soziale Probleme benennen.

Der Kapitalismus ist in einer tiefen multiplen Krise, die zwangsläufig politische Instabilität hervorruft. Rechtspopulist*innen können dort davon profitieren, wo ihnen in Ermangelung einer kämpferischen und glaubwürdigen linken Alternative Raum gegeben wird. Umso wichtiger ist es, das Linke und Gewerkschafter*innen für Klassenpolitik eintreten und dies mit einer grundlegenden sozialistischen Alternative zu diesem System verbinden, welches tagtäglich den sozialen Nährboden für Rassismus und Spaltung reproduziert.

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